Ringo´s Plattenkiste - Babe Ruth: First Base
Babe Ruth (1895-1948) war eine amerikanische Baseball-Legende. Was der mit Musik zu tun hat? Nix. Sieht man mal davon ab, dass er der Namensgeber für eine britische Hardrock-Band der frühen Siebziger war. Was aber hat ein Baseball-Spieler mit Rockmusik zu tun? Ebenfalls nix. Vermutlich fanden die Musiker den Namen originell, wohlklingend oder nur cool. Die Namensgebung bei Rockbands war ja schon immer ein wenig seltsam, was deutlich wird, wenn man die Bandnamen ins Deutsche überträgt, bzw. ein deutsches Äquivalent dazu sucht.
Die Rollenden Steine klingt nicht wirklich überzeugend, oder? Rosa Floyd wohl auch nicht. Genauso wenig wie Gekrümmte Luft oder Hitze in Dosen. Klingt alles blöd. Aber wie man auch heutzutage Euro-Preise nicht in DM umrechnen sollte, ist es besser, wenn man englische Bandnamen nicht übersetzt. Ich tu`s aber dennoch und frage mich jedes Mal, was sich die Musiker wohl dabei gedacht haben. Warum sich aber eine britische Band aus Hatfield/Herfordshire ausgerechnet nach einem Star einer in ihrer Heimat nicht gerade populären Sportart benannt hat, bleibt schleierhaft. Genauso gut hätten sie sich ja auch Bubi Scholz, meinetwegen aber auch Rosi Mittermaier nennen können. Haben sie aber nicht, und daher ist es auch egal und nebensächlich. In der Plattenkiste geht es ja auch um Musik.
BTW: aus Hatfield/Herfordshire stammen auch Mick Taylor, ehemals Gitarrist der Rolling Stones, sowie Guy Ritchie. Letzterer war einer der Ehemänner von Madonna. Mit Madonna hat die Band auch über mehrere Ecken was zu tun, genauso wie mit den Rollenden Steinen. Zurück zum Thema.
Babe Ruth ging direkt aus der kurzlebigen Formation Shacklock hervor, gegründet von Mastermind Alan Shacklock im Jahre 1971, aber schon bald umbenannt in eben Babe Ruth. Klang wohl auch besser als Shacklock, was (zumindest bei mir als Ronald Chetwynd-Hayes Fan) unweigerlich Assoziationen zu Shadmock hervorrief. Was ein Shadmock ist, erkläre ich hier aber bei aller Liebe zum Ausschweifen nicht. Das müsst ihr schon selber rausfinden.
Nur soviel: ein Shadmock pfeift.
Alan Shacklock war kein unbeschriebenes Blatt, er spielte bereits im zarten Alter von 12 Jahren in einer Band namens The Juniors zusammen mit dem späteren Rolling Stone Mick Taylor, sowie Jethro Tull`s John Glascock. 1964 veröffentlichten die Juniors sogar eine Single: There`s a pretty Girl.
Alan verließ die Juniors und ging zu Chris Farlowe`s The Thunderbirds, blieb aber auch dort nicht sehr lange. Er beschloß, klassische Gitarre zu studieren. Was er auch tat. Nach erfolgreichem Abschluß gründete er mit Hewitt, Punshon und Powell die Band Shacklock. Über Punshon und Powell ist recht wenig bekannt. Über Powell wissen wir zumindest, dass er der Bruder des stets kaugummikauenden Slade-Drummers Don Powell ist.
Nachdem ein Plattenvertrag bei EMI ergattert war, meldete sich die gerade mal 18-jährige Jenny Haan auf eine Annonce im Melody Maker und stieß als neue Sängerin hinzu und die Band erhielt ihren endgültigen Namen.
Obwohl gebürtige Engländerin, verbrachte Jenny Kindheit und Jugend in den USA, genauer gesagt in San Francisco. Vermutlich stammte der Namensvorschlag Babe Ruth aber nicht von ihr, sondern von dem US-stämmigen Manager der Band. Haan war aber wohl die einzige, die mit dem Namen etwas anzufangen wusste. Witzigerweise wurde vom Publikum und den Fans außerhalb der USA immer assoziiert, dass mit Babe Ruth Jenny Haan gemeint war. (Ach, Sie sind bestimmt die Ruth? Wie heißen Sie denn mit Nachnamen?). Das Line-up war komplett und sah aus wie folgt:
Obwohl die spielfreudige und technisch versierte Band vorrangig auf Hard Rock setzte, glänzte sie auch durch ruhigere Songs und eigenwillige Coverversionen.
