Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 6: Friedrich Wilhelm Mader – Wunderwelten
Teil 6:
Friedrich Wilhelm Mader – Wunderwelten
(1911)
Da wären die Romane Oscar Hoffmanns und Albert Daibers, aber auch so eigenwillige Heftserien wie „Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff“ oder „Aus dem Reiche der Phantasie“.
Doch selbst unter diesen Sonderbarkeiten nimmt sich Friedrich Wilhelm Maders durchgeknallter Roman „Wunderwelten“ aus die ein Paradiesvogel unter Spatzen. Was den Roman aber nicht unbedingt sympathischer macht.
Ich fand das immer ganz sonderbar – fast alle Klassiker des deutschen Abenteuers haben ihre Fangemeinde. Ob Gerstäcker, May oder Kraft – es gibt sie immer noch, die Anhänger, die ihre Bücher verschlingen und lieben. Selbst ein aus heutiger Sicht stilistisch völlig ungenießbarer Autor wie Balduin Möllhausen hat eine winzige aber fanatische Anhängerschar. Warum nicht auch Friedrich Wilhelm Mader?
Der gehörte einst, zwischen Jahrhundertwende und zweitem Weltkrieg, zu den meistgelesenen Autoren der Unterhaltungsbranche. Er wird immer wieder mal als Karl-May-Imitator eingestuft, aber das schießt völlig am Ziel vorbei. Er zählt eindeutig zu den Epigonen Henry Ridder Haggards, dem britischen Vater der Fantasy. Wie Haggard mischt er oft exotische Abenteuer mit völlig verrückten Fantasy- und SF-Elementen, vielleicht am glücklichsten in „Die Messingstadt“ ein Roman um eine mysteriöse Metropole mitten in der Sahara.
Klingt erstmal alles total spannend. So dachte auch ich. Ich schob die Vergessenheit des Autors auf einen sehr nüchternen Grund: Er hat recht lange gelebt, nämlich bis 1945. Das heißt, seine Werke sind (bis zum nächsten Jahr ) nicht gemeinfrei. Anders als bei Kraft, May und Gerstäcker gibt’s also wenig Möglichkeiten für kleine Verlage oder Internetforen, seine Werke zu publizieren.
Tatsächlich hat das Schweigen um Mader, wie ich jetzt nach der Lektüre weiß, auch ideologische Gründe. Mader war fanatischer Protestant und lange Zeit neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch Pfarrer. Wir haben es ein paarmal erlebt, dass SF und religiöser Eifer sich gut vertragen, doch in Maders Fall verbindet sich sein sehr naiver Glaube mit einer geradezu pathologischen Ablehnung von materialistischem und positivistischem Gedankengut. Nun lagen aber damals leider die großen Erkenntnisse übers Weltall bei ebenjenen verfemten Materialisten und Positivisten. Und überhaupt, es gab viele weltoffene Stätten der Forschung und der Wissenschaft um 1910. Aber leider nicht grade im Schoß der Kirche.
Somit wird Maders großes Weltraumabenteuer „Wunderwelten“ zum wohl verdrehtesten Anti-Scifi-Roman einer ganzen Ära.
Um sich nicht mit den Hauptströmungen der Wissenschaft gemein zu machen, wählt Mader für seinen Roman die eher abwegigen Theorien der Zeit aus, um sie seinen Abenteuern zugrundezulegen. Dazu gehört nicht der Anti-Grav-Antrieb der „Sanna“, wie sein Raumschiff heißt, der war nach 165 Heften von „Der Lufpirat und sein lenkbares Luftschiff“ bereits ein alter Hut und fast schon ein anerkanntes Transportmittel in der Scifi-Szene. Tatsächlich erinnert Maders Metall-Kugel-Raumschiff in manchen Details ans Weltenfahrzeug des Luftpiraten. Allerdings sind die Crewmitglieder hier in den „Wunderwelten“ weniger martialisch als die Gefährten des finsteren Käpten Mors, sondern wirken eher wie leicht debile Beteiligte an einem Urlaubsausflug eines Pflegeheims. Mit dabei: ein englischer Lord samt Gattin, quasi der Geldgeber; ein dicker deutscher Kapitän (der bezeichnenderweise Münchhausen heißt), ein Professor, ein junger Abenteuer (Heinz Friedung), dessen Diener und zwei Schimpansen. (Manchmal liest man auch in Abhandlungen zum Roman, es seien drei; seit dieser Fehler durch die Sekundärliteratur geistert, kann man immer schön sehen, welcher Rezensent das Buch wirklich gelesen oder nur abgeschrieben hat). Diese Gruppe macht sich völlig disziplinlos, fröhlich den Roman durchschwatzend, wie ein Haufen argloser Dilettanten auf den Weg ins Weltall.
