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Ringo´s Plattenkiste - Grateful Dead: Terrapin Station

Ringo´s PlattenkisteGrateful Dead: Terrapin Station

»Music was my first love« sang John Miles anno 1976. Meine auch, sieht man von Uschi L. mal ab, der blonden Nachbarstochter, mit der ich im zarten Alter von 6 Jahren fast täglich zusammen war. Bis sie wegzog. Mit ihren Eltern natürlich.

Aber um die geht es hier nicht, sondern um Musik. -

Einzig und allein.

Ringo´s PlattenkisteGrateful Dead waren eine Band aus San Francisco, die verschiedene Stile in ihrer Musik kombinierte. Die Dead waren lange Zeit künstlerisch und musikalisch unabhängig, allerdings änderte sich dies wie für viele Bands grundlegend 1977. In diesem Jahr erschien das Album Terrapin Station, das von Fans und Kritikern sehr gemischt aufgenommen wurde.

1965 gegründet, nahm die Formation bald eine wichtige Position innerhalb der US-amerikanischen Musikszene ein. Kern der Truppe waren neben dem Gitarristen Jerry Garcia, Phil Lesh, Bob Weir und Bill Kreutzmann. Der musikalische Stil der Band war bunt und reichhaltig. Sie mischte ungeniert Psychedelic, Country, Blues, Bluegrass und vieles andere und kreierten daraus ihren ganz eigenen und unverwechselbaren Stil. Grateful Dead wurden schnell zu einer Hippie-Ikone, und so spielten sie 1969 sogar auf dem legendären Woodstock-festival, obwohl dies wenig bekannt ist. Tatsächlich ist der Auftritt der Band weder im Film, noch auf dem Soundtrack zu hören. Lediglich der Bootleg bringt einen Mitschnitt des Gigs, leider aber in einer sehr schlechten Qualität.

Nach diversen Um- und Neubesetzungen, unter anderem bedingt durch den Tode des langjährigen Keyboarders Ron „Pigpen“ McKernan, fand die Band – ergänzt durch Mickey Hart, Keith & Donna Godchaux – dann Ende der Siebziger zu einer vorläufig festen Besetzung, mit der auch das vorliegende Album Terrapin Station aufgenommen wurde. Das Line-up zum Zeitpunkt der Aufnahmen sah folgendermaßen aus:

  • Ringo´s PlattenkisteJerry Garcia (Gesang, Gitarre)
  • Bob Weir (Gitarre, Gesang)
  • Phil Lesh (E-Bass, Gesang)
  • Bill Kreutzmann (Schlagzeug)
  • Mickey Hart (Schlagzeug)
  • Keith Godchaux (Keyboard)
  • Donna Godchaux (Gesang)
  • Robert Hunter, John Perry Barlow (Songwriter)

Terrapin Station ist das neunte Studioalbum der Band und unterscheidet sich grundlegend vom bisherigen Oeuvre. Zum einen ist es das erste Album seit 1968, bei dem die Band nicht selbst als Producer tätig war, zum anderen wurde es von einem großen und professionellen Label verlegt. Als ausführender Produzent fungierte Keith Olsen, der zuvor schon mit Fleetwood Mac, Eric Burdon und anderen zusammen gearbeitet hatte. Olsen war hauptsächlich für den ungewohnten Sound und die Orchestrierung verantwortlich.

Hier die Tracklist des Original-Albums:

  • Estimated Prophet
  • Dancin' in the Streets
  • Passenger
  • Samson and Delilah
  • Sunrise
  • Terrapin Station
  • Lady With A Fan
  • Terrapin Station
  • Terrapin
  • Terrapin Transit
  • At a Siding
  • Terrapin Flyer
  • Refrain

Kommen wir nun zu den einzelnen Songs.

Estimated Prophet ist ein sehr relaxter und grooviger Reggae (!) aus der Feder von Sänger und Gitarrist Bob Weir. Eingängig und poppig produziert wie der Song ist, muss dies wohl ein Graus in den Ohren der Deadheads gewesen sein.

Dancin' in the Streets ist eine Coverversion eines Songs von Martha and the Vandellas, geschrieben von Marvin Gaye und kommt unbeschwert und funky daher.

