Ein bunter Hund als Monster-Bändiger
Ein bunter Hund als Monster-Bändiger
Doch nach einem furiosen Auftakt mit IRRTUM IM JENSEITS MATTER OF LIFE AND DEATH, hob Jack Cardiff die SCHWARZE NARZISSE über alle Grenzen von TECHNICOLOR. Technicolor war jenes Monster, das drei Filmstreifen fraß, um nur einen Film auszuspucken.
Eigentlich arbeitete Jack Cardiff schon als Kamera-Assistent, bevor er circa 1935 (Angaben variieren) bei der Firma Technicolor ein Praktikum machte. Und sehr schnell wurde er dort von der Sucht befallen, dass der Farbfilm eigentlich nur dazu erfunden wurde, um damit bewegte Bilder zu zeichnen. Ob Monet oder Botticello, von Rembrandt bis Vermeer. Was in der Malerei einen Namen hat wurde im Lauf seiner Karriere immer wieder als Vorbild benannt.
Seine Besessenheit machte ihn in der Filmindustrie schnell zum Berater im Umgang mit Technicolor. Er experimentierte selbst mit Licht und gleichzeitig mit den schwierigen Drei-Streifen-Verfahren. Technicolor-Kameras waren tatsächlich Monster, die drei Filmnegative gleichzeitig in der Kamera belichteten und durch Prismen das Schwarzweißmaterial mit verschieden starken Gelantine-Schichten Das Technicolor-Verfahren ist eben sehr schwer zu beschreiben. Die Obersten von Technicolor Inc. hatten nicht nur eine Vormachtstellung im Farbfilm erreicht, sondern es war ihnen auch ein Anliegen, das mit den Möglichkeiten von Farbfilm eine intensivere Form von Realismus in die Kinos kam. Jack Cardiff sah das anders. Wenn man Realismus definieren konnte, musste man auch dessen Grenzen nach Belieben verschieben können.
Der Leiter der Photographie hat bei Großproduktionen wenig mit dem Kamermann zu tun, wie man ihn sich in dieser Arbeit gewöhnlich vorstellt. Wenngleich man auch sagen muss, das es sich viele Kameraleute nicht nehmen lassen, ihr bestes Stück auch selbst zu bedienen, oder auf die Schulter zu wuchten. Der Leiter der Photographie ist in wechselseitiger Beziehung mit dem Regisseur maßgeblich für den kreativen Bildaufbau zuständig. Und völlig losgelöst, also alleiniger Herrscher mit dem Titel Director of Photography, wurde Jack Cardiff mit IRRTUM IM JENSEITS 1946. Für diesen Film stellte sich Cardiff die für ihn leicht zu bewältigende Aufgabe, die irdischen Szenen in Farbe zu drehen und die in der anderen Welt nur fast Schwarz/Weiß wirken zu lassen. Jetzt erfordert ein Schwarzweißbild natürlich eine ganz andere Beleuchtung als dasselbe Motiv in Farbe, doch die Lichtstimmungen für IRRTUM sollten natürlich nicht variieren. Cardiff wollte Übergange von der fast monochromen Welt in das schreiende Bunt von Technicolor. Ein geläufiger Effekt der zum Beispiel schon in WIZARD OF OZ DAS ZAUBERHAFTE LAND vorkam, welcher in dieser Stelle allerdings mit Schnitten gelöst wurde. Jack Cardiff hingegen zauberte einen fließenden, im Bild sichtbaren Wechsel, der nicht durch Überblendung geschah. Dies bedeutete eine nervenaufreibende Entwicklungsprozedur, die bei nicht gelingen das Filmmaterial zu Nichte gemacht hätte, da es sich ja um drei Filmstreifen handelte, die exakt an denselben Stellen unterschiedlich entwickelt und gleichzeitig behandelt werden mussten.
