Leit(d)artikel KolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles

Merlin, Asmodis und die Schicksalswaage

Teestunde mit Rolf...Moin Rolf, heute heißt das Thema Merlin. In der letzten Zamorra-Kolumne hat sich Rudi Bading darüber ausgelassen. Nun grabe in Erinnerungen. Der Tee ist serviert ...

Merlin, Asmodis und die Schicksalswaage

Ja, zu der letzten Zamorra-Kolumne muss ich doch noch etwas dazu sagen. Immerhin sind noch genug Leser aus der Zeit dabei, die Werners Romane kennen.

Und da war Merlin eigentlich der Dreh- und Angelpunkt der ganzen Serie.

 

Also grabe ich mal ganz tief in meinen Erinnerungen, wie Werner dazu kam, die Figur des Zauberers Merlin in die Serie »Professor Zamorra« einzubauen und nicht einen anderen sehr bekannten Zauberer aus der Sagenwelt des Mittelalters. Ich meine damit den Magier Klingsor aus dem Sagenzyklus um Parzifal. Den wollte ich nämlich kurz vor meinem Ausscheiden als Gegenpol zu Merlin aufstellen.

Und wie Merlin nach einer gewissen Überlieferung ein Sohn des Teufels sein sollte - so sollte Klingsor der dunkle Bruder eines Erzengels werden, dessen Namen ich mir dann aus den Grimorien noch rausgesucht hätte. Caer Mardhynn und Avalon hätte Klingsors Schloss und Zaubergarten ist den Blumenmädchen gegenüber gestanden. Und - Wagner-Fans sei es gesagt - Kundry hätte eine sehr wichtige Rolle als weibliches Pedant zu Teri Rheken abgegeben während Titurel, der erste Grals-König, das Gegenstück zum Druiden Gryf abgegeben hätte.

Immerhin ging es zu meiner Zeit noch darum, die Schicksalswaage immer im Gleichgewicht zu halten. Wird eine Seite zu schwach, muss der Wächter entweder den Drehpunkt der Waage verlegen (was jedoch kosmische Katastrophen zur Folge haben kann) - oder eben Gegengewichte zulegen. Wird das Gute übermächtig, muss der Wächter die Seite des ›Bösen‹ stärken.

Angefangen haben wir mit der Sache. Wer die alten Romane kennt der erkennt, dass Zamorra zwar am Schluss ›gewinnt‹ - aber dieser ›Gewinn‹ eigentlich Asmodis und der Gegenseite mehr Nutzen bringt.

In der sogenannten ›Literatur‹ hätten die Kritiker die Idee bejubelt. Denn das war so ganz die Basis, auf die Altmeister Goethe den »Faust« gestellt hat. Der Teufel als »Teil von jener Kraft, die stets das Böse will - und stets das Gute schafft«. Ich habe damals im Zamorra versucht, eine besondere Variante einzubauen, die meist überlesen wird, weil Werner sie schon damals in seinen Romanen nicht berücksichtigt hat. Es geht hierbei um den Schutz von menschlichem Leben. Das war zwar einerseits etwas, um diese ganze ›Symphathy for the Devil"‹ an der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vorbei zu steuern. Zweitens aber auch, weil ich es damals geliebt habe (heute auch noch, wenn ich denn noch mal was schreibe), mir am Anfang selbst Probleme in die Handlung einzubauen, die ich im Verlauf der Handlung lösen muss. Drittens lag die Idee, dass der Teufel bei seinen Aktionen das Leben von Menschen schont, auch dem Denken der christlichen Kirchen zugrunde.

Nach der allgemeinen Lehre der Kirche ist der Teufel der große Versucher, der die Menschen dazu verführen will, Dinge zu tun, durch die sich Gott beleidigt fühlt. Das ist zwar ziemlich klein von einer Allgewalt gedacht, die den Kosmos geschaffen hat - aber es ist eben eine der wichtigsten Grundlagen der christlichen Lehre.

Der Teufel kann also den lieben Gott nur ärgern, wenn er Menschen verführen kann. Dazu müssen die Menschen aber leben. Tot nützen sie dem Teufel gar nichts. Wer tot ist, kann nicht zur Sünde verführt werden. Also hat Luzifer alle seine Untertanen angewiesen, bei den Aktionen nicht nur Menschenleben zu schonen - sondern auch zu retten, wenn es sich mit dem Auftrag verbinden lässt. Denn ein ›Retter‹ kann dann umso besser der Verführer werden.

Ja, in einigen Romanen so ab Band 250 habe ich, wo es ging, diese Sache mit eingebaut. Natürlich hat Asmodis auch zwischendurch mal die eine oder andere Seele kassiert - aber den Tod seines ›Kunden‹ hat er nie herbeigeführt. 

