Ringo´s Plattenkiste - Ron Geesin & Roger Waters: Music from the Body
Ron Geesin & Roger Waters: Music from the Body
Mit Soloalben bekannter Musiker ist das so eine Sache, ebenso wie mit Kollaborationen oder Soundtracks, an denen sie beteiligt waren. Meist kommt dabei nichts wirklich Interessantes dabei heraus. Gerade bei Soloalben huldigt der Musiker einer bekannten Band hauptsächlich seinem Ego nach dem Motto: jetzt zeig` ich euch mal, was ich sonst noch alles kann. Was aber kommt dabei raus, wenn ein Musiker einer bekannten Band in Zusammenarbeit mit einem anderen – unbekannten - Musiker einen Soundtrack erstellt? Und was zum Teufel hat das auch noch mit Industrial und Grunge zu tun? Gute Fragen. Zumal es sich heute nicht uneingeschränkt um ein Soloalbum eines Musikers einer berühmten Band, noch um einen richtigen Soundtrack handelt. Und um Industrial schon gar nicht. Verwirrt? Macht nichts. Bin ich auch. Ständig. Passt sogar ganz gut zum heutigen Album.
1970 erschien ein solch verwirrendes, zugleich aber auch wegweisendes, aber von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtetes Werk, das für den durchschnittlichen Leser der Plattenkiste zwar interessant, aber dennoch recht gewagt ist. Die Rede ist von Roger Waters & Ron Geesins`s Music from the Body. Gewagt und interessant, aber für den Normalhörer wahrscheinlich eine Zumutung. Roger Waters, den Bassisten der Über-Band Pink Floyd dürfte wohl jeder kennen. Ron Geesin hingegen fristet da hingegen nach wie vor ein Schattendasein. Immerhin war er aber schon einmal Thema der Plattenkiste mit seinem Album Right Through. Erinnert ihr euch? Nein, macht auch nichts. Könnt ihr ja nachlesen. Und kommentieren. Ähem.
Der Geesin war ganz am Anfang seiner Karriere Pianist in einer Dixieband mit dem gewöhnungsbedürftigen Namen The Original Downtown Syncopators, die er aber schon 1965 verließ um eigene, seltsame Wege zu gehen. Im selben Jahr brachte er dann eine auf 100 Stück limitierte EP heraus, verpackt in selbstgebastelten Papphüllen. Zwei Jahre später erschien A Raise of Eyebrows, seine erste professionelle Veröffentlichung. 1969 erschien die Acid-Folk-LP Just to be there des Musikers Amory Kane, zu der Geesin neben Soundlandschaften auch eine Komposition beisteuerte. Hier spielte auch der spätere Fairport-Convention- und Jethro-Tull-Bassist Dave Pegg mit. Ein tolles Album übrigens, eine gelungene Kombination aus sehr schöner Folk-Musik und psychedelischen Sounds. Verdammt schwer zu bekommen. Ringo wird darüber auch einmal berichten.
Im selben Jahr war Ron auch mit 3 Titeln auf einer John-Peel-Compilation vertreten und spielte auf einem Track von The occasional Word`s The Year of the great leap Sideways Piano. Ein Jahr später wirkte er auf Pete Townshend`s Album Happy Birthday, Meher Baba mit, einer LP zu Ehren des indischen Gurus. Townshend, der ein Anhänger dessen Lehren war, brachte diese auf 1000 Stück limitierte Platte im Eigenverlag heraus. Die Platte dürfte wohl schnell vergriffen gewesen sein. Ende der Sechziger lernte Geesin auf einer Party von Pink Floyd´s Nick Mason dessen Bandkollegen Roger Waters kennen, mit dem er eine Vorliebe für Golf teilte.
Waters war in zunehmendem Maße erfolgreich mit seiner Band, in der er nach dem Ausstieg des Gitarristen Syd Barret mehr und mehr dominierte. 1970 arbeitete Geesin mit ihm zusammen, als er das Angebot für den Soundtrack zu einem Film bekam. Somit wären wir beim eingangs erwähnten Thema Soundtrack und nähern uns dem heutigen Thema dezent an. Zunächst aber einige Worte zum Film.
