Verflucht bis zum jüngsten Tag
Verflucht bis zum jüngsten Tag
Das Museum-Kino war ein sehr kleines und sehr bescheidenes Kino. Es hatte zwei Säle und seit Jahrzehnten den Herrn Rölz als Besitzer. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln war das Museum-Kino schwer zu erreichen, im Sommer ging es, aber im Winter musste man lange durch die Kälte gehen. Das Privatauto schied vollkommen aus, weil es weit und breit keine Parkplätze gab, höchstens ein teures Parkhaus, von dem aus man dann weit laufen musste. Gleich hinter der Nürnberger Staatsoper lag das Museum-Kino und hatte seinen Namen vom angrenzenden Verkehrsmuseum, von welchem die Räumlichkeiten auch gepachtet waren.
Da Herr Rölz ein sehr vornehmer und freundlicher Mensch war, entschuldigte er sich in aller Form und Ausführlichkeit, wenn ein Film aus unterschiedlichsten Gründen von einem Saal in den anderen verlegt worden war. Das, obwohl beide Säle mit 86 Plätzen gleich groß und technisch auf demselben Stand waren, mit demselben Geruch und denselben Tapeten. Aber so war das eben im Museum-Kino, weil die Zuschauer dort ihr ganz spezielles Kinoflair erwarteten und auch bekamen. Seine Nische an Filmen hatte Herr Rölz mit einer Auswahl gefunden, die man sonst nirgendwo fand. Hauptsächlich zeigte das Museum Opernfilme, was zur Umgebung passte. Nicht nur die üblichen Verdächtigen, wie z.B. Rosis Version von oder Zeffirellis , sondern auch viele unbekannte Zelluloid-Aufnahmen aus der Met oder der Scala. Viele Leute waren begeistert.
Andere Zuschauer wiederum begeisterten sich an Filmen, die heutzutage manche Arthouse nennen und andere als Kassengift bezeichnen. Der Anspruch war sehr hochgesteckt und dies wurde auch honoriert, lange Zeit, von den unterschiedlichsten Altersklassen und den verschiedensten sozialen Gruppen. Immer wieder bot das Museum-Kino auch Filme an, die man aus Altersgründen nur vom Fernseher kannte. Oder es übernahm einen Streifen, der von den Großen keine Chance bekommen hatte, weil er nicht innerhalb kürzester Zeit genug Geld einspielte. Nur Anspruch musste der Film haben, er musste sich abheben, er musste anders sein. Dann konnte er ein Museum-Film werden.
Obwohl er bereits 1970 gedreht wurde, hätte ich mich nicht gewundert, wenn ich einmal im Museum-Kino hätte sehen können. Herr Rölz brachte es nämlich immer wieder fertig, solche kleinen Leinwand-Schätze hervorzuzaubern. Und obwohl er ein gigantischer Flop an den Kinokassen war, ist der Film um die ein durchaus erwähnenswertes Schatzkästchen an hervorragender Kinokunst. Den typisch idiotischen deutschen Verleihtitel muss man dabei einfach mal in Kauf nehmen.
In den Kohlebergwerken von Pennsylvania herrschen unmenschliche Arbeitsbedingungen. Im Jahre 1876 gab es so etwas wie Rechte für die arbeitende Bevölkerung kaum. Aber Grubenunglücke waren an der Tagesordnung und die vornehmlich aus Irland stammenden Bergarbeiter wollten zumindest einen Mindestmaß an Schutz und Sicherheit in ihrem Job, den sie machten, weil er getan werden musste. Die geforderten Maßnahmen wurden selbstverständlich abgelehnt. Zudem waren die Läden, in denen die Arbeiterfamilien ihr schwer verdientes Geld ausgeben mussten, ebenfalls im Eigentum der Minenbesitzer. Benannt nach der Führerin einer irischen Geheimorganisation, gründen sich die , um mit Terrorakten ihr Recht durchzusetzen. Als Bergarbeiter getarnt wird der Detektiv James McParlan (Richard Harris) in die Siedlung eingeschleust. Er gewinnt tatsächlich das Vertrauen der Gruppe von Männern unter der Führung von Jack Kehoe (Sean Connery), die sich scheinbar hinter der Untergrundorganisation verbergen.
Richard Harris war immer knapp davor, in der obersten Liga der Top-Schauspieler aufgenommen zu werden. Was ihn wirklich davon abhielt, konnte man sehr schlecht abschätzen. In den Besetzungsbüros traute man diesem Namen jedenfalls 1970 noch nichts zu. Der alte schottische Haudegen Sean Connery war zur gleichen Zeit derart auf seine Rolle als James Bond festgelegt, dass jeder Produzent ihn in einem anderen Film als Kassengift betrachtete. Mit - Molly Maguires jedenfalls schaffte Harris die letzte Stufe nicht. Im Gegenteil, er purzelte die gesamte Treppe wieder hinab. Und Connery festigte sich seinen Ruf, mit nichts anderem als Bond die Zuschauer locken zu können.
Der Film, von einem wie immer brillanten Martin Ritt in Szene gesetzt, spielte vom damals gigantischen 11-Millionen-Dollar-Budget gerade einmal eine Million wieder ein. Damit stellten sich die in eine Reihe mit Fox Finanzdisaster um die ägyptische Königin. Dabei hat Martin Ritt einen Film inszeniert, der zwar durchaus seine Längen hat, aber mit der Musik von Henry Mancini und den überirdischen Bilder von James Wong Howe förmlich nach der großen Leinwand schreit. Im historischen Abbaugebiet Eckley in Pennsylvania hatte man die Bergarbeiterstadt für den Film wieder aufgeputzt und erweitert. Die Kulisse ist nicht nur eine der aufwendigsten, sondern sicherlich auch eine der sehenswertesten in der Filmgeschichte.
