Tolle Tage in Moskau: Bulgakows Meister und Margarita
Tolle Tage in Moskau
Bulgakows "Meister und Margarita"
Die Metropole Moskau erhält in den 30ger Jahren - wir erinnern uns: Stalins Ära - Besuch von seltsamen Gestalten. Dass diese im wahrsten Sinne des Wortes seltsam sind und nicht ganz von dieser Welt, das erfahren die Lesenden des Romans recht schnell. Die Bewohner Moskaus eher später. Denn mystische Figuren wie den Teufel, daran glaubt ja doch wohl im Moskau Stalins niemand mehr. Ebensowenig wie an Zauberei. Aber schnell geschehen Dinge, die nicht von dieser Welt sind. Ein Schriftsteller gerät unter die Räder der Straßenbahn, wie man es ihm vorhersagte. Eine Varietevorstellung gerät außer Rand und Band. Theaterleute werden erschreckt. Im Trubel der Ereignisse: Margarita, die auf ihren Liebsten, den Meister wartet. Sie erhält ein Angebot, dass man schlecht abschlagen kann …
Der Teufel in Moskau! Dazu noch eine Liebesgeschichte um einen Dissidenten! Kein Wunder, dass Bulgakows letzter Roman erst Jahrzehnte nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Natürlich zensiert. Die Kritik, die Bulgakow stellenweise an den Zeiten Stalins übt ist selbst, wenn sie nicht zu deutlich ist, immer noch herauslesbar. Der Abschnitt rund um die Wohnungsmisere etwa dürfte Stalin persönlich nicht besonders erfreut haben. Ebensowenig die Spitzen, die in Richtung von parteilichen Gremien geäußert werden. Die aufdringliche neugierigen Nachbar*innen, die jedes Versäumnis der Partei melden, sprechen wohl für sich. Besonders riskant die Äußerung des Teufels, dass sich die Menschen halt nicht geändert hätten. Der Kommunismus ändert keine Menschen? Kann nicht sein.
Der Teufel also in Moskau. Was will er da eigentlich? Die Antwort: Er hält Hofstaat. Zur Walpurgisnacht lädt er zum Ball ein. Was ihm allerdings fehlt: Eine Ballkönigin an seiner Seite. Die findet sich nur in Moskau: Margarita. Der technische Fortschritt, den die Menschen gemacht haben, interessiert den Teufel zwar auch ein wenig, aber er möchte wissen, ob sich die Menschen seit dem letzten Mal wesentlich geändert haben. Als Variete-Magier stellt er dann fest: Im Großen und Ganzen nicht. Die Menschen sind immer noch gierig, auf ihren Vorteil bedacht und alles in allem so, wie er sie kennt. Da scheint der Kommunismus auch nichts dran geändert zu haben. Aber seien wir ehrlich: Hat je ein Regime die Menschen wirklich geändert? Eigentlich nicht.
Der Teufel und Margarita - so könnte der Romana auch heißen, aber da ist die Rede von dem Meister. Ein Schriftsteller, der sich in Margarita verliebt und sie sich in ihn. Zwar ist sie verheiratet, aber das schert Beide nicht. Der Schriftsteller, der seinen Namen vergessen hat und nur noch als „Meister“ angeredet wird, und Margarita erleben eine wunderbare Zeit zusammen. Dummerweise entwirft der Meister aber einen Roman über Pontius Pilatus und Jesus. Ein etwas merkwürdiges Sujet, schlimmer noch: Der Roman behandelt zwar die Kreuzigung Jesu, ist aber nicht unbedingt religionskritisch. Was dem Meister dann glatt einen Sanatoriumsaufenthalt einbringt. Margarita weiß davon aber nichts - er ist auf einmal verschwunden, sie wartet auf ihn und wäre imstande, sich einen neuen Liebhaber zu suchen. Wenn nicht der Teufel da wäre.
Der Teufel bringt gerne alles durcheinander. Bei Bulgakow tut er das nicht, weil er das Chaos unbedingt so liebt, sondern weil die Menschen anfällig für seine Versuchungen sind. Das Geschacher um eine freistehende Wohnung mit dem Vorsitzendem des zuständigen Komitees kommt nur zustande, weil dieser für Bestechungen anfällig ist. Anfällig sind auch die Menschen in der Variete-Vorstellung - anfällig für das Geld, das aus dem Nichts auftaucht, anfällig sind die Damen für die aktuellen Modekleider und -schuhe. Das Chaos, dass er uns eine Gefährten anrichten, richtet sich auch gegen die Zustände in der Gesellschaft. Dass am Ende des Romans das Haus der Schriftsteller-Vereinigung abbrennt, ist ein deutliches Signal gegen die schwerfälligen, sich Posten zuschiebenden politisch Handelnden in der Stadt. Zudem richtet er auch Identitäten zugrunde oder kehrt sie um. Allerdings auch dies nicht unbedingt nur, weil es so sein muss.
