Norbert Off Topic - Folge 3: Wie Brüder im Wind
Wie Brüder im Wind (Brothers of the Wind)
Filme um Freundschaften zwischen Menschen und Tieren gibt es derer viele. Wie oft hat man es schon gesehen – Kinder finden ein Tierbaby und ziehen es auf. Da kriegt man meistens schon bei der groben Inhaltsbeschreibung Bedenken, ob man sich das überhaupt anschauen soll. Als ich das Cover von WIE BRÜDER IM WIND in die Hand nahm kamen mir eben solche Zweifel, denn der Klappentext liest sich wie eine 08/15-Geschichte. Den Ausschlag gaben dann der über alle negativen Gedanken erhabene Jean Reno und Tobias Moretti, der spätestens seit dem grandiosen Alpenwestern DAS FINSTERE TAL (2014) bei mir eine Menge Kredit eingespielt hat.
Die Handlung ist schnell erzählt. Sie spielt irgendwo in den Alpen irgendwann während der 60'er Jahre. Der junge Lukas findet eines Tages ein aus dem Nest verstoßenes Steinadlerküken. Er nimmt es mit in seine geheime Hütte, in der er sich vor seinem Vater versteckt. Er hasst den Mann, weil er ihn für den Tod seiner Mutter verantwortlich macht, die in einem niederbrennenden Haus umkam. Auch muss er den Vogel verstecken, denn sein Vater pflegt Greifvögel vom Himmel zu schießen. So wird der einzige Freund von Lukas der Förster Danzer, welcher ihm auch hilft das Tier groß zu ziehen und seiner Art entsprechend auszubilden. Als dieses geschehen ist entlässt Lukas den Adler in die Freiheit. Nach einigen langen harten Wintern kehrt das Tier zu dem Jungen zurück, dessen Verhältnis zu seinem Vater sich entspannt hat, seit sie einander ihre Trauer über den Verlust der Mutter/Ehefrau ausgetauscht haben. Lukas kann also wieder ein Leben in Frieden und Freiheit verbringen, so wie der Adler, der die Strapazen überstanden hat. Deshalb fliegt dieser erneut in die Freiheit und wird nicht mehr zurückkehren.
Das ist nun wirklich keine besonders originelle Geschichte, aber das muss auch nicht sein. Sie dient lediglich dazu einen Zusammenhalt zu bilden und einen Fortlauf, dem der Zuschauer folgen kann. Das wirklich berauschende an dem Film sind die Kulisse und das eingefangene Wildleben der Tiere in den oberen Alpenregionen.
Bereits im Jahre 2000 schuf der Tierfilmer Otmar Penker eine dreiteilige TV-Dokumentation über das Leben der Steinadler. Im Jahre 2011 kam ihm der Gedanke, diese Tiere in einen Spielfilm mit menschlichen Darstellern zu integrieren. Es folgten mehr als drei Jahre der Vorbereitung, in denen alle nötigen Aufnahmen des Wildlebens aufgenommen wurden, wobei er spektakuläre Bilder einfangen konnte, die in den Dienst der Handlung exakt passten.
2014 wurden die Schauspieler verpflichtet und der spanische Regisseur Gerardo Olivares, welcher die Sequenzen mit den Darstellern inszenieren sollte. Er besaß bereits Erfahrung damit, Menschen und Tiere gemeinsam vor die Kamera zu bringen, führte Regie bei dem Film ENTRELOBOS (Wolfsbrüder, 2010). Er brachte den Jungen Manuel Camacho mit, der im vorgenannten Film auch schon zu sehen war. Jean Reno, Held des französischen Kinos aber eigentlich gebürtiger Spanier, gesellte sich hinzu. Der Produzent brachte schließlich noch Tobias Moretti mit ein. Gedreht wurde in Englisch um den Film international verkaufen zu können. Der enorme Aufwand verschlang eine Menge Geld und so konnte er nicht nur am heimischen Markt in die Kinos gebracht werden.
Um die Sequenzen mit den Menschen und Tieren in Szene zu setzen, wurden natürlich trainierte Tiere verwendet, wobei es besonders schwierig war, die von Franz Schüttelkopf betreuten Steinadler exakt das tun zu lassen was sie sollten. Viele Aufnahmen der Tiere sind jedoch original eingefangen und damit unverfälscht. Besonderes Glück hatte Penker dabei, den Angriff eines unerfahrenen Adlers auf eine Bergziege zu filmen, was perfekt zu dem handlungstragenden Adler passte.
Überhaupt glänzt der Film durch atemberaubende Szenen, ob es sich dabei um die Raubvögel handelt oder auch um diverse weitere Tiere, die weder in künstlichen Kulissen noch ihrer Natürlichkeit beraubt zu sehen sind. Um den Blickwinkel des Steinadlers während des Fluges hautnah miterleben zu können wurde eine leichte Spezialkamera konstruiert, welche man direkt neben dem Kopf platzierte, ohne das Tier zu beeinträchtigen. Ich hatte im ersten Moment an einen CGI-Effekt geglaubt, doch das Making Of (das immerhin 50 Minuten lang und äußerst interessant ist) zeigte mir die Wahrheit. Auch verschiedene Flugszenen lassen an eine Computeranimation denken, doch Otmar Penker besitzt Erfahrung genug, diese Bilder richtig einzufangen und damit mal wieder zu zeigen, dass nicht Alles auf diese simple technische Weise hergestellt werden muss.
Einmal abgesehen davon droht der Film den Zuschauer mit seiner Kulisse der oberen Bergwelt der Alpen zu überfordern. Die Augen müssen Eindrücke aufnehmen, die mit solchen Wörtern wie "schön", "mitreißend", "berauschend", "abenteuerlich" nicht einmal im Ansatz richtig zu umschreiben sind. Ähnlich wie bei dem französischen Naturfilmer Luc Jacquet (z.B. DIE REISE DER PINGUINE) wird man hier Opfer einer Faszination, die irgendwann einfach nur noch fesselt. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle die Musikuntermalung erwähnen. Sie ist vielfach Minimalismus, aber sie unterstreicht damit die Ruhe des Films. Die orchestralen Parts, wenn wir mit dem Adler über die Berge streichen, unterstützen durch epische Klänge ein Gefühl grenzenloser Freiheit.
Die Schauspieler? Äh, ja, es sind welche dabei, wobei die Mutter Maria nur in der Flashbackszene des Hausbrandes zu sehen ist. Man möchte fast ein wenig beleidigt reagieren, dass Leute wie Reno und Moretti so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Sie haben zu wenig Screentime um sie wirklich würdigen zu können. So muss man sich an Manuel Camacho halten, der letztlich zwar mehr zu tun hat, aber trotzdem nicht die zentrale Rolle spielt. Hauptdarsteller sind die Steinadler in ihren verschiedenen Altersstufen. Der Film erzählt den Lebenslauf eines Tieres, das als Zweitgeborenes aus dem Nest gestoßen wird, durch die Hilfe eines Menschen überleben und erstarken kann, um schließlich zum König der Berge zu werden.
Als Handlungsfilm ist das Ding nur Durchschnittsware, da sollte man sich nichts vormachen. Der Film beeindruckt schwer durch seine optische Aufbereitung und ich muss lange nachdenken, bis mir etwas ähnlich Umwerfendes einfällt. Ja, DIE REISE DER PINGUINE vielleicht, aber Weiteres will mir jetzt nicht kommen.
Wie Brüder im Wind
Bilder: Cover und Screenshots der deutschen DVD (Warner Home Video)