Zur damaligen Zeit hatten sie es neben den noch jungen und aufstrebenden Supergruppen wie z.B. Led Zeppelin, Uriah Heep und Black Sabbath nicht leicht. Trotz des eigentlich ermutigenden Signs bei dem damals schwer angesagten Label Harvest. Dort waren unter anderem berühmte Acts wie Pink Floyd, The Edgar Broughton Band, Braclay James Harvest und Deep Purple unter Vertrag. Alle knorke (so sagte man damals) und zur ersten Liga gehörend. Newcomer hatten es recht schwer sich zu behaupten, bzw. wurden sie stets an ihren Labelkollegen gemessen. So ging es auch Babe Ruth. Die Band nahm ein Album auf und tourte danach intensiv, um es zu promoten. Eine kleine und treue Anhängerschaft hatten sie schon. Allerdings nicht in ihrer Heimat, sondern in der neuen Welt, genauer gesagt in Kanada und Nordamerika, der Heimat des Kaugummis und Baseballs. Egal. Zuerst ging es ins Studio, wo der Erstling aufgenommen wurde.
Über die Aufnahmen des Albums ist leider wenig bekannt, nur dass sie vom Juni bis September 1972 in den EMI Abbey Road Studios stattfanden.
First Base erschien im November des Jahres im schicken und verkaufsfördernden Roger Dean Cover. Dean entwarf übrigens auch das berühmte Logo des Labels und stellte – ganz altruistisch - Shacklock einem Mitarbeiter Harvests – Nick Mobbs vor, der ihn im Anschluss auch mit der Covergestaltung beauftragte. Interessant, wofür plakativer (im Sinne von „besonders einprägsamer“) Altruismus alles gut sein kann. Dean hatte sein Atelier neben dem Proberaum der Band und daher kannten sich er und Shacklock auch. Die Idee zum Motiv stammte von der Band selbst.
Das Artwork war übrigens neben dem Soundtrack zu Roman Polanski`s Macbeth (Third Ear Band) Deans einzige Arbeit für Harvest.
Interessant, nicht wahr?. In der imaginären Prog-Kneipe nebenan kann ich übrigens mit derlei Wissen ungemein protzen und die schärfsten Bräute abschleppen.
„Noch ein Bier, Ringo, und dann zu mir?“
„Klar, Babe. Darf ich Dich Ruth nennen? Ich zeig Dir auch, was ein King Kong ist“.
„Oh ja, aber nur für a few Dollars more!“
Die Tracklist des Albums sah aus wie folgt:
Eröffnet wird mit Wells Fargo, einem treibenden und funky Rocksong aus Alan Shadmocks Feder, der zu einem der Liveklassiker der Band werden sollte und gerne als Zugabe gespielt wurde. Ein fantastischer und mitreißender Song mit einer leidenschaftlichen Jenny Haan und richtig geilen und wohldosiert eingesetzten Bläsern. Blechbläsern.
Alles perfekt arrangiert und richtig groovy und fetzig (so sagte man damals)in Szene gesetzt. Hard Rock trifft Motown. Wells Fargo ist eine verdammt affengeile (auch so sagte man damals) Nummer, bei der man auch heutzutage –trotz fortgeschrittenen Alters – fast nicht ruhig auf seinem Ikea-Bürostuhl sitzenbleiben mag.
Shacklock war ein großer Freund des Motown-Sounds und schwarzer Musik, was hier ganz deutlich zum Ausdruck kommt.
Mit The Runaways folgt eine ruhigere Nummer. Die Musik stammt wieder von Shaddy, der Text von einem David Whiting. Keine Ahnung, wer das ist oder war.
The Runaways ist eine wunderschöne Nummer mit Jenny Haans ebensolchem Gesang, die diesmal nicht wie zuvor bei einem multiplen Orgasmus schreit und stöhnt. Begleitet wird sie von verspieltem Piano und träumerischen Streichern und Oboen. Was leicht in Kitsch und Selbstgefälligkeit ausarten könnte, aber es definitiv nicht tut. Auf diesem Track spielt diesmal nicht Powell die Drums, sondern Jeff Allen von East of Eden. Powell musste seinen Bruder im Krankenhaus besuchen, da dieser einen Kaugummi verschluckt hatte. Noddy Holder war auch da und fragte nach der Telefonnummer Jenny Haans. Nein, natürlich nicht. Ist bösartiger Quatsch. Alles Lüge. Aber Jeff Allen spielte wirklich Drums. Warum auch immer.
The Runaways ist ein sich langsam steigernder, und trotz der repetiven Melodieführung nie abgeschmackter Song, den man sofort wieder anhören möchte, bzw. sogar muss. Und auch sollte. Wie ich. Meine Finger kommen kaum weg von der Repeat-Taste der Fernbedienung.
