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Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Chief Joseph?

Eine Frage an Dietmar KueglerWie war das mit Chief Joseph?

Dietmar Kuegler erinnert auf Facebook immer wieder an bestimmte Daten und Ereignisse der amerikanischen Geschichte. Diese mehr oder weniger kurzen Vignetten sind interessant und ausgesprochen informativ und auf jeden Fall lesenswert.

In Absprache mit Dietmar Kuegler wird der Zauberspiegel diese Beiträge übernehmen.

Dietmar KueglerDietmar Kuegler: Am 21. September 1904 starb einer der bekanntesten Indianerhäuptlinge Nordamerikas, der zur ewigen Legende wurde: CHIEF JOSEPH, manchmal auch JOSEPH, DER JÜNGERE, weil auch sein Vater den Namen Joseph trug. In seiner eigenen Sprache hieß er „Hin-mah-too-yah-tat-kekt“ = „Der Donner, der von den Bergen rollt“.

Er war der Anführer der Wallowa-Gruppe der Nez Perce Indianer, einem kleinen Indianervolk der pazifischen Nordwest-Region, das bis in die 1870er Jahre nur Landeskennern bekannt war, aber 1877 zu nationaler Berühmtheit aufstieg, als es sich weigerte, unter dem Druck von Goldsuchern und Siedlern seine Heimat zu verlassen. Joseph flüchtete mit seinem Volk 1.900 km durch den amerikanischen Nordwesten. Die etwa 740 Nez Perce lieferten der US-Armee mehrere erbitterte Schlachten, die sie alle gewannen, bis auf die letzte, als sie sich geschlagen geben mussten. Die amerikanischen Zeitungen waren angefüllt mit Geschichten über dieses Drama und erzeugten eine Welle von Sympathie für dieses mutige Volk, wobei Joseph in der öffentlichen Meinung zum „roten Napoleon“ und überragendem Feldherrn aufstieg – eine groteske Verzerrung, die man allerdings auch als Anerkennung für seine Persönlichkeit auffassen kann. Obwohl diese Darstellung schlagend belegte, dass die amerikanische Gesellschaft jener Tage keine Ahnung von den Strukturen eines Indianervolkes hatte.

Nach jahrelangen Auseinandersetzung hatten Regierung und Armee versucht, die Nez Perce von ihrem angestammten Land, dem Wallowa-Tal, zu vertreiben, um dem Druck der weißen Siedlerlobby nachzugeben.

Josephs Name wurde zum überragenden Symbol heldenhaften Widerstands. Dabei übersahen selbst seine Anhänger, dass Joseph gar kein Kriegshäuptling war, sondern ein Diplomat. In Indianervölkern gab es Führungsgestalten mit verschiedenen Fähigkeiten und Aufgaben. Allein die Rolle eines „Häuptlings“ wurde im gesamten 19. Jahrhundert missverstanden. Es gab erfolgreiche Kriegsführer, es gab „Handelshäuptlinge“, die den Pelzhandel mit den weißen Agenten dominierten, und es gab „Friedenshäuptlinge“, die politische Verhandlungen mit weißen Offizieren und Beamten führten. Zu letzteren gehörte Joseph.

Die Schlachtfelderfolge, die die Nez Perce bei ihrer Flucht vor der Armee erzielten, wurden von Josephs Bruder Ollocot und von Führern wie Looking Glass erzielt. Aber deren Namen waren nicht so bekannt, und sie waren am Ende tot. Joseph war der Mann, der als die einigende Führungsgestalt gesehen wurde und am Bear Paw Battlefield in Montana die bittere Aufgabe hatte, zu kapitulieren. Daraufhin wurden ihm auch alle Siege über die US-Armee zugeschrieben.

Seine Geschichte ist triumphal und tragisch zugleich, da er, sein Vater und die Nez Perce als Ganzes die weißen Siedler in der Pacific-Region mit großer Gastfreundschaft empfingen und freiwillig große Teile ihres Landes abtraten. Sie hatten bereits die Lewis-&-Clark-Expedition wie Freunde willkommen geheißen und sich willig der christlichen Religion zugewandt. Die Entdeckung von Gold auf ihrem Land änderte alles. In immer neuen Verträgen, die das Gebiet der Nez Perce beschnitten, wurden sie aus ihrer Heimatregion verdrängt. Der Stamm spaltete sich in die „Vertragsindianer“, die die Verträge mit den Weißen unterschrieben, und die „Nicht-Vertragsindianer“, die sich weigerten, immer neue Landabtretungen zu akzeptieren. Damit kam es auch zu Feindseligkeiten innerhalb des Volkes.