Der gemütliche Schreib-Stil Maders, mit dem er diese Gruppe schildert, ist schon sonderbar. Zwar gibt es diese stilistische Gemütlichkeit öfter in der alten SF. So benutzt sie etwa der französische Horrorautor Maurice Renard, um Kontrastwirkungen zu erzielen. Renard erzählt wie ein Märchenonkel von dantesken Gräueln; unvergesslich etwa, wenn er im Invasionsroman „Die blaue Gefahr“ (1912) lauschig berichtet, wie die Aliens entführte Menschen lebend zerschneiden und ihre Gliedmaßen aus den Raumschiffen auf die Städte regnen lassen. Oder Daiber: Sein Geplapper ist liebenswert-satirisch, eine Frage seines augenzwinkernden schwäbischen Temperaments.
Maders Gemütlichkeit ist einfach nur dämlich. Es ist, als würde eine von Raabe erfundene Gesellschaft vom Tee aufstehen und eben mal im Weltall vorbeischauen.
Aber: Letztendlich begegnen die Insassen des Romans doch so manchen Gefahren, die dann die Geschichte es was dunkler einfärben. Die Crew reist zum Mars und zum Saturn. Auf dem Mars werden die Besatzungsmitglieder fast von gigantischen Würmern gefressen:
Der Wurm krümmte und wand sich, schnellte dann aber plötzlich vor und ringelte sich um des Schützen Fuß, in raschen Windungen an ihm hinaufkriechend. Von Schauer und Ekel erfasst, griff der junge Mann nach seinem Dolchmesser und bearbeitete das Tier mit Stichen und Schnitten; allein sah er sich auf einmal von allen Seiten angegriffen: da erhob sich ein schlüpfriges Haupt, dort ein zweites und drittes; und sie wanden sich an ihm empor, all die unheimlichen Geschöpfe, und so viele Köpfe er abschnitt, seine eigenen Kleider in der Eile der Abwehr zerfetzend, die Zahl war zu groß, er konnte nicht mit ihnen fertig werden!
Ein stechender Schmerz im Nacken ließ ihn nach hinten greifen: Er berührte den kalten schleimigen Leib eines der Würmer, der sich dort festgesogen hatte und ihm das Blut aussaugte...
Das ist gar mal so übel – wenn auch eher eine Ausnahmeerscheinung in dem über weite Strecken betulichen Roman. Später gibt’s auf dem Saturn noch mal Ärger mit Rieseninsekten, aber der ist dann nicht mehr so packend gestaltet.
Auch einem hochschädeligem alten Marsianer begegnen die Erdlinge. Der allerdings bewegt sich zwischen lauter Leichen, die Marsianer sind alle bei gigantischen Erdbeben umgekommen, die verblüffend an die großen Verwerfungen im 2012-Blockbuster erinnern; auch das eine schön geschilderte Vision, denn die Expedition entkommt einem Schlamm-Tsunami nur ganz knapp.
So weit, so amüsant. In einzelnen Teilen des langen Romans entwickelt Mader wirklich eine Phantasie, die den Leser mitreißt. Oft zügelt er sie aber – indem der etwa den alten Verne-Traditionen folgt, und, wie in vielen Scifi-Romanen der Zeit üblich, in Gesprächen lang und breit astronomische Fakten ausbreitet.
Die sind dann gar nicht sooo langweilig, weil aus heutiger Sicht erfreulich falsch, also fesselnd.
Doch wenn sie in die Handlung selbst eingebaut werden, sind sie doch recht störend. So glaubt Mader, dass alle Planeten eine atembare Atmosphäre haben wie die Erde, ja dass der Weltraum selbst (!) mit einer Art dünner Luft gefüllt ist. So kommt es, das auch im Weltall öfter mal eine Tür geöffnet wird, um frische Luft hereinzulassen. Außerdem ist es nie so warm oder so kalt, dass es den Menschen wirklich schadet, ja die Expedition durchfliegt im Laufe des Romans sogar die Sonne (!), ohne dass das Raumschiff, geschweige denn die Insassen größeren Schaden nehmen. Schuld an diesem wohltemperierten Kosmos für Warmduscher ist Maders fanatische Überzeugung, dass Gott die Welt, die er auf der Erde erschaffen hat, auch im Großen wiederholt, eine These, die weit über den sonstigen Anthropomorphismus jener SF-Ära hinausgeht. Das macht das Buch schon fast wieder originell. Wenn auch nicht genießbarer, denn es ist durchsetzt mit einer so aufdringlichen anti-atheistischen und anti-agnostischen Polemik (Die Raumfahrer beschimpfen bei Tischgesprächen auch namentlich prominente deutsche Religionskritiker unflätig wie Waschweiber), dass auch dem unvoreingenommensten Leser der Spaß an der Lektüre vergeht.