All das waren Gedankengänge, die sich damals aus der Grundidee der Schicksalswaage entwickelte. Sie kam eigentlich, als W.K. Giesa, Hans Klipp, mein Bruder Peter und ich kurz nach Beginn des Jahres 1980 eine Lesung im damaligen Kasseler Autoren-Cafè hatten. An diesem Abend war sogar die nach dem Krieg in Kassel lebende Autorin Christine Brückner mit ihrem Lebensgefährten anwesend und ich habe nach der Vorlesung mit ihr noch ein interessantes Gespräch über das Prinzip der Schicksalswaage geführt - wobei diese Idee noch lange nicht so richtig ausgegoren war wie sie mir heute, dreißig Jahre danach, im Kopf rum spukt.

Werner war der Einzige von uns, der als Schriftsteller professionelle Erfolge vorweisen konnte. Aber darauf kam es im Autoren-Cafe nicht an. Die Texte mussten ein recht gehobenes Niveau haben - das war es.

Bei Werner war da kein Mangel. In seiner Studentenzeit hatte er mehrere Kurzgeschichten verfasst, die man als gesellschaftskritisch ansehen kann und vor allem immer wieder den Krieg und kriegerische Auseinandersetzungen ächteten. Diese Geschichten habe ich echt bewundert und wenn sie nicht mit ihm ins Grab gesunken sind, dann müsste sich heute ein damaliger Fanzine-Herausgeber melden. Denn in den Zines der damaligen Horror-Szene sind sie Geschichten erschienen - auch wenn sie mit dem, was das Zine ausmachte, kaum etwas zu tun hatten. Aber sie kamen von einem Profi-Autoren - und nur das zählte seinerzeit bei Clubleitern und Fanzine-Machern. Mein Bruder Peter war mal mit auf einem Con und kam mit drei Ehrenmitgliedschaften von Clubs nach Hause - nur auf Grund der Tatsache, dass er eben der Bruder eines semi-professionellen Autoren war. Ja, so war das damals ...

Aber bei der Lesung im Autoren-Cafè Kassel war überhaupt kein Gedanke dran, dass ich mal einen Text von ca. 100 Seiten, also ein Romanheft schreiben würde. Ich wusste, das Hans Klipp eine SF-Story brachte und mein Bruder Peter im Stil der ›Tagesschau‹ eine satirische Sammlung von »Nachrichten aus der Zukunft - Die weiteren Aussichten« - wobei einige der Anwesenden mächtig mit den Zähnen geknirscht haben, weil Peter sich sehr für Politik interessiert und ganz genau weiß, wo er gewisse politische Gruppierungen treffen kann, die sich für das Non-plus- Ultra halten. Wobei Peter aber damals aber nach allen Seiten ausgeteilt hat. Leider sind die Texte verloren gegangen - teilweise könnten sie heute noch gelten. Woher er das hat? Nun ja, er kaufte regelmäßig die damals erscheinende Zeitschrift ›MAD‹. Und diesen trockenem Humor hat er heute noch.

Ich hatte erst mal meine Probleme, ein geeignetes Thema für die Vorlesung zu finden. Werner empfahl mir, einfach eine ›Gunnar-Story‹ mitten aus dem Zyklus raus zu schreiben. Einfach im Goethe'schen Sinn »greift nur hinein ins volle Menschenleben ... da, wo ihr's packt, da ist es interessant ...« Was ich auch getan habe. Vermutlich das einzige Mal, dass ich für die Story nicht mal den Titel hatte, sondern dafür oben was frei gelassen habe.

Ja, die Szenerie war also die, dass Moniema, die Hexen-Prinzessin von Bo-roque, als Gefangene des Amun-Re auf dem Altar liegt und zu Ehren Tsat-hogguahs und der Blutgötzen von Altantis geschlachtet werden soll. Schon beim Schreiben war ich mehrfach versucht, die Seiten aus der Maschine zu reißen - damals wurde ja noch mit der mechanischen Hacke geschrieben - weil mir eine Sword and Sorcery-Story damals  einfach nicht geeignet erschien. Immerhin kam der Film »Conan, der Barbar«, der diese Art Fantasy etwas bekannt machte, erst 1982 raus. Die kritischen Zuhörer würden vielleicht höflich, aber eher noch abfällig lächeln über diese ›Räuberpistole‹, die sie da zu hören bekamen.

Aber ich hatte nun mal angefangen - und musste fertig werden. Denn wie üblich hatte ich die Sache bis zum letzten Augenblick vor mir hergeschoben. Ja, und jetzt war ich im Stress. Und wie Hermann immer sagt, arbeite ich unter Stress am Besten ...