Was könnte nun nach zwei derart grandiosen noch überraschen? Genau. Eine Coverversion.
Babe Ruth spielten aber nicht irgendeinen belanglosen Scheiß nach, sondern nahmen sich Frank Zappa`s King Kong vor. Im Original veröffentlicht auf dem 1969er Mothers of Invention Album Uncle Meat, aufgenommen zwischen 1967-1968. Ein äußerst schwieriges Stück, das im Original von diversen Improvisationen und Soli der einzelnen Musiker lebt. Getragen wird der Song bei Zappa in erster Linie vom Saxophon, während er bei Babe Ruth von Gitarre und Keyboards dargeboten wird. King Kong wurde übrigens in einem einzigen Take aufgenommen, gänzlich ohne Overdubs. Was man auf der Platte hört, ist, was die Band im Studio spielte. Reife Leistung.
Seite eins endet damit auch, und man ist versucht, sie einfach noch einmal zu hören. So grandios ist sie nämlich.
Wir aber legen stattdessen Seite zwei auf.
Und die beginnt melancholisch und langsam mit Black Dog, einem Song aus der Feder von Jesse Winchester, einem 2014 verstorbenen Singer/Songwriter der Country- und Folk-Szene. Der schwermütige Text wird von Jenny Haan leidenschaftlich und kongenial begleitet von ihrer Band vorgetragen, als ob es kein Morgen gäbe. Black Dog beginnt sehr ruhig und getragen, das Piano dominiert, aber schon bald entfaltet der Song sein gesamtes kreatives und emotionales Potential. Wo anfangs noch gemäßigt und getragen gesungen wurde, so wird nun leidenschaftlich gesungen, geschrieen und angeklagt. Das Piano ist einer verzweifelten Gitarre gewichen, Bass und Schlagzeug wetteifern mit Jennys Gesang und Shadmocks Ausbrüchen, und irgendwann, nach viel zu kurzen acht Minuten ist Schluss. Meine Fresse, was für ein Opener einer zweiten Plattenseite!
Was kann denn jetzt noch mehr kommen, fragt man sich. Natürlich der absolute, absolute Höhepunkt der Platte…
.. The Mexican. Nicht nur ein Song, sondern der Babe Ruth-Song schlechthin.
Es handelt sich hierbei um eine grandiose und zeitlose Hommage an die Italo-Western der Siebziger, für die Shacklock eine besondere Vorliebe hatte. Der Song beginnt mit klassischer, spanischer Gitarre, und bald setzt Jennys Gesang ein.
Die mitreißende und treibende Nummer überrascht zwischendurch mit einer Version Ennio Morricones Thema zu „Für ein paar Dollars mehr“. Shacklock kam während der Aufnahmen die Idee, dass es cool wäre, wenn der Song in diese Melodie übergeht. Drummer Powell wurde angewiesen, den Rhythmus konstant und unverändert, vor allem ohne Fill-ins, zu spielen, während Shacklock Morricones weltberühmte Melodie darüber spielte. The Mexican war übrigens der erste Song, den die Band im Studio aufnahm. Der Text behandelt etliche, historische Ungereimtheiten des John Wayne Klassikers The Alamo.
In den Neunzigern erlangte der Song wegen seines kraftvollen Basslaufs und des lateinamerikanischen Einschlags einen großen beliebtheitsgrad in der Breakdance-Szene. Sogar ein Breakdance-Wettbewerb war nach einem Textauszug des Songs benannt: Chico got to have this share.
The Mexican wurde im Laufe der Zeit mehrmals gecovert, bzw. gesampled. Unter anderem existiert ein Remix von Madonnas früherem Partner Jellybean, sowie von GZA, einem Wu-Tang-Clan Member. Auch die deutsche Metalband Halloween coverte den Song mehr oder weniger gelungen auf ihrem Album Metal Jukebox.
Das Album schließt mit dem Longtrack Joker ab, abermals von Shacklock. Ähnlich wie der Opener von Seite eins handelt es sich hier um eine sehr rockige Nummer mit Funk-Einflüssen. Shaddys Stimme ist diesmal im Vordergrund, Jenny begleitet und kommentiert ihn aber gesanglich im Background. Kaum hörbar hingegen sind die Percussions von Gasper Lawal, einem nigerianischen Trommler.
First Base war in den Uk nur ein bescheidener Erfolg, dafür verkaufte es sich aber überaus erfolgreich in den USA und Kanada, wo es auch Goldstatus erreichte. Ausgekoppelt wurden 2 Singles: Wells Fargo (mit Theme From 'A Few Dollars More auf der B-Seite), und 1973 dann The Mexican (mit Wells Fargo auf der Rückseite).