Passenger stammt vom Bassisten Phil Lesh, und ist ein Pastiche des Fleetwood Mac Songs Station Man. Den Text verfasste der buddhistische Mönch Peter „Monk“ Zimels.

Samson and Delilah ist ein weiterer Coversong eines traditionellen Gospel-Blues von Reverend Gary Davis. Gitarrist Bob Weir ließ sich hierfür extra einige Spieltricks vom Reverend selbst zeigen.

Sunrise ist eine wunderschöne und eindrucksvolle Ballade von Donna Godchaux, die selbst singt. Der Song schließt die erste Plattenseite stimmungsvoll ab.

Seite 1 ist bunt gemischt und stilistisch vielseitig, kann aber leider nicht durchgehend überzeugen. Die Produktion wirkt eine Spur zu sauber und  glatt und klingt sehr kommerziell, was die Fans der Band auch vorwarfen, und auch die Kritiker etwas verstörte. Jerry Garcia sagte später, die Produktion sei viel professioneller gewesen, als sie selbst dazu imstande gewesen wären. Ob er mit „professioneller“ ein wenig Ironie mit ins Spiel bringt, sei dahingestellt. Eine witzige Anekdote weiß zu berichten, auf welche Art und Weise Producer Keith Olsen es schaffte, für wichtige Aufnahmen alle Mitglieder der band komplett im Studio zu halten: Sobald alle Deads drinnnen waren, wurden die Türen vernagelt, so dass niemand mehr raus oder auch rein konnte.

Kommen wir zu Seite 2, die  dem Titeltrack vorbehalten ist: Terrapin Station, neben Sunrise der Höhepunkt des Albums.

Es handelt sich um eine Art Suite in sieben Sätzen, musikalisch völlig anders, als der bisherige Grateful Dead Output und in bester Progressive-Rock Manier mit Orchester und Chor garniert. Die Entstehung des Songs – glaubt man der Legende - basiert auf einer Suite, zu der Songwriter Robert Hunter im Angesicht eines Sturms inspiriert wurde, während zeitgleich Jerry Garcia während einer Autofahrt die Idee zu einer Melodie hatte, die ihn nicht mehr losließ. Garcia wendete den Wagen, kehrte nach Hause zurück und schrieb die Melodie auf, bevor er sie vergaß. Als sich Hunter und Garcia dann das nächste Mal trafen, erzählte ihm ersterer von seiner Suite, worauf Garcia antwortete: „ Ich habe die passende Melodie dazu“. So weit so gut, Hunters Suite wurde dann auch tatsächlich das titelgebende Kernstück des Albums, wenngleich auch nicht im vollständigen Umfang. Hunters Ideen wurden nur teilweise von Garcia und seiner Band aufgegriffen und umgesetzt. Immerhin, Der Titeltrack nimmt – auch wenn „nur“ 16 Minuten lang – die ganze Seite 2 ein.

Das Stück beginnt trotz eines Rhythmus mit leichten Reggae-Anleihen wie ein typischer Grateful Dead Song mit (endlich!) Jerry Garcias sanfter, weicher Stimme und seinem unverkennbaren verträumten und leicht melancholischen Gitarrenspiel. Schon bald entwickelt sich daraus aber ein abwechslungsreiches und aufwendig instrumentiertes Opus daraus. Der Track ist ein Stück pompöses und proggiges Stück Klassik-Rock, komplett mit Streichern, Flöten, Bläsern und schließlich einem Chor. Dass dies mit der Band so nicht abgesprochen war, dürfte klar sein. Hatte man sich nach Beendigung der Basic-Tracks schleunigst wieder auf Tour begeben, nutzte Producer Keith Olsen derweilen die Zeit, um Terrapin Station aufzumotzen. Er begab sich hierfür eigens nach England, um sich mit dem Arrangeur Paul Buckmaster zusammen zu tun und aufzunehmen. Die Arrangements fügen sich erstaunlich harmonisch in den Song ein und wirken trotz allem Bombast und Pathos doch nie gekünstelt oder aufgesetzt.

Gegend Ende der Suite ist ein wildes Gitarrensolo zu hören, das von Jerry Garcia stammt. Aufgenommen wurde es bei halber Geschwindigkeit wie es zu hören ist, und wurde dann via Synthesizer  schneller abgespielt, ohne dass sich dabei die Tonhöhe änderte. Das Ergebnis erinnert ein wenig an den Sound Al DiMeola´s.

