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Vom ›reifen‹ Leser - Der Rezensent und sein Rezipient

Zauberwort - Der Leit(d)artikelVom ›reifen‹ Leser
Der Rezensent und sein Rezipient

Das ist kein Leitartikel über John Asht, so viel schon mal in Deutlichkeit vorweg. Das ist kein Leitartikel über die Reaktionen von Asht und seinem Verlag. Also gibt es kein Feuerwerk von Gags. Es ist auch keine Geologiestunde oder die Schilderung von Erpressungsversuchen bei Verlagen.
 
Es geht um das Verfassen und das Lesen von Rezensionen.

Es geht darum, dass (neben dem Rezensenten) auch der Konsument einer Rezension Verantwortung trägt, wenn es um die Meinungsbildung (und folgend Kaufentscheidung geht). Es geht darum, blinden Herdentrieb zu vermeiden … 

Der Rezensent und sein Rezipient (Leser, Zuhörer, Zuschauer) leben nicht in einer einseitigen Beziehung. Die gegenseitigen Beziehungen und Beeinflussungen sind spannend, wenn auch zumeist auf einen ersten Gedankenblick nicht sofort sichtbar.
 
Wenn einer nach der bloßen Lektüre einer Buchbesprechung hingeht und ein Buch kauft, das ihm dann nicht gefällt, so kann er nicht so einfach der Rezension und deren Verfasser die Schuld geben, auch wenn dies auf den ersten Hieb verlockend und logisch erscheint. So einfach sollte man es sich nie machen. Eine Rezension kann allenfalls näherungsweise objektiv sein, sodass die Persönlichkeit des Rezensenten immer eine gewisse Rolle spielt. Entsprechend sollte der Leser einer Rezension, damit so eine Besprechung bei der Kaufentscheidung hilfreich ist, sich auch mit dem Verfasser der Rezension ›befassen‹. Kleines Beispiel: Eine Rezension über einen Horrorfilm, die von einem Liebhaber des Genres stammt, wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit anders aussehen als die eines Rezensenten in der Zeit. Je besser der Leser einer Rezension über den Rezensenten Bescheid weiß, desto eher kann ihm die Rezension bei der Kaufentscheidung helfen. 
 
Aber es ist viel bequemer, dem Herdentrieb zu folgen. Ein Musterbeispiel war Marcel Reich-Ranicki in der ZDF-Sendung »Das literarische Quartett«. Der ›Gott der Literaturkritik‹ konnte ein Buch hochhalten (es verreißen oder bejubeln). In den Tagen nach der Sendung verkauften sich von dem Schinken etwa 20.000 Exemplare (hier zeigt sich wieder, dass es wichtig ist, dass über das Buch gesprochen wird, nicht wie, um den Absatz anzukurbeln). Marcel rief und die Herde folgte. Dies bestätigen immer wieder Mitarbeiter in Presseabteilungen, mit denen wir sprechen: Hauptsache, es wird darüber gesprochen (natürlich in gewissen Grenzen). Und wie oft ein solches Herdentrieb-Kauf-Buch dann ungelesen im Regal landet ... das ist dem Verlagsvertreter zunächst einmal egal. Der Lektor und allen voran der Autor sehen das natürlich anders, aber ganz allgemein stellt man fest, dass ein Buch, das Öffentlichkeit erreicht, ob gut oder schlecht, erst einmal stärkere Verkaufszahlen hat.
 
Es gibt keine Zahlen darüber, ob die Käufer die Bücher dann auch (mit Vergnügen) gelesen haben, sie ob der Empfehlung des Meisters bei der Lektüre geflucht haben oder das Buch als Dekoration ihrer (Schein-) oder (Ein-)Bildung verwendet haben, um Gäste mit ihrem Bücherschrank beeindrucken zu können. Eventuell dann sogar noch den Smalltalk mit dem Satz beginnen zu können: »Reich-Ranicki hat über das Buch gesagt …« (Peinlich und bestenfalls albern wird es, wenn Literaturliebhaber "ihren" Grass, Handke oder wen auch immer im Schrank haben, aber leider vergaßen, die Folie zu entfernen (so was habe ich selbst gesehen).