1968 griff der Filmemacher Roy Battersby für filmische Umsetzung eines anatomischen und physiologischen Lehrbuchs tief in die Tasche, die nicht ihm selbst gehörte: satte 11.000£ waren für die Rechte zu berappen, eine Summe, die die Finanzierungsagentur NFFC (National Film Finance Corporation) bezahlte. Ein Jahr später (sic!)kam Battersby dann schon mit einem Drehbuch daher, das allerdings nicht die Gnade der NFFC fand, so dass er es umschreiben musste. Die NFFC sagte ihm dann anschließend zu, dass sie die Hälfte der Produktionskosten übernehmen würde. Die andere Hälfte beschaffte sich Battersby bei Nat Cohen von Anglo-Amalgamated, einer sehr erfolgreichen Produktionsfirma, die unter anderem 12 der Carry-on-Filme finanzierte, außerdem zwei Roger-Corman-Streifen, denen Stories von Poe zugrunde lagen. Anglo-Amalgamated gehört mittlerweile der Cannon-Group, die unter anderem durch ihre Chuck-Norris-Filme hervortrat. Als Battersby dann endlich genügend Geld zusammen hatte und grünes Licht für den Dreh bekam, konnte es losgehen. Das Budget für den Film betrug ungefähr 108.000£, eine Menge Geld für die damalige Zeit. Die Dreharbeiten begannen, und
Battersby verschoß insgesamt ungefähr 300.000 Fuß an Filmmaterial, von denen nur etwas mehr als ein Drittel Verwendung fanden. „Es landete eine Menge Blut und Zelluloid auf dem Boden des Schnittraums“, wie Produzent Garnett sich erinnert.
Der fertige Film wurde 1970 veröffentlicht und hatte eine Laufzeit von über 1 1/2 Stunden. Als unsichtbare Erzähler wurden Vanessa Redgrave und Frank Finlay verpflichtet. Beide erklärten aus dem Off gezeigte Szenen oder rezitierten dazu Auszüge aus dem Werk William Blakes. In einer Sequenz übernimmt Roger Waters persönlich die Rolle des Sprechers. Er kommentiert und erklärt die ungeheure Gesamtmenge an Nahrungsmitteln, die ein durchschnittlicher – britischer - Mensch im Laufe seines Lebens zu sich nimmt. Ganz ernst scheint er seinen Text nicht zu nehmen, schwafelt er zwischendurch irgendetwas von Ice-Cream-Sandwiches.
Der Film selbst handelt von Zeugung, Schwangerschaft, Geburt und auch der Physiologie, des Funktionierens des menschlichen Körpers, umgesetzt in psychedelischen und 70er-typischen Bildern. Geesins Soundtrack untermalt die Szenen kongenial. Interessant ist der Einsatz von endoskopischen Kameras, die einen für damalige Zeiten spektakulären Einblick in den menschlichen Körper gaben. So wird beispielsweise das Innere der Speiseröhre beim Schlucken gezeigt, ebenso wie ein Blick ins Innenleben des Herzens und der Harnröhre geworfen wird. Der Film ist kein wissenschaftlicher Dokumentarstreifen, auch kein Lehrfilm. Er will es auch gar nicht sein, wie uns das deutsche Pressematerial verrät. Vielmehr stellt er den Versuch dar, das zu ergründen, was das Menschsein ausmacht. Zumindest in physiologischer und auch soziologischer Hinsicht. Eingebettet sind die Lehrstücke in eine typisch Siebziger-mäßig umgesetzte Pseudo-Rahmenhandlung. Menschen verschiedenen Alters und Herkunft befinden sich nackt, halbnackt oder in Bademantel gehüllt in einem steril anmutendem Raum und ergründen therapeutisch-spielerisch das Geheimnis der eigenen Existenz und des Körpers allgemein, ungeachtet von Hautfarbe, Alter oder anatomischen Deformationen. Dargestellt werden die Akteure nicht von professionellen Schauspielern, es handelt sich um ganz normale und durchschnittliche Menschen der britischen Arbeiterklasse, die vom Filmemacher gewissenhaft ausgewählt wurden. Der 230-Kilo-Koloß (Arthur Armitage) ist ebenso vertreten, wie der 79-jährige Minenarbeiter, eine schwangere Frau, ein blindes Mädchen, eine kleinwüchsige Dame (Sadie Correll, sie war auch in der Rocky Horror Picture Show zu sehen) und viele andere.
Um die Gruppe herum sind immer wieder Szenen eingebaut, die die Physiologie des menschlichen Körpers erklären, wie z.B. Wachstum, Verdauung und Ausscheidung, Wahrnehmung, Atem- und Blutkreislauf. Ganz nebenbei auch explizite Zeugungsszenen. Für Kontroversen sorgte eine dieser Sexszenen, gespielt von Richard Neville (auf dem Bild die Nr. 2), einem Journalisten und Schriftsteller, und seiner damaligen Freundin Louise Ferrier. Verdauung wäre ja noch OK, aber Sex? Ob alles in dieser Szene nur gespielt war, bleibt indes auch fraglich.
