Zum Kern der Sache. Was ist "Spannung"?
Um einmal im Bilde zu bleiben: kommen wir von der Materie zum Geist. Nachdem sich der letzte Artikel mit den Erscheinungsformen befasst hat, will ich jetzt versuchen, zum Kern der Sache vorzustoßen. Was ist Spannung?
Bei der Beurteilung von Filmen, Hörspielen und Büchern geht es bei den kontroversen Diskussionen immer wieder auch um den Punkt Spannung. Alle sind sich einig, spannend soll es bitte sein! Aber darüber, wie das dann konkret auszusehen hat, gehen die Meinungen auseinander. Kann man Spannung überhaupt definieren? Ist sie objektiv erfassbar? Starten wir einfach einmal den Versuch, einer Beschreibung!
Gehen wir das Ganze doch ruhig mal systematisch an. Spannungsgenres sind ja nur ein Teil des Obergriffes Unterhaltung. Schauen wir zuerst mal, was von der Unterhaltung eigentlich rausfällt, wenn wir uns auf Spannung konzentrieren. Mir fallen da auf Anhieb drei Bereiche ein: Information, Humor und Romantik. Zu diesen Teilbereichen lässt sich das Spannungsgenre recht problemlos abgrenzen, obwohl natürlich Elemente davon durchaus auch in spannenden Filmen, Hörspielen oder Büchern zu finden sind. Es gibt den Science-Fiction-Roman, der Informationen über naturwissenschaftliche Themen wie Schwarze Löcher bringt, den Horrorroman, der mit einer Liebesgeschichte gewürzt wird, und natürlich den Kriminalroman, der lustige Szenen enthält. Niemand wird aber ernsthaft eine Dokumentation, eine Comedy-Show oder eine Liebesschnulze unter Spannung subsumieren.
Verblüffenderweise lässt sich Spannung oft schon mit einfachsten Mitteln herstellen. Man nehme nur einmal die Ziehung der Lottozahlen. Wohl jeder Lottospieler wird diese kaum fünf Minuten als ungeheuer spannend empfinden, obwohl dort keine Kämpfe ausgetragen werden, keine Monster oder unheimlichen Schauergestalten ihren Auftritt haben und der Ablauf der Ziehung an sich strikt festgelegt ist und keinen Raum für Überraschungen lässt. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: Elfmeterschießen im Fußball. Nur zwei Personen, die sich körperlich überhaupt nicht berühren, kein Blut, keine Schläge. Einer versucht, den Ball ins Tor zu bekommen, der andere will es verhindern. Innerhalb weniger Sekunden ist alles entschieden. Trotzdem Hochspannung für jeden Fußballfan. Oder denken wir an DSDS. Der Moment (na ja, die ziehen das meist wie Kaugummi, sind wohl mehrere Minuten) in dem die Entscheidung darüber fällt, wer weiterkommt und wer ausscheiden muss. Dramatisch für die Zuschauer, obwohl es keine Verfolgungsjagden und keine Zweikämpfe gibt. Und ein letztes Beispiel noch: Der Messerwerfer im Zirkus. So ein Typ im Cowboyanzug wirft Messer auf eine junge bildschöne Frau, die vor einer Holzwand steht. Auch innerhalb weniger Minuten vorbei. Und obwohl man fast mit Sicherheit weiss, dass es gutgehen wird, unheimlich spannend. Gut hier wird auch massiv nachgeholfen, es gibt Lichteffekte und dramatische Musik dazu. Halten wir fest, viermal Spannung hergestellt mit einfachsten Mitteln.
