Norbert Off Topic - Folge 8: Metalhead
Metalhead (Málmhaus)
"Die Geschichte hatte sich mir erst so 2009 offenbart, als in meinem Kopf ein Bild entstand. Es war das eines Mädchens in einer Lederjacke, die eine Flying-V-Gitarre hält, inmitten von Kühen. Ich wusste nicht woher es kam, aber das Bild machte mich neugierig." *
Bereits 2010 schrieb Ragnar Bragason das Drehbuch, die eigentlichen Arbeiten an dem Film begannen 2012. METALHEAD war sein fünfter Film und es sollte sein persönlichster werden. Um das Bild herum entstand ein wenig seine eigene Geschichte. Er wuchs in einem kleinen Bauerndorf auf und seine Verbindung in die Außenwelt wurde die Musik, speziell die des Heavy Metal. Und so spielt auch dieser Film in seiner Zeit, wenngleich er nie die Bitterkeit und Rebellion seiner Protagonistin durchlebt hat.
Island, zu Beginn der 90'er Jahre:
Als Hera zwölf Jahre alt ist muss sie mit ansehen, wie ihr älterer Bruder bei einem Unfall mit einem Mähdrescher stirbt. Es verursacht ein Trauma in ihr das sie fortan begleitet, zumal sie ihren Bruder zutiefst liebte. Es geschah vor etwa zehn Jahren. Hera ist zu einer jungen aber unausgeglichenen Frau gereift, wohnt zwar weiterhin zuhause, versteht sich jedoch mit ihren Eltern fast gar nicht mehr. Sie lebt immer noch in Erinnerung an ihren Bruder, dessen großes Hobby die zu Beginn der 80'er aufkommende Heavy Metal Musik war. Hera gibt sich dieser ebenfalls hin, ist rebellisch und für niemanden zugänglich. Die Werte anderer Menschen, ob weltlich oder nicht, tritt sie praktisch mit Füßen. Mit der Gitarre steht sie am Grab des Bruders und spielt ihm Songs vor die sie selber komponiert hat. Mehr als ein Mal sitzt sie auf der Bank an der Haltestelle, um mit dem Bus in die Stadt zu fahren und mit dem bisherigen Leben abzuschließen. Sie bleibt jedoch immer auf der Bank sitzen und kehrt dann nach Hause zurück.
Als ein neuer, jugendlich wirkender Pfarrer die Gemeinde übernimmt, glaubt sie in ihm einen Seelenverwandten zu finden. Er offenbart ihr, dass er mit Heavy Metal aufgewachsen ist und unterhält sich mit ihr darüber. Als Hera, ob des Gedankens an eine tiefer gehende Bindung, von ihm abgewiesen wird, zerstört sie die Kirche und brennt sie nieder. Von Schuldgefühlen geplagt flieht sie in die Einöde der Bergwelt. Als sie zurückkehrt wirkt sie geläutert. Hera zieht zu ihrem Jugendfreund und beginnt ein spießiges Leben. Bald aber tauchen drei Musikproduzenten aus Norwegen auf, die auf Umwegen ein Demoband der Frau in die Finger bekamen. Sie besitzen ein kleines Heavy-Label und wollen Hera veröffentlichen. So sagt sie sich von ihrem Freund wieder los und gibt ein Konzert im Gemeindesaal.
Eigentlich ist METALHEAD ein typisches "Coming of Age"-Drama, wie sie seit Jahren an allen Ecken und Enden der Welt gedreht werden. Das ändert auch die Tatsache nicht, dass hier mit den Attitüden des Heavy Metal kokettiert wird. Verschiedentlich wird er als Musikfilm ausgewiesen, doch dem muss man eigentlich widersprechen. Natürlich lässt sich die Verzweiflung und das Aufbegehren der jungen Frau durch solche Klänge besser transportieren als durch seichten R'n'B oder gar Volksmusik. Ein Metal-Hardliner wird jedoch mit diesem Film nicht unbedingt glücklich. Dazu später mehr.
Wie war das noch, als ich versuchte mich abzunabeln? Die miefig-spießige Familienwelt wurde irgendwann zum Albtraum. Ich tat irgendwie Alles um jene Werte zu unterwandern, für die meine Eltern standen. Musik spielte dabei eine wesentliche Rolle. Aufgewachsen mit Schlagern von Caterina Valente und Peter Alexander gab es im neuen Kosmos keinen Platz für sie. Es musste Musik sein, welche die Erwachsenen ablehnten, ja sogar hassten. Deutlich im Gegensatz stand zu meiner Zeit der Hardrock, repräsentiert durch Bands wie Deep Purple oder Led Zeppelin. Schon um den Eltern zu zeigen, dass ihre Welt aussterben würde, rotierten die Scheiben der harten Musiker auf meinem Plattenspieler. Und natürlich kleidete ich mich entsprechend, ließ die Haare bis zum Hintern wachsen und sprach bewusst so, dass die Erwachsenen dem hilflos gegenüber standen.
