Vincent, Alex und Co.
Am Anfang war es nur eine Idee auf dem Papier: Was wäre, wenn wir eine Art von virtuellem Vincent van Gogh hätten, der uns eine individuelle Erfahrung bereitet? Je nachdem, was wir wissen wollen. Je nachdem, was uns fasziniert. Je nachdem, was uns am Werk des Künstlers berührt.
Am Anfang war es ein Konzept auf dem Papier: Was, wenn wir demnächst bei der Reiseplanung einen virtuellen Reiseführer hätten? Der uns vorab schon mit Informationen versorgt, die besten Tipps vor Ort gibt? Was wäre, wenn … Alles Science-Fiction. Vor ChatGPT.
Vorab: Wir sind natürlich noch lange nicht soweit, wie es teilweise die SF-Literatur vorausgesagt hat. Aber so weit weg von der KI Idoru, die William Gibson erschuf, sind wir auch nicht mehr. Längst gibt es virtuelle Influencer*innen auf den sozialen Plattformen, deren Bilder und deren Inhalt immer natürlicher werden. Ein Bewusstsein haben sie noch - noch? - nicht. Irgendwann könnte es aber soweit sein. Vor allem, weil momentan tatsächlich die „Flatline“ aus Neuromancer als Möglichkeit diskutiert wird. Nur nicht in einem schwarzen Kasten, sondern die Verstorbenen werden dank KI wieder „lebendig“, verhalten sich so, wie sie im Leben waren. Durchaus eine Entwicklung, die man kritisch sehen kann. Ebenso wie gewisse andere Dinge in diesem Bereich. Was heutzutage allerdings schon möglich ist, wird dank der Bezahlvariante von ChatGPT recht deutlich. Denn seit einiger Zeit kann sich jede*r einen Ableger der Software bauen, um bestimmte Dinge damit zu erledigen.
Alex ist so ein Ableger. Geschaffen von Frank Tentler ist Alex etwas Besonderes. Ein KI-Programm, das trainiert wurde, Menschen auf eine Reise um die Welt mitzunehmen. Egal wohin. Eine Voreinstellung wäre zum Beispiel die Geheimnisse des Ruhrgebietes zu erkunden. Alex richtet sich nach den Wünschen des Nutzers oder der Nutzerin. Und wenn man ihn ausprobiert, dann ist das, was er leistet, nicht unbedingt perfekt. Denn Alex lebt natürlich davon, dass wir die KI mit den richtigen Daten füttern. Die Bezahlvariante von ChatGPT greift bekanntlich aufs Internet direkt zurück und daher kann Alex alles an aktuellen Entwicklungen und Erfahrungen verarbeiten. Natürlich muss man sich dessen bewußt sein, dass er ein KI-Programm ist. Aber den Job eines „allwissenden Reiseführers“ macht das Programm schon jetzt. Ein Beispiel.
Alex stellt eine Tagestour zusammen, die die kulturellen Highlights der Stadt Duisburg vorstellt. Da ich in Duisburg lebe, kann ich natürlich recht einfach überprüfen, ob Alex hier einen guten Job macht. Das tut er: Lehmbruck-Museum, Kant-Park, Mercatorhalle, Kultur- und Stadthistorisches Museum und am Abend ein Besuch einer Veranstaltung im Theater. Genau so ähnlich würde ich tatsächlich Bekannten eine Tour empfehlen, falls die für Kunst und Kultur zugänglich sind. Die Übersicht an sich ist schon recht passend. Details - da muss ich nachhaken. Etwa beim Mittagessen in der Innenstadt - hier schlägt mir Alex erstmal kein Restaurant vor. Auf Nachfrage rödelt er etwas und sucht die bekannteren Internetseiten ab. Allerdings war ich so „fies“ und hab gleich drei Fragen zur Präzisierung gestellt und da hängt Alex dann doch noch etwas. „There was an error …“
Aber wenn ich die drei Fragen nacheinander stelle, dann bietet mir Alex tatsächlich eine Top-3-Auswahl an Duisburger Restaurants an. Er versieht den bisherigen Plan mit genauen Uhrzeiten und integriert dann auch das Restaurant, das in der Innenstadt liegt, in den Ablauf. Zudem: Was ich mir im Theater Duisburg ansehen sollte, weiß er auch. Was Alex nicht kann: Mir genau verraten, wie und wann Busse und Bahnen in Duisburg fahren. Allerdings hat Alex für die Tagesstour sich sehr auf die Innenstadt konzentriert. Da ist alles auch fussläufig zu erreichen. Wenn man also vom Großen ins Kleine gerät und genau weiß, wie die Prompts formuliert werden sollten, dann kann Alex jetzt schon zumindest die Grundlagen für die Reiseplanung legen. Ob das der Tourismus-Branche so gefallen wird? Immerhin ist Alex eine Konkurrenz zum gedruckten Reiseführer und zum Menschen vor Ort. Wer einen pragmatischen Blick in die Geschichte wirft, wird wissen: Neue Medien haben selten die alten verdrängt. Sicherlich: KI wird einige Angebote aus dem Markt drängen, aber ob ich mich vor Ort mit einer KI durch die Gegend führen lasse oder lieber doch einem Menschen lausche - das wird letzten Endes Geschmacksache sein. Wobei: Gedruckte Reiseführer haben ja auch schon immer neben den menschlichen Reiseführer*innen existiert. Bis heute.
Neben den gedruckten Hinweisen für den Museumsbesuch - den Übersichtsplänen und den kurzen Erläuterungen - haben sich Apps in den Museen etabliert. Allerdings: Ob ich nun ein Gerät mit Kopfhörer trage oder eine App mit Kopfhörer mir irgendwas vermittelt - das bleibt sich gleich. Zwischenfragen bei Apps sind eigentlich nicht vorgesehen. Dafür wären ja wieder die menschlichen Expert*innen da, die durch die Museen führen. Aber Vincent - ebenfalls aufgesetzt von Frank Tentler - zeigt schon, dass es auch anders gehen könnte. Und es ist schon sehr - beeindruckend. Mich interessierte die Frage, warum er Sonnenblumen gemalt hat. Der ChatGPT-Bot hat direkt darauf geantwortet und mich gefragt, warum ich mich dafür interessiere. Nun, mich interessiert der künstlerische Aspekt. Worauf Vincent mir nochmal ausführlich antwortet, warum alle Stadien der Sonnenblumen zu sehen sind, was ihn in Arles dazu bewogen hat sie zu malen und … um es kurz zu machen: Ich habe mich knapp eine halbe Stunde mit der KI über das Leben von Vincent unterhalten. Über die Farbe Blau. Über die Nacht. Faszinierend? Sicher. Vor allem, weil das ja erst in den Kinderschuhen steckt. Ob ChatGPT den Turing-Test heute bestehen würde? Gute Frage. Morgen? Da bin ich mir sehr sicher.
Denn eine Unterhaltung mit Vincent fühlt sich ebenso wie eine Unterhaltung mit Alex so an, als wäre da ein wissendes Gegenüber, das mir persönlich antwortet. Dass da immer noch Fehler vorkommen können - unbestritten. Noch sind diese beiden ChatGPT-Programme nur eine Vorahnung von dem, was in den nächsten Jahren sich entwicklen könnte. Ob wir demnächst wirklich, wie in der SF des öfteren imaginiert, einen persönlichen KI-Assistenten um uns haben werden, der uns sicher durch das Leben navigiert … Fraglich. Aber bestimmte Bereich sind per Smartphone schon jetzt vorstellbar. Dazu gehört auch der allwissende per KI generierte Reiseführer und die Reiseführerin.