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Ray Harryhausen – Erschaffer von Welten „Aus dem Lande fern von hier ...“

Ray HarryhausenRay Harryhausen – Erschaffer von Welten
(1920 - 2013)
„Aus dem Lande fern von hier ...“

Raymond Frederick Harryhausen wurde 1920 in Los Angeles geboren, weit entfernt von der Heimat seiner Vorfahren, die aus Deutschland emigriert waren und mit einem Schiff von Hamburg aus ihr Heil in der Neuen Welt suchten. Bereits als Kind führten seine Träume ihn noch weiter weg – zurück in die Vorzeit der Erde, denn die Knochenfunde in den Teergruben von La Brea, nahe bei seiner Heimatstadt, feuerten seine Imagination in nicht geringem Maße an und brachten ihn dazu, in seiner Freizeit kleine Modelle der dort gefundenen Eiszeit-Tiere zu basteln.


Ray HarryhausenNichts hatte den kleinen Ray freilich darauf vorbereitet, was ihn erwarten würde, als er 1933 mit einer Kinokarte in der Hand und in Begleitung seiner Mutter und seiner Tante das eindrucksvoll dekorierte Grauman’s Chinese Theater auf dem Hollywood Boulevard betrat und eintauchte in die Welt von KING KONG: „Sie hatten eine große Kong-Büste in der Lobby und, und überall hingen wundervolle Fotos ... Als ich das Kino verließ, war ich nicht mehr derselbe“.

Tatsächlich veränderte sich Harryhausens Leben ganz beträchtlich. Unabhängig davon, dass er dem Zauber von Skull Island vollständig erlegen war, versuchte er hartnäckig, herauszufinden, wie die Tricks in KING KONG gemacht worden waren. Nur langsam entrollten sich ihm die Fakten der Stop-Motion-Tricktechnik; aber schon bald bastelte er Stop-Motion-Modelle in der Garage seiner Eltern, die ihn in allem sehr unterstützten (für sein erstes Modell, ein Höhlenbär, musste der Pelzmantel seiner Mutter dran glauben) und machte mit Hilfe einer geliehenen Kamera „erste Gehversuche“. Nebenher besuchte er jede greifbare Wiederaufführung von KING KONG. Dadurch traf er1939 Forrest J. Ackerman, besuchte auf dessen Einladung einen SF-Fanclub - die Los Angeles Science Fiction League – wo er A. E. van Vogt und Robert A. Heinlein kennenlernte ... und den gleichaltrigen Ray Bradbury, der nur zu begierig darauf war, Harryhausens Modelle zu sehen. Mit Ackerman, besonders aber mit Bradbury, verband Harryhausen eine lebenslange Freundschaft. Außerdem besuchte er Willis „Obie“ O’Brien, der King Kong zum Leben erweckt hatte, und zeigte ihm seine Modelle und Filmversuche, wofür er mit hilfreichen, aber nüchternen Ratschlägen belohnt wurde. O’Briens Witwe, die Harryhausen bei diesen Treffen ermutigt hatte, erzählte ihm später, dass Obie – nachdem Harryhausen gegangen war – sie anblickte und sagte: „Du ermunterst meine künftige Konkurrenz.“ – und wie Recht er damit hatte ...

