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Alte Schinken: 90 Jahre Zorro - McCulley, Johnston: The Mark of Zorro.

Alte Schinken90 Jahre Zorro!
McCulley, Johnston: The Mark of Zorro
The Original Classic Adventure.

Wer kennt ihn nicht, den schwarzgewandeten Reiter, der mit Degen und Peitsche durchs spanische Kalifornien prescht und mit Mut und Eleganz gegen Rechtsmissbrauch kämpft?

Die Geschichte von Zorro, dem Fuchs, ist so oft nacherzählt worden, dass eine Spoiler-Warnung wohl überflüssig ist –

All Story Weekly mit Zorro Mantel, Maske, Degen: zack, zack, zack für Z wie Zorro! Die Filmdatenbank imdb.com allein verzeichnet unter dem Stichwort 70 Werke.

Heute, am 9. August 2009, ist es genau 90 Jahre her, seit die Abenteuer von „Senor Zorro“ zum ersten Mal die Leser/innen in ihren Bann zogen.

Und so ein Jubiläum ist doch der ideale Anlass, um sich einmal die Originalversion, den ersten Zorro-Roman von Johnston McCulley, vorzunehmen. „The Curse of Capistrano“ erschien als fünfteilige Fortsetzungsgeschichte im amerikanischen Magazin „All Story Weekly“ vom 9. August bis am 6. September 1919 und wurde 1924 als Roman unter dem Titel „The Mark of Zorro“ veröffentlicht.

Also, worum geht es in der ersten Geschichte des maskierten Rächers? Um nichts anderes, als was man erwartet: Zorro ficht durch die Gegend, gewinnt das Herz einer schönen Frau aus edlem Geblüt und setzt seine Widersacher ausser Gefecht, sodass sich am Ende alles in Wohlgefallen auflösen kann. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Kalifornien angesiedelt, sind die geschilderten Verhältnisse historisch ungenau genug, dass Zorros Abenteuer in einer eigenen Welt spielen, in der auf geografisch relativ eng beschränktem Raum Western auf Mantel und Degen trifft: Im spanischen Kalifornien liegt die Macht bei Despoten, grossspurigen Soldaten und korrupten Richtern, die Eingeborene, friedliche Mönche und in Ungnade gefallene Adlige drangsalieren, während die einflussreichen Nobelfamilien mehr oder weniger tatenlos zusehen (müssen).

Like the tongue of a serpent, Senor Zorro’s blade shot in. Thrice it darted forward, and upon the fair brow of Captain Rámon just between the eyes there flamed suddenly a red bloody letter Z. ‚The mark of Zorro!’ the highwayman cried. ‚You wear it forever now, Commandante.’


Dieses Ungleichgewicht schreit nach Aktion. „Senor Zorro“ nennt sich der Mann der Stunde, der wie Robin Hood die Reichen bestiehlt, um die Armen zu beschenken. Zusätzlich sieht er sich als Rächer der Entrechteten, lässt fehlbare Amtsinhaber seine Peitsche spüren und hat die Frechheit, seinen Häschern ein ums andere Mal zu entkommen. Oft ist dies aber nicht einmal nötig, denn der Fuchs schlägt listigerweise immer dort zu, wo die Soldaten gerade nicht sind, und wenn es doch zur Konfrontation kommt, ist er ein Meister darin, ihnen erst mit dem Degen eine Lektion zu erteilen und sie daraufhin durch kreative Fluchtaktionen ins Leere laufen zu lassen.

Damit ist“The Curse of Capistrano“ (Capistrano nach dem Ort seines ersten Streichs) auch ein Dorn im Auge des grossmäuligen Sergeants Gonzales, der dem Einzelkämpfer kurzerhand eine ganze Räuberbande andichtet, um seinen Ruf zu wahren, nachdem ihn Zorro an der Nase herumgeführt hat. Die zweite Kontrastfigur des Helden ist Diego Vega, der zwar aus der einflussreichsten Familie stammt, aber so gar kein Kämpferherz zeigen mag. Vielmehr wandelt er auf Befehl seines Vaters wenig erfolgreich auf Freiersfüssen – seine gewünschte Braut Lolita schenkt ihr Herz lieber einem charismatischen Banditen als diesem völlig unromantischen, stets gelangweilten und überanstrengten Adelssöhnchen, auch wenn Letzterer hübsch anzusehen ist und sie das Gesicht von Ersterem nie gesehen hat. Anders als in vielen Nach- und Weitererzählungen, ist Zorros Herzdame hier nicht einer Gegnerfamilie angesippt, sondern die Tochter eines politisch und damit gesellschaftlich in Misskredit gefallenen Caballeros, für die eine Heirat mit Diego Vega äusserst vorteilhaft wäre. Dazu gesellt sich mit dem soldatischen Emporkömmling Rámon noch ein dritter Heiratskandidat, vor dessen Zudringlichkeiten sich Lolita – zu Besuch in Diegos feudalem Haus – von Zorro retten lassen muss. Auf Rámons Anschwärzung hin lässt der Gouverneur sie und ihre Eltern unter dem Verdacht des Verrats in den Kerker werfen. Daraufhin sucht Zorro die Unterstützung der Adelsjünglinge für eine Befreiungsaktion, während Don Diego sich durch Nichtstun auszeichnet. Obwohl die Rettungsaktion ein Erfolg ist, wird Zorro schliesslich gestellt … und wie genau sich die Verwicklungen lösen, sei hier doch nicht verraten.

