Christopher Lee (1922 - 2015) - Ein Nachruf
Christopher Lee
(1922 - 2015)
Ein Nachruf
„Dracula“ stand in jeder Überschrift, in jeder Rezension, in jeder Reflektion über ihn. Die Journalisten sind es, klagte er, die ihm diese eine Rolle wie einen Mühlstein um den Hals gehängt haben. Irgendwann wusste er sich nicht mehr anders zu helfen, als Interviews zum Thema zu verweigern, das Signieren von Dracula-Fotos abzulehnen und gelegentlich seinen Verdruss zum Ausdruck zu bringen – was man ihm regelmäßig als Undankbarkeit zum Vorwurf gemacht hat.
Dabei war der am 27. Mai 1922 in London geborene Christopher Frank Carandini Lee – Sohn eines englischen Offiziers und einer italienischen Gräfin - nicht im Mindesten undankbar, ganz im Gegenteil. Er war stolz auf seinen ersten DRACULA unter der Regie von Terence Fisher und an der Seite seines guten Freundes Peter Cushing. Nach Jahren als Charaktermime in Nebenrollen in Filmen wie MOULIN ROUGE für John Huston), JENSEITS MOMBASA, DER ROTE KORSAR oder SCOTTS LETZTE FAHRT und der Prophezeiung, seine Körpergröße und sein leicht exotisches Aussehen würden ihn für eine Filmkarriere untauglich machen, war es gerade dies, was Hammer Films für die Rolle der Kreatur in FRANKENSTEINS FLUCH brauchten. Dass Lee sich dabei unter dickem Make-up als vorzüglicher Mime für stumm dargebotenes Pathos outete, war ein willkommenes Extra, aber für seine Besetzung wahrscheinlich nebensächlich. Als man ihm das Cape Draculas umlegte, da wusste man freilich sehr genau, was man tat. Die wenigen Minuten, in denen Dracula tatsächlich zu sehen ist, machten raffinierten Gebrauch von Lees Qualitäten – seinem sonoren Bariton, seiner enormen Präsenz, seinem Charisma, seinem guten Aussehen. Als sexueller Predator weitab von der Rattenhaftigkeit des grotesken Nosferatu Max Schrecks und der öligen Verbindlichkeit Bela Lugosis schrieb Lee Filmgeschichte. Lee, der ein großer Bewunderer Conrad Veidts war und der sehr wohl um den Fluch und Segen wusste, den die Rolle des Vampirfürsten Lugosi gebracht hatte, ließ sich im Folgenden nur widerwillig dazu überreden, die Vampirzähne zu blecken. Stattdessen versuchte er sich in anderen Rollen, überall in Europa, spielte Edgar Wallace-Krimis in Deutsch, Piratenfilme in Englisch, Peplums in Italien. Vor allem etablierte er sich aber als internationaler Horrorstar, als Englands „Kronprinz des Schreckens“ (als „König“ wurde gemeinhin Boris Karloff tituliert, mit dem Lee dreimal gefilmt hat und der ein Nachbar und enger Freund war) und spielte die Mumie, Rasputin, Mad Scientists, Mörder, Opfer, Helden ... alles, was das Genre hergab. Und Dracula, natürlich – insgesamt 8 Mal, andere Vampirrollen nicht mitgerechnet. Wie der „Gentleman of Horror“ Peter Cushing und der „Merchant of Menace“ Vincent Price war Lee dabei ein Feingeist mit weitgestreuten privaten Interessen, ein Opernfan (eine zeitlang hatte er eine Karriere als Opernsänger erwogen, Gesang studiert und sich auch auf Konzerten verdingt), ein Hobby-Historiker mit großen Geschichtskenntnissen, ein Sammler von Orden und Ehrenabzeichen – einige davon hatte er selbst im zweiten Weltkrieg erworben, als er in der RAF und im Geheimdienst seine umfassenden Kenntnisse von einem halben Dutzend Sprachen sinngerichtet zum Einsatz bringen konnte. Über diese Zeit hat er freilich nie gesprochen.
