Ausdrucksformen - Patrick Woodroffe & Dave Greenslade: The Pentateuch of the Cosmogony
Ausdrucksformen
Woodroffe & Greenslade »The Pentateuch of the Cosmogony«
Grob übersetzt bedeutet der Titel in etwa: Die Fünf Bücher (Pentateuch) der Schöpfung (Cosmogony). Der Name ist Programm, denn Woodroffe schildert uns auf knapp 50 Seiten nichts anderes als die von ihm selbst entwickelte Schöpfungs-geschichte einer fremden Kultur, deren exilierte Überlebende nach langer Reise in einem biomechanisch anmutenden Raumschiff durch das Weltall im Sol-System des Jahres 2378 strandeten. So widmet sich das erste Kapitel einführend der Auffindung des gestrandeten Schiffes, und wie es von irdischen Wissenschaftlern untersucht wird. Der Künstler präsentiert uns die fiktiven Enthüllungen und Resultate der UNTW (United World of the ten Nations)hinsichtlich der fremden Kultur.
Woodroffe zeigt hier maßstäbliche Darstellungen des aufgefundenen vogelähnlichen Raumers und Mutmaßungen über die Natur und Herkunft der Fremden, anschließend aber die Krönung der Funde: die ideographische Schrift der Ausserirdischen, die, endlich entschlüsselt, Antworten auf die Rätsel geben wird. Woodroffe hat diese Piktogramme eigens entwickelt, um einen pseudo-authentischen Hintergrund für die folgende Story zu finden.
Die Schrift, erstmal dechiffriert, öffnet das Tor in die Welt der Genesis und des Exodus der fremden: die Fünf Bücher sind nun lesbar. Besonders originell ist die Geschichte nun aber nicht, was aber nicht stört. Erzählt wird dem Leser und Betrachter der Aufstieg und Fall einer Rasse, die zunächst in Einklang und Harmonie mit ihrer Umwelt lebt, sich aber dann gegen diese und den tiermenschlichen Schöpfer versündigt und schließlich gezwungen ist, ihr Paradies zu verlassen.
Das Pantheon der Kultur ist chimärenhaft und bizarr:
Der geflügelte Schöpfer – GOD – ist ein Mischwesen aus Mensch, Drache und Rochen.
BELTEMPEST, der Wolkenschäfer ist eine Art Satyr.
GLASS, der Beherrscher der Meere ist eine Art exotischer Einsiedlerkrebs.
Der tierhafte GOD erschuf drei Bräute: Die atmosphärische Schönheit Selfinn, die seepferdchenhafte Verdrinn, sowie die animalische Grazie Ildrinn.
Zwei von ihnen wurden mit BELTEMPEST und GLASS vermählt, während die Dritte – Ildrinn - leer ausging. Sie sollte nach GOD´s Wünschen die Braut der Menschen werden, die er allerdings noch gar nicht erschaffen hatte, weil es auch noch kein Festes Land gab.
Dies erfolgte erst viel später, und GOD stattete die Menschen mit mannigfaltigem Können aus, was ihn aber schließlich so ermüdete, dass er in einen langen, tiefen Schlaf fiel.
Die für die Menschen vorgesehene Ildrinn vergaß er aber, und so nahm das Unheil seinen Lauf.
Die verschmähte Braut sann auf Rache und verdarb die Menschen.
Ein ewiger, alles zerstörender Krieg brach aus. Die Welt wurde im Laufe der Zeit mehr und mehr unbewohnbar, auch die göttlichen Wesen blieben nicht vom Verderben verschont.
Die letzten Überlebenden der Rasse der Menschen schließlich brachen zu einem gewaltigen Exodus auf, der sie in alle Winkel des Universums verstreute.
Als God schließlich aus seinem ewigen Schlummer erwacht, wird er mit der entsetzlichen Wahrheit konfrontiert: alles ist zerstört und verdorben! Anstatt aber auf Rache an der unseligen Braut zu sinnen, vergibt er dieser und verspricht, sein eigenes Unrecht wieder gut zu machen.
Woodroffes an sich naive Story ist somit eigentlich eine Parabel oder eine Allegorie auf uns selbst. Erzählt wird die Story in 5 Kapiteln (den fünf Büchern) in der englischen Übersetzung der exraterrestrischen Ideogramme. Der Text ist dabei aber nur Nebensache, denn Woodroffe ist kein Autor, sondern Maler und Graphiker. Und genau hier liegt seine und auch des Buches Stärke.
