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Norbert Off Topic - Folge 12: Bergfried

Norbert Off TopicFolge 12:
Bergfried

Hin und wieder richte ich meinen Fokus gerne auf Filme, die keinem der hier im Zauberspiegel behandelten Genres zugehörig sind. So ist es mir durchaus ein Anliegen, auf solche Werke aufmerksam zu machen. Da aber Themen von außerhalb möglich sind, kann ich mich auch mit dieser kleinen Vorliebe austoben. Ich finde es sehr interessant, sich Filme abseits des Gewohnten anzuschauen. Wer sich berufen fühlt, der kann sich gerne an dieser Reihe beteiligen.

SalvatoreBergfried
Mal ein Film der für das Fernsehen produziert wurde. Ein ruhiger Film von inhaltsschwerer Bedeutung. Der Umgang mit Kriegsverbrechern ist nie eine einfache Sache. Je mehr Zeit zwischen den Ereignissen und der Enthüllung vergeht, je schwieriger wird die Beweislage. Und welche menschlichen Schlüsse zieht man daraus, wenn nach vierzig Jahren die Wahrheit an das Tageslicht kommt? Ist Rache dann noch ein sinnvolles Mittel, um der Gerechtigkeit genüge zu tun?

Regisseur und Autor Jo Baier zieht sich dabei recht clever aus der Affäre. Er beruft sich auf ein Geschehen welches verbürgt ist, von dem aber kaum konkrete Namen noch Gesichter bekannt sind. Als die deutschen Soldaten sich auf dem Rückzug aus Italien gen Heimat befanden, zogen sie marodierend Richtung Deutschland. Immer wieder wurden sie von Partisanen attackiert. Am 12. August 1944 drang eine Einheit der Waffen-SS in ein kleines norditalienisches Dorf der Toskana, Saint Anna di Stazzema,, weil sie dort entsprechende Gegner vermutete. Sie fanden jedoch nur Kinder, Frauen und alte Leute vor. Trotzdem trieben sie diese Menschen zusammen, richteten ein Massaker an und löschten damit fast alle Bewohner des Ortes aus. Genaue Zahlen über die Opfer gibt es bis heute nicht. Man spricht von 400 bis 500 Toten. Auch viele Identitäten sind nicht geklärt, denn die Leichen wurde aufgehäuft und verbrannt.

Der Film nun spielt irgendwann im Sommer 1983. Der Italiener Salvatore (Fabrizio Bucci) besucht ein winziges Dorf in der Steiermark und quartiert sich dort für zwei Wochen im örtlichen Gasthof ein. Er fällt den wenigen Einwohnern schnell ob seines fremden Aussehens auf. Sie begegnen ihm mit Argwohn, auch aufgrund der Tatsache, dass er ständig die Männer fotografiert und den Menschen aufmerksam bei Gesprächen und Streitereien zuhört. Niemand will mit ihm etwas zu tun haben, zumal er nur gebrochen Deutsch spricht. Auf die Frage, was er hier wolle, erklärt er, dass er alte Männer sucht weil er ein Buch schreiben will. Als die junge Erna (Katharina Haudum) unachtsam mit ihrem Wagen gegen einen Baum kracht, hilft er ihr und bringt sie ins Krankenhaus. Erna ist des biederen ländlichen Lebens längst überdrüssig, verhält sich bewusst provokativ. So kommen sie und Salvatore einander näher und beginnen ein Verhältnis.

StockingerSalvatore zeigt bald ein auffallendes Interesse an ihrem Vater Stockinger (Peter Simonischek) und stellt diesem nach. Von einer alten Nachbarin, der er sich praktisch aufzwingt, erfährt er, dass der Mann während der Kriegsjahre ein Soldat in höherer Position, ein hundertprozentiger Nazi war und ihren Ehemann in den Tod schickte, weil dieser mit dem System nicht konform ging. Nach und nach enthüllt der Italiener, dass er seit Jahrzehnten einen Mann sucht, der maßgeblich für das Massaker 1944 verantwortlich war und glaubt, diesen nun gefunden zu haben. So dringt er in das Haus von Stockinger ein, fesselt den Alten und wirft ihm die Sünden vor. Salvatore überlebte damals mehr durch Zufall und das Gesicht des Mannes, der seine Familie hinschlachtete, brannte sich ein. Er rasiert Stockinger den Bart ab um jene Narbe am Kinn zu entdecken, die er nie vergessen wird. Er will Rache. Im entscheidenden Moment, da er die Pistole auf den verhassten Feind richtet, versagen jedoch die Nerven. Er lässt den Mann mit der Schuld zurück. Sein Wunsch, Erna möge ihn begleiten, muss sie ausschlagen. Also verlässt er das Dorf.

