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Der Ärger fängt an - BATES MOTEL – Die erste Staffel

1Der Ärger fängt an
BATES MOTEL – Die erste Staffel

Neben Literaturverfilmungen dienen in den letzten Jahren oft Kinofilme als Vorlage für Fernsehserien. Man wirft dem amerikanischen Fernsehen ja gern vor, kreativ völlig tot zu sein und immer häufiger auf bereits existierende Konzepte zurückzugreifen, statt neue Dinge zu kreieren. Bei näherer Betrachtung ist das natürlich Unsinn, die überwiegende Mehrzahl der neuen Serien sind Originale.


Ob die gefühlt millionste Krankenhaus- oder Polizeiserie originell ist – nun, das ist ein anderes Problem.

Zu den Vorlageserien gehört "Bates Motel". Die Vorgeschichte ist Alfred Hitchcocks berühmter Thriller "Psycho", in dem (Achtung Spoiler ^-^) ein Junge namens Norman Bates, der seine Mami so lieb hatte, dass er ihre ausgestopfte Mumie im Keller verwahrt, in ihren Kleidern junge hübsche Frauen killt, die sich in sein heruntergekommenes Motel verirren. Wer sich für die näheren Hintergründe der Geschichte, ihrer Romanvorlage von Robert Bloch und den Hitchcock-Film interessiert, dem sei das Sachbuch "Hitchcock und die Geschichte von Psycho" von Stephen Rebello (Heyne) empfohlen, das die Vorlage für den eher mäßigen Film "Hitchcock" mit Anthony Hopkins bot.

Der Einfluss von "Psycho" auf die amerikanische Popkultur ist unbestritten. Elemente des Films sind zigmal in anderen Filmen und Fernsehepisoden zitiert worden; die Fakten des Falls Ed Gein, auf denen Film und Buch basierten, bieten die Grundlage dutzender Horrorfilme vom beklemmenden "Texas Chainsaw Massacre" bis hin zum "Das Schweigen der Lämmer" und dem wiederrum daraus entstanden Profiler-Genre.

"Bates Motel" entstammt dem Produktionsbüro von Carlton Cuse, einem alten Profi im Fernsehgeschäft. Cuse war schon 1986 als Autor für Michael Manns "Crime Story" tätig; in der Folgezeit erschuf er so unterschiedliche Serien wie "Die Abenteuer des Briscoe County jr", "Martial Law" oder "Nash Bridges", eine Serie, die es immerhin auf 6 Staffeln brachte. Später war er der Executive Producer von "Lost".

Das grundlegende Problem bei "Bates Motel" bestand natürlich darin, eine Geschichte zu entwickeln, deren Ende theoretisch jeder kennt. Wie sollte man daraus eine Serie basteln, die theoretisch auf mehrere Jahre und vernünftige Quoten angelegt ist? Ein weiteres Problem sind natürlich die eingebauten Zuschauererwartungen, die auf den mittlerweile in Stein gemeißelten Bildern von "Psycho" beruhen.

Cuse und seine Kollegen entschieden sich für den Versuch, sich an das Beste zweiter Welten zu halten. Das Original als Grundlage zu nehmen, darum aber neue Elemente zu erschaffen. So ist "Bates Motel" im Grunde eine Geschichte aus einer Parallelwelt. Teils Vorgeschichte, teils völlig neu, verpflanzt es die Figuren Norman Bates und seine Mutter Norma kurzerhand in die Gegenwart.

Die Story: Nach dem mysteriösen Tod ihres Mannes beschließt Norma mit ihrem 17jährigen Sohn Norman umzuziehen. Mit dem Versicherungsgeld kauft sie in der kleinen Stadt White Pine Bay in Oregon ein Motel, ohne zu wissen, dass dort gerade eine Umgehungsstraße gebaut wird, die das Motel ruinieren wird. Oder dass der schmierige Vorbesitzer Keith Summers gerade zwangsenteignet wurde und aus guten (kriminellen) Gründen gar nicht glücklich über die neuen Besitzer ist.

Und schon am zweiten Abend geht das Unglück los. Summers dringt in das zum Motel gehörende Haus ein und vergewaltigt Norma. Norman kommt hinzu und schlägt den Mann bewusstlos. Um dann zu erleben, dass ihn seine Mutter umbringt. Aus zuerst unerfindlichen Gründen besteht Mutter Norma darauf, die Leiche im Meer zu versenken, statt die Polizei zu rufen.

Und der Ärger fängt erst an. Nicht nur taucht plötzlich Normas erster Sohn Dylan auf, ein Kleinkrimineller, der bohrende Fragen über den Tod von Normans Vater stellt. Auch das malerische White Pine Bay entpuppt sich schnell als Stadt, deren vorgeblicher Reichtum auf einem florierenden Drogenhandel basiert. Und schon bald stapeln sich die Leichen, denn Bates Motel birgt viele finstere Geheimnisse.