Natürlich ist es ein großes künstlerisches Risiko, den Hauptdarsteller in den ersten 35 Filmminuten nichts sagen zu lassen. Aber der Charakter-Aufbau von Martin Ritt folgt wie immer einem höheren Ziel. Weder Figuren noch Geschichte werden vorangestellt, sondern müssen eine sich ergänzende Form bilden. Wie in allen seinen Filmen gibt es keine schwarz-weiß Malerei. Jack Kehoe wird sehr schnell bewusst, dass James McParlan nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Ebenso ist sich McParlan gewiss, dass seine Aufnahme bei den vielleicht doch einen Tick zu flott vonstatten ging. Und somit ist in diesem Spiel alles offen und der Film entwickelt sich trotz seiner gemütlichen Erzählweise zu einem sehr spannenden Duell, welches nicht mit Fäusten, aber mit dem gewissen Extra ausgetragen wird.
Dieser eher unbekannte Film hat es auf keinen Fall verdient, dass er vom Publikum derart abgestraft in den Filmarchiven verstauben musste. Vielleicht war es schlicht dem damaligen Umbruch im großen Kino zu verdanken, dass ein epischer Hingucker trotz seiner Vorzüge lieber hinten angestellt wurde. Die Macher waren damals sehr von dem Film überzeugt und hatten weder Kosten noch Mühen gescheut. Doch während Fox über die Jahre zumindest ihr Budget wieder einspielte, waren die verflucht bis zum jüngsten Tag.
Wenn das Licht wieder in voller Stärke anging, und im Museum-Kino wurde das Licht während des Abspanns nur halb hochgefahren, dann stand Herr Rölz am Ausgang und verabschiedete jeden Gast persönlich. Das machte er immer, tagtäglich und mit einer beängstigenden Freundlichkeit. Wenn der Saal nicht so voll war, verabschiedete er einen, fast schon selbstverständlich, mit Handschlag und einer kurzen Bemerkung zum Film. Bei hätte er vielleicht gesagt: Ist das nicht ein beeindruckender Film?. Gäste, die zum ersten Mal im Museum-Kino waren, gingen wortlos weiter. Nicht aus böser Absicht, sondern weil sie so einen Umgang einfach nicht gewöhnt waren. Manfred Rölz musste Anfang des neuen Jahrtausends wegen schwerer Krankheit den Vorhang schließen. Die veraltete Technik und der geringe Platz sowie die übermächtige Konkurrenz machen heute einen Neuanfang unmöglich. Bleiben nur ein kräftiger Händedruck und ein wohlwollendes Wort: Ja, Herr Rölz, das war in der Tat beeindruckend.
The Molly Maguires
Darsteller: Sean Connery, Richard Harris, Samantha Eggar, Anthony Zerbe, Philip Bourneuf, Frank Finlay, Bethel Leslie u.v.a.
Regie: Martin Ritt; Drehbuch: Walter Bernstein; Kamera: James Wong Howe; Bildschnitt: Frank Bracht; Musik: Henri Mancini
USA / 1970 ; circa 124 Minuten
Darsteller: Sean Connery, Richard Harris, Samantha Eggar, Anthony Zerbe, Philip Bourneuf, Frank Finlay, Bethel Leslie u.v.a.
Regie: Martin Ritt; Drehbuch: Walter Bernstein; Kamera: James Wong Howe; Bildschnitt: Frank Bracht; Musik: Henri Mancini
USA / 1970 ; circa 124 Minuten
Bildquelle: Paramount Pictures
Kommentare
Und Sean Connery hat es ja dann auch noch geschafft, etwas anderes als James Bond zu spielen. Je älter, je besser! Trifft auf diese beiden Urgestalten in gleicher Weise zu...
Bin extrem verwirrt und überfliege meinen Text zum
wiederholten Male.
Wie könnte ich denn derartiges behaupten?
Auf DIESEN Film bezogen war man ob dieser Besetzung
sehr misstrauisch, weil man beiden Darstellern nichts
zutraute. Als dann der finanzielle Flop sichtbar wurde,
schob man es Connery und Harris in die Schuhe.
Während allerdings Connery sein Bond Image hatte,
wurde Harris wieder ganz hinten angestellt.
Da hast Du ordentlich was missverstanden. Ausserdem
bin ich der Meinung, das beide Darsteller in all ihren Rollen
wirklich einzigartig waren. Und ich würde sogar soweit
gehen und Dir widersprechen, indem ich behaupte, das
es wesentlich eidnrucksvollere Darstellungen von Harris
gab als den Marc Aurel, oder Dumbledore. Und das in der
Zeit als er eben noch als Kassengift verschriehen war.
Ich bin jetzt sehr betrübt, das Du Hardy Krüger nicht
erwähnt hast. Was für ein Film, ich bekomme Gänsehaut.
"Erschiess mich. Allan los, erschiess mich..."
Damit hast Du meinen DVD-Abend festgelegt.
"Sie springen bei dreitausend Meter aus einem
Flugzeug und nicht aus der Hintertür eines Bordells."