Was sagen wir im Zauberspiegel den Lesern der bei uns veröffentlichten Medienbesprechungen (und das gilt - aus unserer Sicht - auch für alle anderen Rezensionen, die es im Netz oder Gedrucktem zu lesen gibt)? Genau das - zu finden hier:
Eine Rezension ist eine mehr oder weniger kritische Besprechung einer Publikation (seien es Bücher, Filme, CDs, Comics oder was auch immer). Sie stellt in der Regel den Versuch dar, eine persönliche Meinung (eine per se ausgesprochen subjektive Angelegenheit, die normalerweise von "ausgesprochen begeistert" bis hin zu "zutiefst empfundenem Ekel" reichen kann) mit augenscheinlich objektiven Argumenten zu untermauern und daraus eine Bewertung des besprochenen Werkes abzuleiten.
Ihr mögt die im Zauberspiegel veröffentlichten Rezensionen als Hilfe für eure Kaufentscheidung verwenden. Aber: Ihr solltet immer im Auge haben, dass Rezensenten letztlich immer nach persönlichen (Geschmacks-)Kriterien (über die man bekanntlich nicht streiten kann) werten und diese möglicherweise nur eingeschränkt auf eure eigenen Vorlieben und Abneigungen übertragbar sind.
Daher solltet ihr für euch selbst entscheiden, ob und was ihr lest, hört oder euch anseht. Immerhin mag der Text der Rezension auch etwas über den Rezensenten verraten. Solltet ihr dort ähnliche Vorlieben bzw. Abneigungen feststellen, so mag letztlich diese Rezension nützlich werden.
Die Redaktion und die Herausgeber des Zauberspiegels haften nicht für die Meinung seiner Rezensenten. Diese sind in ihrem Urteil nur ihrem Gewissen verpflichtet.
Achtung: Jede Rezension stellt eine subjektive Meinung eines Einzelnen über ein Buch, einen Film, ein Romanheft, ein Hörspiel oder was auch immer dar. Solch subjektive Äußerungen sind mit objektiven Bewertungen nicht zu erfassen, da es ein allgemeingültiges Wertesystem hierfür naturgemäß nicht geben kann.
Daher verzichten wir bewusst auf modern gewordene Kurzbewertungen in Schulnoten oder ähnlich gelagerten Systemen (Sterne, Kreuze etc.).
Zum einen ruft dies dazu auf, unsere Rezensionen eben nicht einfach kritiklos als Kaufempfehlung oder Warnung vor dem Erwerb von Medien zu nehmen und dann zum Einkauf zu marschieren. Quasi als Botschaft der Rezensionsgötter an die armen herumirrenden Seelen der Leser/Zuschauer/Zuhörer. Wir möchten dazu anregen, sich mit der Besprechung auseinanderzusetzen, die Meinung unseres Rezensenten nicht einfach hinzunehmen - darüber hinaus auch gerne jedes anderen und sei es auch Reich-Ranicki. Dazu geben die Kommentare hinreichend Gelegenheit. Streitbar und engagiert wird immer wieder bei uns diskutiert.

Zum anderen ist dies natürlich auch für die Rezensenten auf unserer Seite wichtig. Der Rezensent gibt seine Meinung wieder. Eine Meinung ist naturgemäß subjektiv. Es gilt im Deutsch-Unterricht häufig die Aussage "gut und logisch begründet ist fast jede Aussage über ein Werk akzeptabel". So wie dies jeder Deutschlehrer unterschiedlich interpretieren mag, sehen dies auch Magazine oder einzelne Rezensenten.
 
Während die einen am liebsten Verrisse schreiben, da dies angeblich besser ankommt, lehnen andere Rezensionen ab, wenn sie den Autoren persönlich kennen. Die einen begnügen sich damit, den Klappentext abzuschreiben und eventuell durch einen Satz mit einem individuellen "Flair" zu versehen. Dies führt dann zu den unglaublichen Ergebnissen, wenn man in Suchmaschinen den Text einer Rezension tausendfach auf anderen Seiten findet - Pressematerial machts möglich.
 
Wie subjektiv oder objektiv eine Rezension gerät, hängt von einigen Dingen ab: der Persönlichkeit des Rezensenten, einer "Leitlinie" des Magazins (so es dese gibt), teilweise auch dem Maß an Erfahrung, das der Rezensent mit sich bringt, dem Thema des Buches (Objektivität beim Verfassen einer Rezension über ein Telefonbuch dürfte wesentlich einfacher sein als bei anderen Büchern).
 
