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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit dem Tulsa-Massaker?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit dem Tulsa-Massaker?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Das Ereignis, das ich heute beschreibe, fand am 31. Mai und am 1. Juni 1921 statt.

Es geht um das sogenannte „Tulsa-Massaker, auch „Massaker von Greenwood“ genannt. Es handelt sich um das größte Verbrechen im Rahmen der Bürgerrechtsunruhen in den Vereinigten Staaten, bei dem vermutlich um die 300 Afro-Amerikaner kaltblütig erschlagen wurden. Das Stadtviertel Greenwood in Tulsa wurde fast dem Erdboden gleich gemacht.

Dieses Massaker, das ein weißer Mob in Tulsa anrichtete, wurde durch einen Bericht der „Tulsa Tribune“ über die angebliche Vergewaltigung einer weißen Frau durch einen schwarzen Mann ausgelöst. An dem Sensationsbericht war nichts dran, aber er führte dazu, dass sich ein weißer Lynchmob vor dem Gerichtsgebäude zusammenrottete. Diesem stellten sich bewaffnete Schwarze entgegen. Daraufhin zog der Mob in das Stadtviertel Greenwood, das überwiegend von Schwarzen bewohnt war, und begann mit willkürlichen Zerstörungen und Morden.

Greenwood galt zu jener Zeit als „schwarze Wallstreet“. Hier lebten überwiegend wohlhabende schwarze Amerikaner. Deren Reichtum und Lebensstil waren vielen weißen Bürgern von Tulsa schon lange ein Dorn im Auge.

In den 1910er und 1920er Jahren herrschte in den Südstaaten – kulturell zählt dieser Teil Oklahomas noch immer zum Süden – strikte Rassentrennung. Lynchjustiz war, wie in der Pionierzeit, fast üblich dieser Region. Bis das Oberste Gericht der USA 1954 die Segregation für verfassungswidrig erklärte, herrschte das sogenannte „Jim Crow Gesetz“, das Afro-Amerikaner grundsätzlich benachteiligte und ihnen kaum Rechte einräumte. In diesen Jahren waren Anschläge auf schwarze Wohnviertel nichts Ungewöhnliches. Das hatte in Louisiana und Missouri häufiger stattgefunden. Aber was sich in Tulsa abspielte, nahm kriegsähnliche Formen an.

Spannungen zwischen Schwarz und Weiß hatte es vorher schon in der Stadt gegeben. Eine der städtischen Zeitungen hatte die Schwarzen sogar aufgefordert, sich zu bewaffnen, um sich selbst zu schützen – weil von der örtlichen Polizei kein Schutz zu erwarten war.

Die Bewohner von Greenwood waren fleißige Menschen, die es teilweise zu Wohlstand gebracht hatten. Viele waren ehemalige Veteranen aus dem 1. Weltkrieg, die in Europa gewesen waren und über Selbstbewusstsein verfügten, sich in der überwiegend weißen Umgebung zu behaupten.

Greenwood hatte eine eigene Schule, ein Krankenhaus und kulturelle Einrichtungen. Es gab Geschäfte und sogar zwei eigene Zeitungen.Die Ursprünge von Greenwood lagen in der Zeit nach dem Bürgerkrieg, als viele ehemalige Sklaven nach Westen gingen, um eigene Gemeinden aufzubauen. Im ehemaligen Indianerterritorium Oklahoma entstanden mehrere rein schwarze Siedlungen. In den 1910er Jahren versuchten manche Regionen im Süden der USA jedoch, die Bürgerrechte der Schwarzen zu eliminieren.

Am 31. Mai wurde der schwarze Botenjunge Dick Rowland wegen einem angeblichen Vergewaltigungsversuch verhaftet. Es gab nie eine offizielle Anklage und nie einen Prozess. Angeblich forderte der Sheriff des Countys selbst bewaffnete schwarze Männer zur Sicherung des Gerichtsgebäudes an. Da die Lage sich scheinbar entspannte, gab er Entwarnung. Aber am späten Abend rotteten sich mehrere Hundert weiße Bürger am Arsenal der Nationalgarde zusammen und verlangten die Herausgabe von Waffen.Die Besatzung des Arsenals vertrieb den Mob zunächst. Aber die Lage verschärfte sich bald wieder. Oklahomas Gouverneur ordnete die Mobilmachung der Nationalgarde an, und der Sheriff vereidigte rd. 250 Deputies. Allerdings ging es nicht um die Zerstreuung des Mobs – es wurde angeordnet, dass alle Afro-Amerikaner von Tulsa zu entwaffnen seien. Diese sogenannten „Deputy-Sheriffs“ waren später führend an der Stürmung von Greenwood beteiligt.

Vor dem Gericht sammelte sich erneut ein Lynchmob, gegen den die Stadtverwaltung von Tulsa nichts unternahm. Die Nationalgarde griff ein, verhaftete aber überwiegend Schwarze und fasste sie in provisorischen Lagern zusammen.

