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Die Möglichkeit eines Wunders

Die Möglichkeit eines Wunders

München um 1900; die Bohème der florierenden Stadt ist vom Spiritismus fasziniert. Die Welt von Medizin befindet sich in einer Phase des Übergangs, gerade bilden sich Psychologie und Parapsychologie im süddeutschen Raum als eigene Disziplinen heraus. Noch mischen sich Aberglaube mit ernstzunehmenden Versuchen, nicht erklärbare Vorkommnisse zu verfolgen, Scharlatane zu entlarven und auf der Basis von Medizin und Psychologie zu verstehen. Und mitten drin Albert Freiherr von Schrenck-Notzing.

Bei diesem Roman handelt es sich um eine sehr lose Lebensgeschichte von Albert von Schrenck-Notzing.

Als Mediziner, er studierte Medizin in München, arbeitete er als praktischer Arzt und interessierte sich besonders für die psychologischen Aspekte von Krankheiten. Er war, ähnlich wie Freud, unter anderem in der Sexualmedizin aktiv. Anders als dieser war Schrenck-Notzing jedoch an Hyponse und der Frage nach Geisterglauben beziehungsweise deren Entlarvung beschäftigt. Parapsychologie war dabei mehr als eine reine Freizeitbeschäftigung, er versuchte zu verstehen, Erklärungen zu finden und diese medizinisch einzuordnen. Er nimmt an Seancen teil, lädt auch selbst zu spiritistischen Sitzungen ein und verfasst Bücher zu dem Thema.

Albert von Schrenck-Notzing ist mit Gabriele Siegle, der Tochter eines wohlhabenden Industriellen, verheiratet und hat mit ihr zwei Söhne.

Gabriele Siegle selbst ist eine besonders interessante Persönlichkeit, die im Alter von knapp 40 Jahren als Fliegerin aktiv wird, Flugstunden nimmt und eine begeisterte Fliegerin der ersten Generationen wird.

Wie schon geschrieben, nimmt der Roman nicht für sich in Anspruch, der realien Lebensgeschichte des Arztes und Forschers zu folgen, sondern erzählt eine halbwegs fantastische Geschichte, die mit dem Tod von Schrenck-Notzing endet.

Leider hat mir der Roman, auf den ich mich sehr gefreut hatte, nicht wirklich gut gefallen. Er begann mit einer Gerichtsverhandlung, in der Schrenck-Notzing als Gutachter auftritt und in dem es darum geht, ob der Beklagte seine spätere Ehefrau durch Hypnose in sich verliebt gemacht, und damit die Ehe "erschlichen" habe. Während dieser Phase lernt der Experte für Fragen der Hypnose auch seine spätere Ehefrau kennen, eben die Industriellentochter Gabriele Siegle. Von da aus entfaltet sich der Roman.

Wie schon gesagt, ist die Handlung des Romans nur sehr lose am Leben von Schrenck-Notzing angelehnt. Bis auf die Tatsache, dass der Arzt und Vorreiter der Hypnosebehandlung tatsächlich einer der ersten Psychotherapeuten im süddeutschen Raum war und nicht unerheblich zur Bedeutung der psychologischen Behandlung einer Behandlung beigetragen hat, stimmt nicht viel. Dies wird spätestens dann deutlich, wenn der Roman-Albert nach dem Tod seiner Roman-Ehefrau in die Karibik reist und dort ein weiteres Abenteuer erlebt. Etwa ab der Hälfte des Buches endete für mich denn auch das echte Interesse an der Geschichte, denn da wurde es mir denn doch zu fantastisch.

Mich hatte interessiert, wie sich der reale Hintergrund der ärztichen Arbeit, seines Interesses an der Parapsychologie und die Arbeit mit der Hypnose damals wahrscheinlich abgespielt haben wird - klar, dass eine wirklich reale (Auto-)Biographie nicht zu erwarten war, aber einen historisch realistischeren Roman hatte ich mir schon erwünscht. Im Klappentext heißt es, "mit Fabulierkunst und feiner Ironie" habe der Autor einen "gespenstischen Antihelden in unsere Gegenwart geholt". Die feine Ironie fand ich nur ansatzweise, die Fabulierkunst war deutlich ausgeprägter.

Tatsächlich wurde Schreck-Notzing "der Geisterbaron" genannt, denn seine Tätigkeit und sein Interesse an den Bereichen der Parapsychologie war für die Menschen seiner Zeit faszinierend und irritierend zugleich, Spiritismus, Psychologie, "echte" Medizin waren gerade dabei, eigene Disziplinen zu werden. Seine in der Wikipedia genannten Buchtitel zeigen, wie interessiert er an den diversen Themen war, und wieviel ihm daran gelegen war, seine Erkenntnisse zu teilen.

Leider gelang es meiner Meinung nach dem Autoren jedoch nicht, diesen Funken einzufangen.

 

Die Möglichkeit eines Wunders
Jan Schomburg
Verlag: dtv
Erscheinungsdatum: 14.03.2024
ISBN: 978-3-423-29018-0
272 Seiten

EUR 24,00

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