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Alles eine Frage der (Ein-)Ordnung

Jochen und der (phantastische) TellerrandAlles eine Frage der (Ein-)Ordnung

Vor einigen Tagen veröffentlichte Horst (alias Harantor) zu meiner Rezension zum Roman »Die Geisterseher« von Kai Meyer folgenden Kommentar:
Von einer Wegwerfadresse oder Fakeadresse mit (mutmaßlich) gefälschten Namen (man konnte nicht antworten), erreichte uns kürzlich übers Kontaktformular, warum denn dieser phantastische Roman, unter "historisch" einsortiert worden sei, zumal das Hörspiel unter "phantastisch" eingereiht wurde. Ich denke, Jochen macht seine Einordnung in seiner Rezension klar. Aber vielleicht äußert er sich nochmal dazu.
Ja, das tut er, und zwar hier und jetzt, in der heutigen Ausgabe der Tellerrand-Kolumne.

Zunächst einmal zu meiner Einordnung von »Die Geisterseher«: In der Rezension schrieb ich ja schon, dass sich Meyer einer ganzen Reihe von Genres bedient hat, als er diesen Roman verfasste. »Die Geisterseher« ist ebenso ein historischer Roman wie ein Thriller, ein Abenteuer wie ein mysteriöser Spannungsroman. Was er allerdings (zumindest meiner Ansicht nach) NICHT ist, ist ein phantastisches Werk. Selten habe ich ein Buch von Meyer gelesen, das weniger einem phantastischen Genre (egal, ob nun SF, Fantasy, Horror oder Mystery) zuzuordnen ist wie besagtes Buch.

Ich hätte das Buch ohne Zweifel auch in den Kategorien „Krimi/Thriller“ oder „Abenteuer“ unterbringen können. In die Kategorien „Fantasy“ oder „Phantastik (Horror)“ gehört es IMHO aber in gar keinem Fall hinein. Dass ich es schlussendlich als „Historischen Roman“ klassifiziert habe, liegt schlicht und ergreifend daran, dass ich mich irgendwann für eine Kategorie entscheiden musste, und dann eben die, wie ich finde, äußerst passende Kategorie „Historisches“ ausgewählt habe. Immerhin spielt der Genremix 1805 und lässt eine ganze Reihe historischer Persönlichkeiten zu Wort kommen (wenn auch in fiktionalem Kontext).

So viel dazu. Ich hoffe, meine Entscheidung ist nachvollziehbar. Wenn nicht, oder wenn es Gegenmeinungen gibt: Fühlt Euch frei, diese kundzutun. Ich lasse mich gerne davon überzeugen, dass das Buch doch in ein anderes Genre gehört.

Kommen wir nun aber zu einem etwas weiter gefassten Problem, nämlich dem der Genrezuordnung überhaupt. Im Grunde greife ich damit das Thema der letzten Ausgabe dieser Kolumne auf, als es um die Frage ging, ob es nicht besser wäre, die Gattung der Urban Fantasy in verschiedene Subgattungen aufzuspalten.

Genres, das sollte man sich immer vor Augen halten, sind idealtypische Vorstellungen. Mit anderen Worten: Es gibt wohl kein Buch auf der Welt, das haargenau in ein Genre hineinpasst.

Ein Beispiel zur Veranschaulichung. Nehmen wir einmal Robert Jordans Saga »Das Rad der Zeit«. High Fantasy, ganz klar, oder? Da würde mir wohl niemand widersprechen. Allerdings könnte ich das Buch genauso gut als Abenteuer deklarieren. Das macht man schließlich auch mit den »Indiana Jones«-Filmen, und die sind nicht viel weniger phantastisch als Jordans Epos. »Das Rad der Zeit« ist aber ebenso ein Charakterdrama, stehen in der Saga doch die Personen und ihre Entwicklungen im Vordergrund, und das oft auf höchst erschütternde Art und Weise.

Dass ich »Das Rad der Zeit« letzten Endes dennoch in die Kategorie „High Fantasy“ einordne, liegt einfach daran, dass der Fantasyaspekt in meinen Augen der dominierende ist. Von daher findet Ihr Artikel meinerseits zu Jordans Epos eben nicht in der Sektion „Abenteuer“, sondern im Bereich „Fantasy“.