Beim Nachfolgefilm SCHWARZE NARZISSE verzichtete Cardiff auf Spielereien mit dem Material, sondern wendete sich vollends seiner Leidenschaft der Malerei zu. Dies sogar im wortwörtlichen Sinne. Bis auf wenige Außenaufnahmen entstand der Film komplett im Studio. Und obwohl NARZISSE in den Gebirgsausläufern des Himalaya spielt, wurde er vollständig in England realisiert. Die Macher, und Cardiff vorne weg, waren sich einig, das bei einer reinen Studioarbeit die Kameraführung bis zur letzten Aufnahme die Kontrolle über Licht und Farbe behielt.
Exzessiv wurden Matte-Bilder und Hintergrundmalerei eingesetzt, um das gewaltige Panorama des Himalaya und die exotische Landschaft Indiens zu suggerieren. Die gewaltigen Bergmassive wurden extra auf Glas gemalt und mit unterschiedlich dick aufgetragenen Farbschichten erstellte man richtige Konturen. Zu keiner Zeit war es Cardiffs Absicht, ein realistisches Abbild der Umgebung zu zeigen, sondern den Zuschauer in einen ähnlich traumwandlerischen Zustand zu versetzen, wie ihn die Hauptprotagonisten erleben.
Fünf westlich orientierte Nonnen, die sich mit einer fremden Welt konfrontiert sehen, welche vom Hinduismus unumstößlich geprägt zu sein scheint, scheitern allesamt an ihren eigenen Grundsätzen. Während die Regie von Michael Powell und Emeric Pressburger die Geschichte episodenhaft zerstückelt, keine wirkliche Identifikationsfigur zulässt und die Darsteller überhaupt nicht zu führen scheint, macht Jack Cardiff aus SCHWARZE NARZISSE seinen eigenen Film. Es sind bewegte Bilder, in denen Pinselstriche durch weiches Licht ersetzt sind. Doch das Wichtigste an all dem wunderbaren Licht, welches Jack Cardiff für seinen Technicolor-Prozess verwendet, versteht er es vollkommen auch den Schatten an den exakt richtigen Stellen zu verwenden. Der eigentlich abgedroschene Leitspruch: 'Wo Licht ist, ist auch Schatten unterstreicht trotz aller Freude für das farbenfrohe Bild, auch Cardiffs Verständnis im Umgang mit der Dunkelheit. Komplett schwarze Konturen, welche sich vom kräftigen Morgenrot des Horizontes abzeichnen, sind nur das einfachste Beispiel seines Bildaufbaus.
Während Kritiker und Zuschauer sich gleichermaßen mit der Geschichte überfordert sahen, oder überhaupt kein Verständnis für den Handlungsablauf aufbrachten, bejubelte man unisono das makellose Konstrukt aus Einstellung, Licht und Farbe. Kein anderer Film lässt sich mit dem Verfahren von Technicolor so sehr verbinden wie DIE SCHWARZE NARZISSE. Unter Profis und Amateuren, zwischen Technikern und Theoretikern ist man sich einig, das dies der schönste und beste Technicolor-Film ist, der jemals gedreht wurde.
Cardiff versuchte sich später auch als Regisseur und war dann doch der Schuster, der zu seinen Leisten zurückkehrte. Er drehte nicht viel, aber kontinuierlich. Und er schlug vielschichtige Brücken vom schönsten Ballettfilm DIE ROTEN SCHUHE, bis hin zum Kracherkino der Neuzeit mit RAMBO II.
Um seine eigenen Leistungen nicht über zu bewerten, an welche allerdings keiner anknüpfen konnte, gab er stets den guten Rat: Halte es einfach und verständlich. Ein Motto das man in Bezug auf seine Leistungen nur mit einem Augenzwinkern verstehen kann, welches der 1914 geborene Jack Cardiff bis zu seinem 95ten Lebensjahr behielt. Bevor er ins Monochrome hinüber wechselte.
Bildquellen: Associated Press, IMDB.com, Criterion Collection