Äußert der Rezensent denn seine Meinung in dem Bestreben möglichst objektiv zu sein, greift er zu verschiedenen Mitteln und/oder "Werkzeugen", die seine Kritik letztlich objektiv erscheinen lassen sollen. Zitate aus dem Buch, literaturwissenschaftliche Analysemethoden, immer wieder gern genommen die "Einbettung in den zeitlichen und kulturellen Kontext" ... Aber bei allen Versuchen: Eine wirkliche Objektivität kann ein Rezensent nicht wirklich erzielen. Von dem Moment an, wo er das erste Mal das Buch zur Hand nimmt, und mehr noch. Ab dem Moment, wo er das erste Mal WAHRNIMMT, dass es ein bestimmtes Buch auch nur gibt, bildet sich Meinung. Dies zeigte sich beispielsweise in dem Buch von Terry Pratchett "Eine Insel". Es passte so gar nicht in den Kontext der Scheibenwelt, die man vielleicht zunächst einmal erwartete, bei allem Humor des Buches ist es nicht reine Unterhaltung. Ein Buch über Fußball, bei dem Fußballnarren immer erst einmal versucht sein mögen zuzugreifen, entpuppt sich als "Komplettversager". Nicht umsonst hat Werbung einen großen Anteil, Vorableseexemplare für Redakteure, kleine Aufmerksamkeiten, die gewogen stimmen können.
 
Es kann nicht gelingen, etwas derart Subjektives in den Rang einer objektiven Wahrheit zu erheben. Es ist und bleibt die Mitteilung, ob das Buch, der Film oder was auch immer gefallen hat oder nicht. Der Leser muss nun in erster Linie einmal herausfinden, wie es dem Rezensenten und was dem Rezensenten gefallen hat.

Hat der Rezensent dann das Buch in der Hand, spielt seine eigene Welt hinein, seine Wahrnehmung, Geschichte... Daher merke sich der Rezipient eines: Jedweder Rezensent, der von sich behauptet, er schreibe seine Kritik als Repräsentant des Otto Normallesers, und würde sich objektiv auf den Geschmack des Durchschnittslesers einstimmen, ist ein echter FAIL. So wie auch die Leserschaft immer weniger homogen ist, wie der Erfolg bestimmter Bücher (mal abgesehen vielleicht von Band 4434 einer Vampirsaga) immer weniger vorhersagbar. Entsprechend werden solche Aussagen der Objektivität einer Rezension komplett unglaubwürdig, allenfalls verbirgt sich dahinter die Ansicht, man habe die ultimative Richtschnur des Durchschnittsgeschmacks verstanden, in jedem Fall eine bedauerliche Fehlinterpretation. Er ist eines jedenfalls nicht: ein nützlicher Rezensent. Ein guter Rezensent ist dazu in der Lage, im Wissen um die Subjektivität mit eben dieser zu spielen und entsprechend in Bezug zur parallel stehenden Objektivität zu setzen. Und "idealistischstes" Vorgehen wäre es, dem Leser der Rezension einen Schlüssel zu hinterlassen, wie objektiv die Meinung gefärbt ist.
 
Hilfreich ist es hier nicht zuletzt, mehrere Rezensionen eines Rezensenten zu lesen und herauszufiltern, was ihm jeweils gefallen hat. Gibt es eine gewisse geschmackliche Schnittmenge, so kann der Rezensent als potenziell nützlich betrachtet werden.

Aber!

Ja, es gibt immer ein Aber. Der Rezensent ist auch nur ein Mensch. Er unterliegt Stimmungen, die durchaus schwanken können. Und wenn er Kopf- und Bauchschmerzen beim Verfassen der Rezension hat, der Partner nervte, der Nachbarshund kläffte, die Kinder herumalberten oder der Rezensent beim Verfassen einfach nur schlechte Laune hat, kann das dem Ergebnis schaden. Ebenso wie andere äußere Faktoren, die zum Wohlbefinden des Kritikers beitragen, auch das Urteil in die andere Richtung beeinflussen können. Deshalb sollte man einem Rezensenten nie blind vertrauen. Das Ganze ist eben pure Subjektivität.