Dass die Sache mit der Genrezuschreibung zu einem Buch, einem Hörspiel, einem Film oder was auch immer nicht ganz einfach ist, zeigt sich auch an einer Vielzahl weiterer Aspekte:
  1. Jedes Genre gliedert sich in Dutzende Untergenres auf. Um einmal bei der Gattung „Fantasy“ zu bleiben: Da gibt es die High Fantasy, die Low Fantasy, Urban Fantasy, Dark Fantasy, Romantic Fantasy, Historische Fantasy, und, und, und. Anders ausgedrückt: Das Genre der Fantasy ist (wie jedes andere Genre auch!) derart vielseitig, dass man die verschiedenen Geschichten kaum unter einen Hut bringen kann. Da nun nicht jedes Fantasybuch automatisch den Geschmack jedes Fantasylesers trifft, ist es durchaus sinnvoll, die Gattung in verschiedene Subgattungen zu unterteilen. Doch wie genau kann man da die Grenzen ziehen? Wie grenze ich etwa Urban Fantasy von Romantic Fantasy ab? Oder, noch etwas komplexer: Ab wann würde ich ein Buch nicht mehr der „Dark Fantasy“ zuordnen, sondern von ihm als „Fantasyhorror“ sprechen (was ich jetzt mehr dem Horror- als dem Fantasygenre zuordne)? Gibt es da überhaupt klare Abgrenzungen?
  2. Auf dem Zauberspiegel stehen dem armen Rezensenten gerade einmal acht Kategorien zur Verfügung, in die er eine Besprechung einordnen kann (und davon ist eine, nämlich die Kategorie „Background“, auch noch eine Mischkategorie). Damit Leser und Rezensenten nicht die Übersicht verlieren, ist diese recht grob gehaltene Einteilung sicher nicht verkehrt. Hundertprozentig glücklich bin ich mit ihr aber nicht. Mir persönlich fehlt etwa die Kategorie „Mystery“ (oder ähnliches), weil für mich Urban Fantasy weder Fantasy noch Horror, sondern irgendwas genau dazwischen ist. Und damit wären wir auch schon beim nächsten Problem.
  3. Ich sagte gerade, dass Urban Fantasy für mich persönlich weder Horror noch Fantasy ist (und wenn die Genrebezeichnung tausendmal etwas anderes verheißen mag). Andere Menschen werden das sicher anders sehen. Ein Problem, das sich immer wieder findet. Der eine würde einen Kriminalroman, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt, als „Krimi“ kategorisieren, der andere als „historischen Roman“. Wer hat nun recht? In meinen Augen beide.
Ihr seht, die Zuordnung von Werken zu bestimmten Genres ist eine Wissenschaft für sich. Es lässt sich schlicht und ergreifend bei keinem Werk endgültig sagen, welchem Genre es letztendlich angehört. Ein Rezensent hat keine andere Wahl, als sich irgendwann für ein Genre zu entscheiden und das Werk dieser Gattung zuzuordnen. Ob das nun andere Menschen genau so sehen, steht auf einem anderen Blatt.

Dass dem eben nicht immer der Fall ist, beweisen die unterschiedlichen Einordnungen des Hörspiels sowie des Romans »Die Geisterseher«. Doch welche nun richtig ist ... Nun ja, ich bin für die Einordnung „Historisches“. Aber in gewissem Sinne bin ich da ein wenig voreingenommen
Wink

Zum Abschluss noch eine Anmerkung in eigener Sache:

Wenn ihr Fragen oder Kommentare zu Beiträgen aus meiner Feder habt, dann nur keine falsche Scheu – immer raus damit! Ich bin für Lob und Kritik ebenso offen wie für Nachfragen. Anonyme Mails an die Zauberspiel-Chefredaktion sind gar nicht notwendig. Einfach einen Kommentar zum betreffenden Beitrag schreiben oder, wenn Ihr es nicht ganz so öffentlich machen wollt, eine Mail an mich schicken (Adresse steht im Impressum).

