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Die vier Verführungen des Menschen durch den Himmel (1969)

Die vier Verführungen des Menschen durch den Himmel (1969)
Ein Aufsatz von Friedrich Dürrenmatt

(zitiert nach: Die vier Verführungen des Menschen durch den Himmel, in: Philosophie und Naturwissenschaft, S. 26 - 32)
In diesem Aufsatz offenbart Dürrenmatt überraschende Ansichten. Er schrieb ihn im Jahr 1969 unter dem direkten Eindruck der soeben erfolgten Mondlandung.

Die erste Verführung des Menschen durch den Himmel liege darin, so Dürrenmatt, den Herrscher zum Gott zu machen. Die zweite folge, nachdem die Erste unwirksam geworden sei, und bestehe darin, dass der Herrscher sich als Stellvertreter Gottes darstelle oder sich zumindest auf diesen berufe. Diese beiden Verführungen sind also eher rechtsphilosophischer Natur, sie dienen der Legitimation von Herrschaft. Heutzutage bezeichnen sich Autokraten nicht mehr als Stellvertreter Gottes oder dergleichen, gleichwohl aber beanspruchen sie meines Erachtens zuweilen eine gewisse Position als Auserwählte, die ein wenig in diese Richtung geht.


Die dritte Versuchung aber, so Dürrenmatt, realisiere sich, wenn eine politische Ideologie Wissenschaftlichkeit im Sinne der Naturwissenschaften beanspruche und man versuche, „in der Politik die Vollkommenheit der Naturgesetze nachzuahmen.“ (S. 27) Diese Verführung werde auch durch den Himmel bewirkt, da sich die Naturgesetze ja auch auf die Bahnen der Gestirne bezögen.

Da Wort Himmel variiert hier in seiner Bedeutung. Die ersten beiden Verführungen erfolgen durch den religiösen Himmel, die anderen beiden durch den säkularen Himmel, also das Weltall.

Auch der von ihm als vierte Verführung bezeichneten Raumfahrt steht Dürrenmatt kritisch gegenüber:

„Am 20. Juli 1969 begann nicht ein neues Zeitalter, sondern der Versuch, sich aus dem unbewältigten 20. Jahrhundert wegzustehlen. … Es ist leichter, auf den Mond zu fliegen, als mit anderen Rassen friedlich zusammenzuleben, leichter, als eine wirkliche Demokratie oder einen wirklichen Sozialismus durchzuführen, ...“ (S. 30f)

Dürrenmatt sieht den Mondflug als eine kostenintensive, keinen wirklichen Nutzen bringende Aktion an, die vor dem Hintergrund der ungelösten Probleme der Welt unangemessen erscheint. Die postulierte Rückbesinnung auf die irdischen Probleme charakterisiert er ironisch mit dem Satz, er sei nun wieder ein Ptolemäer geworden. Dieser harsche Satz zeigt, wie erst ihm die Sache ist.

Schon 1950 hatte Dürrenmatt in dem Aufsatz „Das Schicksal der Menschen“ konstatiert, es drehe sich nunmehr nicht mehr der Einzelne wie die Erde um die Sonne um eine Ideologie, sondern der Einzelne rücke wieder in den Mittelpunkt des Denkens. Diese Veränderung bezeichnete er als eine „ptolemäische Wende“. („Das Schicksal der Menschen“, in: Politik, S. 15 – 19, S. 18)

Die ptolemäische Wende ist eine elegante Metapher. Analog zur kopernikanischen Wende gedacht, bezeichnet sie die Rückbesinnung vom Weltraum auf die Probleme der Erde. Anders gesagt steht die Erde astronomisch zwar keineswegs im Mittelpunkt, sollte aber hinsichtlich des menschlichen Denkens im Mittelpunkt stehen.
Inzwischen hat die Raumfahrt etlichen technologischen Neuerungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen den Weg bereitet und im Rahmen des Longtermism dürfte auch die Raumfahrt an sich (Stichwort Marsbesiedlung) wichtig werden.

 

Kommentare  

#1 Hermes 2025-02-09 13:07
Zitat:
Anders gesagt steht die Erde astronomisch zwar keineswegs im Mittelpunkt, sollte aber hinsichtlich des menschlichen Denkens im Mittelpunkt stehen.
"Die Erde"? Nicht der "Mensch"?
#2 Herbert Grabert 2025-02-10 10:53
"Der Weltraumflug hat nur dann einen Sinn, wenn wir durch ihn die Erde entdecken und damit uns selber.", so FD ebenda. Ist also für ihn in diesem Zusammenhang untrennbar.

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