Es kam in dem Moment, als Gunnar, der in den Tempel eingedrungen war, dem Amun-Re die Schwerter Gorgran und Salonar um die Ohren hauen wollte, um seine Freundin zu retten. Natürlich hatte er vergessen, dass Amun-Re ja nur mit den drei Schwertern zu killen ist - und plötzlich sah es so aus, als ob der Herrscher des Kraken-Thrones alle seine Probleme in einem Abwasch erledigen könne. Wie das denn so ist, war der Held plötzlich kurz vor Schluss in arger Bedrängnis - und die Heldin mit schweren Ketten gefesselt und konnte ihm nicht helfen.

Ihr könnt mich jetzt für einen Voll-Idioten halten oder einen, der hier eine spannende Story abreißen will. Aber das Phänomen, dass ich was ›diktiert‹ bekam, spürte ich hier das erste Mal. Wenn ich mich zurück erinnere, muss ich das alles wie im Rausch in die Tasten gehämmert haben. Denn bevor die Blutgötzen von Atlantis wie eine Horde Wölfe über Gunnar her fallen konnten, kam die berühmte ›Stimme von oben‹ - oder von ›innen‹ oder von wo auch immer. So wie der ›deus ex machina‹, der Gott aus der Maschine, der im griechischen Theater durch einen Kran in einer Art Gefäß von oben herab auf die Bühne gelassen wurde und dann die Handlung so ›im Sinne der Götter regelt‹, wie das eben die Götter der Antike so zu tun pflegten, wenn sie in die Geschicke der Sterblichen eingriffen.

Ich war selbst erstaunt, als ich am Schluss das Ergebnis las. Genau das war es, was die Leute im Autoren-Cafè hören wollten. Nur leider, die Verpackung - also die Story an sich - traf wie vermutet absolut nicht den Geschmack der Anwesenden. Schöne Howard-Passagen wie »Stahl klirrte auf Stahl« riefen dort entweder gebremste Heiterkeit hervor oder es machte sich der Unwille diverser Vertreter von Friedensbewegungen bemerkbar. Es gibt ja genug Leute, für die auch der »Herr der Ringe« noch kriegsverherrlichende Literatur ist. Und was Fantasy war, wusste damals in den Kreisen der Besucher eines Autoren-Cafès niemand.

Also brach ich meine Lesung von Passagen, die da ›kein Schwein interessierten‹ ab und erklärte, dass ich das anwesende Auditorium eben nicht mit einer normalen ›Abenteuer-Geschichte‹ langweilen wollte und ich käme gleich zum eigentlichen Zentrum der Story, der Philosophie der Schicksalswaage.

Ja, und als ich diese Passagen vorgelesen habe, wurde es still und alles lauschte. Womit ich meinen Zweck erreicht hatte und noch einigermaßen
in Ehren aus der Sache raus kam.

Als ich dann den ersten Zamorra schrieb - von dem ich nicht annahm, dass er überhaupt erscheinen würde - nahm ich das inzwischen etwas erweiterte Gedankengebilde von der Schicksalswaage mit in die Handlung, ohne zu ahnen, dass diese Idee heute ca. 30 Jahre später noch Teil der Handlung ist - auch wenn die Art, wie die Schicksalswaage und der Wächter in der heutigen Konzeption behandelt werden, absolut nicht meinen Beifall findet. Aber die Idee ist nun mal durch den ›Verkauf‹ der Romane in das Eigentum des Bastei-Verlags über gegangen. Damit konnte Werner damit machen, was er wollte - und bei einigen seiner Romane hat es mich echt gegruselt, wie er die alles überwachende ›Macht‹ ins Banale herunter zog. Sogar der Wächter bekam bei ihm einen Namen - und inzwischen hat er sogar richtige Diener.

Nein, liebe Freunde, der Wächter der Schicksalswaage hatte, nach meiner damaligen Konzeption, nur zwei ›Diener‹ - Merlin und Asmodis. Beide gleich stark in der Magie - und in der Weisheit. Wenn Merlin ein Kind des Teufels war - dann muss die Mutter ein Engel gewesen sein. So ungefähr hatte ich mir das gedacht - aber solche Sachen wären was für 50er oder 100er Bände gewesen, wo man wieder mal ›ein volles Pfund‹ hätte geben müssen". 
 
Merlin und Asmodis angedacht auf beiden Schalen der Schicksalswaage. Wobei die Figur des Professor Zamorra in meinem Gedankengebilde die Aufgabe hatte, die in meiner Kinderzeit auf einer Schaukel gelegentlich der ›Wipper‹ vornehmen musste.

