# 20 Wenn der Horror ein Ball wäre
# 20: Wenn der Horror ein Ball wär
Die Erzfeinde Hoven und Osenberg, welche sich in der Tat noch schlechter verstanden als Dieter und ich, hatten sich bis dahin wirklich beeindruckende Hahnenkämpfe geliefert. Aber zu jener Zeit hatten die beiden einen Burgfrieden geschlossen. Hoven führte den aus dem HC 80 (Rainer Osenbergs Gründung) hervorgegangenen Horror-Magnet, während Osenberg einen neuen Club gegründet hat, dessen Name mir nicht mehr geläufig ist. Es möchte aber sein, dass dieser wieder "HC 80" hieß.
Anlässlich eines gemeinsam veranstalteten Cons (der zu diesem Burgfrieden gehörte) wollte man auf dem Gelände des einstigen Erstligisten Fortuna Düsseldorf, dem Flinger Broich, mal gegeneinander Fußball spielen. Ein kleiner munterer Freundschaftskick, unbelastet und frei (das Fiasko in Ahnatal-Weimar stand dem Horrorfandom noch bevor, vgl. As Time Goes By #7), um den Zusammenhalt in sportlicher Atmosphäre bei Deutschlands favorisierten Mannschaftsport im Geiste von Fairplay und ehrlichem Wettkampf zu zementieren.
Hoven hatte in der Tat einen Haufen hobbymäßig kickender Horrorfans um sich versammelt, die wirklich nur in Ausnahmen schon mal in Vereinen gespielt hatten. Wie sich zeigte, waren die meisten von der Horror-Magnet-Truppe auch mit dem Spielgerät nicht gerade ein Herz und eine Seele. Manchmal hatte man den Eindruck, sie musterten sowohl den Ball als auch den Platz misstrauisch und mussten sich wie Obdachlose auf dem Wiener Opernball fühlen. Um die alte Weisheit meines Trainers zu zitieren: "Sie konnten alles am Ball. Aufpumpen, einfetten und in den Schrank legen." Hoven selbst war vom Fußball auch nicht gerade begeistert und war auch hier Jungfrau in Sachen Fachkunde (immerhin ging ihm das beim Horror auch so).
In Osenbergs Haufen, dem ich auf dessen besonderen Wunsch angehörte (wahrscheinlich nicht wegen meines Charmes oder charismatischen Persönlichkeit, sondern weil ich der einzige mir bekannte Torwart im Fandom war), waren mindestens drei Spieler, bei denen man einen mehr als leisen Verdacht hegen konnte, dass diese niemals ein Horrorheft in der Hand, dafür aber jede Menge Bälle am Fuß hatten. Schon beim Warmmachen fiel auf, dass deren fußballerische Fähigkeiten auf Jahre harten Trainings und einiges an Talent hindeuteten Auch die meisten 'echten' Horrorfans auf Osenbergs Seite hatten mal in Vereinen gespielt oder waren dort (wie ich) zu der Zeit noch aktiv.
Es zeichnete sich also schon vor dem Spiel ab, dass dieses Freundschaftsspiel eine ziemlich einseitige Angelegenheit werden würde. Man hatte sich auf eine Spielzeit von zweimal 30 Minuten geeinigt. Für uns aktive Spieler eine bessere Trainingseinheit. Für manchen der untrainierten Spieler des Horror Magnet ein harter Fitnesstest.
Norbert hatte sich als Betreuer gemeldet und wollte nur zuschauen, obwohl er selbst einmal kurzfristig gekickt hatte. Aber bei Osenbergs Haufen waren selbst die Betreuer ehemals Aktive. Beim Anblick des Gegners wollte ich unbedingt "zu Null" spielen. Immerhin sagte ein isländischer Nationalspieler einige Monate später anlässlich eines Freundschaftskicks gegen den damaligen Bundesligisten Fortuna Düsseldorf, auf dessen Gelände wir uns da ja befanden: "Dickes Mann im Tor hält alles!" (wobei anzumerken ist, dass ich 1984 noch unter 100 Kilo wog und für die Kreisliga das beste Kampfgewicht hatte die 100 Kilo-Marke knackte ich übrigens 1986 während des Zivildienstes, wo dann aus dem Waschbrettbauch meiner frühen Tage allmählich mein jetziger Waschbottichbauch wurde). Manfred "Kampfkugel" Feuerriegel spielte den Libero. Das Rückgrat der Abwehr stammte also aus dem Norden.