Auch wenn die Macher zugegeben haben, sich bei der Konzeption kräftig bei Serien wie "Twin Peaks" bedient zu haben, ist das auf den ersten Blick eine krude Mischung sehr gegensätzlicher Elemente, die kaum zueinander zu passen scheinen. Lebte "Psycho" vom aus der Epoche bedingten gesellschaftlichen Gegensatz und der Frage, wie so schreckliche Dinge wie Mord, Grabschändung und (angedeuteter) Inzest in einer so netten Kleinstadt wie dem dementsprechend benannten Fairvale passieren konnten, ist das Mördermotel nun Teil einer Gemeinde, deren arbeitslose Jugend sich das nötige Geld mit der Bewachung von Marihuanafeldern in den Wäldern der Umgebung verdient und die Behörden in das alltägliche Verbrechen verstrickt sind. Die Handlung der Serie ist eher wenig realistisch, die Verstrickungen, in die die mörderischen Bates hereingeraten, erinnern häufig auf ungute Weise an Krimiplots von Soap Operas.

Aber im Mittelpunkt des Interesses stehen natürlich der junge Norman und seine Mutter. Und da weiß die Serie vorbehaltlos zu überzeugen. Vera Farmiga, (dem deutschen Zuschauer eher unbekannt, häufig der Star in Independent-Produktionen) bietet in der Rolle der Norma Bates eine fesselnde Darbietung. Norma Bates ist eine Frau mit vielen Gesichtern. Mal eine durchaus furchterregende Mutter Courage, die aber auch vor nichts zurückschreckt, um ihren labilen Sohn zu schützen, mal eine manipulative besitzergreifende Übermutter, bei der sich dem Zuschauer alle Nackenhaare sträuben – es macht einfach Spaß, ihr dabei zuzusehen. Und Freddie Highmore (vielleicht dem einen oder anderen bekannt aus "Charlie und die Schokoladenfabrik") als junger Norman Bates hält durchaus dagegen. Seine Rolle dürfte die schwierigste sein. Natürlich weiß der Zuschauer, wie Mutter und Sohn enden (zumindest ist das die Prämisse; allerdings fällt die Vorstellung schwer, dass die Macher die Filmvorlage umschreiben). Also geht es hier um die Entwicklung der Figur. Wie und wann wird Norman zum Serienkiller mit Mutterkomplex? Das ist geschickt und spannend inszeniert, die Macher wissen effektiv mit der Zuschauererwartung zu spielen. Einerseits ist Norman der ganz normale wenn auch schüchterne Junge, der durchaus Anschluss auf seiner neuen Highschool mitsamt gleich zwei potenziellen Freundinnen findet, andererseits ist die Beziehung zu seiner Mutter schwierig bis qualvoll. Und auch wenn die im Lauf der 10-Folgen-Staffel manchmal schon groteske Züge annehmende Küchenpsychologie der Familie Bates pures Melodram ist, das kein Klischee ungenutzt lässt, verkauft Highmore das auf sehenswerte Weise. Er und Farmiga bieten ein unbehagliches und vor allem überzeugendes Gespann, das einander auf psychotische Weise verdient hat.

Interessant sind die Nebenfiguren. Zugegeben, die Figur des Dylon Bates (Max Thieriot) ist zuerst gewöhnungsbedürftig. Der dazu gedichtete Bruder von Norman? Der ist so sehr Rebel-with-a-cause, dass es schon lachhaft ist, von der Lederjacke bis zur antisozialen Gesinnung, die ihm sofort einen Job bei den lokalen Drogenhändlern einbringt. Aber der Hass, der er seiner Mutter offen entgegenbringt und den Norma erwidert, bringt Schwung in die Handlung, genau wie seine vergeblichen Versuche, den kleinen Bruder aus den emotionalen Klauen der Mutter zu befreien. Präsenz zeigt auch der undurchsichtige Sheriff Alex Romero (Nestor Carbonell, bekannt aus "Lost"), der in der Stadt die Fäden zieht.

Gefilmt ist das trotz der Verlegung in die Gegenwart sehr stimmungsvoll. Die Atmosphäre ist düster und bedrohlich. Mit viel schwarzem Humor wird die gruselige Handlung aufgelockert – die Bemühungen der Bates', den Mord am Vorbesitzer zu vertuschen, sind auf beste Weise makaber-komisch, denn natürlich reiten sie sich immer nur tiefer ins Unglück und die nächsten Morde hinein -, und auch mit den Filmzitaten aus "Psycho" wird nicht gegeizt. Da ist das ikonische Psycho-Haus, das Motel stimmt mit der Filmversion überein; es gibt es den berühmten Schaukelstuhl, und der Vater einer Schulfreundin macht Norman mit dem netten Hobby Taxidermie bekannt.

Die zweite Staffel mit erneut 10 Folgen ist in Amerika erfolgreich genug gelaufen, dass nun eine dritte Staffel produziert wird. In Deutschland lief die erste Staffel auf dem Pay-Sender Universal Channel und dann später auf Vox im sogenannten Free-TV. Dort war sie wie so viele derzeitige amerikanische Serienkost ein echter Flop mit enttäuschenden Einschaltquoten. Die Zeiten, dass US-Serien Quotenbringer sind, sind wohl endgültig vorbei.

Sehenswert ist "Bates Motel" auf jeden Fall, falls man über die oft mangelnde Plausibilität/Subtilität des Ganzen hinwegsehen kann. Und es ist natürlich eine dieser Serien, bei der man keine Folge verpassen darf, um der Handlung wirklich folgen zu können. Aber Vera Farmiga ist auf jeden Fall eine Entdeckung; das Anschauen lohnt sich allein schon wegen ihr.

© Andreas Decker 2014




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