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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie ist das mit dem »Cliff Palace«?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem »Cliff Palace«?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler werden wir diese Beiträge im Zauberspiegel übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Der 18. Dezember 1888 wurde zu einem der bedeutendsten Tage der amerikanischen Archäologie, zu einer Sternstunde der Erforschung der frühesten Geschichte der amerikanischen Indianerkulturen.

Richard Wetherill, Mitglied einer der größten Rancher-Familien des Staates Colorado, und sein Schwager Charlie Mason, ritten an jenem Tag auf der Suche nach versprengten Rindern in einen Canyon der als Mesa Verde bekannten Gebirgsformation, als sie plötzlich über sich in einer mächtigen Klippenhöhle eine regelrechte „Stadt“ entdeckten. Mehrstöckige, miteinander verbundene Wohntürme aus Felsgestein und Adobeziegeln.

Die beiden Cowboys waren zunächst erschrocken, da sie glaubten, eine versteckte bewohnte Siedlung entdeckt zu haben. Dann realisierten sie, daß es sich um die Ruinen eines lange untergegangenen Volkes handelte.

Richard Wetherill nannte die Ruine „Cliff Palace“ – und so heißt sie noch heute. Noch am selben Tag entdeckte Wetherill das Spruce Tree House.

Sein Entdeckungslust war geweckt. Zusammen mit seinen Brüdern und Angestellten der Ranch begann er, die Mesa Verde systematisch zu durchforsten und stieß auf Hunderte weiterer Ruinensiedlungen, die wie Adlernester meisterhaft unter Felsklippen errichtet worden waren.

Die damaligen Bewohner, die Wetherill „Anasazi“ nannte – ein Navajo-Wort für „unsere alten Feinde“ – hatten sich vor rund 2.000 Jahren hier angesiedelt, um vor nomadischen Räuberstämmen sicher zu sein. So wurden sie auch von den durchziehenden spanischen Konquistadores nicht entdeckt.

Wetherill kontaktierte die Smithsonian Institution in Washington, die bedeutendste Forschungseinrichtung der USA. Aber für die Wissenschaftler war er ein Amateur, also wurden seine Schilderungen kaum wahrgenommen.

Erst die zwei Jahre später veröffentlichten Artikel des Autors und Fotografen Frederick Chapin erregten eine gewisse Aufmerksamkeit. Die Bedeutung von Wetherills Entdeckung wurde schließlich 1891 durch den norwegischen Forscher Gustaf Nordenskiöld, einen Sohn des Polarforschers Adolf Erik Nordenskiöld, populär gemacht. Es sollte aber noch bis 1906 dauern, bis Präsident Theodore Roosevelt – der maßgebliche US-Präsident des Naturschutzes – die Mesa Verde mit ihren überwältigenden Zeugnissen amerikanischer Frühgeschichte zum Nationalpark erhob. Es wurde der erste Nationalpark, der nicht der Natur, sondern einer menschlichen Kultur gewidmet war. Bis dahin hatten bereits Raubgräber und Hobbyarchäologen viele bedeutende Zeugnisse dieser frühen indianischen Siedlungen geplündert und die Rekonstruktion des Lebens dieser ersten Bewohner des heutigen Süd-Colorado und nördlichen New Mexico erschwert.

Heute weiß man, daß die Klippenbewohner die Vorfahren der heutigen Pueblo-Völker im Tal des Rio Grande sind. In den schwer zugänglichen Canyons der Mesa Verde hatten sie eine Hochkultur geschaffen. Richtigerweise nennt man sie heute „Ancient Pueblo“ (alte Pueblo), da nicht bekannt ist, wie sie sich selbst bezeichnet hatten.

In den 1890er Jahren fanden schließlich intensive wissenschaftliche Untersuchungen statt, die von dem berühmten Pionierfotografen William Henry Jackson begleitet wurden. Er fertigte die ersten offiziellen Fotos der Ruinen in der Mesa Verde an.

Zu dieser Zeit hatte Richard Wetherill längst auf eigene Faust weitere Untersuchungen unternommen. Er sprach mit Navajo und Ute-Indianern und durchstreifte die Wüsten- und Bergregionen des Südwestens; denn ihm war klar, daß die Mesa Verde nicht das einzige Siedlungsgebiet der frühen Bewohner gewesen sein konnte.