„... aus einem Land fern der Hoffnung und der Furcht ...“
Nachdem Harryhausens erstes eigenes Filmprojekt wie eine Seifenblase zerplatzte, weil eine Sequenz in Disneys FANTASIA genau den gleichen Boden beackert hatte, versuchte er hartnäckig, im Filmgeschäft Fuß zu fassen und wurde schließlich Animator bei George Pal, der mit den PUPPETOONS Puppentrickfilme für Kinder machte. Dann diente er in Frank Capras Special Services Division der US Army, wo er praktisch Mädchen für Alles war, aber auch einen animierten Lehrfilm über Brückenbau drehte. Nach Kriegsende bot Pal ihm seinen altenm Job an, aber stattdessen drehte Harryhausen lieber auf ein paar Rollen Farbfilm, die er gerettet hatte, seine ersten eigenen Märchenfilme. 1947 schließlich heuerte ihn O’Brien für seinen neuesten Film MIGHTY JOE YOUNG an, für den Harryhausen den Großteil der Animation besorgte und Obie im Aufführungsjahr 1949 den Academy Award gewann. Kommerziell war der Film aber nicht übermäßig erfolgreich. Hingegen löste die Wiederaufführung von KING KONG anno 1952 eine neue Welle von Monsterfilmen aus, die freilich – anders als Obies Filme – häufig für ein Taschengeld gedreht wurden. Und jetzt kam Harryhausens große Stunde. Er hatte gehört, dass der Produzent Jack Dietz einen Film über ein Seeungeheuer plante und marschierte schnurstracks zu ihm, um ihm seine Dienste anzubieten. Dietz machte deutlich, dass der ganze Film nicht mehr als 150.000 Dollar kosten durfte. Harryhausen schlug ein, schrieb das Treatment um, entwickelte ein paar zeit- und geldsparende Techniken und schickte einen Dinosaurier in die Häuserschluchten von New York. Das Ergebnis, THE BEAST FROM 20 000 FATHOMS (dt. PANIK IN NEW YORK, 1954), war ein beträchtlicher Erfolg – so erfolgreich, dass die Japaner das Konzept kopierten und im Folgejahr eine fernöstliche Blaupause mit dem Namen GODZILLA nach Tokio schickten. Der wesentliche Unterschied dabei war nicht nur, dass Harryhausens Animationstechnik dem obligaten Mann im Kostüm überlegen war, sondern auch die Tatsache, dass seine Kreaturen Persönlichkeiten waren, Charaktere, Individualisten, mit denen man mitfühlen konnte – wie einst Kong.

Harryhausen selbst variierte das Konzept mehrfach – in IT CAME FROM BENEATH THE SEA (DAS GRAUEN AUS DER TIEFE, 1955) ließ er einen Riesenkraken die Golden Gate Bridge einreißen, in EARTH VS. THE FLYING SAUCERS (FLIEGENDE UNTERTASSEN GREIFEN AN, 1956) zerstören Außerirdische Washington, und in 20 MILLION MILES TO EARTH (DIE BESTIE AUS DEM WELTENRAUM, 1957) richtet ein Venusier Verwüstungen in Rom an – hauptsächlich deshalb, weil Harryhausen gerne einmal nach Europa wollte. Da gefiel es ihm so gut, dass er nicht nur seine künftigen Filme allesamt dort drehte, sondern 1963 gänzlich nach London zog, wo er die Ur-Ur-Enkelin von des Afrikaforschers David Livingston heiratete. Zwischendurch half er O’Brien bei einer Animationssequenz in dem Dokumentarfilm THE ANIMAL WORLD (DIE TIERWELT RUFT, 1956) aus. Und dann hatte er von der Sache genug.

Ray Harryhausen„...bitt ich Dich, oh Geist, erscheine mir!“

„Ich wollte weg von diesen „Dinosaurier laufen Amok“-Stories. Die Stop Motion-Technik wurde immer nur mit amoklaufenden Dinosauriern und amoklaufenden Riesenaffen in Verbindung gebracht. Deshalb versuchte ich, einen neuen Markt zu finden.“