Also – auch wenn ich nicht den Verlust durch einen nahen Verwandten hinnehmen oder in der Gosse leben musste, so finde ich mich doch in allen Belangen in Hera wieder. Es ist jene Phase, in der man versucht Ballast abzuwerfen, kreativ zu sein. In diese Zeit fielen meine ersten Gehversuche des Schreibens. Ich erhielt ein paar Schlagzeugstöcke und trommelte damit auf Tischen oder Bänken zu selbst entworfenen Melodien. Viele Rezensenten behaupten, die Protagonistin dieses Films wäre anders – nein, das ist sie nicht. Jede Generation hat eine solche Phase durchgemacht und letztlich hält METALHEAD den daraus hervorgegangenen Menschen einen Spiegel vor. Und deshalb handelt es sich auch nicht um einen Film UM Heavy Metal, sondern MIT Heavy Metal – es hätte letztlich eben auch Hardrock oder Rap sein können.
"Meine Gefühle sind Heras Gefühle aus dem Film. Metal befeuerte meine Vorstellungskraft und machte mich zu einem Teil von etwas Größerem. Metal höre und kaufe ich noch immer. Einmal ein Metalhead, immer ein Metalhead." *
In dieser Aussage erzeugt Bragason einen Widerspruch. Heavy Metal ist für viele Leute (die sich Metalhead nennen) zu einer Weltanschauung geworden. So ist es dann perfide, dass ausgerechnet er, der sich zu dieser Gruppe zählt, die negativen Auswüchse dessen in den Vordergrund stellt und seine Heldin damit sogar konform gehen lässt.
"(...) allerdings las ich ein paar Bücher über die Kirchenverbrennungen in Norwegen, über Black Metal und einige wissenschaftliche Texte über die soziologischen Aspekte, ein Metalhead zu sein usw. (...) Hera bezieht ihren Einfall (aggressive Schminke, Anm. des Verfassers) aus der Fernseh-Berichterstattung über die Kirchenverbrennungen in Norwegen."
Es gibt Rezensionen, in denen gestandene Metalheads genau jene Punkte kritisieren, ohne das Interview zu kennen, aus dem die Zitate stammen – die es also rein aus dem Film heraus assoziieren. Das vorherige Zitat entstammt dem allgemeinen Vorurteil, dass aggressive Musik aggressive Verhaltensweisen hervorruft. Natürlich ist es nicht zu leugnen, dass manche Bands mit rüden Texten durchaus eine gewaltverherrlichende Botschaft vermitteln. Es wird jedoch gerne dabei übersehen, dass Rapper es dem gleich tun oder dass diverse Schlagertexte, die vorgeblich von Liebe handeln, unterschwellig die Ausbeutung von Frauen befürworten.
Aber genug davon, denn es führt dazu, mehr von dieser Art Kritik in den Film zu transportieren als dieser enthält. Letztlich geht es hier, wie schon erwähnt, um eine junge Frau, die ihren Platz in der Welt zu finden hofft und dabei versuchen muss, ein schmerzhaftes Trauma abzustreifen. Das wiederum macht der Film ausgezeichnet und findet in Thorbjorg Helga Thorgilsdottir eine engagierte und glaubwürdige Darstellerin. Verschiedentlich stören sich manche Leute an der zwischenzeitlichen "Heimchen am Herd"-Einstellung, bis die Produzenten erscheinen. Das sehe ich durchaus anders. Hera hat aufgegeben, denn jene Welt, die sie sich erhoffte, kann sie nicht erschaffen. Ja, sie könnte in die Großstadt ziehen, endlich den Bus nehmen, dessen Fahrer sie jedes Mal fragt, ob sie heute nun mitfahren möchte. Es ist jedoch nicht einfach, alles Vertraute hinter sich zu lassen und als Landei in der Stadt eventuell unter die Räder zu kommen. Erst die Jungs aus Norwegen bieten ihr eine Chance.
Am Schluss bricht der Film leider dann doch etwas ein, was den Zuschauer zwar ein bisschen ratlos zurück lässt, glücklicherweise den Gesamteindruck nicht wirklich schmälert. Während des Konzertes im Gemeindesaal, wo sie von den Produzenten als Begleitband unterstützt wird, beginnt sie mit einem heftigen Black-Metal-Song. Als sie merkt, dass die Dorfbewohner damit nicht klar kommen, bringt sie eine weichgespülte Metalballade. Das ist schlicht Verrat. Nicht das Spielen dieses Songs, sondern dass alles Andere dafür abgewürgt wird. Und wenn in der Schlusseinstellung die Eltern von Hera in wilden Zuckungen zu einem Heavy Metal Song tanzen, dann ist das einfach albern. Natürlich kommt irgendwann der Punkt, da die Generationen aufeinander zugehen und gegenseitiges Verständnis zeigen, aber sie werden niemals eins.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich den Film trotz einiger marginaler Schwächen herausragend finde. Er besitzt eine brilliante und jederzeit nachvollziehbare Hauptdarstellerin und glänzt durch Drehorte, die für uns Mitteleuropäer außergewöhnlich anmuten.
Metalhead
- Cover und Screenshots der deutschen DVD (Meteor Film)
- * Zitate: Ragnar Bragason aus dem Booklet der deutschen Mediabook-Edition (Rapid Eye Movies)