Well-ness oder well-less: Netflix (un)gesund
Well-ness oder well-less
Netflix (un)gesund
Netflix neue Dokumentationsreihe (un)gesund führt uns in sechs Folgen vor, was es an bisweilen abstrusen Wellness-Methoden gibt.
Wellness ist ein problematischer Begriff, denn gesetzlich geschützt ist dieser nicht. Deswegen kann sich natürlich einerseits ein Diätkonzern wie Weight Watchers damit schmücken, andererseits kann auch eine Behandlung in der Sauna mit anschließender Massage dazuzählen. Wellness bezieht sich dabei eher meistens auf einen Zustand, der schon ein wenig mehr ist als nur gesund. Gesund sind wir, wenn wir nicht krank sind, so die allgemeine Meinung - man kann auch das mal hinterfragen - und Wellness ist sozusagen das Schlagobers mit der Kirsche drauf. Wellness gönnt man sich, Wellness bringt einen wieder auf Vordermann. Wellness fasst aber auch Mittel und Praktiken, die vermeintlich Dinge heilen, aber von der Wissenschaft bisweilen fragwürdig angesehen werden.
(un)gesund taucht in sechs Folgen in teilweise sehr bizarre Weillness-Methoden ein. Das Trinken von Muttermilch als Erwachsener ist bizarr, genauso wie die Behandlungen mit Bienengift. Also mit echten Bienen, von denen man sich dann stehen lässt. Nachvollziehen kann man das vielleicht, wer hätte nicht schon bei diversen Erkrankungen gedacht, ob es nicht einen einfacheren Weg geben könnte oder bisweilen ist die Schulmedizin auch hilflos gegenüber Erkrankungen. Da probiert man dann aus Verzweiflung fast alles, um gesund zu werden. Es ist also nachvollziehbar, wenn Menschen radikale Methoden in Anspruch nehmen, um gesund zu werden.
Wir erwarten automatisch von solchen Dokureihen dann, dass am Ende ein Fazit steht. Dass am Ende ein Arzt oder Experte uns endgültig rät, dieses zu tun oder jenes zu lassen. Das kennen wir vom NDR, bei dem es die Sendung Visite gibt. Da sind dann echte Ärzte bemüht einem Patienten zu helfen und am Ende des Segment erfahren wir mal wieder, dass die Ernährung schuld ist. - Pardon, ich hab das da mit dem anderen Format verwechselt, natürlich gibts auch Ernährungsberatung bei Beschwerden im NDR. Aber wir haben da schon ein vorgefertigtes Muster, an das wir gewöhnt sind. Und meistens ist es so, dass die Dokumacher schon vorab sich die Fakten zur passenden Agenda suchen. Das führt dann halt zu sowas wie der Dokureihe der Paltrow, in der unbeschwert alle Arten von esoterischen und abseitigen Heilmethoden als gesund gepriesen werden und meistens die Experten dementsprechend ausgesucht sind. Man kann mich auch nicht davon abbringen, dass etwas sowas wie Supersize Me nun überhaupt keine Agenda hat, so sehr wie hier auf das böse Fastfood eingehämmert wird. Manchmal sind ja da Michael-Moore-Dokumentationen subtil zu nennen.
(un)gesund allerdings entzieht sich dem Ganzen. Es gibt keine Erzählerstimme, die Fakten an den Mann bringen möchte. Es gibt kein definitives Fazit darüber ob und wie nun die Methoden, die hier dargestellt werden gut oder schlecht sind. (un)gesund lässt beide Seiten zu Wort kommen. Die Folgen beginnen meistens mit den Befürwortern, lassen dann aber auch die Skeptiker zu Wort kommen. Selbst beim Schnitt und der Bildsprache halten sich die Macher zurück. Sie wollen keine Agenda an den Mann oder die Frau bringen. Sie beobachten. Sie propagieren keinen bestimmen Lifestyle. Sie sind im Hintergrund. Sie verschweigen nicht die positiven Seiten der Befürworter, zeigen aber auch, dass bisweilen die Wellness-Methoden ihre schwarzen Seiten haben. Ätherische Öle? Werden meistens in einem Multi-Level-Marketing - Pyramidensystem - verkauft. Eine pflanzliche Droge, die jahrhunterlang in Südamerika in der Kultur eingebettet ist? Wird ohne Bezug und Respekt von uns vereinnahmt. Muttermilch für Erwachsene? Es fehlen Tausende von Spendern für Babys, denen wird das also von den Erwachsenen vorenthalten.
(un)gesund überlässt das Fazit am Ende uns selbst. Die Reihe zeigt allerdings auch auf, was für eine gigantische Industrie bisweilen hinter den angeblichen Wellness-Präparaten steckt. Das mag uns schon bewußt sein, aber in der Regel verschwenden wir keinen Gedanken daran. Manchmal reicht es, dass Etikett natürlich an eine Methode zu hängen und schon lassen wir alle Bedenken fahren. Denn was natürlich ist, kann ja nur gesund sein. Knollenblätterpilze sind allerdings auch sehr natürlich, aber niemand käme auf die Idee, sie ins Essen zu streuen. Aber das tun wir bisweilen bei den ach so gesunden und natürlichen Wellness-Methoden. Zumal: Ich persönlich halte es auch für keine gute Idee einen Monat lang nur Wasser zu mir zu nehmen, damit der Körper angeblich auf ein Null-Level für gewisse Werte kommt. Was tut man jedoch nicht, wenn man sich wohlfühlen möchte. So ziemlich alles.
Sicherlich hat Netflix in der letzten Zeit einige Dinge produziert, die nicht unbedingt - hmm - erste Sahne sind. Eher zweite. Oder dritte. Sowas, was dann bei den üblichen Verdächtigen am Vorabend im Fernsehen laufen könnte. Gwyneth Paltrows angebliche Gesundheits-Dokumentationreihe gehört auch in diese Kategorie. Ich wüsste zwar nicht, seit wann die Frau einen Doktortitel erworben hat, aber das hält natürlich nie jemanden auf irgendwelche wirren Gesundheitshypothesen aufzustellen. Justin Bieber war da neulich ja auch ganz groß drin. Allerdings: (un)gesund gehört nicht dazu.
Auch wenn sich von einigen Vertretern der HAES-Bewegung jetzt Kritik regt, die Serie würde ja doch nur Ideale der Diätkultur und des Healthism propagieren, so kann ich mich dieser Kritik nicht anschließen. (un)gesund stellt sich auf keine Seite. Die Reihe propagiert nichts. Sie zeigt die Seiten der Wellness-Methoden und spart gerade auch Kritik nicht aus. Da wir aber natürlich immer daran gewöhnt sind, dass uns das Denken oder die eigene Meinungsbildung abgenommen wird, können Manche von uns vielleicht nicht so gut damit umgehen. Allerdings: Wie war das noch mit der Aufklärung, der Unmündigkeit und dem eigenen Verstand?