Und da besann sich Harryhausen auf eine andere große Inspiration seiner Jugendzeit: Michael Powells THE THIEF OF BAGHDAD (DER DIEB VON BAGDAD, 1940) mit seinem großen Idol Conrad Veidt, dem er in seinen letzten Märchenfilm THE STORY OF KING MIDAS bereits ein Denkmal gesetzt hatte. Er entstaubte ein Konzept für einen Sindbad-Film, das er vor einiger Zeit entwickelt hatte, aber auf Halde nahm, als der jüngste Sindbad-Streifen 1955 mit flatternden Segeln Schiffbruch erlitt, und ging damit zum Produzenten Charles H. Schneer, mit dem er bereits seine letzten Filme verwirklicht hatte. Schneer war enthusiastisch. Gemeinsam klapperten sie die großen Filmgesellschaften ab, bevor sie bei Columbia Unterschlupf fanden und mit der Arbeit an THE SEVENTH VOYAGE OF SINBAD (SINDBADS SIEBTE REISE, 1958) beginnen konnten. Harryhausen bekämpfte erfolgreich die letzten Probleme, die seine Methode mit Farbe hatte, und ließ das Verfahren als „Dynamotion“ patentieren. Und dann schickte er Zyklopen, Drachen, fechtende Skelette, doppelköpfige Riesenvögel und Schlangenfrauen auf die Leinwand. Wenn Harryhausen nach KING KONG nicht mehr derselbe war – die Welt war nicht mehr dieselbe, nachdem Harryhausen sein Füllhorn aus 1001 Nacht über die Welt ergossen hatte.

Nach diesem Film ging Harryhausen verschiedene andere Projekte an – eine freie Version von Jules Vernes MYSTERIOUS ISLAND (DIE GEHEIMNISVOLLE INSEL, 1961) und eine weitgehend getreue Fassung von H. G. Wells’ THE FIRST MEN IN THE MOON (DIE ERSTE FAHRT ZUM MOND, 1964); Swifts Gulliver-Geschichten in THE THREE WORLDS OF GULLIVER (HERR DER DREI WELTEN, 1960) und ein altes Projekt seines Mentors Willis O’Brien um Cowboys, die ein von Dinosauriern besiedeltes vergessenes Tal in Mexiko finden, THE VALLEY OF GWANGI (GWANGIS RACHE, 1968) – aber Sindbad warf den größten Schatten, und kommerziell erfolgreich war er beinahe nur mit den beiden weiteren Sindbad-Filmen, THE GOLDEN VOYAGE OF SINBAD (SINDBADS GEFÄHRLICHE ABENTEUER, 1974) und SINBAD AND THE EYE OF THE TIGER (SINDBAD UND DAS AUGE DES TIGERS, 1977) sowie einem Dinosaurier-Projekt für Hammer, ONE MILLION YEARS B.C. (EINE MILLION JAHRE VOR UNSERER ZEIT, 1966).

Harryhausens eigene große Liebe galt noch mehr als den arabischen Märchen der griechischen Sagenwelt, und seine persönlichen Favoriten waren - vergleichsweise - moderate wirtschaftliche Erfolge: JASON AND THE ARGONAUTS (JASON UND DIE ARGONAUTEN, 1963), in der er eine Armee von sieben fechtenden Skeletten auf die Helden hetzte, und CLASH OF THE TITANS (KAMPF DER TITANEN, 1981) mit einer unvergleichlichen Sequenz, in der der Held gegen die Medusa kämpfte. JASON, bei seiner Uraufführung nichts weniger als ein Flop, gilt heute als einflussreichster Animationsfilm, als einer der einflussreichsten Fantasy-Filme überhaupt. CLASH spielte MGM ein nettes Sümmchen in die Tasche, war aber im Muskelspiel mit den SF-Epen von George Lucas und Stephen Spielberg nicht erfolgreich genug, um Geld in Harryhausens nächstes Projekt zu stecken. Und so endete Harryhausens Geschichte ... beinahe.