Da möchte ich ein Beispiel aus dem eigenen Erfahrungsschatz beisteuern (und auch sagen, dass selbst meine eigene Meinung mehr von irdischer Fehlbarkeit denn von göttlicher Inspiration getragen ist). Ich rezensierte Rolf Michaels Abschiedsroman aus dem ›Zamorra‹ sehr wohlwollend. Dabei war das Ganze davon getragen, dass ich die Entstehungsgeschichte des Romans hautnah mitbekommen hatte. Timothy Stahl war es, der dann mit einer Rezension aus einem distanzierten Blickwinkel alles wieder gerade rückte.
 
Es soll in Redaktionen sogar allgemeine Richtlinien schon gegeben haben, die aussagten, dass gewisse Autoren oder Verlage grundsätzlich zu verreißen oder zu loben seien, dass bestimmte Themen tot geschwiegen werden, oder ... Das ist dann "Fraktionszwang" und hier auszuscheren, bedarf einiges an Mut. Einen solchen Zwang übt ein Herausgeber nur dann aus, wenn er sich seiner "Gefolgschaft" sicher sein kann ("Mitarbeiter" kann man diese armen Leute dann schon nicht mehr nennen, denn sie unterwerfen sich - aus den unterschiedlichsten Gründen - dem Kadavergehorsam).
 
Kurzum: Der Rezensent unterliegt jeder Menge Einflüssen von außen, die seine eigene Meinung stets beeinflussen können (ob wissentlich oder unbewusst). Daher halte ich es für nicht gut, dass man einem Rezensenten blind folgt, selbst wenn zwischen Rezensent und Rezipient eine geschmackliche Schnittmenge besteht.

Daher kann sich der Leser einer Kritik nie darauf verlassen, dass jede Rezension eines jeden Rezensenten hilfreich sein kann. Leseproben, Beratung, Empfehlungen von Freunden sollten grundsätzlich in die Kaufentscheidung einfließen. Kurzum: Der Kauf ist in aller Regel je "erfolgreicher", je mehr der Rezipient eine Rezension nicht einfach für "Heiliges Wort" nimmt. 
 
Es gilt auch, dass kein Rezensent sich für unfehlbar, unbestechlich oder immer unabhängig erklären kann. Wenn ja, ist er vermessen. Zu seinem Ethos sollte es gehören, diesen Zustand anzustreben, aber zu wissen, ihn nie zu einhundert Prozent erreichen zu können.

Denn eine Rezension ist eine allzu menschliche Sache. Das gilt für das Verfassen und für das Lesen. Jeder sollte sich dessen bewusst sein … Wirklich jeder (auch wenn es in manche Hirne nicht hinein will).

Kommentare  

#1 Lefti 2012-02-01 02:32
Zitat:
...darüber hinaus auch gerne jedes anderen und sei es auch Reich-Ranicki
Na, nu' laß mal die Pferde auf der Koppel...! :-*

Ansonsten gibt es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Möchte man sich ein teures Buch kaufen, so informiert man sich ja eigentlich schon vorab möglichst umfangreich schon alleine deswegen, damit man später nicht enttäuscht ist und das Geld für das Buch zum Fenster hinausgeschmissen hat.