Hm, mit dem Begriff ›Wipper‹ kann natürlich keiner was anfangen. Jedenfalls heute nicht mehr. Wir Kinder hatten ja nach dem Krieg keine Spielplätze wie heute. Allerdings den tollsten Abenteuerspielplatz - die Trümmer der Häuser, die im Krieg zerbombt waren. Wenn wir eine Wippe machen wollten, dann organisierten wir Jungen (böse Zungen sagten ›klauen‹) eine Latte von einer der vielen Baustellen, wo auf den Trümmern neue Häuser entstanden. Irgendwo gab es immer was, wo man das Brett drauf legen konnte und fertig war die Wippe.

Nur waren die Längen des Brettes natürlich nicht immer ausgeglichen. Vom Gewicht der Jungen auf beiden Seiten (mit Mädchen spielen war für uns ›Wikinger‹ unehrenhaft) mal ganz zu schweigen. Also stand auf dem Brett in der Mitte über dem Drehpunkt der Wipper, der sich hin und her bewegte und mit Gewichtsverlagerung dafür sorgte, dass es auf beiden Seiten auf und ab ging.

Ja, und so stellte ich mir die Position Zamorras auch vor. Der ›Wipper‹ der ständig die Kräfte ›Gut‹ - also Merlin - und ›Böse‹ - Asmodis, wer sonst - ausglich. Und zwar im Dienst der Schicksalswaage, von der er bis zu meinem letzten Band nur von Pater Aurelian und dem Elbenkönig Glarelion einige Andeutungen hatte.

Als Werner dann alleine am Zamorra schrieb, war für ihn die Ausgewogenheit der Schicksalswaage nicht mehr von Bedeutung. Er ließ in der Serie Dinge geschehen, die das Verhältnis von Gut und Böse nicht mehr im Ausgleich hielten. Für Werner, der eben alle zwei Wochen einen Roman runterschreiben musste, was das auch die einfachste Lösung. Er konnte es sich nicht leisten, lange nach außergewöhnlichen Lösungen z suchen, mit der sein jeweiliger Held das Problem löste. Und schließlich war diese Idee für Werner nicht mehr die konkrete Marschrichtung, sondern die Schicksalswaage war für ihn einer von vielen Bausteinen dieser Serie, mit denen er schalten und walten konnte wie er wollte.

Ja, ich habe ihm unter vier Augen einige Male gehörig meine Meinung gesagt, wie er immer mehr das Fundament der Serie abbaut. Oder eben die stärksten Waffen wie den Juju-Stab‹ zu banalen Requisiten runterwirtschaftete, weil er für die Gewalt, die echte Magie bewirken kann, keine Vorstellung hat. W.K. Giesa konnte sich wunderbar in Science-Fiction-Techniken reindenken und war, nachdem er sich lange gewehrt hatte, einen Computer anzuschaffen, in kürzester Zeit ein wahrer Meister dieser Technik, während ich in Sachen Computer immer ein Super-Dummy war - und sicher auch bleiben werde.

Die Zamorra-Serie hätte sich ganz sicher anders entwickelt, wenn das damalige Trio Giesa, Weinland und Michael den eingeschlagenen Weg hätte weiter verflogen können. Wie ich mir das damals schon in groben Rahmen gedacht hatte, habt ihr ja unlängst ein dem Fragment für einen Roman zum Neu-Einstieg beim Zamorra gelesen. Durch den Tod Merlins und die Auflösung der Hölle haben die Neu-Autoren die Schicksalswaage ins Routieren gebracht. Nun, mich geht die Sache nichts mehr an.  

Nun wollte ich ja eigentlich von Merlin erzählen ... und wie Werner für ihn den passenden Hintergrund in der Zamorra-Serie geschaffen hat. Aber da weiß ich wenigstens, wie ich das nächste Mal die Teestunde beginne ...

Kommentare  

#1 Rudi 2012-04-26 08:35
Nein, liebe Freunde, der Wächter der Schicksalswaage hatte, nach meiner damaligen Konzeption, nur zwei ?Diener? - Merlin und Asmodis. Beide gleich stark in der Magie - und in der Weisheit. Wenn Merlin ein Kind des Teufels war - dann muss die Mutter ein Engel gewesen sein. So ungefähr hatte ich mir das gedacht


>Rolf, ein Interessanter Gedankengang, daran hätte ich nie gedacht. Wenn das so wäre, könnte man einiges anders überlegen. Merlin für die gute Seite , Asmodis für die Böse Seite. Dazwischen Zamorra, der ja Endeffekt dann auch für Asmodis ungewollt arbeitete. Wenn man überlegt, Asmodis hat ja immer versucht, das Zamorra überlebt.

Der Gästezugang für Kommentare wird vorerst wieder geschlossen. Bis zu 500 Spam-Kommentare waren zuviel.

Bitte registriert Euch.

Leit(d)artikelKolumnenPhantastischesKrimi/ThrillerHistorischesWesternAbenteuer/ActionOff TopicInterviewsHintergründeMythen und WirklichkeitenFictionArchivRedaktionelles