Das Problem mit der Wahrheit - »Ernst sein ist alles« (1952)
Das Problem mit der Wahrheit
»Ernst sein ist alles« (1952)
Oscar Wilde (1854-1900) war ein wahrer Sprachkünstler, der die Bonmots und Aphorismen geradezu im Minutentakt versprühte und deswegen bis heute den Ruf als einer der pointiertesten und witzigsten Schriftsteller des 19. Jahrhunderts genießt. Seine Bühnenstücke und Geschichten dienen bis heute immer wieder als Vorlage für treffliche und nach wie vor höchst unterhaltsame Neuinterpretationen. Wilde war 1952 bereits ein gutes halbes Jahrhundert verstorben, als Anthony Asquith („Die Millionärin“, „Hotel International“) sein vermutlich bekanntestes Bühnenstück „The Importance of Being Earnest“ alias „Bunbury“ (uraufgeführt anno 1895) für die Leinwand adaptierte. Mit einer hochkarätigen Starbesetzung in Szene gesetzt, soll der Film zunächst den Eindruck erwecken, man würde hier tatsächlich einer Bühnenaufführung beiwohnen. Gäste nehmen in den Logen Platz, der Vorhang hebt sich und Operngläser werden gezückt. Doch im weiteren Verlauf lässt Asquith das Theater hinter sich und gönnt seinem Publikum auch Außenaufnahmen.
John Worthing (Sir Michael Redgrave) führt ein Doppelleben. Auf seinem Landsitz ist er der Vormund der achtzehnjährigen Cecily Cardew (Dame Dorothy Tutin) und ein Sinnbild für den gut situierten Herrn. Wenn er allerdings in sein Londoner Stadthaus fährt, um seinen nicht existenten Bruder Ernst zu besuchen, schlüpft er dort in die Rolle desselben, um all die Prüderie hinter sich zu lassen. So hat er ein Auge auf Gwendolen Fairfax (Joan Greenwood) geworfen, Tochter der gestrengen Lady Augusta Bracknell (Dame Edith Evans). Sein Werben um das hübsche Mädchen wird allerdings abgeschmettert, weil Worthing gestehen muss, dass es sich bei ihm um ein Findelkind handelt und er deswegen keinen astreinen Stammbaum vorweisen kann. Sein bester Freund Algernon Moncrieff (Michael Denison) ist neugierig geworden auf Cecily aufgrund von Worthings Erzählungen und reist deswegen kurzerhand aufs Land, wo er sich nun als Ernst Worthing vorstellt. Cecilys Gouvernante Miss Prism (Dame Margaret Rutherford) und Dorfpastor Dr. Chasuble (Miles Malleson) schließen den jungen Mann direkt ins Herz, ebenso wie Cecily selbst, die ohnehin schon ganz versessen darauf war, den Hallodri endlich kennenzulernen. Da taucht unerwartet John auf, und das Chaos nimmt seinen Lauf.
Eine herrlich pointierte englische Komödie nach Oscar Wilde, die nahezu perfekt in eine deutsche Fassung übertragen wurde (die Synchronisation entstand 1954 in Hamburg, seinerzeit in der britischen Besatzungszone gelegen). Das leicht affektierte und übertriebene Spiel der Darsteller ist ein zeitloser Genuss, der Film zählt zu den besten seiner Art. Für Historiker und Nostalgiker von noch größerem Reiz. Je vertrackter das Lügengeflecht der Handlung wird, desto süffisanter kann Wilde dann auch das Gebaren der Oberklasse demontieren. Die DVD-Wiederveröffentlichung in der Reihe „Pidax Film-Klassiker“ präsentiert uns den Film erstmals in ungekürzter Fassung, die ungefähr zwei Minuten länger ist als die bisherigen Versionen. Die rekonstruierten Szenen liegen im englischen Original mit deutschen Untertiteln vor. Das Bild des vom British Film Institute restaurierten Klassikers ist makellos, weist sehr kräftige und harmonische Farben auf (im Vollbildformat 1,37:1). Auch der Ton (Deutsch und Englisch in Dolby Digital 2.0) ist stets gut verständlich, ein gelegentlich leichtes Rauschen in der deutschen Synchronfassung fällt nicht weiter ins Gewicht. Als Extra hat man den verkleinerten Nachdruck des vierseitigen Progress-Film-Programms (Nr. 90/59) als Booklet beigefügt, der zahlreiche Fotos, eine Inhaltsangabe und eine Besetzungsliste enthält.