Der Text, mitsamt den geschickt eingebauten Ideogrammen, ist eigentlich nur Illustration zu seinen Bildern. Üblicherweise ist es umgekehrt, hier aber jedoch nicht. Woodroffe hat sich selbst übertroffen und sein Können in der gesamten Bandbreite seiner Techniken ausgespielt.
Man kann sich gar nicht sattsehen an all den Details und Feinheiten seiner Darstellungen. Ölmalerei, Graphik, Radierung, Acryl, Tusch- und Bleistiftzeichnung, Radiograph, Reliefdruck und vieles andere mehr finden Anwendung. Alles wie gewohnt meisterhaft ausgeführt. Man sieht, Woodroffe hat hier sein Herzblut gegeben, und es hätte wahrlich ein multimediales Meisterwerk werden können. Wenn die Musik nicht gewesen wäre…
Diese stammt, wie eingangs bereits erwähnt, von dem britischen Musiker Dave Greenslade (*1948), mit dem Woodroffe bereits früher Bekanntschaft gemacht hat, als er das Cover für Time and Tide malte, dem finalen Album der Band Greenslade aus dem Jahre 1975 (2000 folgte ein nicht besonders erfolgreicher Reboot der Band mit dem Album Large Afternoon).
Auf 4 LP-Seiten versucht Greenslade die Story und die Bilder des Pentateuch musikalisch zu untermalen. Unterstützt wird er dabei gelegentlich von Phil Collins an den Drums, sowie John Lingwood, ebenfalls am Schlagzeug.Während man über erstgenannten kein Wort zu verlieren braucht, ist Lingwood ein eher unbeschriebenes Blatt. Eigentlich ein Session- und Studiomusiker ohne jegliche eigene Ambitionen, hat er unter anderem für Stomu Yamashta, Manfred Mann´s Earthband, Steamhammer und Roger Chapman gearbeitet.
Mehr menschliche Mitstreiter hat Greenslade dann auch nicht, sieht man von seiner 2 1/2 jährigen Tochter ab, die auf einem Track ein Vocal-Sample beisteuert. Greenslades Musik wurde komplett elektronisch eingespielt, unter Verwendung zahlreicher, im Buch aufgeführter Tasteninstrumente. Ach ja, eine Kirchenorgel wurde auch verwendet. Klingt an sich ja erstmal interessant und ist für die damalige Zeit auch richtungsweisend gewesen, aber Greenslades fade und uninspirierte Kompositionen passen einfach nicht zu Woodroffes verspielter, phantastischer Bilderwelt. Zu nüchtern, mechanisch und kalt ist die Musik, die sich auch nicht einer kommerziellen Anbiederung scheut. Stellenweise ist die Musik sogar richtig klebrig widerlich und peinlich. Der Synthie blubbert und wummert penetrant an fast jeder Stelle, vorangetrieben durch synthetische Funk-Bässe und Drum-Machines (sogar ein Reggae-Rhythmus ist vertreten). Selbst die menschlichen Percussionisten vermögen da nicht mehr Leben hinein zu bringen. An sich technisch versierte Musiker, versagen sie hier leider: hier hätte Peter Behrens von Trio genauso gut am Drumkit sitzen können.
Insgesamt sind die beiden LP´s also enttäuschend und können gerne in den Sleeves verbleiben. Überzeugen können mit Abstrichen lediglich die zweite Hälfte von Seite 3 (ab Track 4), sowie Teile von Seite 4. Weil hier die Musik einfach kongenial zum unrühmlichen Ende der Zivilisation passt, und zudem erstmals so etwas wie Gefühl und Lebendigkeit aufkommen.
Die Titel der beiden LP´s:
Wäre Woodroffes Projekt einige Jahre früher erschienen, zu einer Zeit, las der Prog noch hoch im Kurs stand, das Album wäre gewiss anders und auch besser ausgefallen. Man stelle sich vor, was ein Keith Emerson oder Rick Wakeman daraus gemacht hätten, oder Bands wie Gentle Giant oder Ramases.
Müßig, aber durchaus interessant, darüber zu spekulieren. Woodroffe mag sich ähnliches gedacht haben, denn er veröffentlichte sein Pentateuch im Jahre 1987 noch einmal, diesmal aber ohne Musik: The second Earth – The Pentateuch re-told. Das Buch umfasst diesmal 144 Seiten und enthält zusätzliches Bildmaterial und überarbeitete, bzw. ergänzte Texte. Dave Greenslade ist immer noch als Musiker tätig, allerdings weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit.
