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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Lewis & Clark im Winter?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Lewis & Clark im Winter?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 8. Dezember 1805 bezog eine der bemerkenswertesten Forschungsexpeditionen in Nordamerika ihr Winterquartier.

Ende November 1805 hatten die Männer die Küste des pazifischen Ozeans erreicht: Die Captains Meriwether Lewis und William Clark waren 1804 mit einer kleinen Mannschaft aufgebrochen, um den amerikanischen Kontinent zu durchqueren. Das Unternehmen, vom 3. Präsidenten der USA, Thomas Jefferson, geplant und gegen Widerstände des Kongresses durchgesetzt, ist eigentlich nur mit dem ersten Flug zum Mond vergleichbar.

Lewis & Clark wagten sich in Regionen vor, die kaum ein weißer Mann zuvor gesehen hatte. Als sie im Frühjahr 1805 den Oberen Missouri und die Dörfer der Mandan verließen, gelangten sie in Gebiete, die nirgends beschrieben und kartographiert waren.

Heute kann man die Strecke, die die Expedition von St. Louis bis zum Pacific zurücklegte, in ca. 5 – 6 Tagen bequem mit dem Auto fahren und in wenigen Stunden mit dem Flugzeug bewältigen. Lewis & Clark waren mit Kielbooten, Einbäumen, auf dem Pferderücken und zu Fuß 2 Jahre unterwegs. Sie trafen mit mehr als 50 Indianervölkern zusammen, die damals noch die uneingeschränkten Herren des Landes waren. Sie kartographierten Regionen, die kein weißer Mann je betreten hatte. Sie entdeckten und beschrieben Hunderte von Tier- und Pflanzenarten, die der Welt bis dahin völlig unbekannt gewesen waren.

Allein an den Resultaten gemessen, war diese Expedition global gesehen eines der erfolgreichsten Entdeckungsunternehmen aller Zeiten. Auf Nordamerika bezogen, öffneten Lewis & Clark die Tür zum amerikanischen Westen.

Entsprechend ihren Tagebüchern, bezogen sie am 8. Dezember 1805 ein kleines Blockhaus-Fort in einem Regenwald unweit der Pacific-Küste, benannt nach den benachbarten Clatsop-Indianern, mit denen sie in freundschaftlichen Kontakt traten. Heute liegt die Kleinstadt Astoria nur wenige Meilen entfernt.

Die Clatsop-Indianer hatten den Captains empfohlen, ihr Winterquartier an diesem Platz zu errichten, weil das umliegende Waldgebiet ausreichend Wild für die Jagd bot und der kleine Fluss – heute Lewis-&-Clark River – leicht zu befischen war. Ferner gab es Zugang zum Ozean, an dessen Ufer die Expedition Salz kochte.

Die Errichtung des Forts war eine schwere Arbeit. Bäume mussten gefällt und für den Bau der Palisade und der Blockhütten mit einfachsten Werkzeugen vorbereitet werden. Als die Mannschaft Weihnachten feierte, hatten die meisten Hütten noch gar kein Dach.

Das Fort war in Form eines Dreiecks angelegt – William Clark bevorzugte diese Konstruktion, die seiner Ansicht nach leichter zu verteidigen war. Auch Fort Mandan (am Oberen Missouri) war nach diesem Muster konstruiert worden.

Winter in diesem Teil des Landes bedeutet noch heute vor allem Regen. Die Wochen, die das „Korps der Entdecker“ in Fort Clatsop verbrachte, waren von Nässe und Kälte geprägt. Ihr Lederzeug begann zu verrotten, die Kleidung schimmelte. Die Männer litten unter Rheuma und Erkältungskrankheiten.

Alle waren erleichtert, als die Captains am 22. März 1806 den Aufbruch befahlen. Meriwether Lewis übergab das kleine Fort offiziell an Coboway, den Häuptling der Clatsop-Indianer, der die Expedition gastfreundlich aufgenommen hatte.

Am 23. September 1806 traf die Mannschaft wieder in St. Louis ein.

Fort Clatsop verfiel nach und nach in dem feuchten Klima. Angeblich waren noch um 1920 wenige Reste der Blockhütten zu sehen.

Im Dezember 1955 – 150 Jahre nach Lewis & Clark – erfolgte die Einweihung der ersten Rekonstruktion des alten Winterquartiers. In einem der Tagebücher war eine grobe Bau-Skizze, vermutlich von William Clark gezeichnet, gefunden worden, anhand derer das Fort so originalgetreu wie möglich wieder errichtet worden war.

Gleichwohl waren viele Historiker mit der Rekonstruktion nicht zufrieden – das Fort wirkte zu perfekt und entsprach nicht den primitiven Beschreibungen, die die Teilnehmer der Expedition hinterlassen hatten.

Als im Oktober 2005 – 200 Jahre nach der Überwinterung der Mannschaft – das Fort durch ein Feuer schwer beschädigt wurde, herrschte klammheimliche Erleichterung bei einigen historischen Interpreten.

Am 9. Dezember 2006 – vor 11 Jahren – wurde die neue Rekonstruktion eingeweiht, die jetzt wesentlich exakter dem alten Originalbauwerk entspricht – errichtet aus handbehauenen, groben Baumstämmen, mit lehmgestampftem Fußboden und zugigen Hütten.

Fort Clatsop ist heute ein Monument der Erinnerung an eine der kühnsten Forschungsreisen der Menschheitsgeschichte und an zwei bemerkenswerte Männer, die den Völkern im Innern des amerikanischen Kontinents mit Respekt und Interesse begegneten und deren Aufzeichnungen bis zum heutigen Tag nicht nur überwältigende naturwissenschaftliche und geografische Erkenntnisse enthalten, sondern einen völkerkundlichen und kulturellen Schatz dokumentieren, den sie bei ihrem riskanten Unternehmen entdeckten. Ohne sie würden wir heute über das Leben und die Sitten vieler indianischer Völker nicht mehr viel wissen. Die Welt, die sie betraten, sollte binnen weniger Jahrzehnte untergehen.

Meine Fotos zeigen verschiedene Aufnahmen von Fort Clatsop, darunter auch den Raum, den die Captains sich als Quartier teilten. Ferner die Statue von Sacagawea, der jungen Shoshonin, die die Expedition begleitete, die Landungsstelle, wo die Expedition mit Einbäumen eintraf, und die Salzkochanlagen der Expedition.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, Dezember 2017
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