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Fährmann Röbbe - »Spätsommer«

SpätsommerFährmann Röbbe
»Spätsommer«

Der deutsche Schriftsteller und Dramatiker Max Dreyer (1892-1946) ist heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten. Im frühen 20. Jahrhundert machte er sich indes einen Namen und wurde oft als „Dichter der Ostsee“ bezeichnet. Mit Machtergreifung der Nationalsozialisten ließ er sich allerdings auch vor deren Karren spannen. Nun hat Pidax in seiner Reihe „Film-Klassiker“ die Dreyer-Adaption „Spätsommer“ auf DVD veröffentlicht.

SpätsommerDass Max Dreyer im Oktober 1933 zu den 88 Schriftstellern gehörte, die das „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ für Adolf Hitler unterzeichneten, ist sicherlich der große Schandfleck in der Karriere eines Mannes, der sich ansonsten für das Leben der kleinen Leute stark machte und dessen Werke häufig um deren Schicksale kreisten. Sein Bühnenstück „Die Siebzehnjährigen“ wurde mehrfach verfilmt, die ersten Versionen entstammen noch der Stummfilmzeit. Auch der Roman „Das Himmelbett von Hilgenhöh“ oder das Stück „Reifende Jugend“ wurden für die Kinoleinwand adaptiert. Im Jahr 1966 nahm sich Regisseur Eugen York („Morituri“, „Nebelmörder“) der Dreyer-Novelle „Altersschwach“ an und verfilmte diese für das Zweite Deutsche Fernsehen mit renommierter Starbesetzung unter dem Titel „Spätsommer“. Auch hier lassen sich wieder Parallelen zu anderen literarischen Werken über kleine Leute ausmachen, seien es Ernst Penzoldts „Die Powenzbande“, Gerhart Hauptmanns „Fuhrmann Henschel“ oder Hauptmanns ebenfalls mehrfach adaptiertes Drama „Die Ratten“. Horst Pillau (1932-2021) adaptierte die Vorlage Dreyers mit subtilem Humor fürs Fernsehen.

SpätsommerIm Küstenstädtchen Schappenrode arbeitet Röbbe Klingenbarg (Martin Held) schon seit etlichen Jahren als Fährmann, um den Bewohnern einen kilometerlangen Marsch zur nächsten Brücke zu ersparen. Obwohl er sich bei allen stets großer Beliebtheit erfreut, ist er seinem Jugendfreund Jakob Vierendahl (Fritz Tillmann), der mittlerweile Gemeindevorsteher ist, ein Dorn im Auge geworden. Vierendahl kann im Gemeinderat durchsetzen, dass Röbbe gekündigt wird und man einen neuen Fährmann (Günter Glaser) anstellt, der effizienter und pünktlicher arbeiten soll. Als Begründung fällt den Stadthonoratioren nichts Besseres ein, als Röbbe „altersschwach“ zu titulieren. Da der alte Fährmann bei seinem bescheidenen Lohn nichts ansparen konnte und aufgrund der Beurteilung „altersschwach“ auch gar nicht einsieht, sich um einen neuen Job zu bemühen, liegt er fortan der Gemeinde auf der Tasche. Da er sich sein Zimmer bei Apotheker Vorweg (Werner Stock) ebenfalls nicht mehr leisten kann, wird er von Vierendahl und seinen Männern in eine heruntergekommene Hütte am Dorfrand einquartiert, das neue Armenhaus der Gemeinde. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und Röbbe noch einmal extra eins auszuwischen, siedelt der Bürgermeister im gleichen Haus auch Jette Bohn (Johanna von Koczian) an, die bislang vagabundierend durch die Gemeinde gezogen war und als Wahrsagerin und Hexe wenig Fürsprecher besitzt. Entgegen der ursprünglichen Annahme verstehen sich Röbbe und Jette aber ausgesprochen gut, was der Gemeinde im weiteren Verlauf immer neue Kosten verursacht.

Spätsommer„Spätsommer“ ist ein vorzügliches Beispiel grandioser Schauspielkunst. Sämtliche Rollen sind mit exzellenten Könnern ihres Fachs besetzt, so dass das Anschauen zu einem großen Genuss wird. Mit üppigem Rauschebart verkörpert Martin Held glaubhaft einen hart arbeitenden, rechtschaffenen Menschen, wohingegen Fritz Tillmann mit seiner schneidenden Stimme und seinem herrischen Auftreten den perfekten Antagonisten darbietet, dem das eigene Renommee wichtiger ist als das Wohl seiner Gemeinde oder die Finanzen des Haushalts. Komplettiert wird das Ensemble durch die seinerzeit 32jährige Johanna von Koczian („Wir Wunderkinder“), die ihre Rolle mit zurückhaltendem Charme anlegt und sich der Sympathien des Publikums schnell sicher sein kann. Dank Horst Pillaus treffsicherer Dialoge ein nach wie vor gut unterhaltender Fernsehfilm, der auch das Milieu der Dreyerschen Vorlage überzeugend einzufangen versteht. Die DVD-Erstveröffentlichung bietet ein ganz gutes schwarzweißes Bild (im Vollbildformat 1,33:1) und einen stets gut verständlichen deutschen Originalton (in Dolby Digital 2.0). Extras sind keine aufgespielt.

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