Meiner Meinung nach gibt es vier Arten von Rezensenten:
1.) die ein Medium rezensieren weil das Medium ihnen gefallen hat,
2.) die ein Medium rezensieren weil das Medium ihnen nicht gefallen hat,
3.) weil sie ein Medium für so interessant halten, um darüber zu schreiben, bzw. in einem Forum zu diskutieren und die Meinung anderer interessiert,
4.) jene, die eine Rezi schreiben um daran irgendwie zu verdienen.
Die Rezensenten der Kategorien 1.) bis 3.) nenne ich mal die Freien... :-|
#2 Pisanelli 2012-02-01 11:27
Hm, dann würde ich mal gerne die Frage in den Raum werfen: gibt es Überhaupt Menschen, denen man nachsagen könnte, ihre Rezie wäre "falsch"? Ich glaube nämlich, dass es durchaus vorkommen kann, dass ein Rezipient ein Buch auch falsch oder gar nicht versteht.
Ich z.B. habe Probleme damit, das "Foucaultsche Pendel" von Umberto Eco zu verstehen. Ist natürlich auch keine leichte Kost. Aber ich könnte ja jetzt schreiben, dass ich das Buch scheiße finde, weil es viel zu verdrechselt geschrieben ist und weil ich die Hintergründe nicht kapiere - und den Aufbau. Ich könnte das Buch zerreißen, weil es auf den ersten Blick und auch auf den zweiten ein wildes Kuddelmuddel ist. Das wäre allerdings falsch, denn ich weiß, das Eco es liebt, linguistische, historische und wissenschaftliche Dinge auf eine Meta-Ebene zu hieven und wenn man ein paar Kommentare zum Buch liest, kapiert man die auch. Eine Freundin von mir hat das Buch auch so beim Lesen kapiert und es mir sogar erklärt und dann sieht so ein Buch schon ganz anders aus.
Will sagen, manchmal reicht auch einfach der IQ oder die Bildung oder die eigene Lese-Erfahrung nicht aus, um eine gescheite Rezension zu schreiben, die einem Werk gerecht würde. Ist diese Ansicht falsch?
P.S. Ich würde mir persönlich nie zutrauen, eine Rezension zu Umberto Eco zu schreiben... oder eben zu manch anderem Werk ;)
#3 Harantor 2012-02-01 11:39
Ich bin mehrfach als Leser (sowohl in Deutsch und Englisch) an Ulysses von James Joyce gescheitert und dennoch kann ich dieses Buch jedem nur empfehlen.

Eco? Zum Beispiel Der Name der Rose kannst Du auch als historischen Krimi lesen. Ich denke, man muss Eco nicht komplett begreife, um Spaß mit seinen Büchern zu haben. Das ist eine mehrschichtige Angelegenheit.
#4 karl 2012-02-01 12:00
Hauptsache ist aber, daß wir uns Rezensenten einig sind, daß John Asht und sein unleserliches Monumentwerk Twin-Pryx in keinem Fall und niemals jemals nicht mit James Joyce, Umberto Eco oder Fjodor Dostojewski in einem Atemzug genannt werden.
Ich fürchte nämlich sonst, daß da ein kleiner bayrischer Blog oder ein kleiner bayrischer Verlag das sofort als Verteidigungsstrategie aufgreifen könnte...
#5 Kerstin 2012-02-01 12:17
Da ist schon viel Wahres dran, dass viel vom Rezensenten selbst in die Rezi einfließt. Es gibt ja zwei Arten von Menschen: Die einen gehören zur Zielgruppe, die anderen nicht.

Wer nicht dazu gehört, wird der Sache schwerlich etwas abgewinnen können.

Mit dem "Foucaultschen Pendel" hatte ich keine Schwierigkeiten, aber "Baudoulino" habe ich nach zwei Dritteln abgebrochen. Die erste Hälfte konnte ich gut lesen, die zweite nicht mehr. Obwohl ich die Denkweisen des Mittelalters, die Eco hier wunderbar reingebracht hat, kenne. Das heißt dann aber nicht, dass ich die alle nachvollziehen kann! Teils geht das gegen meine Überzeugungen, teils kann man sich das damalige Wissen und Weltbild nicht so recht vorstellen, teils ist es einfach ermüdend. Meine Nachbarin, die kein mittelalterliches Vorwissen hat, ist schon viel früher gescheitert an dem Buch. Als ich ihr einiges erklärt habe, was Eco beim Leser wohl vorausgesetzt hatte, gingen ihr diverse Lichter auf, wie diese und jene Stelle gemeint war.

"Der Name der Rose" ist so vielschichtig, dass ich das wohl gelegentlich noch einmal lesen muss, um alles zu erfassen. So ist das halt bei manchen Werken, die kann man in verschiedenen Ebenen lesen, aber kaum in allen auf einmal.

Den "Ulysses" habe ich im Regal, aber bisher noch nicht gelesen.

Wer sich für oder gegen ein Werk entscheiden will, tot sicher gut daran, mehrere Rezis dazu zu lesen, am besten welche, die auch gut begründen, warum dem Rezensenten dieses und jenes gar nicht oder besonders gut gefallen hat. Dann kann man sich überlegen, ob man auf dieselben Dinge Wert legt.

