Brauchts das? - Wilhelm Scream


Nach Studium diverser Unterlagen sind sich Filmhistoriker soweit einig, dass wohl am wahrscheinlichsten der Sänger Sheb Wooley im Auftrag der Warner Bros. an jenem Tag ins Studio gerufen wurde, um kräftig ins Mikrofon zu schreien. Wooley hatte die winzige Rolle des Soldaten Jessup schließlich auch auf der Leinwand gespielt. Während man Archiv-Geräusche penibel katalogisierte, war man beim Feststellen ihrer Herkunft weniger zuverlässig. Wozu auch, es war nur ein Geräusch. Wooleys Witwe hingegen bestätigte in einem Interview ihren Mann als Verursacher des Schreis für die eigene Rolle.
Sechs Mal kreischte der vermeintliche Sheb Wooley in verschiedenen Längen und Tonlagen auf Band. Bei der durchgehenden Archiv-Aufnahme ist es der fünfte Schrei bei Sekunde 21. Im Archiv von Warner blieb die Aufnahme mit dem Titel Mann wird von Alligator gebissen und er schreit nur zwei Jahre. Bis für CHARGE AT FEATHER RIVER DER BRENNENDE PFEIL für den von einem Pfeil getroffenen Soldaten Wilhelm in der Postproduktion ein Schrei benötigt wurde. Dem Schauspieler Ralph Brooks wurde einfach eine fremde Stimme verpasst.

Ben Burtt und sein Kommilitone Richard Anderson studierten Anfang der Siebziger an der University of Southern California. Für ihren Abschlussfilm 1974 besorgten sie sich nicht etwa aus dem Archiv von Warner, sondern von der Tonspur eines anderen Films den beiden Studenten bekannten Schrei des Soldaten Jessup. Eine persönliche Hommage mit Folgen.

Richard Anderson, der für Spielberg Ton machte, konterte umgehend bei POLTERGEIST mit dem Wilhelm Scream, was Burtt sofort bei RAIDERS OF THE LOST ARK beantwortete. Zwischen den Freunden entwickelte sich das Spiel, den Schrei in Produktionen des jeweils anderen zu entdecken. Nach Burtts eigenen Aussagen ließen die großen Regisseure die beiden ohne Einwände gewähren, so schaffte es Wilhelm in fast alle George-Lucas- und Steven-Spielberg-Filme. Doch auch Regisseur Joe Dante war, unabhängig von Burtt oder Anderson, auf Wilhelm aufmerksam geworden und ließ ihn schon von seinem ersten Film 1976 an Verwendung finden.
Als Toningenieur musste Filmhistoriker Steve Lee zwangsläufig früher oder später über diesen Insider-Scherz stolpern. 2005 veröffentlichte er einen Internet-Artikel über den Toneffekt. Bis dahin war der WILHELM SCREAM schon über 130 Mal eingesetzt worden. Unter Filmkennern und -liebhabern war der Schrei keineswegs ein Geheimnis, doch mit Steve Lees Internet-Publikation wurde aus dem internen Wilhelm ein öffentlicher, etwas zu breitgetretener Kult. Der Spaß, den sich Tonkollegen und Regisseure über die Jahre untereinander gegönnt hatten, verlor sehr abrupt seinen Reiz.
Ben Burtt äußerte sogar seine Enttäuschung über die offene Popularität des WILHELM SCREAM und entschloss sich, den Toneffekt nach STAR WARS - EPISODE 3 nicht mehr zu verwenden. Ein bedauerlicher Protest, der an die Adresse von Steve Lee gerichtet war. Und auch Joe Dante hat jede Motivation an der weiteren Verwendung des Schreis verloren, da der aus dem kleinen Spaß erwachsene überbordende Rummel das Wesentliche überdecken würde.
Aber ein Kult ist kaum zu stoppen. Und neben Peter Jackson gibt es viele weitere Filmschaffende, die sich bereits die Schuhe von Burtt, Anderson und Co. angezogen haben. Wie zum Beispiel Jon Favreau, der den in den letzten fünf Jahren aberwitzig inflationär benutzten Schrei in IRON MAN 2 loslassen möchte. Damit füttert er die unersättliche Fan- und Filmgemeinde mit einer weiteren Zuckerstange, die in diversen Foren und beim Twittern einige Kalorien ansetzen kann.
Marketing-Kampagne oder doch nur liebevolle Hommage? Wer möchte da schon urteilen müssen. Als Ben Burtt sich im zarten Alter nachts die Kopfhörer aufsetzte, um bei verschiedenen Filmen Donnergrollen, Pistolenschüsse und Todesschreie zu vergleichen, da durfte Film noch ein großes, zu ergründendes Geheimnis sein.
Bildquellen: Time Inc., Lionsgate Entertainment, Warner Bros.
Kommentare
Ein gut und flüssig geschriebener Artikel ohne Rechtschreibfehler, den ich in einem Rutsch gelesen habe, obwohl mich das Thema nicht interessierte.
Vielen Dank dafür!
Aber Des Romero hat recht: ein interessantes Thema. Da plaudert einer aus dem Nähkästchen Hollywoods. Hat mir gefallen.
Na Mahlzeit, mit Lob kann ich ja gar nicht umgehen.
Aber es ehrt mich, vielen Dank. Das hebt mein ohnehin
übertriebenes Selbstbewusstsein.
Leider muss ich zugeben, das es immernoch Dinge
gibt, die ich lernen kann. Deswegen, lieber Michel,
würde ich mich über Hinweise auf Rechtschreibfehler
ausnahmsweise freuen. Soll ja hier nicht wie Kraut
und Rüben aussehen.
Na super, Michel. Erst die Hunde scheu machen und
dann einfach abtauchen. Jetzt musste ich mich selbst
da durch ackern. Wenigstens ist jetzt alles im Lot.