Typisch für die damalige Zeit ist der eher unbedarfte und eigentlich völlig natürliche Umgang mit Nacktheit, was inzwischen dazu führte, dass der Film bei YouTube nur mit Altersverifizierung zu genießen ist. Battersby stellte es den Akteuren damals übrigens frei, ob sie unbekleidet vor der Kamera agieren würden. Nachdem eine der Darstellerinnen (Berril Briggs, auf dem Bild die Nr. 3) sich spontan für Nacktheit entschied, folgten ihr ganz spontan einige weitere. The Body war nach seiner Veröffentlichung zwar kein Blockbuster, spielte allerdings seine Produktionskosten sehr schnell wieder ein.
Der Film hat eine aus heutiger Sicht sehr naive und schlichte Botschaft. Im Endeffekt läuft es darauf hinaus, dass das Wunder der menschlichen Existenz zwar scheinbar einzigartig ist, aber dennoch hinterfragt werden müsse. Der Zeugungsakt wird durch die geschickte Schnitttechnik mit der Fließbandarbeit in einer Autofabrik kombiniert, ebenso scheint der einzige Zweck der zwar wundersamen, aber doch irgendwie ameisengleich menschlichen Existenz eben die stupide Verrichtung stets gleichbleibender Tätigkeiten zu sein. Die Frau wird zur Gebärmaschine, der Mann zur autoschweißenden Drohne. Das Ganze ist nicht ohne bittere Grausamkeit, zeigt der Filmemacher auch Abbreviationen von der gewohnten Norm in Form von Mißgestalteten und Menschen, die ihr Haltbarkeitsdatum bereits überschritten haben und ihren Mitmenschen hilflos ausgeliefert sind. Der unsensible Umgang mit beiden Gruppen verstört aus heutiger Hinsicht, offenbart er nämlich eine dezente, aber dennoch manifeste Gewalt und Brutalität. Körperliche Mißhandlung Behinderter und das nicht minder grausame sich-selbst-Überlassensein alter und gebrechlicher Menschen werden scheinbar wertfrei und neutral gezeigt. Die körperliche Züchtigung „nervender“ Behinderter ist scheinbar üblich und durchaus gebilligt, ebenso wie die Gleichgültigkeit gegenüber der Unfähigkeit seniler Menschen ein Trinkgefäß – obwohl in objektiver Reichweite plaziert – zu erreichen. Szenen dieser Art schockieren weit mehr als die explizite Geburtsszene von Barnaby Temple Perkins am 24. Juni am Schluß des Films, die kein Detail auslässt. Die gebärende Mutter war die damals 29-jährige Hausfrau Joane Perkins (auf dem Bild die Nr. 4). Jo hatte nach The Body noch eine weitere kleine Rolle in einem Film. 1974 verkörperte sie eine Krankenschwester in dem Film „Der Mitternachtsmann“. Danach war Sense mit Film. Ihr Sohn Barnaby schaffte es 2010 noch, im Abspann des Hai-Gähners „The Reef“ erwähnt zu werden. Soviel zum Film, zurück aber nun zum eigentlichen Thema der heutigen Lesestunde.
Der bereits erwähnte Produzent Tony Garnett war es, der, auf der Suche nach einem Komponisten für den Soundtrack, John Peel kontaktierte. Dieser schlug prompt Ron Geesin vor, der die Arbeit als Herausforderung sah. Die Frage der Produzenten, ob er auch Songs schrieb, verneinte der sympathische Schotte. Aber er kenne wohl einen Mann, der sich damit auskennt. Und so kam Roger Waters an Bord, der eigentlich mit seiner Band Pink Floyd ausgelastet war.
Mit Geesin arbeitete Waters schon auf einem Track des Albums Ummagumma zusammen: in Several Species of Small Furry Animals Gathered Together in a Cave and Grooving with a Pict kann man Geesin schottisch sprechen hören.
Geesin arbeitete zunächst einfach nur an dem Soundtrack, ohne einen Gedanken daran, dass es später auch zu einer LP kommen könnte. Das meiste des Materials war bereits aufgenommen, als Roger Waters ins Spiel kam. Einige der Tracks wurden anschließend neu eingespielt, vor allem die Songs. Anderes, bereits vorhandenes Material wurde von Waters umgearbeitet. Die Aufnahmen fanden in zwei Etappen statt: von Januar bis März 1970, dann wieder von August bis September des gleichen Jahres. Waters und Geesin waren ab März mit den Aufnahmen zu Pink Floyd`s Atom Heart Mother beschäftigt und mehr als ausgelastet. Ringo wird auch darüber berichten.