Ich habe mal eine Rezi gelesen, die einen Thriller, den ich ganz toll fand, total zerrissen hat. Nunja, der Rezensent durfte sich selbst wohl einer sehr behüteten, liebevollen Kindheit erfreuen, was ich ihm ja auch gönne. Aber wie ein Kind, das sich allein durchschlagen muss, weil die Mutter dauernd im Drogenrausch liegt, sich entwickelt, das konnte dieser Mensch wohl nicht nachvollziehen und fand es schlicht unglaubwürdig, wie die Hauptfigur, ein 13jähriger Junge, agierte. Wer mehr davon versteht, weiß, dass dieses Kind sich in seiner bedrohlichen, feindlichen Welt ganz logisch verhalten hat. Desweiteren ließ sich der Rezensent über eine Nebenfigur aus, die er ebenfalls als unglaubwürdig, weil komplett klischeehaft, ansah. Auch hier muss ich glauben, dass einer, der im Bildungsbürgertum aufgewachsen ist, dass es auch in heutigen Industrieländern noch eine Menge Menschen gibt, die keinen Zugang zur Bildung haben und sich deshalb so durchschlagen müssen wie es diese Nebenfigur tat. Für mich war auch diese Figur logisch, für den Rezensenten nicht.

Aber das sollte ja eigentlich jeder wissen, dass eine Rezi eine subjektive Einschätzung ist, egal ob von einem Blogger oder von Reich-Ranitzki. Es gibt schon Richtlinien, nach denen man eine Rezi einigermaßen strukturiert aufbauen sollte, aber das wenden auch nicht alle an. Ich habe schon Rezis gesehen, wo nicht mal eine brauchbare Inhaltsangabe enthalten war. Sowas hilft mir dann auch nicht weiter.
#6 G. Walt 2012-02-01 12:19
Eine Rezension allein stellt für mich keine Kaufentscheidung dar. Sie ist höchstens eine Art Bestätigung, dass ich mit dem kauf wirklich richtig liege. Mein Entschluss zum Kauf steht aber schon vorher fest.
#7 Pisanelli 2012-02-01 12:21
@Harantor: Der "Name der Rose" ist 'ne andere Baustelle... ich meine auch nicht, dass man einen Autor komplett begreifen muss, ich finde auch nicht, dass man immer ein Buch "komplett" begreifen muss, aber man sollte vielleicht doch die Intentionen des Autors ansatzweise begreifen, oder? Bei Eco sind es ja häufig mehrere Themen - oder gar Genres, die abgedeckt werden. Aber wenn es nur um ein oder zwei Themen geht und man die völlig ausklammert - tut man dann einem Werk nicht auch unrecht? Andererseits könnte man dem Autor natürlich auch vorwerfen, er ist eine Lusche, weil er es nicht verstanden hat, das Thema so rüberzubringen, dass der Leser es kapiert ;)
Ich denke, eine gewisse "Leistung" ist eben von beiden Seiten zu erbringen: sowohl vom Autor als auch vom Leser. Mir fällt nur leider kein gutes Beispiel ein, um zu verdeutlichen, was ich sagen will.
Grundsätzlich kann man es vielleicht so ausdrücken: man kann behaupten, jede Meinung ist irgendwie richtig (dann wäre auch jede Rezension irgendwie richtig) oder aber auch, dass es falsche Meinungen gibt. Ich persönlich glaube, dass es durchaus auch falsche Meinungen gibt - aber das ist dann wohl Diskussionssache. In der Hinsicht wäre dann jede Rezension zumindest berechtigt - auf ihre Weise ;)
@ Kerstin: ja, mir ging es jetzt so mit einigen Rezensionen von Jo Nesboe. Ich hatte mir welche auf der Krimi-Couch angesehen und war teilweise schockiert, aus welchen Gründen seine Harry-Hole-Krimis abgelehnt werden - zum großen Teil, weil sie zu wenig Action erhielten und zu sehr die Alkoholeskapaden der Hauptfigur in den Mittelpunkt stellt. Da muss ich dann sagen, dass die Leute die Struktur dieser Krimis nicht kapiert haben: erstens hat die Reihe einiges an Action anzubieten, zweitens ist die Action aber nicht die Hauptsache, sondern die Hauptfigur ist die Hauptsache und die Alkoholeskapaden spiegeln das Chaos wieder, mit der diese Hauptfigur kämpft - und es geht um Worte und Methaphern. Man muss halt ein bißchen mitdenken, das sind keine 08/15-Kirmis. Sowas ärgert mich dann, weil ich finde, dass so eine Kritik völlig an einem Text vorbeizielt, weil sie nicht "gerecht" ist. Sie trifft nicht den Punkt. Da kann ich schon verstehen, wenn Autoren sich über sowas ärgern.
Aber es ist natürlich Unsinn, sich wegen sowas mit den Kritikern anzulegen...;)
#8 McEL 2012-02-01 17:40
Zitat:
gibt es Überhaupt Menschen, denen man nachsagen könnte, ihre Rezie wäre "falsch"?
Ja, solche, die ganz bewusst etwas über ein Medium schreiben, das NICHT ihre ehrliche Meinung zu besagtem Medium ist = solche, die (aus welchen Gründen auch immer) dem Autor und/oder dem Verlag entweder eins auswischen wollen oder das Werk aus Gefälligkeit und gegen die eigene tatsächliche Meinung in den Himmel loben.
Alle Rezensionen, die die ehrliche Meinung des Rezensenten wiedergeben sind "richtig" (= ehrlich), nur eben subjektiv. Und das ist ja nichts Schlimmes.

