Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 4 F.G. Wilkins: Der grüne Regen (Leihbuch, 1959)
Teil 4:
F.G. Wilkins: Der grüne Regen
(Leihbuch, 1959)
Angeblich wollte Augenzeugen-Pilot Kenneth Arnold mit dieser Metapher nicht das Aussehen, sondern die Bewegung von 1947 gesichteten UFOS am Himmel beschreiben.
Und doch war der Begriff folgenschwer. Er prägte die gesamte SF-Literatur auf Jahrzehnte.
Nicht restlos geklärt ist, wann eigentlich genau die Fliegende Untertasse Einzug in die deutsche SF hielt. Angeblich recht spät, wenn man einigen Quellen glauben will. Auf Illustrationen erscheinen Sie jedenfalls schon Mitte der 50er Jahre. So ist auf dem Pabel-Utopia-Heft Nr. 69 (SOS Ocean Werke) ein Geschwader Untertassenähnlicher Schiffe abgebildet - allerdings sind es wirklich Schiffe – und tauchen im wahrsten Sinne des Wortes unter Wasser auf. Die Umschlagszeichung von Wolf Detlef Rohrs Roman „Dr. Toyakas Weltraumtestament“ (1954) zeigt eindeutig eine Fliegende Untertasse. Allerdings ist sie da irdischer Herkunft, ein Zukunftsentwurf.
So zählt vielleicht wirklich F.G. Wilkins' Roman „Der grüne Regen“ aus dem Jahr 1959 zu den ersten deutschen Invasionsromanen, in denen Fliegende Untertassen aus der Luft die Erde attackieren. Denn dass es sich um keine Übersetzung, sondern um das Pseudonym einer deutschen Autors handelt, gilt heute als sicher. (Siehe dazu auch die Einträge in der SF-Leihbuchdatenbank.) Welcher es genau ist, bleibt im Dunkeln. Zum Glück für den Autor. Denn der Roman ist wirklich verdammt schlecht.
Trotzdem dürfte Sammlern von SF-Trash das Herz lachen, wenn ihnen dieser Roman in die Hände fällt. In gutem Zustand schmückt er das Bücherregal durchaus – der Einband ist einem auch nach 50 Jahren noch grell leuchtenden Giftgrün gehalten, dem auch nachgedunkelte Schutzfolie nur wenig anhaben kann. Mitten im Grün: Wirklich prachtvolle UFOs in bester Klischeemanier. Unten schützt sich ein entsetzter Erdenbürger mit weit aufgerissenem Mund vergeblich mit dem Arm vor der Invasion. Toll.
Auch die Handlung des Romans ist erst einmal gar nicht so unoriginell. Durch einen Zufall entdeckt ein Professor im Labor eine neue Strahlensorte – die er dann später Xantostrahlen tauft. Er stellt entsetzt fest, dass er mir diesen Strahlen Fliegende Untertassen am Himmel ausmachen kann, und nich nur dass – er entdeckt auch unheimliche menschenähnliche Gestalten in seinem Haus, auf den Straßen, in der Luft. So bemerkt die Menschheit, dass eine Invasion durch Aliens längst im Gange ist. Die Außerirdischen verstehen sich unsichtbar zu machen. Mit der zufälligen Entdeckung der Xanto-Strahlen tritt die Menschheit in einen Krieg ein. Dabei sind die Aliens zunächst überlegen, sie überschütten strategisch wichtige Orte mit einem grünen Säureregen, der alles zerfrißt. Doch die Menschen entdecken das wichtige Hauptschiff der Aliens – das sie dann gezielt vernichten, womit sich das Blatt schnell wendet.
An diesem Roman zeigt sich sehr schön, das eine gute Grundidee noch keinen guten Roman macht. Zu viele Nebenschauplätze zerfasern und ermüden die Aufmerksamkeit des Lesers, es gibt keine Personen, mit denen er sich identifizieren könnte, die Lösung ist viel zu simpel und konstruiert. Das Schlimmste ist aber, dass der Autor überhaupt nicht schreiben kann und nicht das geringste Gefühl für Sprache hat. Selbst für einen Leihbuchroman ist dieser gestelzte, dem Amtsdeutsch entlehnte Stil unterirdisch schlecht. Da wimmelt es von den klassischen Substantivierungen, also typischen Anfängerfehlern in der Schreiberzuunft:
„Die Nichteinsetzung der Xantostrahlen in größerem Umfange entsprang nicht unserer Unfähigkeit, sondern unserem Verantwortungsgefühl.“
heißt es da etwa.
Wilkins verschenkt viel, indem er es nicht versteht, auch nur einen Hauch von Atmosphäre aufzubauen. Was hätte man nicht alles aus dieser unheimlichen unsichtbaren Bedrohung machen können! Bei ihm liest sich alles wie ein Aktenvermerk der Stasi. Besonders schmerzlich ist es, wenn er sich in dramatischen Momenten selbst immer wieder durch seine storchenbeinige Art zu schreiben ausbremst:
„Dr. Parker wurde durch das Auftauchen einer fliegenden Untertasse seiner weiteren Gedanken enthoben.“
Ach was! Möchte man da wie Loriot ausrufen. Peinlich auch die vielen, vielen Komma- und Grammatikfehler – was wieder ein Indiz dafür ist, dass in vielen (vor allem kleineren) Leihbuchverlagen wohl gar nicht Korrektur gelesen wurde.
Auch die zeitgenössische Kritik – wenn sie den Roman überhaupt zur Kenntnis nahm – zerriß ihn in der Luft. So wünschte sich der Rezensent der Zeitschrift „Transgalaxis“ 1959 nach der Lektüre sehnlichst, der Autor möge in dem von ihm erfundenen grünen Regen elendiglich umkommen.
Dafür hab ich durchaus Verständnis. Wohlgemerkt: meine Kritik richtet sich hier weiß Gott nicht gegen utopische Leihbuchliteratur schlechthin. Auch für mich, als abenteuernder Leser, der sich durch den Dschungel an Leihbuchliteratur schlägt, ist es aufregend und überraschend, dass sich in dieser dem Leser „normaler“ Literatur oft fremden, mit eigenen Gesetzten behafteten Binnenwelt ebenso Genies und Nieten finden lassen wie in der „großen“ Literaturwelt. Gegen Wilkins' Roman lesen sich die Bücher von Rohr und Seitz (alias J. E. Wells) wie Dickens und Tolstoi.
Fazit: Sammler, die auf äußerlich schöne Leihbücher oder SF-Trash wert legen, sollten unbedingt zuschlagen, wenn der Band bei Ebay oder im ZVAB auftaucht. Freunden unterhaltsamer Literatur sei dringend abgeraten. Dies hier ist wirklich ungenießbar.
Nächste Folge: Teil 4 - H.H. Wells: Die Zeitmaschine (1895)