Das mir vorliegende Exemplar ist die Original LP-Version aus dem Jahre 1979. Heutzutage nur sehr schwer zu bekommen. Ich erinnere mich gut, wie ich seinerzeit in Fackler´s Musikladen in der Plattenabteilung stand, zuviel Geld in der Tasche und bereit, es auch auszugeben. Ich war hin- und hergerissen zwischen The Concert for Bangla Desh und Pentateuch. Gekauft habe ich schließlich letzteres, die 3-LP-Box Concert for Bangla Desh kaufte ich mir aber später ebenfalls.
Die einzelnen Kapitel des Buches:
The Pentateuch ist übrigens auch auf CD erhältlich: 1994 erschien das Werk in einer stark verkleinerten Version mit einem Silberling. Unnötig zu erwähnen, dass das geniale Artwork in dieser kleinen Aufmachung nicht zur Geltung kommt.
Kommentare
Klasse Artikel - könnte mehr von kommen
Damals haben mich solche Konzeptalben nicht interessiert, ich habe auch die Kunst nicht zu schätzen gewusst. Heute kann ich mir Leute wie Woodroffe oder Pennington stundenlang ansehen.
Schöner Artikel! Schließe mich da Toni an. Faszinierendes Neuland für mich.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich gerne an die Montanus-Buchladenkette, die mir so um 1976 auffiel und die es wohl bis MItte der achtziger Jahre gegeben hat. Eigentlich ein Zeitschriftenladen für "internationale Presse" und zudem vollgestopft mit Taschenbüchern und Bildbänden aus GB, USA und anderswo - Frazetta, Vallejo, Corben, Woodroffe, Ariel, sogar einmal (1978?) ein Finlay-Hardcover ... und ich Trottel ließ ihn legen, war ja schwarzweiß und außerdem zu teuer :facepalm:
Großartiges Zeug.
Wen's interessiert:
Ein mitgebrachter Frazetta-Band fiel dann einer jungfeministischen Deutschlehrerin in die Hände, und weil ich kurz vorher in der Schülerzeitung eine Clark-Ashton-Smith-Story neu interpretiert hatte (also gut: plagiiert - sue me!), machte sich das Kollegium wohl Sorgen ob meiner psychischen Entwicklung. Fortan stand ich unter einer gewissen Beobachtung. Diverse Rhodan- und Ren-Dhark-Hefte wurden vorübergehend konfisziert, bis ich - wieder in der Schülerzeitung - eine (schlechte) Tolkien-Rezi verfasste, die immerhin den Verdacht zerstreute, mein Lebensziel bestünde darin, halbnackt mit bluttriefendem Langschwert und einem saftigen Vollweib zu meinen Füßen altertümlichen Luxus zu genießen.
Das war übrigens in etwa zu jener Zeit, als ich ein Playboy-Buch in die Schule brachte und meine jugendliche Reputation dadurch schlagartig anstieg. Allerdings handelte es sich um "Die besten Stories von Edmond Hamilton".
Merke:
Don't judge a book by its cover - aber: Marken sind wichtig!
Die waren wirklich alle gleich. Ich habe mal im Unterricht mit 14 oder 15 einen Heyne Magazin of Fantasy&SF Band heimlich gelesen, der prompt konfisziert wurde. Und da der Lehrer ein echter Arsch war, der uns gern runtergemacht hat, hat er dann drin rumgeblättert und genüßlich vor der Klasse die Stellen zitiert, die er besonders lächerlich fand. War irgendwie nicht lustig. Hat einen aber bestärkt, den "Schund" weiter zu lesen.
Das ist typisch der elitäre Dünkel der Deutschlehrer(innen). Anstatt froh zu sein, wenn die Schüler überhaupt lesen, werden sie runtergemacht. Mit dem Essen kommt aber der Appetit, und viele Leser, die mit Heftchen anfingen, wagten sich später auch an Anspruchsvolleres. Und wenn die Liebe bei unterhaltsamen Stoffen blieb, war es ja auch in Ordnung. Da musste niemand die Nase rümpfen, speziell wenn die Deutschaufsätze ordentlich abgeliefert wrden.