Mit Schirm, Charme und Melone - Patrick Macnee 1922 - 2015
Mit Schirm, Charme und Melone
Patrick Macnee (1922 - 2015)
Doch das Ideal des Gentleman ist irgendwie nicht so leicht mit einem Amerikaner wie Stewart in Einklang zu bringen, weil die Begrifflichkeit (durchaus irrig) etwas fundamental Britisches ausdrückt. Niven hat in seiner Darstellung des Phileas Fogg in AROUND THE WORLD IN 80 DAYS den britischen Gentleman in Perfektion gegeben, immer gut gekleidet, nie die Fassung verlierend, schlagfertig, exzentrisch, konservativ, steif und durch und durch ein Ehrenmann. Eine größere Nachwirkung hatte jedoch ein Schauspieler, der jahrelang glaubte, mit Niven verwandt zu sein, und der in der internationalen Wahrnehmung so sehr den noblen Briten gab, dass er Zeit seines Lebens kaum die Chance erhielt, noch einmal etwas anderes zu spielen. John Steed, das ist eine Bündelung patriotischer Werte, feiner Lebensart und unendlich viel Stil. Patrick Macnee, der Steed Leben einhauchte, konnte dessen Schatten nie wieder entkommen.
Aufgewachsen ist der am 6. Februar 1922 in London geborene Macnee in einem angemessen exzentrischen Haushalt: der Vater ein Pferdetrainer und Trinker, die Mutter eine Nichte des Earl of Huntigdon und so partybesessen, dass Macnee nie in Erfahrung brachte, ob er im Taxi oder im Krankenhaus zur Welt kam, nachdem seine Mutter ihre Wehen auf einem ausgelassenen Gelage bekommen hatte. Schließlich flüchtete sie in die Arme einer wohlhabenden Lesbierin, die Macnee „Onkel“ nannte. Hier wurde der Knabe herangezogen, bevor er auf die Schule nach Summerfields (wo er mit seinem Altersgenossen Christopher Lee Schultheater spielte) und später nach Eton geschickt wurde. Aus Eton wurde er aber entfernt, als man dahinter kam, dass er einen „Verbrecherring“ betrieb und sich als Händler pornographischer Erzeugnisse und Buchmacher verdingte. Daraufhin besuchte er eine Schauspielschule, um den unehrenhaften Beruf des darstellenden Künstlers zu ergreifen. Er spielte zunächst Repertoiretheater und war gerade für eine Hauptrolle im West End neben Vivien Leigh besetzt worden, als der Marschbefehl ihn erreichte.
Nach Kriegsende, das er mit unverschämtem Glück erlebte – er erkrankte an Bronchitis und war beim D-Day nicht dabei, als sein Kanonenboot mit Mann und Maus sank – versuchte Macnee sein Glück beim Film. Er spielte eine kleine Rolle als Höfling in der Theaterszene von Laurence Oliviers HAMLET (1948), in dem Peter Cushing als Osric zu sehen war und Christopher Lee als Speerträger im Hintergrund stand, trat in Hammers DICK BARTON AT BAY (1950) auf und begegnete bei THE ELUSIVE PIMPERNELL (1950) David Niven, den er für einen Cousin hielt. Niven half ihm daraufhin dabei, kleinere Rollen in verschiedenen Produktionen zu bekommen. Die Filmparts blieben jedoch klein, wohingegen er in in den Fünfzigern bessere Charakterrollen und auch ein paar Hauptrollen im kanadischen Fernsehen und in Amerika erhielt – also ging er dorthin und ließ seine Familie in England zurück.
Als Macnee 1960 nach England zurückkam, kam er nicht als Schauspieler, sondern als Produzent einer Fernsehserie über Winston Churchill. Wie es sich ergab, traf er einen Produzentenkollegen, der ihn spontan als Sidekick für Ian Hendry in einer Nachfolgeserie zu dessen erfolgreichem POLICE SURGEON besetzte. Der Name der neuen Serie? THE AVENGERS. John Steed war geboren.