Als Billy Wilder Lee 1969 in DAS PRIVATLEBEN VON SHERLOCK HOLMES in der Charakterrolle des genialen Mycroft Holmes besetzte, fühlte sich Lee endlich vom Typecasting befreit, wenngleich er noch einige Jahre daran laborierte. Vor allem war er Wilder dafür dankbar, dass dieser ihn keinesfalls als Horrorschauspieler sah, sondern als Künstler seines Fachs, der sich auch in anderen Rollen besetzen ließ. In dem kommerziell erfolglosen Kultklassiker THE WICKER MAN, von der Zeitschrift „Cinefantastique“ als „CITIZEN KANE des Horrorfilms“ bezeichnet, fühlte er sich auch als Schauspieler gefordert und hat lange betont, dass dies der Film sei, auf den er am meisten stolz war. Jetzt kamen auch andere Rollen: Scaramanga, DER MANN MIT DEM GOLDENEN COLT im Duell mit Roger Moores James Bond (Lee hatte bereits 1948 mit Moore gearbeitet), Rochefort, „des Kardinals wandelnde Klinge“ in Richard Lesters DIE DREI MUSKETIERE und DIE VIER MUSKETIERE. Lee folgte dem Ruf Hollywoods und zog nach Los Angeles, um sein Glück in der Fabrik der Träume zu versuchen.
Sicherlich bot Hollywood dem Schauspieler einige Möglichkeiten, die ihm in Großbritannien mit seiner inzwischen siechen Filmwirtschaft verwehrt geblieben sind. Er trat in Katastrophenfilmen auf, in Komödien, in Actionfilmen, in Comicadaptionen. Er spielte neben Stars wie Bette Davis, Jack Lemmon, Chuck Norris, Sammy Davis jr. (übrigens ein großer Hammer-Fan), Richard Widmark und Anthony Quinn, trat als Gastgeber von SATURDAY NIGHT LIVE auf und fröhnte nebenher seinem großen Hobby, dem Golfspiel. Gleichzeitig wurde ihm aber bewusst, dass er in eine Sackgasse geraten war, und mit Ausnahme des Animationsfilms DAS LETZTE EINHORN, in dem er (auch in Deutsch) den König Haggard sprach, waren die wenigsten Filme, in denen er zu sehen war, kommerziell erfolgreich – und viele hatten seine Mitwirkung auch gar nicht verdient. Schließlich brach Lee seine Zelte wieder ab und zog zutiefst frustriert zurück in die Heimat. Tatsächlich erwog Lee zu der Zeit, sich zur Ruhe zu setzen.
Glücklicherweise fügte es sich, dass der Plan, sich aufs Altenteil zu setzen, verfrüht war. Zwar verlief auch in England seine Karriere zunächst weiterhin zäh. Hin und wieder bot sich eine wirklich gute Rolle an, die Lee ergriff - 1990 gab er einen grandios gruseligen Blind Pew in einer Fernsehfassung von DIE SCHATZINSEL und spielte in GREMLINS 2 – DIE RÜCKKEHR DER KLEINEN MONSTER unter der Regie seines Fans Joe Dante einen Mad Scientist.- aber Lees zeitweilige Frustration erstreckte sich auf seine Fans, die nur bedingt glücklich darüber waren, ihn in POLICE ACADEMY 7 – MISSION IN MOSKAU zu sehen.
Im Grunde war es das Fernsehen, das ihn rettete. Der großartige Fernsehfilm THE DISPUTATION war 1986 noch eine Ausnahmeerscheinung geblieben, doch in den neunziger Jahren fand Lee dort beständige Beschäftigung und auch substantiellere Rollen, die ihn forderten und den Zuschauern endlich deutlich machten, dass Lee eben doch mehr war als nur ein splendibler Filmschurke, der vom Ruhme Draculas zehrt. So war er die perfekt besetzte Stimme des Todes in zwei Animationsfilmen nach sensationell erfolgreichen Romanen von Terry Pratchett und für die BBC der Großmeister des Templerordens in einer monumentalen Adaption von IVANHOE. 2000 war er ein feiner Flay in der teuersten Produktion, die die BBC bis dahin auf die Füße gestellt hatte: dem Fantasy-Epos GORMENGHAST nach den Romanen von Mervyn Peake. Von dort aus marschierte er direkt weiter, um – ebenfalls für die BBC – in vier Episoden von GHOST STORIES FOR CHRISTMAS nach Erzählungen von M. R. James den Erzähler zu geben.