Das Spiel ließ sich gut an. Ich spielte wie im Verein, was der Verwandte vom Grünen Ghoul Frank Göpfert (ich kann mich dunkel erinnern, dass das nicht der Bruder, sondern eher ein Cousin war) aus den Reihen des Magneten zu spüren bekam. Er flog zur Seite, als ich mir die Kirsche nach einem Steilpass mit energischen Einsatz griff und mir damit Respekt verschaffte. Sein strafender Blick, als er sich mühsam und mit verzerrtem Gesicht aufrappelte, ließ mich kalt. Ich war doch im Rahmen des im Verein Üblichen und von den Regeln Gedeckten vorgegangen. Mit dieser Aktion war der Angriffswirbel des Gegners auch schon verraucht und der Vormittag begann gemütlich zu werden.
Die drei "Horrorfans" (die ich vor und nach diesem Spiel nie mehr sah) machten das Spiel und ich lehnte am Pfosten. Zur Halbzeit führten wir ausgesprochen deutlich (war es 6:0 oder gar 7:0). Ohne richtig in Schweiß gekommen zu sein, hatten wir die Magneten an die Wand gespielt. Manni Feuerriegel hatte eine souveräne Leistung geboten, wie es besser kaum ging. Das Erwartete trat ein. Dieter Hoven, der es vorgezogen hatte nicht selbst die Schuhe zu schnüren, maulte rum, witterte Betrug und war mit der Gesamtsituation unzufrieden. Insbesondere fielen ihm die drei Aushilfsfans auf, die ihn misstrauisch machten. Der Burgfrieden der beiden bekam schon zur Halbzeit erste Risse.
Doch dann, kurz nach der Halbzeit nahte der schicksalsschwere Moment. Zu dieser Zeit konnte man noch einen Rückpass spielen, den der Torwart mit der Hand aufnahm. Manfred will nach Aufforderung zurückspielen und hob den Ball. Ich kam ihm aber entgegen und rechnete mit dem geforderten flachen Paß. Der Ball wurde sauber vom eigenen Libero über mich hinweg ins Tor gelupft. Ich konnte der Kirsche nur noch nachschauen und war angemessen entsetzt, als er ins Netz geht. Kein "zu Null" gegen die Gurkentruppe des Horror-Magneten. Eine Schmach. Ich beschimpfte Feuerriegel und pöbelte durch den Sechzehner wie Toni Schuhmacher oder Olli Kahn. Manfred ertrug das gelassen und mit einem Schulterzucken. Er hatte ja auch nicht im Tor gestanden.
Aber ich hatte eine Scharte auszuwetzen. Kurzerhand gab ich meine Handschuh an einen Mitspieler ab, der fortan meinen Pfosten wärmte und ich griff ins Angriffsspiel ein. Nur ein von mir erzieltes Tor konnte meine Wut kühlen. Hilfreich waren die drei Aushilfsfans, die einen wunderbaren Ball spielten. Mit ihnen konnte man eine wirklich gepflegte Kugel schieben.
Dann ein Pass des Spielmachers auf mich in halbrechter Position im Strafraum, etwa vierzehn oder fünfzehn Meter vor dem Tor. Ich pflückte den Ball aus der Luft, ließ ihn auftrumpfen. Kurzer trockener Dropkick, den Ball sauber getroffen und ‑ Tor, Tor, Tor (wie Herbert Zimmermann es formuliert hätte). Die Schmach des Gegentores war gemildert, der bittere Kelch geleert. Das 10. oder 11. Tor von Osenbergs Truppe gehörte mir. Mir ganz allein.
Ich habe also nun mein Ding gemacht, was sollte ich nun noch im Feld? Da brauchte mich niemand. Ich streifte meine Handschuhe wieder über und lehne den Rest des Spiels wieder am Pfosten und schaute zu, wie insbesondere Osenbergs Beute-Fans den Horrormagneten in Grund und Boden spielten und verfolgte lächelnd Dieter Hovens Tiraden am Spielfeldrand, der hinter jedem Körpereinsatz ein kartenwürdiges Foulspiel vermutete. Mein Einwand, Fußball sei ein Kontaktsport und kein Hallenhalma, verhallte ungehört.
16:1 stand es nach 60 Minuten und es hätte noch höher ausgehen können, hätten wir nicht irgendwann angefangen Zauberfußball zu spielen und nur noch schöne Tore zu schießen. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie es nach 90 Minuten gestanden hätte. Und schon direkt nach dem Abpfiff bekam der Burgfrieden zwischen Rainer und Dieter weitere Risse, unter anderem auch wegen der drei Aushilfsfans und einer lebhaften Diskussion über die Burschen.
Und wenige Wochen später herrschte die üblich gespannte Stimmung, die Hahnenkämpfe gingen weiter und Dieter und Rainer hatten mal einen Burgfrieden gehabt, dessen Ende auf fußball-historischen Gelände eingeläutet worden war. Seither beginne ich immer zu schmunzeln, wenn ich etwas über den Flinger Broich in Düsseldorf höre. Fandomhistorisch ist das ein Schlachtfeld, wenn auch kein wirklich Bedeutendes
Es lebe das Fandom und Freundschaftsspiele.