Kommen wir also wieder auf die obigen Beispiele zurück und versuchen zu extrahieren, was macht daran die Spannung aus? Läßt man einmal die Effekte aussen vor (also Geräusche oder Musik) dann entsteht wohl dann Spannung, wenn ungewiss ist, was passieren wird. Unvorhersagbar, welche Zahlen fallen, ob der Ball ins Tor geht, welcher Kandidat nach Hause gehen muss! Der gesamte Sportbereich lebt irgendwo von dieser Tatsache, Spiele, deren Ausgang gewiss ist, sind nicht mehr spannend. Das gleiche lässt sich über Kämpfe oder Raumschlachten sagen, die im Prinzip nichts anderes als "härtere" Wettkämpfe sind! Gilt auch z.B. auch für den Horrorfilm, die Spannung entsteht, weil man nicht weiss, erwischt es die junge Frau, die vorwitzig das alte Haus betritt oder kommt sie doch noch mal davon. Obwohl sie nur von Zimmer zu Zimmer geht, wächst die Spannung. Oder wenn der Detektiv den Verdächtigen verhört und ihm Frage um Frage stellt. Wir wissen halt nicht, ist das wirklich der Täter und/oder kann er überführt werden.
Wenn also das unerwartete, das Neue, die Überraschung ein zentrales Element zur Erzeugung von Spannung ist, dann sind logischerweise Monotonie und Wiederholungen der Weg zur Langeweile. In diesem Sinn können dann auch an sich spannende Sachen langweilig werden, wenn sie sich nämlich ständig wiederholen und so vorhersehbar werden. Wobei die Vorhersehbarkeit nicht unbedingt mit Wiederholung verbunden sein muss. Bei PRA war z.B. die Rolle Perry Rhodans einer der größten Spannungskiller. Jeder wußte, dass Rhodan bei einem Duell auf Leben und Tod mit seinen Widersachern nicht sterben würde, weil ja aus der Hauptserie bekannt war, dass er noch circa 2000 Jahre lang weiter die Geschicke der Menschheit lenken würde. Hätte eine unbekannte Figur an seiner Stelle gestanden, wäre der Ausgang der Auseinandersetzungen viel ungewisser und damit spannender gewesen. Das gleiche gilt z.B. für Professor Zamorra. Über solche Sätze kann man eigentlich nur schmunzeln: "Die Abenteuer und Kämpfe waren so spannend, dass man niemals gewusst hat, ob Zamorra überleben würde." Viel spannender ist es, wenn einige von Zamorras Helfern die gleichen Abenteuer bestehen müssen, weil dort der Ausgang wirklich offen ist.
Ganz besonders geartete Spannung entsteht, wenn Zeitdruck ins Spiel gebracht wird. Zwar geht es auch hier im Grunde um die Ungewissheit, schafft der Protagonist es beispielsweise, das Haus rechtzeitig zu verlassen, bevor die Bombe hochgeht oder findet der Detektiv das Versteck des Entführers, bevor das Ultimatum abläuft etc.. Aber hier trägt die Spannung unter Umständen auch über einen längeren Zeitraum, vielleicht sogar über den ganzen Film oder durch das ganze Buch. Ein Beispiel für so einen Film ist etwa D.O.A. - Bei Ankunft Mord. Der Protagonist ist vergiftet worden und hat nur noch zwischen 24 und 48 Stunden zu leben. In dieser Zeit muss er seinen Mörder finden.
Waren die obigen Beispiele stark auf momentane, meist kurzzeitige Spannung ausgerichtet, so gibt es daneben auch noch Spannung, die länger trägt. Dies ist der Fall, wenn es um die Aufdeckung von Geheimnissen geht. Z. B. im Krimi, wenn der Detektiv versucht, den Mörder zu entlarven, die Spannung ergibt sich daraus (normalerweise), dass wir eben nicht wissen, wer der Mörder ist. Wobei diese Aufdeckung auch anders funktionieren kann, beispielsweise, wenn der Mörder zwar bekannt ist, es aber darum geht, das Motiv der Tat zu ergründen. Oder bei einem Horrorfilm möchte man z.B. wissen, was ist das für ein Geist/Monster/Ungeheuer, wo kommt es her, wie wurde es, was es jetzt ist. Also auch hier gilt es im Grunde, Geheimnisse zu lüften.