Die Band ging auf ausgedehnte Tour um das Album zu promoten. Shacklock erinnert sich, dass bei einem Konzert in Milwaukee eine Band namens ZZ Top als Vorgruppe spielte. Die Musiker waren von ihrem Erfolg in den Staaten selbst überrascht, spielten sie in ihrer Heimat ja vor kleinerem Publikum.
Der Erfolg lag zum einen wohl in ihrer eher unbritischen Art begründet, zum anderen aber vornehmlich in der gewaltigen und ungebremsten Zügellosigkeit ihrer Live-Performances. Es gab keine aufwendigen Bühnendekorationen, keine Lightshows, keine prog-typischen Kostüme. Dafür aber hatten sie eine dominante und übergroß präsente Frontfrau, die nicht nur ausnehmend hübsch war, sondern auch keine einzige Sekunde stillstehen konnte. Übergroß ist hier im übertragenen Sinne zu verstehen.
Tatsächlich ist Jenny eher klein, was die Körpergröße betrifft. Sie war eine Mischung aus Janis Joplin, Grace Slick und Playmate, das auf der Bühne aus voller Kehle sang, schrie und akrobatische Verrenkungen aufführte. Ihre Stimme war irgendwo zwischen Burke Shelley (Budgie) und Robert Plant. Jenny Haan war auf der Bühne omnipräsent und stellte ihre Mitmusiker in den Schatten. Unglaublich, wie sie wütend und leidenschaftlich aus tiefstem Herzen sang und brüllte, gleichzeitig das Bein bis über den Scheitel warf und danach im hautengen Dress zitternd und vibrierend über die Bühne wischte und zuckte wie ein Zitteraal.
Genial ergänzt wurde sie dabei von dem ungemein talentierten Gitarristen Alan Shacklock, der sich seine Kompositionen und Melodien scheinbar aus dem Ärmel schüttelte. Auf Platte kommt dies nur ansatzweise zur Geltung, aber Live war diese Band ein Vulkan.
Wer möchte, kann sich ein Konzert auf Youtube ansehen, und erfahren, was ich meine:
Ungeachtet des Erfolgs in der Neuen Welt und wohl aufgrund der damit verbundenen Strapazen des Tourings, verließen die Mitglieder die Band nach und nach.
Als erster schied Dick Powell aus, der von dem wesentlich talentierteren Ed Spevock ersetzt wurde. Powell war mit Sicherheit kein schlechter Drummer, allerdings fehlte es ihm an Kreativität und Tempo. Er war mehr eine lebende Drum-Machine, denn ein Schlagzeuger.
Keyboarder Dave Punshon schied während der Aufnahmen zum zweiten Album Amar Caballero aus und wurde kurzzeitig durch Chris Holmes ersetzt, bevor Steve Gurl (vorher bei Ex-Jethro Tull`s Glenn Cornick`s Wild Turkey)die Tasten übernahm. Amar Caballero war zuerst vermutlich als Solo-Album Alan Shacklock´s geplant, erschien aber dann letztlich doch als Babe Ruth Platte. Auf den Aufnahmen kommt Shacklocks Liebe zum Italowestern wesentlich stärker stark zur Geltung als beim Erstling, ebenso sein überaus talentiertes Songwriting.
Der scheinbar stets unruhige Alan Shacklock stieg nach dem dritten und selbstbetitelten Album aus und wurde von Bernie Marsden ersetzt. Nachdem auch Dave Hewitt und Jenny Haan die Band verließen, war schließlich kein einziges Ur-Mitglied mehr übrig. Nach dem kaum noch erwähnenswerten letzten Album Kid`s Stuff von 1976 lösten sich Babe Ruth auf. Marsden ging zu Paice, Ashton, Lord und danach zu Whitesnake. Und das war`s dann auch mit Babe Ruth.
2005 fanden einige der ursprünglichen Mitglieder wieder zusammen und nahmen gemeinsam ein neues Album auf: Que Pasa. Gewohnt druckvoll, aber leider etwas zu glatt und oberflächlich produziert. Bemerkenswert sind wieder Shacklocks Songwriting und Jenny Haans Vocals. Insgesamt ist die Scheibe aber kein Vergleich zum fulminanten Erstling, bietet aber dennoch gelungenen und hörbaren AOR mit Italowestern-Einschlag. Auf dem Album ist übrigens der Klassiker The Mexican erneut vertreten.
Was machen die Mitglieder heute?