Paragraph 175 - »Große Freiheit«
Paragraph 175
»Große Freiheit«
Sebastian Meises („Stillleben“, „Outing“) neuer Film „Große Freiheit“ eröffnet mit einer Reihe Super-8-Aufnahmen, die geheim auf einer öffentlichen Toilette entstanden sind. Sie alle zeigen wiederkehrend einen jungen Mann (Franz Rogowski), der mit den unterschiedlichsten anderen Männern Kontakt aufnimmt und anschließend sexuelle Handlungen vollzieht. Wir befinden uns in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1968, und die gezeigten Aufnahmen dienen der Staatsanwaltschaft als Beweise für die Anklage gegen Hans Hoffmann, der damit bereits zum wiederholten Male aufgrund von §175 verurteilt wird, der sexuelle Handlungen unter Männern unter Strafe stellt. Noch während der Naziherrschaft war Hoffmann bereits zum ersten Mal wegen ähnlicher Delikte verurteilt und ins Konzentrationslager gesteckt worden. Mit Ankunft der Alliierten, die das Ende des Zweiten Weltkrieges einläutete, wurde Hoffmann allerdings nicht entlassen, sondern vom KZ in ein reguläres Gefängnis überstellt, in dem er den Rest seiner Strafzeit absitzen musste.
Meises Film springt immer wieder in den Jahrzehnten hin und her, in denen Hoffmann stets aufgrund seiner sexuellen Veranlagung zum Straftäter degradiert wurde. Sowohl in den 1950er Jahren als auch 1968 ist Hans verliebt in einen Mitgefangenen, was der Handlung als Roter Faden dient und Parallelen zwischen den Zeiten hervorhebt. Aber auch zwischen Hoffmann und dem heterosexuellen Gefangenen Viktor (Georg Friedrich) entwickelt sich eine intensive Freundschaft, die über all die Jahre Bestand haben wird. Vereint im Leid und in der Einsamkeit, entsteht zwischen den beiden ungleichen Männern eine Bindung, wie sie in Freiheit niemals möglich gewesen wäre. Der für einen Gefängnisfilm zunächst ironisch anmutende Titel „Große Freiheit“ ist nicht nur im übertragenden Sinne zu verstehen, sondern bezieht sich auch konkret auf ein Etablissement für Schwule, das mit der Abschwächung des Paragraphen 175 im Jahr 1969 neue, bislang ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sollte. Sebastian Meise ist mit diesem Film ein intensives Charakterporträt geglückt, das den Zuschauer die bedrückende Atmosphäre und unmenschliche Behandlung in deutschen Gefängnissen der Wirtschaftswunderjahre eindringlich vor Augen führt. Angesichts der hierzulande über Jahrzehnte hinweg erstrittenen Rechte für Homosexuelle kommen uns diese Bilder mittlerweile wie aus längst vergangenen Zeiten vor, sind in anderen Ländern aber leider auch heute noch an der Tagesordnung.
Nicht nur diese Tatsache macht Meises Film auch in unserer Zeit relevant und brisant. Darüber hinaus gelingt es dem Filmemacher nämlich auch, eine poetische Liebesgeschichte zu erzählen, die stilistisch mal an Wolfgang Petersens innovativen Fernsehfilm „Die Konsequenz“, mal an die ruppig-naturalistischen Schilderungen eines Rainer Werner Fassbinder in „Faustrecht der Freiheit“ erinnert. Ein in den zentralen Rollen toll gespieltes, intensives Filmerlebnis. Die DVD-Erstveröffentlichung bietet den Film in gutem Bild (im Widescreen-Format 1,88:1) und angemessenem, wenngleich überwiegend unspektakulärem Ton (Deutsch wahlweise in Dolby Digital 5.1 und 2.0, optional mit deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte und als Audiodeskriptionsfassung für Sehbehinderte). Die Extras umfassen den Trailer zum Film und ein zwölfseitiges Booklet mit zahlreichen Fotos, einem kurzen Text des Drehbuchautors zu den historischen Hintergründen und ein umfangreiches gedrucktes Interview mit dem Regisseur.