Zitat:
Man muss halt ein bißchen mitdenken, das sind keine 08/15-Kirmis. Sowas ärgert mich dann, weil ich finde, dass so eine Kritik völlig an einem Text vorbeizielt, weil sie nicht "gerecht" ist. Sie trifft nicht den Punkt. Da kann ich schon verstehen, wenn Autoren sich über sowas ärgern.

Nein, die Kritik "zielt nicht am Text vorbei", sondern zeigt, dass der Text vom Rezensenten ANDERS verstanden/bewertet wurde als von dir. Dein Kommentar impliziert, dass du meinst, "alle" Leser wären "verpflichtet", beim Lesen (mit) zu denken. Das sind sie NICHT. Es gibt nun mal Leser, die wollen leicht verständlich, flott und actionreich unterhalten werden und in ihrer Freizeit nicht auch noch denken müssen. Diese (von den Lesern völlig berechtigte!) Erwartung wurde/wird bei Nesboe enttäuscht. (Ich vermute mal, die sich so Äußernden hatten noch nie zuvor einen Nesboe gelesen und deshalb unzutreffende Erwartungen an das Buch.) Deshalb ist deren Kritik auch keinesweg "am Text voebeigezielt", sondern trifft aus der subjektiven Perspektive der Rezensenten voll ins Schwarze. Wie im Artikel schon steht, hängt eine Rezi IMMER (auch) von den persönlichen Vorlieben der Leser ab. Und - nichts für ungut!!! - wenn du nach dem Lesen dieses Artikels immer noch glaubst, eine Rezi/Kritik müsste "gerecht" sein, dann hast du eine andere Vorstellung von der natur einer Rezension/Kritik als ich. Aber das ist dein gutes Recht. ;-)

-----

Als Rezensentin:
Ich rezensiere in der Regel (bis auf wenige Ausnahmen) nur solche Werke, die mir entweder sehr gefallen oder gar nicht gefallen haben und solche, die - unabhängig vom Gefallen - etwas enthalten, das anderen (Rezipienten) mitzuteilen ich für wichtig halte. Anhand der Dinge, die mir gefallen haben oder nicht, die mir aufgefallen/aufgestoßen sind, kann jeder Leser meiner Rezis selbst entscheiden, ob er sich von meiner MEINUNG beeinflussen lassen will oder nicht. Anspruch auf auch nur den Versuch der Objektivität erhebe ich definitiv nicht. "Brutal" ausgedrückt: Wer sich von meiner Rezi beeinflussen lässt, ist "selbst schuld". Ich teile den Lesern nur mit, was mir persönlich positiv und /oder negativ aufgefallen ist. Nicht mehr, nicht weniger.

Als Rezipientin:
Ich habe mich noch NIE von einer positiven oder negativen Rezension in meinem Kauf-/Konsumverhalten beeinflussen lassen. Für meine Konsumentscheidung ist allein die Inhaltsangabe ausschlaggebend. Gefällt mir das, was auf dem Cover als Inhalt steht, konsumiere ich es, gefällt es mir nicht, lasse ich es sein.
"Brutales" Beispiel: Nur weil Millionen Fliegen Kot fressen, heißt das nicht, dass Kot genießbar wäre (außer für die Fliegen). Wenn eine Million Schlankheitsfanatiker(innen) die Sahnetorte von Bäcker N.N. schmähen, weil sie zuviele Kalorien enthält, heißt das nicht, dass die Torte nicht ganz toll schmeckt.
Hätte ich mich jemanls von Rezensionen beeinflussen lassen, hätte ich eine Menge von mir subjektiv als gut empfundene Bücher nie gelesen und eine Menge für mich gute Filme nie gesehen.