Noch 1873 verhandelte Joseph mit den weißen Behörden um den Verbleib im Wallowa-Tal. Auf militärische Drohungen 1877 antwortete Joseph: „Mein Vater hat mir gesagt, als er starb:‘Mein Sohn, vergiss niemals meine letzten Worte. In dieser Erde liegen die Überreste Deiner Vorfahren. Verkaufe niemals die Knochen Deiner Vorväter und Deiner Mutter.‘“

Bei der letzten Verhandlung in Fort Lapwai sagte Joseph: „Ich glaube nicht, dass der Große Geist einem Teil der Menschheit das Recht gegeben hat, dem anderen Teil der Menschheit zu sagen, was zu tun und zu lassen ist.“ Daraufhin wurde die Atmosphäre feindselig. Die Nez Perce beschlossen, nach Kanada zu flüchten.

Auf dem Weg, der sie drei Monate lang nahezu kreuz und quer durch Montana führte, hofften sie zeitweise, Zuflucht bei den Crow, ihren alten Verbündeten zu finden. Die Crow lehnten aber jede Hilfe ab. Also wandte Joseph sich nach Norden. Es stand schon für frühe Chronisten fest, dass die Nez Perce in diesen Krieg gezwungen wurden. Von den über 700 Menschen waren nur etwa 200 Krieger, die die Armeeangriffe erfolgreich abwehrten.

Als die Nez Perce schließlich am Bear Paw kurz vor der sicheren Grenze nach Kanada, gestellt wurden, hielt Joseph am 5. Oktober 1877 seine denkwürdige Rede, die seither Zigtausende Male gedruckt worden ist. Er sprach zu General Miles, der die Kapitulation formal entgegennahm:

„Sag General Howard, dass ich sein Herz kenne. Was er mir gesagt hat, trage ich in meinem Herzen. Ich bin des Kämpfens müde. Unsere Häuptlinge sind getötet worden. Looking Glass ist tot. Too-hul-hul-sote ist tot. Die alten Männer sind alle tot. Es sind nun die jungen Männer, die Ja oder Nein sagen müssen. Der, der die jungen Männer geführt hat, ist tot [gemeint ist sein Bruder Ollokot]. Es ist kalt, und wir haben keine Decken. Die kleinen Kinder erfrieren. Mein Volk, einige davon, sind in die Hügel geflüchtet und haben keine Decken und nichts zu essen. Niemand weiß, wo sie sind – vielleicht sind sie erfroren. Ich möchte nach meinen Kindern schauen und hoffe, dass ich sie finden kann. Vielleicht finde ich sie unter den Toten. Hört mich, meine Häuptlinge! Ich bin müde. Mein Herz ist krank und voll Trauer. Von dem Punkt, an dem die Sonne jetzt steht, werde ich nie mehr kämpfen.“

Ob Joseph diese Worte genauso gesprochen hat, weiß niemand. Das Zitat geht zurück auf Lieutenant Charles E. Scott Wood, der Jurist war und sich als Schriftsteller einen Namen machte. Er hatte die Rede notiert.

Zu dieser Zeit waren über 150 Nez Perce tot oder verwundet. Entgegen den Versprechen von Howard und Miles, mussten die Nez Perce sieben Jahre lang im Indianerterritorium Oklahoma leben. 1879 wurde Joseph in die Hauptstadt Washington eingeladen. Aber es dauerte noch bis 1885, bis die Behörden den Widerstand der Bürger von Idaho brachen und dort eine Reservation für die Nez Perce einrichten konnten. Joseph und seine engsten Gefolgsleute wurden in die Colville Reservation im Bundesstaat Washington gebracht. Ihre Heimat, das Wallowa-Tal, sahen sie nie wieder.

Aufgrund des Nez-Perce-Feldzugs genoss Joseph große öffentliche Aufmerksamkeit. Er hielt unzählige Reden und prangerte die Ungerechtigkeit der Regierung an. Er reiste mehrfach in die Hauptstadt, traf die Präsidenten U. S. Grant und Theodore Roosevelt. Er schloss Freundschaft mit seinem alten Feind, General O. O. Howard. Nach seinem Tod 1904 sagte ein Arzt: „Er ist an gebrochenem Herzen gestorben.“

Die Nez Perce leben noch heute in Idaho und Washington. Die alten Schlachtfelder des Feldzugs von 1877 sind bis heute Gedenkstätten für den Stamm


Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de

Das Magazin für Amerikanistik, September 2020Die aktuelle Ausgabe

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