Im letzten Viertel gerinnt der Roman dann endgültig zu einer pietistischen Arie. Man landet auf einen Planeten im Stern des Nachbarsonnensystems Alpha Centauri, auf dem alles absolut perfekt ist, so dass er von den Insassen des Raumschiffs auch folgerichtig – Eden genannt wird.
Hier nun ergibt sich für moderne Leser ein interessantes Missverständnis. Bekommen wir heute einen Planeten serviert, auf dem die Löwen kuscheln kommen, die Bäume essbar sind und nach Zucker schmecken, die Luft klar ist und die weiblichen Einwohner alle aussehen wie Nicole Kidman in ihren besten Jahren, würden wir denken: Da stimmt doch was nicht! Wir würden auf eine grausige Pointe warten. (Wie es sie etwa in Ray Bradburys Erzählung „Die Dritte Expedition“ gibt)
Die Pointe bei Mader ist allerdings wirklich grausig, viel grausiger als es sich Brandbury je ausmalen konnte: das ist alles ganz ernst gemeint! Es ist eine Art spießige Utopie, die uns heute letztendlich als Dystopie erscheint, denn jeder von uns würde auf diesem Planeten wahnsinnig werden.
Was aber natürlich nicht die Intention Maders ist.
Tatsächlich nehmen die Raumfahrer sogar eine der schönen Elfen des Planeten mit zur Erde, wo sie brav den Heinz ehelicht. Warum ein Wesen aus einer perfekten Welt einen eher unerfreulichen Ort wie die Erde aufsuchen sollte, erklärt Mader ganz schlicht mit christlicher Nächstenliebe. Denn natürlich sind die Einwohner von Eden alle stramme Protestanten – sie haben es bloß noch nicht gewusst.
Fazit – trotz völlig verrückter Einfälle bleibt der Roman wegen seiner aggressiv-protestantischen, zum Teil auch deutschnationalen Emphase auch heute so schwer genießbar, wie er es vermutlich schon bei seiner Erstveröffentlichung 1911 war. Denn die Einfälle entspringen nicht einem fröhlichen Übermut, sondern wirklichen Zwangsvorstellungen des Autors. So lässt er am Schluss mehrere Seiten „Nachweise“ folgen, Quellenangaben mit Büchern, die angeblich seine Thesen belegen. Liest man das Kleingedruckte genauer, handelt es sich oft um „wissenschaftliche“ Feuilletons aus reaktionären Familienblättern, etwa „Daheim“ oder der „Deutschen Reichspost“.
Insofern ist der Roman wohl leider nicht nur das Spiegelbild der verdrehten Weltsicht eines Einzelnen, sondern der eines ganzen (deutschen) Menschenschlages. Und damit sind die „Wunderwelten“ ein wichtiges Zeitdokument. Und als solches durchaus lesenswert. Dem Liebhaber amüsanter Unterhaltungsliteratur möchte ich auch nicht von der Lektüre abraten, denn grade die krude Weltsicht und so manche gelungene völlig haarsträubende Episode lohnen die Lektüre durchaus. Nur sollten wir uns von dem lange kolportierten Gedanken verabschieden, dies sei ein wichtiges Werk der deutschen SF. Es ist eher eine kuriose Verirrung.
Übrigens wurde der Roman fortgesetzt: Die Romane „Die tote Stadt“ und „Der letzte Atlantide“ spielen allerdings wieder auf der Erde.
Erwähnenswert sind noch die schönen Jugendstil-Illustrationen von Willi Egler; dies dürfte einer der wenigen Momente sein, in dem sich deutsche SF und Jugendstil berühren. Wäre doch nur das Buch so bezaubernd wie Eglers Visionen!
Glücklicherweise hat der Heyne-Verlag bei der Neuauflage des Romans 1987 die Bilder mit übernommen. Das Taschenbuch (völlig ungekürzt im Wortlaut der Urfassung!) ist auch heute noch preiswert zu bekommen.
Nächste Folge: Frank Belknap Long: Das Grauen in den Bergen. Horrorstories (1931-35)
Kommentare
Interessant zu lesen was man damals auf die Leser so losgelassen hat.
Zitat: Interessant. Zum Beispiel?
Zitat: Aber ist das nicht eines der Hauptelemente dieser Art der Romane in der Zeit? Klar, bei Verne sind diese Leute immer hyperkompetent - europäische Ingenieurskunst baut da nur mit einem Spaten bewaffnet eine Fabrik, um es mal überspitzt auszudrücken -, und bei den Engländern und Amerikanern letztlich auch, ob es nun Doyle oder Burroughs ist, Dass das durch die Brille eines deutschnationalen Autors mit einer Botschaft eher verzerrt rüberkommt, wundert mich nicht.
