40 Jahre Tatort - Das neue Jahrtausend : Hitchcock und Frau Wernicke
Dennoch geraten Ritter und Stark mehr und mehr in den Bann der Schilderung der liebenswürdigen alten Frau, die Ritter an seine Mutter erinnert. Die Kommissare lernen auch Frau Wernickes Krankenpflegerin Renate Müller und den Zivi Timo kennen die einzigen Menschen, mit denen sie näher Kontakt hat.
Als herauskommt, dass Frau Wernicke in der angeblichen Mordnacht Hitchcocks Film "Fenster zum Hof" im Fernsehen gesehen hat, rühren sich Zweifel: Hat sich die alte Dame anstecken lassen und ihre Aussagen nur erfunden? Aber wieso versucht Benkelmann dann den Kontakt zu der attraktiven Ella Leiser zu verheimlichen?
Kurz darauf verschwindet Irmgard Wernicke, dafür tauchen weibliche Leichenteile auf. Ritter und Stark sind bestürzt. Haben sie die Situation falsch eingeschätzt und hätten sie die alte Dame schützen sollen?
Für 40 Jahre TATORT nehme ich mich nun einigen neueren Fällen an, um nicht nur auf den Klassikern herumzureiten. Es gibt für mich nur wenig wirklich gute TATORTe. Heute ist das nicht unbedingt anders als damals. Ich habe erstmal fünf gute bis sehr gute Fälle ausgesucht, die gewisse Eigenarten haben. Diese Folge macht den Anfang.
Es gibt sie immer wieder - diese TATORTe, wo man sagt: Mensch es geht doch. Wenn man nur will. Zwar ist die Idee bei Hitchcock geklaut, doch daraus macht man bei diesem TATORT keinen Hehl. Im Gegenteil: Der Titel bezieht sich sogar auf den Altmeister des Suspense. Ob die alte Dame allerdings gelogen, gesponnen oder die Wahrheit gesagt hat, ist selbst für den Zuschauer zunächst unklar. Anders als beim Vorbild "Fenster zum Hof". Durch diese Unklarheit wird noch ein Zacken mehr Spannung aufgelegt als beim Original.
Die Berliner Kommissare wirken in diesem Fall ziemlich erfrischend und dynamisch. Endlich zwei Ermittler, die ihren Rollen wieder Profil geben. Das war selbst bei Stark und Ritter nicht immer der Fall. Obwohl der gute Boris Aljinovic mit seinen gefühlen 1,50m kaum wie ein Kommissar aussieht. Doch besonders Ritter (Dominic Raake) wirkt durch seinen bissigen Auftritt fast wie ein neuzeitlicher Derrick.
Der ganze Fall ist schön düster angelegt. Und da die Ermittler nichts in der Hand haben, erscheint die Ermittlungsarbeit vollkommen anders, als üblich. War der böse Nachbar nun der Mörder oder nicht? Diese Frage dominiert lange Zeit den Krimi. Zum Ende wird klar: Er war es. Doch warum? Diese Frage bleibt leider auch der Krimi schuldig.
Somit ist der Zuschauer bemüht selbst etwas Phantasie walten lassen zu dürfen. Die nächste Frage lautet: Warum kaufte sich der Nachbar keine Vorhänge, wenn er doch wußte, dass ihn die Nachbarin beobachtet? Nun, da kann man nur spekulieren.
Der Krimi ist trotz dieser kleinen Logikfehler sehr spannend und in Stil und Machart fast englisch. Die Aufklärung des Falles erfolgt durch Indizien und Kombinationsgabe, bzw. Eingebungen der Ermittler und nicht wie meistens durch Zeugenbefragung und Leichen- und Tatortanalyse. Genial.
Die Musik zu diesem düsteren Fall komponierte Torsten Sense. Er ist Hörspielfans bestens bekannt. Unter anderem als Dämonenhasser TONY BALLARD.