Die Besetzung der Aufnahmesessions sah aus wie folgt:
Der Soundtrack, besser gesagt: Die Platte zum Film zum Film, wurde 1970 auf dem in Sachen Prog renommierten Label Harvest Records veröffentlicht. Das Etikett auf dem Vinyl zeigte damals auch die Konterfeis der beiden Musiker.
Das Cover der Platte selbst zierte eine Aufnahme des Transparent Anatomical Manikin (TAM), eines transparenten dreidimensionalen Modells eines weiblichen, menschlichen Körpers, entstanden 1968 zur Veranschaulichung der Anatomie des menschlichen Körpers. Das TAM, liebevoll auch Tammy genannt, fand übrigens ein zweites Mal Verwendung auf einem Plattencover, und zwar 1993 des Albums In Utero von Nirvana. Habt ihr nicht gewusst, was? Nun ist also auch der Zusammenhang zwischen Ron Geesin und Nirvana geklärt.
Die gläserne Tammy kam dann sogar noch ein drittes Mal zu Cover-Ehren. 1989 zierte sie nämlich die 12” des britischen Avantgarde-Projektes von Steven Stapleton, Nurse with Wound, mit dem Titel Cooloorta Moon. Mit Nurse with Wound werde ich mich auch demnächst hier beschäftigen. Seid gewarnt!
Eine Single wurde übrigens nicht ausgekoppelt (Ha-ha!), das Album erschien aber auch auf Audiocassette und inzwischen auf CD.
Das mit der Single ist übrigens nicht wahr, denn es wurde tatsächlich eine ausgekoppelt: Give Birth to a Smile, mit Sea Shell And Stone als B-Side. „A Top-Hit“, wie das Coverversprach. Die Album-, bzw., Singleversion unterscheidet sich allerdings stark von der im Film verwendeten. Dort fehlen nämlich die Female-Backgroundvocals, E-Gitarre und Keyboards. Der Song ist rein akustisch. Vermutlich wurde Give Birth für das Album nochmal neu aufgenommen. Auch ist unklar, wer die Sängerin im Hintergrund ist. Interessanterweise ist es tatsächlich wohl auch das erste Mal, dass eine weibliche Stimme auf einem – wenngleich auch nicht richtigen – Pink-Floyd-Song zu hören ist. Meine persönliche Vermutung ist Liza Strike und/oder Doris Troy, die ein paar Jahre später auf The dark side of the moon zu hören sein würden.
In Italien wurde die LP seinerzeit übrigens mit einem abweichenden, weitaus psychedelischerem und sexistischem Bunga-Bunga-Cover veröffentlicht.
Hier die Tracklist des Albums:
Bis auf einige Ausnahmen stammen alle Tracks von Geesin. Waters schrieb vier der Tracks alleine, und vier mit Geesin zusammen.
Die einzelnen Songs genau unter die Lupe zu nehmen, sprengt natürlich den Rahmen dieses Artikels, also beschränke ich mich diesmal ein wenig. Man kann die Kompositionen grob in 3 Kategorien einteilen:
Tracks ohne Bezug zum Film
Our Song, der Opener, ist eine Gemeinschaftskomposition der beiden Musiker und hat mit dem Film nichts zu tun, er darin nämlich gar nicht vor. Our Song ist Musique Concrete, bzw. Biomusic. Die Nummer besteht fast komplett aus einzeln aufgenommenen Geräuschen, die der menschliche Körper produziert: Händeklatschen, Stöhnen, Rülpsen, Furzen und Babystimme. Begleitet wird das Ganze von einem Piano. 1970, als die heutige, gängige elektronische Sampletechnik noch Science Fiction war, musste man sich mit allerlei Erfindungsgabe behelfen, um so etwas zu produzieren.
Die einzelnen Sounds wurden mühsam aufgenommen, die Bänder anschließend mit einer Rasierklinge zurechtgeschnitten und zusammengeklebt. Zum Schluß wurden alle Spuren zusammengemischt. Das ist aber nur ganz grob ausgedrückt. Hinter einem Song wies diesem steckten viele Stunden mühevoller und nervenaufreibender Feinarbeit.