Kommentare  

#1 Torshavn 2009-11-28 07:20
Ich habe keine Schwierigkeiten damit, die Geisterseher als historischen Roman einzuordnen. Allerdings teile ich nicht Deine Einschätzung zur Bedeutung des Romans im Gesamtwerk Meyers. Ich halte ihn für eines seiner besten Bücher, im Gegensatz zu dem was er für so manchen Jugendbuch- Verlag geschrieben hat. Auch mit der Sprache hatte ich keine Probleme. Sie trägt wunderbar zur dichten Atmosphäre bei und liest sich flüssig. Das kann aber auch mit den Lesegewohnheiten zusammenhängen.
Was ich allerdings nicht ganz nachvollziehen kann, ist Deine Weigerung das Buch zur unheimlichen Literatur zu zählen. Eigentlich hat die Geschichte alles, was wir auch in klassischen Schauerromanen finden. Ich versuche mich einmal an ein paar Dinge zu erinnern. Es ist schon ein Weilchen her, das ich den Roman gelesen habe. Da sind z.B. die nächtliche Exumierung auf dem Friedhof, die Kutschfahrt durch die Nacht, die ägyptische Loge, die Szenerie um E.T.A. Hoffmann. Stilmittel wie die Nacht als Handlungsraum, unheimliche Begegnungen, das Spukhaus usw. In meinen Augen ist der Roman ein klassischer unheimlicher Roman wie aus der Feder von Autoren wie Hoffmann, Lovecraft, Stoker, Blackwood, Ewers, Meyrink u.a.
Vielleicht sogar eher diesem Genre, als dem Historischen zuzuordnen. Denn wie Meyer im Nachwort selbst sagt hat er die Geschichtlichen Fakten sehr frei benutzt. Aber historisch ist OK, viel eher als Thriller, Krimi oder Abenteuer. Und der Diebstahl von Schillers zweitem Teil des Geistersehers ist eher nur der Aufhänger um die Grimms in die unheimliche Geschichte zu ziehen, nicht wirklich ein Indiz für einen Kriminalroman.
#2 G. Walt 2009-11-28 12:28
Vielleicht sollte man eine Kategorie SONSTIGES hinzufügen. Oder aber auch DRAMEN, was auch ein Spannungsthema sein kann. Denn manchmal tue ich mich mit der Einordnung auch schwer.

Etwas breiter gefächert könnte man auch eine Kategorie NONFICTION oder ähliches einrichten.
Es geht natürlich auch so wie es ist, und ist nur ein Vorschlag.

Sorry - ich weiche vom Thema ab.
#3 Pisanelli 2009-11-28 14:00
zitiere G. Walt:
Vielleicht sollte man eine Kategorie SONSTIGES hinzufügen. Oder aber auch DRAMEN, was auch ein Spannungsthema sein kann. Denn manchmal tue ich mich mit der Einordnung auch schwer.

Etwas breiter gefächert könnte man auch eine Kategorie NONFICTION oder ähliches einrichten.
Es geht natürlich auch so wie es ist, und ist nur ein Vorschlag.
Sorry - ich weiche vom Thema ab.

Gar nicht, du bist voll dabei :-) Das Thema "Drama" erinnert mich daran, dass man überhaupt eine Kategorie "Theater & Musicals" einführen könnte - zu dem Thema haben wir noch gar nichts. Was mir auch noch fehlt, sind die Kategorie "Comis" und "Rollenspiel etc.", allerdings haben wir, soweit ich weiß, keine Autoren dazu (was schade ist). "Nonfiction" ist im Bereich "Background" zu finden, und das genügt auch meines Erachtens vollkommen. Den Bereich noch aufzusplitten, fände ich übertrieben.
#4 Laurin 2009-11-28 14:04
Erschlagt mich jetzt, aber unter "historisch" würde ich z.B. die Storys von Rolf Michael (aus den letzten Wochen) eingruppieren. Also, die Personen mögen fiktiv sein wobei die Grundhandlung auf historischen Tatsachen/Überlieferungen beruht.
Im Fall "Die Geisterseher" würde ich da eher nachsehen, welche Genres da noch und welche am stärksten da ihren Einfluss auf die Gesamtstory entfalten. Auch ein Krimi der als Beispiel in der Handlung im Jahr 1909 angesiedelt ist, könnte man schon als historisch bezeichnen, bleibt aber in meinen Augen ein Krimi auch wenn der Zeitraum schlappe 100 Jahre zur Realzeit beträgt (um mal ein sehr vereinfachtes Beispiel zu bringen). Er könnte auch im Jahre 1809 spielen und wäre erstmal nur ein Krimi für mich weil eventuell nur Ort und Zeit einen realen Hintergrund bieten. Je mehr aber historisch belegte Fakten Einfluss in die Story erlangen, um so mehr wird aus dem Krimi ein historischer Roman. Die Grenzen sind also fließend und das betrifft auch die Genres die der Autor/die Autorin in ihrem Werk einfließen lässt, was eine "klare" Zuortnung ja auch manchmal so schwer macht! Dabei jetzt immer treffende Zuortnungsbegriffe zu finden dürfte echt schwer werden.

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