THE AVENGERS lief ab 1961 in englischen Fernsehen. Steed war darin noch mehr ein konventioneller Geheimagent im Trenchcoat, der Hendry als eine Art Führungsoffizier zur Seite stand. Ausgefallen war, dass Steed keine Pistole trug. Macnee hatte durch seine Kriegserfahrungen genug von der Ballerei und verweigerte sich einem erneuten Dienst an der Waffe. Spätestens bei der zweiten Serie (Hendry stieg nach einer Staffel aus), als Macnee zur Hauptfigur befördert werden sollte, fürchtete man ein Problem und fragte Macnee, was er anstelle eines Ballermanns denn verwenden wollte – Macnee zögerte nicht lange und antwortete, „Einen Regenschirm“. Dazu passte dann die klassische Kleidung höherer Beamter der Londoner City, wie der Bowler, und Macnee stellte (auch für alle Zukunft) sicher, dass er mit feinem, halb konservativem, halb dandyeskem Zwirn ausgestattet wurde.
Perfektioniert wurde das Konzept durch Steeds Partner – zuest die knallharte Cathy Gale, gespielt von Honor Blackman, dann – nachdem Blackman sich zu James Bond verabschiedet hatte – Diana Rigg als Emma Peel, zwei starke, attraktive Frauen in verlockend knarzendem Leder, modern, wo Steed konservativ ist, im Fall von Emma Peel auch deutlich intellektuell überlegen, was Steed aber durch seine Erfahrung wettmacht. Die Plots wurden exzentrischer, teilweise sogar phantastisch. Die „Rächer“ kämpften gegen Roboter, mörderisches Spielzeug, außerirdisches Gemüse und Schrumpfstrahlen, spielten Ping Pong mit den Populärmythen ihrer Zeit, mit James Bond, Hammer-Horrorfilmen, amerikanischen Agentenserien, und das auf eine herrlich subversive und zutiefst britische, Swinging Sixties-geprägte Weise, dass die Serie die Welt im Sturm nahm. Mit dem Abgang von Diana Rigg verlor die Serie jedoch an Tempo. Ihre Nachfolgerin, Linda Thorson, verkörperte einen anderen Typ, der zwar die siebziger Jahre vorwegnahm, aber Macnee eine erzwungen väterlichere Position zuwies. 1969 wurden die AVENGERS schließlich abgesetzt.
Obwohl Macnee danach wieder ans Theater zurückkehrte, war ihm nie wieder ein vergleichbarer Erfolg beschieden. Die Rolle in der Premiere von Anthony Shaffers Theaterstück „Sleuth“ hatte er 1970 abgelehnt – es wurde ein Welterfolg – und entsprechend schien seine Glückssträhne vorüber zu sein. Gerettet hat ihn wohl die Rückkehr zu John Steed in THE NEW AVENGERS 1976. Aber auch die hielten nur zwei Staffeln durch.
Außerhalb der AVENGERS hat Macnee natürlich auch gearbeitet, und sicherlich gut bezahlt – Fernsehserien, Fernsehfilme, Kinofilme, Werbespots, aber das meiste leicht verdaulich und der Erwähnung kaum wert. Er spielte Dr. Watson zuerst für Roger Moores Holmes in SHERLOCK HOLMES IN NEW YORK (1976) und später für seinen alten Schulkameraden Christopher Lee als Holmes in einer avisierten Serie, THE GOLDEN YEARS OF SHERLOCK HOLMES (1991), von der nur zwei Filme zustande kamen. Seine besten FilmePost-AVENGERS waren wohl das Kriegsabenteuer THE SEA WOLVES (1980, mit den alten Freunden Moore und Niven), der Horrorfilm THE HOWLING (1981) und Roger Moores Schwanengesang als James Bond, A VIEW TO A KILL (1985).
Patrick Macnee, dessen Autobiographie „Blind in One Ear“ 1989 erschienen ist, hing nach langer Krankheit am 25. Juni 2015 in Rancho Mirage, Kalifornien im Alter von 93 Jahren den Schirm für immer weg – nur wenige Wochen nach dem gleichaltrigen Kampfgefährten Sir Christopher Lee. Steed freilich wird für immer der perfekte Gentleman bleiben.
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