Die vergessene Vergangenheit - DIE FILM REVUE: 1947, Wie alles begann
WIE ALLES BEGANN
Vermutlich steckte hinter Burdas Entscheidung, dem Karlsruher Verleger Karl Fritz 1962 seine Zeitschrift Film-Revue abzukaufen nicht nur der Wunsch nach Expansion, sondern auch die Aussicht auf dem Parkett der internationaler High Society zu glänzen, denn die Übernahme der FILM REVUE bedeutete gleichzeitig auch Deutschlands wohl glamouröseste und bekannteste Film-Gala, die Bambi-Verleihung, auszurichten.
Die meisten sehen aus wie Gert Fröbe als Otto Normalverbraucher in dem Film BERLINER BALLADE (Kinostart: 31.12.1948). Ein Gesicht wie ein Leichenschauhaus, gelblich-bleich, hohlwangig, mit großen, hungrigen Augen, die tief in den Höhlen liegen. Der letzte Anzug von der Stange schlottert um den mageren Körper wie ein ausgedienter Frack um eine Vogelscheuche.
So kamen die Frühheimkehrer aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause.
Unter ihnen war auch ein deutscher Hauptmann der Reserve, der einen alten Kameraden in Baden-Baden mit Beziehungen zum damaligen französischen Filmoffizier (der gelangweilt im beschlagnahmten Hotel Stefanie" residierte) hatte.
Baden-Baden war zu dieser Zeit Sitz der französischen Besatzungsbehörde.
Nun hegte dieser Hauptmann der Reserve eine große Liebe zum Film, und er besaß auch ein erstaunliches Organisationstalent. Er sagte zu seinem alten Kameraden: Wie wäre es, Herr Oberstleutnant, wenn wir eine Filmzeitschrift aufmachen wurden? Sie kennen doch den Monsieur Film vom Stefanie?" Der Oberstleutnant war von der Idee begeistert.
Der französische Filmoffizier gab seine Genehmigung und war sehr froh darüber, dass er in seinem Ressort endlich etwas zu tun bekam.
Sowohl die Franzosen als auch die Amerikaner, Engländer und Russen hatten in der damaligen Vierzoneneinteilung ihre eigenen Filmoffiziere, ohne die weder produziert noch über Filme geschrieben werden durfte.
Und da sowohl der Hauptmann der Reserve als auch der Oberstleutnant den Ehrgeiz hatten, die erste deutsche Filmzeitschrift der Nachkriegszeit in der französischen Besatzungszone aus der Taufe zu heben, mussten sie so lange im Stefanie-Vorzimmer sitzen, bis endlich der zuständige Hohe Kommissar, der gaullistische General König, unter der Ziffer
46/DGAA/Inf./Pr. vom 9. 6. 1947
den Entwurf der ersten Ausgabe der FILM-REVUE genehmigen ließ.
In einem ehemaligen Ladengeschäft in der Langestraße Baden-Badens etablierte sich im Juli 1947 der neue Verlag" mit ein paar wackligen Tischen und ausgedienten Schreibmaschinen, während die Redaktion" sich in der Privatwohnung des früheren Hauptmanns in Karlsruhe niederließ.
Das Wohnzimmer des Mitbegründers der FILM-REVUE war tagsüber Redaktion und abends gute Stube". Auf den gutbürgerlichen Möbeln lagen Häkeldeckchen und auf den Häkeldeckchen Schonerdeckchen. Man musste zudem aufpassen, dass man mit seinen Militärschnürschuhen nicht das Parkett zerkratzte.
Eine Schachtel Ami-Zigaretten kostete 90 Reichsmark. Der Erwerb eines Bleistiftes war zu jener Zeit Verhandlungsgegenstand von Redaktionskonferenzen. Für fünf Briefumschläge musste man ein Kilo alter Manuskripte ins Papiergeschäft tragen. Der Kampf ums Papier, um ein Farbband erzeugte täglich neue Spannungsmomente. Und jeder neue Tag brachte neue Überraschungen und neue Schwierigkeiten.
DER WINTER 1947/48 WAR SEHR KALT.
Das Brennmaterial war knapp und in Deutschland gab es noch keine Regierung, sondern nur die vier Militärverwaltungszonen.
Die Nummer 1, Jahrgang 1, der FILM-REVUE war erschienen. Sie bestand aus 12 Seiten. Vom holzigen, groben Papier blickte im blassen Offsetdruck das melancholische Gesicht der Marlene Dietrich.
Die 50.000 Exemplare, Preis 1 R-Mark, waren im Nu ausverkauft. Kein Wunder, denn die Leute hatten Papiergeld genug, aber die Zeitschriften waren knapp.
