Loevenbruck, Henri: Das Kopernikus-Syndrom (Le Syndrome Copernic)
Das Kopernikus-Syndrom
(Le
Syndrome Copernic)
von Henri Loevenbruck
aus dem Französischen von Antoinette
Gittinger
Knaur Taschenbuch
erschienen: Frühjahr 2008 (Deutschland), 2007 (Frankreich)
492 Seiten, 8.95
ISBN: 978-3-426-63814-9
Knaur Verlag
Einen Roman mit einem
Knalleffekt zu beginnen, ist immer eine gute Idee. Ein unglaubliches
Verbrechen, Anspielungen auf mysteriöse Verschwörungen, eine
Naturkatastrophe... Solche Szenen schlagen den Leser gleich zu Beginn in ihren
Bann und sorgen von Anfang an für ein gewisses Maß an Spannung.
Die Sache hat nur einen
Haken: Nach dem anfänglichen Knalleffekt muss die Story schnell etwas
Vergleichbares bieten, um die einmal erzeugte Spannung auch aufrecht zu
erhalten. Keine leichte Aufgabe, besonders dann, wenn die Geschichte wirklich
sensationell gut beginnt.
So
wie Henri Loevenbrucks Roman Das Kopernikus-Syndrom, der im wahrsten
Sinne des Wortes einen echten Knaller zum Auftakt hat.
Bei
einem Bombenanschlag auf einen Wolkenkratzer im Herzen von Paris sterben
Hunderte von Menschen. Niemand entkommt dem Inferno aus Feuer und herab
fallenden Trümmern, niemand außer Vigo Ravel.
Vigo
ist 36 Jahre alt und schwer krank. Er leidet unter Gedächtnisverlust, hört
immer wieder Stimmen in seinem Kopf und wird häufig von seltsamen Anfällen
geplagt, die er nicht erklären kann. Schizophrenie, so lautet die Diagnose, mit
der Psychiater sein Leiden bewerten. Nie hat Vigo den geringsten Grund gehabt,
diesen Befund anzuzweifen. Bis zum Tag des Anschlags.
An
diesem Morgen ändert sich alles. Wieder hört Vigo eine Stimme, doch statt
unverständliches Kauderwelsch von sich zu geben, wie dies sonst der Fall ist,
spricht sie von einem Anschlag, der das Gebäude, in dem Vigo einen Arzttermin
hat, vernichten wird. In Panik rennt der vermeintlich Schizophrene ins Freie
und entkommt so knapp der Katastrophe.
Vigos
Leben ist auf den Kopf gestellt. Sollte er etwa gar nicht krank sein, sondern
tatsächlich die Gedanken anderer Menschen hören? Entschlossen begibt er sich
auf die Suche nach der Wahrheit, und kommt dabei einer unglaublichen
Verschwörung auf die Spur...
Das
Kopernikus-Syndrom beginnt
geradezu umwerfend gut. Die gewaltige Explosion im Zentrum von Paris ist ein ebenso
schockierender wie mitreißender Moment, der einen umgehend ans Buch fesselt.
Doch leider geht es in diesem Stil nicht weiter. Was folgt ist ein
Psychothriller, der die Bezeichnung Thriller nur in einigen wenigen Szenen
verdient und der erst gegen Ende, nach allzu langer Durststrecke, wieder an
Fahrt aufnimmt.
Die
Große Schwäche des Romans sind weder Loevenbrucks Stil noch die Handlung an
sich. Der Roman als solcher lässt sich gut und flüssig lesen, auch wenn manche
Passagen geradezu überfrachtet sind mit vielen sehr kurz gehaltenen Sätzen, die
häufig mit dem Wort ich beginnen (falls ich es noch nicht erwähnt habe: die
Handlung wird aus Sicht von Vigo Ravel erzählt). Die Story ist durchdacht und
bietet einige interessante Gedanken, die geradezu zum darüber Nachdenken und
Diskutieren einladen.
Das
Problem liegt viel mehr darin, wie das Geschehen geschildert wird.
Eines
vorneweg: Ich bin kein Freund der Ich-Perspektive. Sie schränkt die
Möglichkeiten des Autors zu sehr ein und hat oftmals zur Folge, dass man als
Leser ellenlange Monologe der jeweiligen Hauptperson über sich ergehen lassen
muss. Doch das ist noch lange kein Grund für mich, einen Roman mit
interessanter Grundthematik nicht zu lesen.
Die
Art und Weise, in der Loevenbruck seinen Protagonisten Vigo die Handlung
erzählen lässt, ist jedoch kindisch, entnervend und meist schlichtweg öde.
Eine
Vielzahl innerer Monologe über Dinge, die für die Handlung völlig irrelevant
sind, ein viel zu ausgeprägtes, ebenso bizarres wie uninteressantes Gefühlsleben
und schwer nachvollziehbare Gedankengänge verhindern, dass im Roman wirklich
Spannung aufkommt. Selbst Szenen, in denen Vigo von unbekannten Häschern gejagt
wird, wirken eher unfreiwillig komisch oder gar langweilig, als dass sie
actiongeladen und packend sind. Die alle paar Kapitel auftauchenden
Einsprengsel in Form von Tagebucheinträgen Vigos zu seinem Seelenleben und
Problemen, über die er sich Gedanken macht, sind zusätzliche Stolpersteine, die
die Handlung ausbremsen.
Ebenso
wenig hilfreich ist die Beziehung, die Loevenbruck seinen Helden im Laufe der
Handlung zu einer jungen Frau aufbauen lässt. Hier knistert nicht das geringste
bisschen, zu lächerlich wirkt das Ganze.
Es
ist wirklich schade, was man hier geboten bekommt. Der tolle Anfang hat so viel
erhoffen lassen. Doch statt eines actionreichen Thrillers voll überraschender
Wendungen muss man seitenweise unsinniges Gelabere zu irgendwelchen Ängsten des
Protagonisten über sich ergehen lassen. Da hilft es dann auch nicht, dass sich
die Handlung gegen Ende wieder fängt und Loevenbruck sich mehr auf die Story
als auf das uninteressante Innere Vigos konzentriert. Immerhin wird man so auf
den letzten knapp 100 Seiten ein wenig für vorangegangene Ungemach entschädigt.
Das ändert allerdings nichts dran, dass das Buch die Genrezuordnung Thriller
wirklich nicht verdient hat.
Das
Kopernikus-Syndrom ist ein Roman,
den man als Fan von Spannungsliteratur wirklich nicht gelesen haben muss. Doch
auch Freunde von Werken, die sich stark auf einzelne Charaktere und ihr
Innenleben konzentrieren, seien gewarnt: Man muss schon eine Neigung für
bizarre und häufig irrational agierende Figuren haben, um die Geschichte
rundweg genießen zu können.
Wer
Fernsehserien schaut und Folgen mag, die damit beginnen, dass einer der Hauptcharaktere
in einer Klinik aufwacht und gesagt bekommt, er habe seine bisherigen Abenteuer
nur geträumt, der dürfte auch an Das Kopernikus-Syndrom Gefallen finden.
Wer allerdings einen echten Thriller lesen möchte, der sollte lieber die Finger
von diesem Buch lassen; mit echter Spannung kann das Buch nämlich nur in den
seltensten Fällen auftrumpfen.