Der Erfolg von Doyle und Co lag sicher nicht zuletzt darin, dass sie bei ihren Lesern voraussetzen konnten, den Helden und wofür sie stehen zu kapieren, ohne dass man es ihnen breit erklären musste. Damit hatten deutsche Autoren dank der mangelnden Tradition oft so ihre Probleme.
Zitat: Da wäre ich mir nicht so sicher Ich könnte mir vorstellen, dass er im wilhelminischen Zeitalter ein dankbares Publikum gefunden hat.
Campanella, Die Sonnenstadt (1623), Northomb, Die Erlösung des Mars (1922), um zwei Klassiker zu nennen. Natürlich bleibt der Versuch, Religion und SF unter einen Hut zu bringen, schon schrill. Rechnet man kommunistische Ideologie auch zu religiösem glauben, wäre auch noch alexej Tolstois Aelita ein schönes Beispiel.
Aber ist das nicht eines der Hauptelemente dieser Art der Romane in der Zeit?
Klar, aus heutiger Sicht wohl schon. Auch die Expedition etwa in Daiblers Weltenseglern wirkt recht dilettantisch. Aber es sind immerhin, wie fast immer in dieser Zeit, Wissenschaftler. Mich hat hier so amüsiert, dass dieses Gartenlaube-Volk den Weltraum bereist, außer einem Professor alles eher ulkiges ungebildetes Personal...
Da wäre ich mir nicht so sicher Ich könnte mir vorstellen, dass er im wilhelminischen Zeitalter ein dankbares Publikum gefunden hat.
Ja, da hast du wohl recht! Ist ja etwas widersprüchlich im Text - einerseits sage ich, dass der Autor total erfolreich war, andrerseits befremdet der Roman, auch im Vergleich mit andern aus der Ära. Selbst der "Luftpirat" liest sich plausibler. Aber es ist wohl so, dass wir uns unbewußt mit ähnlich denkenden Kollegen in früheren Zeiten identifizieren. So ja auch oft im Zauberspiegel: Über die Heftromane reflektieren hier in den Lesereisen etc. reife Erwachsene. Dabei sind die Hefte vor allem für Jugendliche konzipiert gewesen. Die vielleicht grade bestimmte Albernheiten lieben, die wir heute bescheuert finden oder denen Logikfehler schnurz sind. Ähnlich Mader: Dessen Publikum war wohl zwischen 13-16, die werden das aufgesogen haben; aber reflektierende Phantastik-Leser, die Lasswitz und Verne kannten, oder Wells... Für die wars wohl ungenießbar. Doch wie gesagt, da geb ich dir völlig recht, eine große Masse hat das wohl gern gelesen.
Respekt. So tief bin ich dann doch in der SF doch nicht vorgedrungen. Ich habe mir zwar vor einer Ewigkeit die Ur-Gothics wie Walpole angetan und sogar William Morris, aber solche Bücher oder die klassischen Utopien wie von Morus oder Campanella habe ich dann doch gemieden
zitiere Matthias käther:
Derartiges ist ja oft - auch plump - parodiert worden. Ich denke da an den Lupoffs Vorstoß in den Äther. Witzigerweise ist diese Gruppenzusammensetzung ein so fester Bestandteil des Genres geworden - und das haben sich die Autoren ja nicht aus den Fingern gesogen, sondern da gab es ja handfeste historische Vorbilder - dass man das noch heute in entsprechenden Romanen benutzt.
zitiere Matthias käther:
Das ist wohl wahr. Damit habe ich auch immer zu kämpfen. Die Frage, warum einem damals nicht aufgefallen ist, wie inhaltsleer oder schlampig geschrieben so vieles ist, beschäftigt einen. Andererseits hat man - oder sagen wir die meisten - natürlich diesen jungen Blickpunkt nicht mehr.
Aber die ZS-Generation und erst recht ihre Eltern- und Großeltern hatten natürlich den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass sie über solche Phantasie noch staunen und sich mitreißen lassen konnten. Das ist heute ungleich schwerer, weil man mit dem Material unablässig bombardiert wird, ob nun als Spiel oder auf der Leinwand.
Darum finde ich Artikel wie deine auch so wichtig. sie verleihen doch so manchem eine neue Perspektive.
Utopia hab ich im Februar nochmal gelesen - ein schreckliches Buch! heute würden wir das als Dystopie bezeichnen, das ist reiner Faschismus, was die Utopier da treiben. Vielleicht mach ich mal was dazu...