Die Filmindustrie vergisst schnell; vor allem vergisst sie schnell jene, deren Gesichter nie groß auf den Plakaten prangten, und die, die nie die Macht in Hollywood hatten – also die Schauspieler und großen Produzenten. Wer aber nicht vergaß, das waren seine illegitimen Kinder, die Harryhausens Werk fortwährend Tribut zollten und immer noch zollen: James Cameron und Sam Raimi, Steven Spielberg und George Lucas, Peter Jackson und Guillermo del Toro, John Landis und Tim Burton und Nick Park,, und natürlich eine endlose Liste von Effektexperten der Disney Studios, bei Pixar oder Industrial Light and Magic, Leute wie Dennis Muren und Rick Baker und Phil Tippett, die – anders als Harryhausen – fröhlich ihre Preise einsammelten und dafür abends daheim vor ihren Harryhausen-Altären Opfer darbrachten. Und so hat die Geschichte ein Happy End. Zunächst in Deutschland, dann in seiner Wahlheimat England wurden große Ausstellungen zu Harryhausens Lebenswerk präsentiert. 1992 erhielt Harryhausen einen Ehren-Oscar für seine herausragende technische Sonderstellung, und 2003 einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame. Harryhausen war geschmeichelt, aber auch ein wenig verbittert: „Ich war entzückt, dass ihnen aufgefallen ist, dass es mich gibt! Ich glaube, einige unserer Filme waren ungewöhnlicher als jene, die den Oscar für Effekte erhalten haben. JASON AND THE ARGONAUTS war ein ungewöhnlicher Beitrag, aber leider gewann CLEOPATRA den Preis. Und ich glaube auch, dass THE SEVENTH VOYAGE OF SINBAD viel bewegt hat, aber irgendeine Fliege auf Lindberghs Nase (THE SPIRIT OF ST. LOUIS/LINDBERGH – MEIN FLUG ÜBER DEN OZEAN) hat in dem Jahr gewonnen. Es ist ziemlich schwer zu erkennen, warum man keinen bekommt. Aber ich kann dazu eigentlich nichts sagen – das müssen andere beurteilen.“

Harryhausen hatte das Glück zu erleben, wie der Wind sich dreht, welchen Respekt ihm die nachkommenden Generationen gezollt haben und noch immer zollen. Er konnte sich als Künstler weiter entfalten und schuf ganz vorzügliche Bronzen seiner Kreaturen und sogar ein Denkmal für David Livingston, das in Blantyre vor dessen Geburtshaus aufgestellt wurde. Er blieb der Industrie verbunden und half, einen Kolorierungsprozess für Schwarzweiß-Filme zu entwickeln. Er bereiste die Welt für Vorträge, Festivals, Ausstellungen und Ehrungen. Er empfing zahllose Fans in seinem Haus in London, erzählte ihnen aus seiner Karriere und gab ihnen Tipps. Er schrieb erfolgreiche Bücher: über sein Leben, über seine Filme, über die Stop Motion-Technik. Als er jetzt in London im hohen Alter von 92 Jahren überraschend starb, war es ein bisschen so, als sei Gott gestorben. „Wir stehen alle auf den Schultern eines Giganten,“ meinte James Cameron. „STAR WARS hätte es ohne Harryhausen nie gegeben,“ sagte George Lucas. „Ich salutiere jeden Tag vor ihm,“ schrieb Stephen Spielberg. In ihren Köpfen, in den Köpfen von Generationen erwachen Skelette zum Leben, schwingt die sechsarmige Kali die Schwerter, kriechen Schlangenleiber und stampfen Zentaurenhufe, lassen Dinosaurier den Boden erzittern und Riesenkrabben die Scheren schnappen. Die Luft ist erfüllt vom Kreischen von Flugdrachen und Harpyen, dem Surren von UFOs, dem Wiehern des Pegasus, der für die Höhenflüge der Phantasie steht. Die Tiefen der Meere, die Ferne des Mondes, die zauberhaften Welten von Märchen und Sagen sind nur einen Traum weit entfernt. Harryhausen war wirklich Gott, der Lehm nahm und ihm Leben schenkte – Einzelbild für Einzelbild.

Kommentare  

#1 Alter Hahn 2013-05-13 00:43
Eine tiefe, sehr tiefe Verbeugung vor dem Meister.

Sicher - "Sigurd" war mein Weg zum Schwert - Hannibal ist der Markstein meines Wege zur Geschichte - und "Sindbads siebente Reise" und die anderen Filme jener Zeit, die ich alle gesehen (und zum großen Teil heute auf DVD habe)- das war lange vor "Conan" das Tor, durch das mein Weg in die Fantasy führte.

Danke, Ray Harryhausen für die Träume, die du einem kleinen Jungen geschenkt hast... Träume, aus denen jetzt die "Traumwelt" erwächst. Irgendwo zwischen den Sternen werden wir uns alle finden...

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