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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit John Evans?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit John Evans?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Letzte Woche habe ich über die Entwicklung des Staates Colorado berichtet. Es bietet sich daher an, heute über eine der maßgeblichen Persönlichkeiten aus den Anfangsjahren von Colorados zu schreiben, den 2. Territoriumsgouverneur, JOHN EVANS, der am 9. März 1814 – vor 207 Jahren – geboren wurde. Er hat zweifellos erheblichen Einfluss auf die Entwicklung dieses Gebiets am Rande der Rocky Mountains gehabt, aber er hat zugleich ein sehr zwiespältiges Erbe hinterlassen.

Evans war Arzt von Beruf. Bis heute sind einige große Hospitäler und medizinische Einrichtungen nach ihm benannt. Es gibt eine Stadt und einen Berg in Colorado, die seinen Namen tragen. Die Tatsache, dass Denver zur Hauptstadt und zu einem Verkehrsknotenpunkt wurde, ist ihm zu verdanken. Er war Gründer der Northwestern University und der University of Denver.

Evans stammte aus einer Farmerfamilie in Ohio. Er studierte Medizin in Pennsylvania und machte seine Abschlussprüfung als Arzt im März 1838 in Cincinnati. Im selben Jahr heiratete er und eröffnete 1839 mit einem Partner in Atica (Indiana) die erste eigene Praxis. Zugleich baute er ein Heim für geistig kranke Menschen.

Um stärkere politische und finanzielle Unterstützung für diese Einrichtung zu bekommen, zogen die Evans 1843 in die Hauptstadt Indianapolis um. Evans setzte sich erfolgreich dafür ein, dass die medizinischen Einrichtungen des Staates mit frischen Lebensmitteln und sauberem Wasser versorgt wurden – keine Selbstverständlichkeit in jenen Jahren. 1845 wurde er zum ersten Superintendenten des Staatshospitals von Indiana ernannt. Ab 1848 unterrichtete er als Professor für Medizin in Chicago und entwarf Quarantäne-Programme, als die Stadt von Cholera heimgesucht wurde. Er entwickelte Geburtshilfemethoden und -instrumente, die traumatische Schädigungen bei Kleinkindern herabsetzten. Er avancierte zum Herausgeber einer medizinischen Fachzeitschrift und gründete zwei Hospitäler im Staat Illinois. 1872 erfand er ein Krankenbett für Schiffsreisen, für das er Patente nicht nur in den USA, sondern auch in England, Frankreich und Italien erhielt.

Evans wurde ein wohlhabender Mann, der aus seinem privaten Vermögen viel Geld für die Verbesserung medizinischer Versorgungen und die Ausbildung von Ärzten spendete. Noch 1890 schenkte er Land für den Bau der Universität in Denver.

Evans war sich frühzeitig bewusst, dass er für seine medizinischen Reformen politische Unterstützung brauchte. Seit Mitte der 1850er Jahre war er im Stadtrat von Chicago aktiv und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Republikanischen Partei, wobei er sich nicht nur gegen Sklavenhaltung, sondern auch für Bildung und soziale Projekte engagierte. Er wurde zum persönlichen Freund von Präsident Abraham Lincoln, der 1860 zum ersten Präsidenten aus den Reihen der Republikaner gewählt wurde.

Lincoln ernannte ihn am 25. März 1862 – vor 159 Jahren – zum zweiten Gouverneur des Territoriums Colorado. Am 16. Mai 1862 traf Evans in Denver ein. Er war zu dieser Zeit offenbar schon entschlossen, zu bleiben, denn er ließ für sich ein solides, großzügiges Haus errichten, gründete das erste College des Territoriums, das „Colorado Seminary“, aus dem sich die „University of Denver“ entwickelte, und übernahm die Leitung des Aufsichtsrates.

Neben seiner Tätigkeit als Gouverneur investierte er in die Entwicklung des Territoriums, in Banken und Eisenbahngesellschaften. Er kaufte Grundstücke in Denver. Unter seiner Verwaltung entwickelte sich die Stadt zum unumstrittenen Mittelpunkt von Politik und Geschäftsleben und hatte ein bemerkenswertes Bevölkerungswachstum.