Our Song ist komplett verrückt, originell, verstörend und genial. Zudem ist der Entschluß, ihn gleich als Opener zu verwenden, sehr gewagt. Die meisten der Bodysounds produzierte Geesin selbst, einige wenige entstammen Waters. Die Babystimme ist von Geesins Sohn Joe. Der inzwischen 50-jährige ist als Journalist tätig.
Ähnlich geartet ist Body Transport, dem Opener von Seite 2, einer ziemlich unheimlichen Nummer, die mit dem Film nichts zu tun hat und ebenfalls eine Gemeinschaftsarbeit von Waters und Geesin ist. Der Track besteht hauptsächlich aus dem Atmen eines schlafenden Menschen und flüsternden und wispernde Stimmen. Unwillkürlich musste ich beim Hören immer an Füßli`s Der Nachtmahr denken. Sehr unheimlich, wie gesagt.
Songs
Das Album bietet mit Sea Shell and Stone, Chain of Life und Breathe sehr melodische und sparsam instrumentierte Songs aus Feder Waters, dargeboten von ihm selbst, nur begleitet von seiner Akustikgitarre. Genau betrachtet sind es auch nicht wirklich drei verschiedene Songs, denn die Melodie ist stets die gleiche. Einzig Chain of Life weicht ein wenig davon ab und entwickelt ganz eigene, melancholisch-düstere Melodien, die dezent an das viele Jahre später erscheinende Magnum Opus The Wall erinnern.
Sea Shell and Stone wurde im Film zur Untermalung des Vorspanns verwendet. Give Birth to a Smile schließt das Album mit einer souligen Gospelrocknummer ab. Interessanterweise ist hier die gesamte Pink Floyd Mannschaft zu hören, obwohl sie auf dem Album unerwähnt bleiben. Geesin erinnert sich, dass die 3 Musiker – damals waren sie noch alle befreundet und hatten ein gutes Verhältnis zueinander – im Studio vorbeischauten und spontan an diesem Song mitwirkten. Der Song in einer anderen Version schließt auch den Film ab und läutet den Abspann ein.
Vanessa Redgrave rezitiert im Film dazu:
Long live the child
Long live the mother and father
Long live man
Long live this wounded planet
Und so weiter.
Bei diesem Song ist es am deutlichsten, wie sehr die Musik des Albums von der im Film verwendeten abweicht. Der Filmsong ist weitaus sparsamer instrumentiert und passt stilistisch besser zum restlichen Material und gefällt mir auch besser. Die Female-Vocals fehlen völlig.
Musikalisch sind die genannten Tracks – im Vergleich zum sonstigen Material - tatsächlich richtige Songs, die auch von einem frühen Pink Floyd Album stammen könnten. Die 3 sehr schönen und melodiösen Tracks lockern das ansonsten schwer zugängliche Album auf und machen es hörbarer.
Soundtrack
Red stuff Writhe, Bridge Passage for Three Plastic Teeth, Hand Dance — Full Evening Dress, Embryonic Womb-Walk und auch Sea Shell and Soft Stone sind klassische Kammermusik, eingespielt von Geesin alleine. Letzteres Stück ist eine Adaption von Waters`Sea Shell and Stone.
A Gentle Breeze Blew Through Life und Lick your Partners sind zwei ineinander übergehende kurze, nervöse Gitarrenstücke.
The Womb Bit ist rein musikalische Filmuntermalung, ebenso wie das daraus resultierende Stück Embryo Thought, das aus beunruhigenden Cello-Klängen besteht und nahtlos in March Past of the Embryos übergeht. Auch Dance of the Red Corpuscles, hektische Banjountermalung des Films, kann man hier einreihen
More Than Seven Dwarfs in Penis-Land und Mrs. Throat Goes Walking sind völlig schräge, vielstimmige Vokalnummern, die Geesin alleine eingespielt hat.
Old Folks Ascension, Bed-Time-Dream-Clime und Piddle in Perspex sind wieder Geesin pur: Piano, Gitarre und Mandoline.
Music from the Body ist abgedreht und nur schwer zugänglich. Wer vom Namen Roger Waters zum Kauf animiert wurde und Pink-Floyd-ähnliches erwartete, wurde bitter enttäuscht. Mit Ausnahme der erwähnten vier Songs enthielt das Album keineswegs irgendetwas Floydisches.