There is one – suitor. […] But he does not seem to put much life into his wooing.“ –„Ha! A laggard at love – and in your presence! What ails the man? Is he ill?“ – „He’ so wealthy that I suppose he thinks he has but to request it and a maiden will agree to wed him.“ –„What an imbecile! Tis wooing that gives the spice to romance!“
(Lolita Pulido und Zorro über Diego Vega)
 


Wenn man über die dargestellten gesellschaftlichen Verhältnisse nachdenkt, ist es vielleicht kein zeitgemässes Buch mehr: Die Gesellschaft besteht vor allem aus alteingesessenen Adelsfamilien und hohen Verwaltungsangestellten und deren soldatischen Adlaten. Andere Bevölkerungsschichten bleiben letzlich auf Nebenrollen beschränkt. So kommt etwa eine Braut, die weniger nobles Blut als Lolita hat, für Diego keinesfalls in Frage, und der Fuchs – notabene Rächer der Armen und in den Augen der Obrigkeit ein gesetzloser Verbrecher – braucht für seine Umsturzpläne nicht etwa die Unterstützung des „Volkes“, sondern der Adelsjünglinge. Obwohl es zwar gesagt wird, wird zum Beispiel nie geschildert, wie Zorro Beutegut unter den Armen verteilt. Dessen ungeachtet ist die Geschichte nach wie vor spannend und bietet gute Unterhaltung, denn Zorro führt nicht nur einen flinken Degen, sondern auch eine spitze Zunge. Zwischendurch erfreut einem auch der Erzähler mit einem leicht ironischen Kommentar. Und Lolita stellt trotz ihrer Funktion als damsel-in-distress eine aktivere Frauenfigur dar, als man vielleicht erwarten könnte. Erzählt wird im Gegensatz zu vielen Adaptionen aber nicht, wie der Held zu Zorro wird, sondern eher, wie es dazu kommt, dass er seine Maske schliesslich ablegen kann. So wird auch das Geheimnis, wer hinter der Maske steckt, dem Leser/der Leserin bis fast am Schluss nicht verraten, die Demaskierung Zorros bildet vielmehr den finalen Clou. Wer den Roman heute liest, kann nicht umhin, sich zu fragen, wie man die Geschichte wohl finden würde, wenn man diese Identität nicht bereits kennen würde.

Die Silhouette des "Vaters" aller maskierten HeldenAuch in der Beschreibung der Figur bietet sich Ungewohntes – wer stellt sich Zorro schon mit Sombrero, rotem statt schwarzem Umhang und Ganzmaske vor? Etwas erstaunlich ist auch, dass Zorro als Einziger eine Pistole verwendet, sich also mit einer fortschrittlicheren Waffe vielleicht nicht ganz so ehrenhaft die Überlegenheit sichert. In der Fassung von 1924 lässt der Autor zwar einige Möglichkeiten, wie der Story und der Charakterzeichnung etwas mehr Tiefgang (Stichwort Identität) hätte verliehen werden können, brachliegen, doch bereits hier fasziniert die Figur des maskierten Rächers und ihre Gegensätzlichkeit zu Don Diego, und allein dies macht den Roman lesenswert (und die Story ist definitiv viel besser als die einiger Zorro-B-Filme).

Das Potenzial der Figur wurde schnell erkannt: Bereits 1920 verfilmte Douglas Fairbanks sen. den Stoff, und McCulley selbst verfasste über die Jahre 64 weitere Geschichten um den noblen Fuchs. Aber nicht nur Zorro selbst wurde eine der populärsten literarischen Figuren des 20. Jahrhunderts, deren Abenteuer immer wieder neu erzählt werden. Seine Gestalt mit der doppelten Identität gilt neben The Shadow als eine der (auch visuellen) Inspirationen für Batman – der übrigens ebenfalls 2009 sein 70-Jahre-Jubiläum hatte – und damit für viele weitere maskierte Helden in Buch, Radio, Comic, Film und Fernsehen.

Quelle Bilder:
Titelblatt All Story Weekly 1919: http://en.wikipedia.org/wiki/zorro
Zorro-Silhouette: http://www.amazon.de

 

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