Wie Salvatore an seine Informationen gelangt sein mag bleibt offen, denn perfiderweise wurde das Massaker lange totgeschwiegen und die Akten darüber bis in die 90er unter Verschluss gehalten. Als dann endlich Ermittlungen aufgenommen wurden, konnten nur wenige Verantwortliche ermittelt werden. Tatsächlich wurde niemand für das Verbrechen verurteilt. Somit bleibt dieser Film letztlich eine Fiktion.

ErnaDas war einer der Gedanken, die Jo Baier beschäftigten. Zumindest wollte er eine Auseinandersetzung mit dem Geschehen. Eine bloße Aufarbeitung der Ereignisse war ihm jedoch nicht genug. Also packte er es in eine kleine aber spannende, unverschachtelte Handlung. Ein Glücksgriff war sicherlich die Besetzung des Rachsüchtigen durch Fabrizio Bucci. Als jener das Angebot für diesen Film erhielt, konnte er kein Wort Deutsch. Da ihn der Stoff ansprach begann er die Sprache zu lernen. Baier ging es darum authentisch zu sein. Salvatore brachte sich die Sprache so gut es ging selber bei, um dem Mörder seiner Familie direkt gegenübertreten zu können. So tat es auch Fabrizio. Er kann sich rudimentär verständigen, um sich einen Weg zu seinem Widersacher zu erfragen.

Peter Simonischek, der den alten Mann spielt, etwas grantig und bemüht unauffällig, ist in der Rolle des Stockinger gut besetzt. Obwohl er viel Zeit seinem Enkel widmet bleibt er doch verschlossen und unnahbar. Auch die Nachstellungen des Italieners können ihn kaum aus der Ruhe bringen.

RachegefühleDer längere Abschnitt im Keller, da Salvatore den Mann an einen Stuhl bindet, ist schlicht ein spannendes und nachdenkenswertes Stück Kino, auch wenn es sich um einen TV-Film handelt. Stockinger beteuert stoisch nie in Italien gewesen zu sein, doch Salvatore hat ihn längst durchschaut. Er sinnt auf Rache und wirft ihm immer wieder das Verbrechen vor, wobei er aber zunehmend nervöser wird. Durch das Erkennen der Narbe erlangt er Gewissheit. Als der entscheidende Moment kommt, da er die Waffe an die Stirn seines Opfers hält, bricht er ein. Er bringt es nicht fertig, obwohl er genau weiß, was der Mann vor ihm vor vierzig Jahren getan hat. Es würde bedeuten, sich aus reiner Genugtuung auf jene Ebene zu begeben, die damals zu dem Massaker führte. Stockinger weiß nun, dass er erkannt ist und seine Identität nicht mehr durch das zurückgezogene Leben verschleiern kann. Er muss mit der Schuld und der Furcht leben. Jederzeit könnte er jetzt verhaftet und vor Gericht gestellt werden. Diese Ungewissheit ist mehr als der kurze Moment der Rache durch eine Pistolenkugel.

Der Film beeindruckt durch eine ruhige Erzählweise und eine unaufgeregte Inszenierung, die zu keiner Zeit plakative Elemente in den Vordergrund stellt. Das Schauspielerensemble passt sich dem an, ebenso wie die Musik. Diese besteht lediglich aus Klavier und Violine, untermalt das Ganze nur und langweilt deshalb nie. Die Farbgebung ist, entsprechend dem Ambiente des kleinen Alpendorfes, kräftig, die Ausleuchtung, vor allem in den Kellerszenen, brilliant und vermittelt gerade dort die Darsteller unterstützend eine beklemmende Atmosphäre.

BERGFRIED ist kein Arthaus-Kino, sondern er ist eine gehobene Klasse des Erzählfilms, nachdenkenswert ob seines Themas, aber zu keiner Zeit kopflastig oder mit dem erhobenen Zeigefinger gemacht. Ein kleiner, feiner und stiller Film, der mir zeigt, dass die Deutschen gute Filme machen können – auf ihre eigene Art - die dem Massenpublikum allerdings kaum liegen dürfte.

BergfriedBergfried
mit Fabrizio Bucci (Salvatore), Peter Simonischek (Stockinger), Katharina Haudum (Erna), Eva Herzog, Brigitte Karner, Johannes Herrschmann, Gerhard Liebmann.
Produktion: Marc Müller-Kaldenberg, Marcus Olpp, Dieter Pochlatko, Regina Ziegler für WDR, BR, ORF, Ziegler-Film
Regie: Jo Baier
Drehbuch: Jo Baier
Kamera: Martin Gschlacht
Musik: Sebastian Fitz

Österreich/BRD 2016

Farbe – 1,85:1 –  90 Minuten

Uraufführung: 21. Septemberg 2016

Deutscher Vertrieb: Polyband

Cover und Screenshots der Deutschen DVD (Polyband)

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