Zudem war die Generation derjenigen, die mit Christopher Lee aufgewachsen waren, die seine Filme und seine Darstellungen verehrten, selbst zu gestandenen Künstlern herangereift und begierig darauf, ihrem Idol Tribut zu zollen. 1999 begann Tim Burton den Reigen und besetzte Lee als Gaststar in SLEEPY HOLLOW. Als dann Peter Jackson Lee in DER HERR DER RINGE und George Lucas ihn in STAR WARS EPISODE 2 – ANGRIFF DER KLONKRIEGER besetzten, wurde klar, dass es dem Mimen gelungen war, eine beispielslose dritte Karriere zu beginnen, ein Star für eine Generation zu werden, die seinen Dracula wahrscheinlich nicht gekannt hat. Lee hat seit diesem Zeitpunkt nie mehr pausiert, er war ständig gefragt, wurde von Burton, Jackson und Lucas weiterhin besetzt, aber auch von Martin Scorcese und Bille August, und er besang sogar mit Heavy Metal-Bands gemeinsam Alben. Und längst waren die Snobs verstummt, die Lee als reinen Horrorschauspieler in billigen Filmen abgetan hatten. Eine neue Generation würdigte längst die Hammer-Filme als Meisterwerke des Genres und als große Klassiker. Lee, der schon lange vorher den Orden der französischen Ehrenlegion erhalten hatte, wurde zum Commander of the Order of the British Empire ernannt (Peter Cushing hatte es nur um Officer geschafft) und schließlich gar zum Ritter geschlagen; und er erhielt die höchste Ehre, die die britische Filmakademie zu vergeben hat. Als ein Star, als ein vielseitiger Künstler, als eine lebende Legende.
Sir Christopher Lee, der über 50 Jahre mit dem dänischen Model Gitte Kroenke verheiratet gewesen ist, eine Tochter mit ihr hat, und der auf eine über 60-jährige Karriere zurückblicken konnte, ist am 7. Juni 2015 im Alter von 93 Jahren gestorben. In unseren Träumen, in den Träumen auch der kommenden Generationen von Genre- und überhaupt Filmfans ist er unsterblich – Dracula und Dooku, der Marquis St. Evremonde und der Duc de Richleau, Rasputin und George Jeffreys, Blind Pew und Resurrection Joe, Scaramanga Fu Manchu, Mycroft Holmes und Sherlock Holmes.
Uwe Sommerlad
Kommentare
Dem widerspreche ich. Bei manchen männlichen Kollegen galt Lee als steif und pompös (Julien Glover mag ihn mit zunehmendem Alter im Rückblick immer weniger) - bei den Damen beispielsweise nicht. Barbara Shelley z. B. singt noch immer sein Loblied, Veronica Carlson auch. Schauspieler der jüngeren Generation wie Johnny Depp oder der "jüngeren" Generation wie Sir Ian McKellen haben nur Nettes über ihn gesagt. Der Maskenbildner Roy Ashton, trainierter Operntenor, sang in der Schminke gemeinsam Arien mit ihm. Und natürlich waren Peter Cushing, Vincent Price, Robert Bloch wirklich enge Freunde von Lee.
Ganz pragmatisch - und diesen persönlichen Eindruck habe ich mir beispielsweise von Jonathan Rigby (der mit Lees Mitwirkung ein Buch über ihn schrieb) bestätigen lassen - war Lee außergewöhnlich schüchtern und unsicher und überspielte das mit einer fast übernatürlich anmutenden Gefasstheit, die als Kälte und Arroganz empfunden werden kann, durch die man aber hindurchblicken konnte, je öfter man mit ihm zu tun hatte - und Lee konnte prima über sich selbst lachen (das hat übrigens sogar Matthews bestätigt).
Ich falle schwerlich unter "seinesgleichen" und habe gänzlich andere Erfahrungen gemacht. Ich kenne auch eine ganz stattliche Anzahl von Fans, die noch heute schwärmen - im In- und Ausland.