Als Autorin:
Positive Rezensionen gehen mir "runter wie Öl" ;-) und ich freue mich, dass das Buch dem Rezensenten gefallen hat. Negative Rezis werte ich als die subjektive Meinung einer einzelnen Person. Und sollten irgendwann mal die negativen Rezis für eins meiner Werke überwiegen, nehme ich das als Hinweis dafür, dass ich mit DIESEM Werk den Geschmack der "Masse" (groß oder klein) nicht getroffen habe. Solange das nicht auf alle oder die Mehrheit meiner Bücher zutrifft, kann ich damit leben (auch wenn sowas NATÜRLICH weh täte).
#9 nid nomma asht 2012-02-01 19:34
zu #4 karl
bitte nicht schon wieder mit dem asht ankommen. im grund könnte ich mich ja auch endlos beömmeln ... gerade zu seinen neuen aussagen zum begriff rezi ... aber echt ... ich kann das echt nicht mehr lesen und fände es schon nett, wenn zumindest hier mal ruhe einkehrt damit.
#10 Bettina.v.A. 2012-02-01 19:42
Zitat:
gibt es Überhaupt Menschen, denen man nachsagen könnte, ihre Rezie wäre "falsch"?

Zitat:
Ja, solche, die ganz bewusst etwas über ein Medium schreiben, das NICHT ihre ehrliche Meinung zu besagtem Medium ist = solche, die (aus welchen Gründen auch immer) dem Autor und/oder dem Verlag entweder eins auswischen wollen oder das Werk aus Gefälligkeit und gegen die eigene tatsächliche Meinung in den Himmel loben.
Da stimme ich dir absolut zu, McEl. Es gibt "falsche" Rezis, wenn sie von anderen Motiven bestimmt werden als der Auseinandersetzung mit dem Werk.
Ich bin absolut nicht der Meinung, dass es ein Studium etc voraus setzt. Man kann darüber streiten, ob ein Jugendlicher Rezensionen schreiben kann ... mit Einschränkungen denke ich ja - wenn deutlich wird, dass es eben keine Erwachsenen sind. Ein Anhaltspunkt kann auch eine Vorstellung des Rezensenten (z.B. auf einer Mitarbeiterseite) sein - da haben wir imho Nachbesserungsbedarf.
Eine Rezension über ein Werk von eben bsp. Eco, die von jemandem verfasst wurde, der nicht einmal ansatzweise Inhalt und/oder Intention verstanden hat, kann man mit etwas Erfahrung glaub ich erkennen. Darüber hinaus gehört es in einem Magazin mit zu den Aufgaben eines Herausgebers, darauf ein Auge zu haben. Davon gehe ich aus.
#11 Lefti 2012-02-01 20:59
Zitat:
McEL
2012-02-0116:40:57
Zitat:
gibt es Überhaupt Menschen, denen man nachsagen könnte, ihre Rezie wäre "falsch"?
Ja, solche, die ganz bewusst etwas über ein Medium schreiben, das NICHT ihre ehrliche Meinung zu besagtem Medium ist = solche, die (aus welchen Gründen auch immer) dem Autor und/oder dem Verlag entweder eins auswischen wollen oder das Werk aus Gefälligkeit und gegen die eigene tatsächliche Meinung in den Himmel loben.
Genau diese Sorte Rezensenten meinte ich mit Typ/Art # 4. :-|
#12 McEL 2012-02-01 22:40
Zitat:
Genau diese Sorte Rezensenten meinte ich mit Typ/Art # 4.
Ich weiß! ;-)
#13 Gerhard Schäffer 2012-02-09 03:30
Darf man hier, einfach mal so, sagen, daß mir dieser Artikel von Horst sehr gut gefallen hat?
#14 Dolmial 2012-02-11 19:32
Das nehme ich doch an. Mir hat der Artikel gefallen und mich darin bestärkt, nicht mit meiner Meinung zu knausern.

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