Unglücklicherweise akzeptierte Evans auch das Amt des „Superintendenten für Indianerangelegenheiten“, obwohl er nicht die geringste Erfahrung mit den eingeborenen Völkern hatte. Er war an deren Kultur auch nicht interessiert. Sein Ziel war es, Verträge mit den verschiedenen Völkern Colorados zu abzuschließen, die Landabtretungen zugunsten weißer Siedler festschrieben. Die Wünsche der Indianer waren für ihn nebensächlich. Er unterschied nicht zwischen Stammesgruppen, die die friedliche Koexistenz suchten und jenen, die für ihre Rechte kämpften – das diese im Recht sein könnten, fiel ihm nicht ein.

Als sich Überfälle auf Transportwege und kleine Siedlungen häuften, organisierte er Milizeinheiten. Dass sich unter den Goldgräbern Hysterie und Ängste vor Indianerangriffen auf größere Städte ausbreiteten, war ihm recht. Er forderte öffentlich ein aggressives Vorgehen gegen indianische Gruppen. Evans hoffte, die Staatswerdung von Colorado vorantreiben zu können und erster gewählter Senator zu werden.

1864 ernannte er seinen persönlichen Freund, den Methodistenprediger John Chivington, zum Colonel der 3. Colorado-Miliz und gab ihm faktisch freie Hand, die „indianische Gefahr“ zu bekämpfen. Am 29. November 1864 griff Chivington mit seinem Regiment ein friedliches Cheyenne-Lager unter Häuptling Black Kettle am Sand Creek an. Es kam zu einem der grauenvollsten Massaker der Indianerkriege. Black Kettles Gruppe hielt sich rechtmäßig in diesem Teil des Landes auf, es gehörte zu dem Gebiet, dass den Cheyenne und Arapaho im Vertrag von Fort Wise 1861 zugesichert worden war. Black Kettle hatte eine amerikanische Fahne über dem Lager gehisst.

Evans versuchte danach, die wahren Vorgänge zu vertuschen. Er sprach nach dem Massaker eine Belobigung für Chivington und die Miliz aus. Zu dieser Zeit hatten aber bereits zwei Offiziere der regulären Armee, die sich geweigert hatten, an der Schandtat teilzunehmen, Meldung an ihre Vorgesetzten gemacht. Untersuchungen der Armee und von zwei Kongressausschüssen liefen an. Chivington nahm seinen Abschied und entzog sich damit der Militärgerichtsbarkeit. Die Untersuchungskommissionen stellten unisono fest, dass der Angriff auf das Cheyenne-Lager nach unseren heutigen Begriffen ein Kriegsverbrechen gewesen war. Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass vermutlich erheblich über 200 Menschen grauenvoll erschlagen und verstümmelt wurden, die meisten waren Frauen und Kinder.

Dieses Ereignis beendete die Karriere von John Evans. Er stritt die Vorwürfe gegen die Colorado-Miliz beharrlich ab und log als Zeuge vor den Untersuchungsausschüssen. Daraufhin enthob US-Präsident Andrew Johnson ihn am 18. Juli 1865 seines Amtes. Die Anerkennung von Colorado als Bundesstaat wurde durch diese Vorgänge zunächst abgelehnt.

Evans zog sich aus dem politischen Leben zurück und kümmerte sich um seine Geschäfte. In den letzten Jahren seines Lebens verfiel seine Gesundheit. Er starb am 2. Juli 1897 in Denver.

In den 1990er Jahren begannen neue Untersuchungen über das Sand Creek Massaker und die Hintergründe. Die unrühmliche Rolle von Gouverneur Evans wurde seither immer offensichtlicher.

Sein Bild in der Geschichtsschreibung und in der Öffentlichkeit hat sich daher gewandelt. Die Universitäten und andere Institutionen des Staates Colorado, die mit dem Namen von Evans verbunden sind, begannen mit eigenen Ermittlungen. Der damalige Staatshistoriker von Colorado, der von den Cheyenne verehrte Dr. David Halaas sagte in einer Rede: „Wenn es um Indianer ging, war Evans überzeugt, dass sie keine Seele hätten. Sie waren für ihn „heidnische Wilde“, sie waren „teuflisch“ – alles Ausdrücke, die er nachweislich benutzte, um indianische Völker zu beschreiben.“


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2021Die kommende Ausgabe

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