Einer, den man zu kennen glaubt - »Paris - Erinnerungen an Monate, die mein Leben veränderten«
Einer, den man zu kennen glaubt
»Paris - Erinnerungen an Monate, die mein Leben veränderten«
Nein, haben wir nicht. Wir kennen uns ja kaum selbst, wissen manchmal gar nicht, wie wir auf andere wirken, was für einen Eindruck wir bei einer Begegnung hinterlassen. Wie sollten wir da in die Persönlichkeit eines anderen eindringen, den wir nur flüchtig kennenlernen? Wie sollten wir seine Gedanken nachvollziehen, seine Eigenarten verstehen, seine Reaktionen auf bestimmte Ereignisse abwägen können, den Grund für seine Entscheidungen erfassen? In der Regel machen wir uns lediglich ein eigenes Bild, dass in unser Raster passt. Wir ordnen den anderen Menschen nach unseren Erfahrungen ein. Aber wir kommen damit kaum weiter als bis zur äußeren Hülle. Wir werden nie verstehen, was diesen Menschen bewegt, wie er ganz für sich genommen die Welt, seine Umwelt oder uns sieht. Was wissen wir von seinen Empfindungen, seinen Leiden, seinen Freuden?
Eine alte indianische Weisheit besagt, dass man ein paar Meilen in den Mokassins eines anderen gehen soll, um ihn zu verstehen. Selbst dass dürfte nicht reichen, in die Lebens- und Seelenwirklichkeit eines Fremden einzudringen. Er bleibt weitgehend fremd, selbst wenn man ihn mag. Dass man Manches an ihm nicht mag, hat seinen Grund, den man manchmal in Jahrzehnten nicht herausfindet.
Viele in der Szene der Sammler von Unterhaltungsgenres, vorwiegend Science-Fiction, kennen Jörg Weigand. Glauben ihn zu kennen. Jahrzehntelang war sein Gesicht immer wieder auf dem Bildschirm des Fernsehens zu sehen. Er war ZDF-Korrespondent in Bonn. Und er war und ist Autor und Herausgeber von geschätzten SF- und anderen Anthologien. Man kennt ihn als Experten dieser Szene, als einen, der manchen Autoren zum Durchbruch verholfen hat. Durch seine Rezensionen. Durch biografische Artikel. Durch seine Verbindungen zu einschlägigen Verlagen.
Das ist auch schon alles. Der Mensch Jörg Weigand (der seinen philosophischen Doktorgrad in einem Studium der Sinologie erworben hat), ist hinter all den beschriebenen Aktivitäten verborgen geblieben.
Das soeben erschienene Buch „PARIS – ERINNERUNGEN AN MONATE, DIE MEIN LEBEN VERÄNDERTEN“, lässt einen Vorhang fallen, lüftet einen Schleier, öffnet einen Blick in eine Lebensreise, die nach außen hin eine einzige Geschichte des Erfolgs, des Glücks, des Sieges scheint.
So ein Leben gibt es nicht. Erfolg entsteht durch harte Arbeit, Glück entwickelt sich häufig aus Unglück, dem Sieg gehen Niederlagen voraus. Das Leben als Ganzes ist nie ein Geschenk. Leben ist Kampf. Leistung ohne Gegenleistung ist eine Illusion. Tiefs und Leiden verschwinden im Dunkel, aber sie hinterlassen ihre Spuren in der Persönlichkeit, begründen Denk- und Verhaltensweisen und die Sicht von der Welt, sowie die Art, wie man auf andere Menschen zugeht und mit ihnen interagiert.
Jörg Weigand hat mit diesem kleinen Büchlein großen Mut bewiesen. Er lässt den Leser hinter die Kulissen seines Lebens schauen. Er öffnet sich bezüglich der Entwicklung seiner Persönlichkeit. Dabei erfährt man auch, wie er zu seiner lebenslangen Beschäftigung mit Science-Fiction gekommen ist. Ansatzpunkt ist sein Studium in Frankreich, das ihm die „Flucht“ – ja, man muss es so nennen – aus einem sehr schwierigen Elternhaus ermöglichte und ihm Perspektiven öffnete, die ihm Kraft, Energie und Kreativität für seinen Lebensweg gegeben haben, der für uns Leser unauslöschliche Spuren hinterlassen hat. Obwohl ihn die Dämonen seiner Kindheit und frühen Jugend immer wieder eingeholt haben.
Dieses Buch ist unter allen Aspekten des Lesens wert. Auch um die Arbeit Weigands zu verstehen und zu bewerten. Ich kenne Jörg Weigand seit fast 50 Jahren, habe auch mit ihm gearbeitet, habe Manches gewusst, was er mir in stillen Stunden anvertraut hat. Trotzdem war Vieles für mich neu.
Weigand gilt heute als einer der besten europäischen SF-Kenner und als unermüdlicher Publizist. Wer wissen will, wie er wurde, was er ist, dass viele seiner Aktivitäten „Befreiungsschläge“ waren, seelische Lasten abzuwerfen, Traumata zu vergessen, muss dieses Buch lesen. Auch dieses Buch ist eine Art Befreiung, nach über 80 Lebensjahren.
Sehr lesenswert. Sehr bereichernd. Sehr beeindruckend.
Kommentare
Wo Licht ist, ist auch Schatten!