Der Verlag und die Redaktion der FILM-REVUE waren durch die Zonengrenze voneinander getrennt. Die Stadt Baden-Baden gehörte zur französischen und die Stadt Karlsruhe zur amerikanischen Besatzungszone. Für die Reisen von einer Stadt zur anderen, ganze 36 Kilometer, brauchte man ein sogenanntes Laisser-passer", einen Passierschein, wobei es nicht selten vorkam, das grimmige Militärpolizisten unterwegs manchen aus dem Zug holten, der sein Papier vergessen hatte.
Die Nummer 2, Jahrgang 1, der FILM REVUE war von den Franzosen zuerst lizenziert, dann aber verboten worden, denn Abschied von guten Bekannten", eine Doppelseite im Innern der Zeitschrift, hatte nachträglich das Missfallen der Franzosen erregt und musste eingestampft werden.
Die Doppelseite war ein absolut unpolitischer Nachruf auf verstorbene deutsche Filmschauspieler, darunter Heinrich George, der im russischen KZ elend umgekommen, und Hannes Stelzer, der den Fliegertod gestorben war.
So musste die Doppelseite ausgewechselt werden und wurde durch den Bericht Esprit und Charme französischer Filmkunst ersetzt.
Die Nr. 2 der FILM REVUE erschien also insgesamt zweimal. Dadurch war das Papier für Nr. 3 nicht mehr vorhanden. Es dauerte Wochen, ehe die dritte Ausgabe der FILM REVUE herauskommen konnte. Zum Glück gab es in dieser Zeit keine festen Erscheinungstermine, weder monatlich noch vierzehntäglich. Alles hing von der Papierbeschaffung ab.
Ein Problem für sich war die grafische Gestaltung der Zeitschrift, ein anderes die Wahl der Druckerei. Hier gab es von Ausgabe zu Ausgabe einen fast ständigen Wechsel. Die erste Grafik übernahm ein Werbe-Institut in Karlsruhe. Dann wurde ein Grafiker eingestellt, der auf Wunsch der Militärregierung mit einem französischen Grafiker zusammenarbeiten musste. Der Deutsche sprach jedoch kein Wort französisch, der Franzose dagegen konnte kein Wort Deutsch.
Wenn in den ersten Ausgabe der FILM REVUE dem französischen Film ein übertriebener großer Raum eingeräumt wurde, dann lag das keineswegs an einer besonderen Franzosenhörigkeit der Redakteure, sondern an den speziellen Wünschen des französischen Film-Offiziers, von dem die Macher der Zeitschrift auf Gedeih und Verderb abhängig waren, und an der Tatsache, dass es überhaupt noch keinen deutschen Verleih gab und infolgedessen so gut wie keine deutschen Filmbilder.
Jede der vier Besatzungsmächte erzwang in ihrem Bereich die Propagierung der Filme ihres Landes mit Hilfe ihrer eigenen Verleih-Organisation. Das war in der sowjetischen Zone der russische Progreß-Verleih, in der amerikanischen Zone die MPEA (als gemeinsame Vertretung aller amerikanischer Produktions- und Verleihfirmen), in der britischen die Eagle-Lion (Rank-Film) und in der französischen Zone die IFA.
Erst als die drei westlichen Zonen sich zu Trizonesien" zusammenschlössen, war ein freier Austausch der Filme der drei westlichen Länder möglich und damit die freie Berichterstattung über alle Filme. Und allmählich entstanden auch deutsche Verleihfirmen.
Zu Weihnachten 1947/48 brachten die Macher der FILM-REVUE erstmals eine relativ anständige Doppelnummer in gutem Kupfertiefdruck auf den Gabentisch. Aber welche Schwierigkeiten hatte es gekostet, bis es soweit war.
© by Ingo Löchel
Kommentare
SPANNEND !
Kann's kaum erwarten, wie es weiter geht.
Habe alle diese ersten Ausgaben noch.
Wo kommen die Infos dieser alten Zeit her?
Und welches war die letzte Ausgabe der Film Revue?
Gibt es Literatur über dieses Thema?
Jürgen Hempel
Die Informationen habe ich aus diversen Zeitschriften aus den 1950er und 1960er Jahren zusammengesucht und für den Artikel zusammengefasst.
Leider gibt es zu diesem Thema - meines Wissens - keine Literatur. Was schade ist.
Gruß
Und ich sonst niemanden mehr kenne der noch lebt der mur etwas über ihn erzählen kann...
er schrieb auch das Buch GESICHT UNTERM HELM. LG
Ich besitze die Filmrevue von 1950 -60 komplett, ebenso ca. 10 000 Filmprogramme. Wer Kontakt aufnehmen will bzw. etwas sucht, der kann dies über meine Mailadresse gerne tun.