Ich selbst erstand das Album Anfang der Achtziger in einem Plattenladen in Nürnberg nach einer durchgemachten Nacht. Gekauft habe ich es auch nicht wegen Waters, sondern weil ich damals ständig auf der Suche nach Audio-Material von Ron Geesin war. Ist wohl auch etwas abgedreht. Verständnis für meine Geesin-Besessenheit fand ich damals nur wenig. Kommentare wie „Aha, Du hörst mal wieder Furz-Musik“ waren keine Seltenheit. So beschränkte ich meinen Genuß darauf, wenn ich alleine war. Gemütlich machen, Kopfhörer aufsetzen, Ron Geesin laufen lassen und das Kopfkino anschalten. Tatsächlich gefällt mir diese Nicht-Musik und tut es auch heute noch. Die Song-Einlagen von Waters empfand ich damals sogar als störend. Wollte ich Floyd hören, legte ich lieber auch Floyd auf. Geesin hingegen war etwas ganz eigenes und besonderes. Der konnte auch mehr als nur Furzen und Rülpsen. Music from the Body offenbart nicht nur seine äusserst verrückte Art, sondern zeigt ihn auch als begabten Komponisten und talentierten Multi-Instrumentalisten. Was gerade die Kammermusikartigen Nummern beweisen. Auf den meisten Tracks hört man ihn ganz alleine musizieren, alle Instrumente selbst spielend, und zwar professionell. Egal, ob einem die Musik – nennen wir es einfach mal so – gefällt oder auch nicht, Music from the Body ist ein kleines Meisterwerk und ein seltenes Juwel der Siebziger. Die Platte ist übrigens als eigens Werk zu betrachten, da sie überwiegend neu und eigens eingespieltes Material bietet. Geesins ursprünglicher Beitrag zum Film waren keine als Musik angelegten Stücke, vielmehr handelte es sich um kurze Miniaturen und Soundcollagen, die Szenen aus dem Film untermalen sollten. Daraus lässt sich nun aber kein Album machen, und genau das war zusätzlich im Nachgang geplant, vermutlich auf Wunsch von Water`s damaliger Plattenfirma Harvest. Vergleicht man die Filmmusik mit der Musik des Albums, wird man deutliche Abweichungen feststellen können. Die im Film zu hörenden Tracks wurden offensichtlich für das Album neu eingespielt, klingen sie doch vertraut, aber dennoch anders. Ebenso geht es uns, wenn wir uns den Film ansehen. Das Material klingt von der Platte her vertraut, ist aber dennoch anders. Vieles ist im Film zu hören, aber auf der Platte eben nicht. The Body wurde 2019 auf DVD in sehr guter Qualität veröffentlicht, leider aber nur in Mono. Els Extras sind ein Trailer und als besonderes Leckerli ein 38-minütiger Zusammenschnitt der tatsächlichen Filmmusik enthalten, begleitet von kaleidoskopartigen Animationen. Für mich ist The Body ein Schmankerl und etwas ganz Besonderes. Beim Verfassen dieses Artikels habe ich ihn mir 3x angesehen. Laut dem deutschen Pressetext ist The Body „Ein Unterhaltungsfilm über den menschlichen Körper“, allerdings amüsiert mich diese Bezeichnung immer wieder ob ihrer ungewollten Surrealität. Indes, unterhalten hat er mich jedenfalls bestens.
Was wurde aus den Musikern?
hatte anschließend mit Pink Floyd so richtig Erfolg und nahm mit Geesin zusammen das obskur-geniale Atom Heart Mother auf. Nach der Auflösung von Pink Floyd veröffentlichte er einige Soloalben, die hinsichtlich Qualität aber nicht an seine früheren Arbeiten herankamen. Zwischendurch geht er immer wieder mal mit einer Live-Fassung von The Wall auf Tournee. Mit seinen ehemaligen Floyd-Kollegen hat er keinen Kontakt mehr. Mit Geesin auch nicht mehr.
machte nach Music from the Body und Atom heart Mother solo weiter und veröffentlichte fernab vom Mainstream unermüdlich seine Platten. Geesin ist, wenn auch durch Arthritis leicht eingeschränkt, immer noch aktiv. Klavierspielen geht noch, aber mit Banjo ist leider Feierabend.
2008 führte Geesin Atom Heart Mother zusammen mit einem Orchester noch einmal live auf. Geesin veröffentlichte ein Buch zur Entstehung von Atom heart Mother unter dem Titel The flaming Cow, sowie ein weiterem Buch über Schraubenschlüssel. Geesin sammelt seit über 30 Jahren Schraubenschlüssel aller Art. Beide Bücher wurden übrigens – ebenso wie seine Alben – keine Bestseller.