In der Nacht wurde bereits am Rande von Greenwood Feuer gelegt. Die eintreffende Feuerwehr wurde von einem anschwellenden Mob am Löschen gehindert. Etwa zur selben Zeit drangen erste Gruppen in das Stadtviertel ein. Einige Bewohner setzten sich zur Wehr. Es kam zu Schießereien vor Hotels und der Schule. Der Mob begann das Geschäftsviertel von Greenwood zu plündern. Die schwarze „Mount Zion Baptist Church“ wurde niedergebrannt. Flammen loderten bald überall, und die Zahl der Randalierer nahm ständig zu, ohne dass die Polizei eingriff.

Als am 1. Juni der Kommandant der Oklahoma-Nationalgarde nach Tulsa kam, stand ganz Greenwood in Flammen. Es wurden Lazarette für die Verwundeten eingerichtet. Der Bürgermeister von Tulsa ordnete die sofortige Entlassung der Deputy-Sheriffs an, die zu den Rädelsführern des Mobs gehörten. Der Gouverneur verhängte den Ausnahmezustand. Zuvor hatten private Kleinflugzeuge Dynamitbomben auf Greenwood geworfen. Das Chaos, die Zahl der Toten und Verletzten, war zunächst unübersehbar. Die Verhängung des Ausnahmezustands gab der Nationalgarde besondere Vollmachten. Nach und nach wurden die Angriffe auf Greenwood eingedämmt. Inzwischen waren über 1.000 Wohn- und Geschäftshäuser niedergebrannt. Mehr als 6.000 Menschen, überwiegend Afro-Amerikaner, waren verhaftet worden, viele waren aus der Stadt geflüchtet. Die meisten weißén Insurgenten wurden nach Aufnahme der Personalien wieder nach Hause geschickt.

Das Amerikanische Rote Kreuz schätzte nach Abklingen der Unruhen etwa 300 Tote und registrierte über 530 medizinische Versorgungen. Um die 8.000 Menschen waren obdachlos geworden. Über 4.000 Afro-Amerikaner waren unberechtigterweise verhaftet worden. Sie blieben tagelang in Lagern auf dem Messegelände der Stadt gefangen. Mitte Juni 1921 wurde ein Gesetz erlassen, dass es schwarzen Amerikanern verbot, Waffen zu besitzen.

Eine spätere Untersuchung der Vorfälle geht von gut 1.500 geplünderten Häusern aus. Es entstanden Sachschäden von über 24 Millionen Dollar nach heutigem Wert. Die damaligen Gerichte wiesen alle Schadensersatzklagen ab.

Allerdings wurde der Polizeichef der Stadt, Gustafson, im Juli 1921 wegen Amtspflichtverletzung angeklagt und schuldig gesprochen.

Die Folgen waren katastrophal. Greenwood wurde nicht wieder aufgebaut. Entschädigungen wurden nicht gezahlt. Die Stadtverwaltung behauptete, Ursache für die Unruhen seien übertriebene Forderungen nach Gleichberechtigung für schwarze Bürger gewesen. Mit anderen Worten: Die Opfer waren selber schuld.

Die Teilnehmer an den Morden, Plünderungen und Brandschatzungen wurde nicht bestraft. Noch im Winter lebten viele der obdachlos gewordenen Menschen in Zelten und provisorischen Holzhütten. Erst im Jahr 1997 setzte das Parlament von Oklahoma die „Tulsa Riot Commission“ ein, die die Ereignisse mit Sorgfalt untersuchte und aufarbeitete. Sie erkannte, nach 76 Jahren, das geschehene Unrecht in vollem Maße an und beschloss Entschädigungszahlungen an die Nachkommen der Bewohner von Greenwood und posthume Orden für die Opfer. Tatsächlich leben noch heute einige Menschen, die als Kinder Augenzeugen des Terrors wurden. Eine 105-jährige ehemalige Bewohnerin von Greenwood führt inzwischen eine Klage gegen die Stadtverwaltung an.

Ein weiteres Problem erhob sich, dass die genaue Zahl der Toten vermutlich nie festgestellt werden kann, weil die Nationalgarde Beerdigungen untersagte. Man weiß daher bis heute nicht, wo viele Ermordete verscharrt wurden, weil die vorhandenen Kirchen und Friedhöfe zur Unterbringung von Verletzten und Obdachlosen benötigt wurden und daher Trauerfeiern nicht möglich waren. Erst 2019 wurden von Archäologen Spuren eines möglichen Massengrabes entdeckt.

Inzwischen erinnert auch ein öffentlicher Park an die schrecklichen Geschehnisse von 1921. Ferner gibt es eine „1921 Tulsa Race Massacre“-Jahrhundert-Kommission, die das Gedenken an die Ereignisse in diesem Jahr zelebriert.


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

 

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