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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit der Mullan Road?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit der Mullan Road?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler:Die großen Trails nach Westen spielten eine Schlüsselrolle in der Eroberung Amerikas. Sie wurden zu Legenden: Der Oregon Trail, der Santa Fe Trail, der Bozeman Trail, die Overland-Postkutschenwege... Aber wer kennt die MULLAN ROAD? Dabei gehörte sie zeitweise zu den bedeutendsten Frachtwagenstraßen der amerikanischen Pionierzeit. Es handelte sich um die erste Wagenstraße, die vom pazifischen Nordwesten über die Rocky Mountains bis Ins Herz Montanas führte. Ihre Anlage begann im Frühjahr 1859 durch eine Armee-Einheit unter Führung von Lieutenant John Mullan. Sie hatte ihren Ausgangspunkt im Washington-Territorium und führte nach Fort Benton, dem bedeutendsten Binnenhafen der USA am Oberen Missouri. Hier traf am 2. Juni 1860 – vor 161 Jahren – das erste Dampfschiff von Osten ein. Damit wurde Fort Benton zum wichtigsten Verbindungsglied zwischen dem Osten und dem Fernen Westen, ein Umschlagplatz für Waren und Menschen, lange bevor die Eisenbahn diesen entlegenen Teil des Landes erreichte.

Fort Benton gehörte in jener Zeit zum Territorium Dakota. Im Juli 1863 wurde das Idaho-Territorium abgetrennt. Aber am 26. Mai 1864 entstand das Territorium Montana – vor 157 Jahren. Damit verband die Mullan Road dieses neue, vom Goldrausch geschüttelte Gebiet, mit dem pazifischen Nordwesten. Die Mullan Road wurde die Hauptstraße zwischen Fort Benton und dem Washington-Territorium. Sie wurde zum Vorläufer der heutigen Interstate-Autobahnen 15 und 90. Es gibt noch heute einige Teilstücke der alten Mullan Road in den Staaten Washington, Idaho und Montana, die unter Denkmalschutz stehen.

Die Anlage dieser Route wurde bereits 1852 überlegt, da die Pacific-Küste schon damals in den Fokus von Siedlern rückte und die Planwagentrecks nach Oregon erheblich anschwollen. Es ging um die regelmäßige Versorgung der neu entstehenden Siedlungen in den Goldrauschgebieten rings um Helena, Bannack und Virginia City, sowie um Regionen wie Washington, Oregon und Kalifornien. Es wurden bereits Pläne für den Bau einer Eisenbahnstrecke zwischen dem Missouri und dem Columbia River entworfen. Der amerikanische Nordwesten gewann rasant an Bedeutung. Die Goldfunde in Kalifornien und Montana befeuerten den Gedanken einer systematischen Besiedelung der westlichen Weiten bis jenseits der Rocky Mountains.

Dahinter stand auch die nach wie vor bestehende Bedrohung, dass Frankreich, England und sogar Russland versuchen konnten, sich Teile der Nordwestküste als Kolonien zu sichern.

Die Mullan Road wurde daher schnell zu einer der wichtigsten Verbindungen mit dem amerikanischen Osten.. Sie verlief von Fort Benton zum heutigen Great Falls, Helena und Missoula und überquerte dann die Bitterroot Range nach Idaho. Sie endete nicht weit von Spokane (Washington).

Mit der Straßenbauexpedition reiste der frisch ernannte Gouverneur des Washington-Territoriums Isaac I. Stevens, der später einige sehr kontroverse Verträge mit den Indianerstämmen der Region aushandelte, u. a. mit den Blackfeet.

Mullan kam aus dem Topographischen Corps der US-Armee, deren Mitglieder sich selbst als Elite ansahen. Er hatte die Offiziersakademie West Point gerade ein Jahr zuvor verlassen. Er brannte vor Ehrgeiz, sich zu bewähren. Seine Truppe umfasste gut 200 Soldaten, zivile Arbeiter und Landvermesser. Sie vermaßen eine Strecke, die eine Überquerung der Rockies mit Zugtieren und Wagen ermöglichte und begannen, einen Trail von etwa 8 m Breite über die Berge und durch tiefe Wälder anzulegen.

Anfangs war diese Route nur für das Militär vorgesehen, aber sowohl Mullan als auch Stevens war bewusst, dass die Strecke für zivile Transporte nutzbar sein musste.

Schon im ersten Jahr nach der Fertigstellung zogen über 20.000 Menschen über die Mullan Road. Dazu trugen nicht nur die Montana-Goldfunde bei, sondern auch die Entdeckung von Gold in Idaho.

Anfangs wurden Teile der Route von Frühjahrshochwasser überschwemmt, aber die Strecke wurde kontinuierlich genutzt. Ihre Bedeutung lässt sich auch daran ablesen, dass sie selbst nach Fertigstellung der Northern-Pacific-Eisenbahn 1883 noch immer stark frequentiert wurde.

Mullan, geboren am 31. Juli 1830, war ein ambitionierter Mann. Er versuchte selbst, Gouverneur eines der Nordwest-Territorien zu werden, was ihm nicht gelang. Die Anlage der Mullan Road blieb seine bedeutendste Lebensleistung. Er nahm 1863 seinen Abschied aus der Armee und versuchte sich in verschiedenen Geschäften – alle scheiterten. Dank seines Trail jedoch gewann er große öffentliche Anerkennung und spielte eine entscheidende Rolle bei der Grenzziehung zwischen Washington, Idaho und Montana. Er vertrat sowohl die Regierungen dieser Staaten, als auch die Verwaltungen von Oregon und Nevada, bei der Bundesregierung als Lobbyist.

Auch hier war ihm allerdings kein großer Erfolg beschieden. Diese Regierungen verweigerten ihm die versprochene Bezahlung für seine Tätigkeit.

John Mullan starb völlig verarmt am 28. Dezember 1909. Sein Trail ist heute nur noch in der Region von Nordwest-Montana und Washington bekannt.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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