Die Band war, zurückgekehrt von ihrer ihrer Tour, aber dennoch weitgehend zufrieden mit dem Resultat, allerdings nicht in allen Dingen. So wurde zum Beispiel das dem wilden Drum-Duett auf Terrapin Flyer übergestülpte Orchester nicht gut geheißen. Olsen hatte kurzerhand das Timbale-Solo Mickey Hart´s entfernt und durch ein Streicher-Arrangement ersetzt.

Olsen nahm aber nicht nur hier einschneidende und eigenmächtige Änderungen vor, sondern auch auf der ersten Plattenseite. So bauschte er Sunrise mit Orchester und Chor auf, verlieh Donna Godchaux´s Stimme auf Estimated Prophet einen multiplen Sound, und setzte auf einigen Tracks auch Saxophon und Lyricon, gespielt von Tom Scott, ein.

Terrapin Station mag zwar ein untypisches Grateful Dead Album sein, ist aber ein wunderbares und immer wieder neu entdeckbares Stück Rockgeschichte. Die Band, dem Progressive Rock in keinster Weise nahe oder verbunden, schüttelt sich scheinbar spielerisch ein derartiges Album aus dem Ärmel, und das zu einer Zeit, als Prog schon wieder ein alter Hut war.

Das Album wurde im Juli 1977 veröffentlicht und fand gemischte Resonanz. Während sich einige Kritiker durchaus lobend über die Platte äußerten, waren viele der langjährigen Fans enttäuscht. Das war so gar nicht der Sound, den man von The Dead gewohnt war und weiterhin hören wollte.

Ringo´s PlattenkisteDas Cover ziert ein märchenhaft schönes Bild aus den Kelley/Mouse Studios, die bereits schon zuvor für die Band tätig waren. Eine der bekanntesten Arbeiten des Künstlerkollektivs sind die „Schwingen“ der Band Journey.

Das Hauptmotiv der Platte sind zwei gut gelaunte, musizierende und tanzende Sumpfschildkröten – Terrapins – an einer Bahnstation. Es visualisiert den Albumtitel, obwohl im Text selbst gar keine Schildkröten erwähnt werden. Die Rückseite ziert ein mit Rosen und Federn geschmückter einäugiger Totenschädel. Eine wahre Pracht! Unnötig zu erwähnen, dass ich mir das Album seinerzeit nur aufgrund des Covers zulegte. Von der Band selbst hatte ich zuvor noch nie etwas gehört, aber das Cover sprach mich an. Einige Jahre später habe ich das Motiv auf eine alte Jeans gemalt. Leider hatte der Weiße Wilson eine Macke und spielte die erste Plattenseite nur mit permanenten Kapriolen und Sprüngen. Zur Hölle mit ihm!

Das Album wurde 1986 erstmals auf CD veröffentlicht, und danach in wechselnder Aufmachung immer mal wieder. Mir liegt das Release von 2004 vor. Hübsch verpackt im  Digipak mit Booklet und satten 40 Minuten Bonusmaterial. Darunter sind 5 Songs, die zwar als Basictracks fertig aufgenommen wurden, auf dem Album aber keine Verwendung fanden, sowie eine viertelstündige Live-Version von Dancin´in the Streets.

Wer´s abwechslungsreich mag, auf gut gespielte Musik und tolle Cover steht, der ist hier bestens bedient!

P. S.: Von der Besetzung sind bereits zwei nicht mehr am Leben. Keith Godchaux erlag 1980 im Alter von 32 Jahren den Verletzungen eines Autounfalls. Jerry Garcia verstarb 1995 als 53-jähriger an einem Herzinfarkt.

 

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Kommentare  

#1 Heiko Langhans 2019-01-14 06:43
53 ist zwar richtig; gestorben ist Jerry Garcia aber erst 1995. Und John Perry Barlow ist letztes Jahr von uns gegangen.
#2 Ringo Hienstorfer 2019-01-15 12:37
Danke für die Barlow-Info!
Das angegebene Todesjahr Garcias war natürlich ein Tippfehler. :-*

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