Das bringt uns zu einem ganzheitlicheren Ansatz. Im Kern geht es im Film, im Hörspiel und im Buch doch darum, eine Geschichte zu erzählen. Spannend ist so eine Geschichte unabhängig von einzelnen spannenden Elementen dann, wenn der Konsument neugierig darauf ist, wie es weitergehen wird. Diese Aussage beinhaltet aber, dass eine Entwicklung (idealerweise der Figuren) stattfindet. Es gibt also keine willkürliche Aneinanderreihung von (spannnenden) Sequenzen, sondern die einzelnen Sequenzen bauen aufeinander auf, stehen zumindest in Beziehung zueinander. Diese "Beziehung" ergibt dann die Spannung und nicht das einzelne Element. Diese Art von Gesamtspannung ist viel schwieriger zu erzielen als die Spannung in den einzelnen Sequenzen, wo, wie wir gesehen haben, oft einfachste Mittel ausreichen, um spannend zu wirken.
Am besten ist es natürlich wenn die verschiedenen Punkte kombiniert werden. Sehr schön kann man dies z.B. bei dem Film Alien sehen:
Dort gibt es die Sequenzen, in denen die Besatzungsmitglieder auf der Suche nach der Bordkatze in Lagerräume gehen und in die dunkelsten verwinkelsten Ecken gehen. Der Zuschauer bleibt im Ungewissen, sitzt dort die Katze oder lauert doch das Alien. Es ist also ungewiss, was gleich passiert.
Als das Alien die Flucht in die Rettungskapsel verhindert, versucht die die Hauptdarstellerin, die Selbstzerstörung des Schiffs aufzuhalten. Ihr bleiben aber nur wenige Minuten Zeit, um den Countdown zu stoppen. Also Handeln unter Zeitdruck.
Schließlich beginnt der Film gleich mit einem Rätsel/Geheimnis. Warum wird die Besatzung geweckt? Was hat es mit dem empfangenen Signal auf sich?
Und weiter macht der Fortgang der Geschichte immer wieder neugierig. Wieso stoppt das Schiff? Woher kommt der Notruf? Was hat es mit dem fremden Schiff auf sich? Was ist das für eine Kreatur? Welche Rolle spielt der eine Offizier? Wieso ist ein Cyborg an Bord? Was für Pläne verfolgt er? Alle diese Fragen ergeben sich aus der Geschichte, greifen ineinander. Daraus entsteht Spannung.
Eine weitere Prämisse gilt es zu beachten. Spannung ist ein subjektives Empfinden. Was der eine spannend findet, kann den anderen zu Tode langweilen. Ein Militariasammler kann z.B. eine dreißigseitige Abhandlung über die Veränderung der Uniformknöpfe im frühneuzeitlichen Frankreich als durchaus spannend empfinden, während die meisten anderen wohl schon nach wenigen Seiten mit dem Schlaf kämpfen werden. Manche Leute "stehen" auf Action, andere auf Härte, wieder andere auf Schockeffekte. Für all diese Liebhaber gilt, dass sie der Meinung sind, Spannung entsteht automatisch durch Action, Härte oder Schockeffekte. Daraus wird dann meistens gefolgert, je mehr davon vorhanden ist, umso spannender ist das Buch, der Film, das Hörspiel. Trifft für diese Liebhaber sicher zu, lässt sich aber keinesfalls verallgemeinern. Gilt umgkehrt übrigens genauso für Aussagen wie "langweilige Landschaftsbeschreibungen" oder das Gemecker über lange Dialoge. Es gibt etliche Gerichtsfilme, in denen eigentlich nur geredet wird, die aber trotzdem von vielen Leuten als unheimlich spannend empfunden werden. Oder denken wir an Columbo. Sicher auch spannend für Columbo-Fans, obwohl sehr dialoglastig.
Vielleicht kann man sagen, es gibt zwei verschiedene Arten von Spannung. Die eine ist eher instinktiv und gefühlsorientiert, funktioniert im Sinne von Anspannung, Schock und Erregung, also z.B. beim Spielen eines Ego-Shooters oder während einer schockierenden Filmsequenz. Die andere ist eher intellektuel, geht mehr in Richtung von Neugier und Wißbegierde, also so wie bei einem Adventure-Game, wo man überlegt, wie und in welcher Reihenfolge die Quests zu lösen sind.
Kurz und gut, ich denke, es ist deutlich geworden, wo die Tücken beim Begriff Spannung liegen und warum es so unterschiedliche Meinungen dazu gibt.