Der Teufel hält Hof in Moskau. Dass Bulgakow in der Hexensabbat-Szene des Romans zur Hochform aufläuft, das kann man verstehen. Obwohl Margarita und ihre Dienerinnen auf Hexenart hinkommen, ist der Ball selbst eine überbordende Festlichkeit. Die Verdammten erscheinen in Frack und Hofkleidern. Margarita empfängt sie an der Seite des Teufels, was keine leichte Aufgabe ist, um danach in den Trubel der Walpurgisnacht einzutauchen. Die Frage drängt sich natürlich auf: Sind die Verdammten in der Hölle ansonsten zu Qualen verurteilt? Warum gibt der Teufel diesen Ball? Reine Eitelkeit? Muss er die Verdammten daran erinnern, dass es neben den unendlichen Qualen auch noch was Anderes gibt? Die Motive des Teufels dafür bleiben im Dunkeln. So rasch, wie sich der Spuk ereignete, wird er auch wieder aufgelöst. Am Ende bleibt Margaritas Belohnung. Der Meister und Margarita. Das Liebespaar des Roman. Nicht unbedingt auf der Stufe von Romeo und Julia. Margarita hatte ja schon mit dem Gedanken gespielt, sich einen neuen Liebhaber zu suchen. Durchaus also auch ein wenig flatterhaft, die Dame. Oder besser die Hexe, denn das ist sie jetzt und darf es bleiben. Dennoch: Erst durch die Nachricht, dass der Meiste noch lebt wird sie wieder zur Heiß-Liebenden. Das Ende des Romans - ein Happy-End.
So rasch wie er kam, geht er wieder. Der Teufel sorgt für Ruhe und eigentlich auch für Gutes, was seltsam anmutet. Schön, zuerst brennt noch ein Haus in Moskau ab, das schon. Dann aber wird es ernst: Aus dem schwarzen Kater wird wieder ein Mensch, aus dem elenden Spaßmacher der edle Ritter. Ihre weiteren Schicksale sind unklar, aber sie sind frei. Jesus selbst ist beim Teufel vorstellig geworden und bittet für den Meister um dessen Ruhe. Gegen Ende vermischen sich Jesus-Handlung und die eigentliche Romanhandlung miteinander. Für den Meister sei das Licht nicht zuständig. Was schon ein wenig merkwürdig erscheint, denn eigentlich hat der Meister nichts Böses getan. Dass er sich in eine verheiratete Frau verliebt, kann ja kaum Grund dafür sein, dass Gott selbst nicht für ihn zuständig ist. Feigheit - das ist natürlich ein Motiv, dass sich durch den ganzen Roman zieht. Keiner der Handelnden ist wirklich bereit sich gegen Jemanden oder Etwas zu erheben. Letzten Endes zieht ja auch Pontius Pilatus die Feigheit vor und verteilt Jesus zum Tode. Aber wo hat der Meister feige gehandelt? Er ist eigentlich nur von den Zuständen getroffen worden. Sein Roman ist halt nicht auf Linie. Er selbst hat weder Schuld noch kann er sich gegen die Zustände wehren. Nun. Es sei wie es sei: Der Teufel garantiert Jesus, dass der Meister seine Ruhe findet. In einem mystischem Paradies mit Häuschen und Garten. Und so zieht der Meister aus Moskau wieder fort. Die Behörden haben noch einige Zeit mit den Nachwirkungen zu kämpfen. Erklären das alles als eine Folge von „Massenhysterie“ und „Hypnose“ und das Leben in Moskau geht weiterhin seinen Gang.
Es ist nicht so einfach bei diesem Roman, der so viele Themen in sich birgt. Da ist die Freiheit der Künstler*innen in einer Zeit der Diktatur. Heutzutage leider wieder sehr aktuell. Da ist die Liebesgeschichte zwischen dem Meister und Margrita. Es ist die Kritik an den Zuständen der Zeit, an der Wohnungsnot, an dem Apparat der Partei, an Denjenigen, die nur für sich ihre Vorteile aus dem System herausschlagen. Die Fantasie schlägt der Realität ein Schnippchen und Dinge geschehen, die zufälliger nicht sein könnten. Oder vielleicht sind sie doch nicht zufällig? Vielleicht hätte Bulgakow, wenn er Zeit gehabt hätte, noch Einiges besser in Szene gesetzt. Am Ende wird das erlöst, was erlöst werden kann und was sich nicht selbst ein Bein gestellt hat. Die tollen Tage in Moskau lassen die Lesenden auch an einer kreative Rebellion teilnehmen. Nun denn: Leser, auf und folge …
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