Im November 1893 zog er mit einer Expedition nach Bluff City (Utah) und entdeckte eine weitere uralte Indianersiedlung. Er fand in einer Höhle 28 Skelette von Menschen, die offenbar einer noch älteren Kultur als jener der Mesa Verde angehört hatten. Darüber schrieb er selbst: „Sie gehörten einer anderen Art Menschen an, als ich sie jemals gesehen habe. Sie trugen Kleidung aus Federn und hatten Körbe, keine Töpferei. In sechs der Leichen steckten steinerne Speerspitzen.“

Richard Wetherill hatte die „Basket Makers“ (Korbmacher) entdeckt, die Vorgänger der Cliff Dwellers in der Mesa Verde.

Wetherill entdeckte auch Teile von Betatakin, eine Siedlung im heutigen Navajo National Monument in Nordost-Arizona, und er führte 1896 eine wissenschaftliche Expedition in den sogenannten „Chaco Canyon“ in New Mexico, vermutlich die bedeutendste Ancient Pueblo-Siedlung überhaupt. Von hier aus ließ sich ein verzweigtes Netz von Handelsstraßen in die Mesa Verde und andere Ruinensiedlungen feststellen.

Inzwischen war der Rancher auch in der Öffentlichkeit als Entdecker und Forscher anerkannt. Die Tatsache, daß viele dieser bis dahin unbekannten Indianerruinen archäologisch untersucht und unter Schutz gestellt wurden, war ihm zu verdanken. (Die vollständige Entdeckung von Betatakin blieb schließlich seinem Bruder John Wetherill 14 Jahre später vorbehalten.)

Wetherill gab seine Viehzucht auf. Er folgte seiner Leidenschaft, zog in die Nähe des Pueblo Bonito – eine andere prähistorische Indianersiedlung – und eröffnete einen Trading Post am Rande des Navajo-Gebiets. Da die Regierungsbürokratie zu langsam arbeitete, beantragte er freies Heimstättenland in dieser Region, auf dem sich weitere Ruinen befanden, wie das Pueblo Del Arroyo und das Pueblo Chetro Ketl. So konnte er als formeller Eigentümer des Landes verhindern, daß diese indianischen Siedlungen zerstört wurden.

1905 errichtete Wetherill zusammen mit einem seiner Brüder einen Ausstellungsstand auf der Weltausstellung in St. Louis. Er wurde von 16 Navajo-Indianern begleitet. Die Ausstellung der Fundstücke Wetherills wurde als Sensation aufgenommen. 1907 gab Wetherill seinen Eigentumsanspruch auf das Gebiet des Chaco Canyon auf, da Präsident Theodore Roosevelt auch diese Siedlungsstätte zum National Monument erhob.

Wetherill machte sich durch seine Entdeckungen und hingebungsvollen Bemühungen, die Spuren der alten indianischen Kulturen zu bewahren, unsterblich. Um so tragischer war sein Ende.

Richard Wetherill wurde am 22. Juni 1910 erschossen. Der Täter war ein Navajo-Indianer. Bis heute sind die Hintergründe nicht eindeutig geklärt. Zum Zeitpunkt seines Todes wurde behaupet, der Täter sei Kunde im Handelsposten Wetherills gewesen und habe ihm Geld geschuldet. Es gibt aber starke Hinweise, daß die Motive weitaus komplexer waren.

Wetherill lag in erbittertem Streit mit dem Indianeragenten Stacher, der am Rande des Chaco Canyon einen Damm bauen lassen wollte, um ein Wasserreservoir anzulegen. Dieser Damm hätte das einzigartige Kulturmonument in Teilen zerstört. Wetherill widersetzte sich diesen Plänen mit aller Kraft.

Stacher wollte zudem eine Indianerschule bauen, in der er die „Amerikanisierung“ der Indianer vorantreiben wollte – ein Plan, gegen den Richard Wetherill ebenfalls entschieden opponierte.

Viele Historiker glauben daher, daß der Indianeragent einige Navajo gegen Wetherill aufhetzte und den Mord instrumentalisierte, um ihn loszuwerden.

Der Täter saß mehrere Jahre im Gefängnis. Die volle Wahrheit kam nie ans Licht – vielleicht war auch niemand daran interessiert. So liegt einer der größten Entdecker und Bewahrer der Indianerkulturen des Südwestens in einem unauffälligen Grab am Rande des Pueblo Bonito. Aber die Mesa Verde ist heute - neben der Tatsache, daß sie für die Indianervölker der Region heiliges Land ist - eine der bedeutendsten Attraktionen für geschichtlich interessierte Reisende im südlichen Colorado, und ein Teil dieser massiven Gebirgsformation trägt den Namen des Entdeckers, Wetherill Mesa.

Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, März 2019Die kommende Ausgabe

 

 

 

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