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Der Luftpirat und Matthias - Band 20 Der Millionenschatz-Turm des Tyrannen

Der Luftpirat und MatthiasBand 20 –
Der Millionenschatz-Turm des Tyrannen 

Was Innovation und abstruse Ideen betraf, reichte vor dem 1. Weltkrieg keine Serie an  »Der Luftpirat« heran, nach Einschätzung vieler Experten die erste Science-Fiction-Reihe der Welt überhaupt. Erschienen sind um 1910 genau 165 Abenteuer, die in einem Format herauskamen, das zwischen dem heutigen A5 und A4 angesiedelt war. Ich unternehme eine Lesereise und berichte über die Abenteuer des Luftpiraten.


Der Millionenschatz-Turm des TyrannenBand 20 – Der Millionenschatz-Turm des Tyrannen  
Schauplatz:
Fiktive südamerikanische Diktatur

Was bisher geschah
Europa, um 1905. Kapitän Mors war einst ein genialer Ingenieur, der im Kaukasus lebte und von Russland politisch verfolgt wurde. Im Geheimen baut er mit treuen Gehilfen ein gigantisches Kriegs-Luftschiff aus Metall, rüstet es mit hypermodernen selbsterfundenen Superwaffen aus, zieht als Robin Hood der Lüfte durch die Welt und überfällt Schiffstransporte, Gold- und Diamantenminen, um das Geld den Armen zu schenken.

Inhalt:
Nach einem erfolgreichen Putsch in einer namentlich nicht genannten südamerikanischen Ex-Republik droht schon kurz nach Entmachtung des Parlaments durch den Diktator Comares eine internationale Krise. Die neue Regierung hat kurzerhand alle unbequemen westlichen Diplomaten und Geschäftsleute einkerkern lassen.

Natürlich ruft das – auch ohne EU – eine gewaltige internationale Aktion auf den Plan. An der Küste haben sich Kriegsschiffe fast aller westlicher Nationen versammelt und bedrohen die Hauptstadt.

Unter diesem Druck entläßt Comares die Gefangenen aus dem Gefängnis. Unter ihnen ist auch der deutsche Geschäftsmann Wildau. Auf ihn hat es Comares besonders abgesehen. Denn er hat eine schöne Tochter Else, an die der Tyrann unbedingt ran will. Doch obwohl Wildau den Braten riecht, ist er doch zu feige, aus dem Land zu fliehen. Sein ganzes Vermögen hat er in Aktien und Ländereien im Land gesteckt. Das weiß Comares, und er beschließt,  nach Entspannung der politischen Lage den Alten auszuschalten und die junge Frau, die er auf irgendeiner Hazienda versteckt hält, zu entführen.

Vorläufig führt er spannende Verhandlungen mit Frankreich. (Im Heft wird zwar von einer „europäischen Großmacht“ gesprochen, die gegen eine andere einen Krieg verloren hat und deren Unterhändler Henri heißt, aber die Zeitgenossen lasen sofort heraus, dass es um Frankreich und den verlorenen Krieg gegen Deutschland 1870/71 ging.)

Frankreichs genialer Plan: Die neue Diktatur als Staat anerkennen und im Gegenzug die zusammengeraubten Milliarden kassieren, die Comares den politischen Gegnern abgenommen hat. Dieses Geld will Frankreich – so deutet das Heft nicht grade subtil an – dazu nutzen, um einen Weltkrieg zu entfesseln.

Doch Henri verhandelt ungeschickt. Der Diktator hat berechtigte Zweifel, ob sich Frankreich auch an die Versprechen halten wird, wenn das Geld erst mal ausgezahlt wurde.

Und so liegt es weiter streng bewacht in einem Hochsicherheits-Turm, in dem der gesamte Staatsschatz des Landes aufbewahrt wird.

In diese spannungsgeladenen Situation knattert der Luftpirat mit seinem lenkbaren Luftschiff hinein.

Bei einem Spaziergang – das Luftschiff liegt gut versteckt im Gehölz - hört er unabsichtlich ein Gespräch zwischen Else Wildau und ihrem jungen Geliebten. So erfährt er von der Gefahr, in der das junge Mädchen schwebt. Sofort erwacht in ihm der alte Don-Quichotte-Trieb, und er bietet sich dem verblüfften Paar als ritterlicher Retter an.

Das ist noch ganz benommen, als der Pirat auch schon handelt – und das in letzter Sekunde. Denn ein Trupp Soldaten ist bereits unterwegs, um Wildaus Hazienda zu durchsuchen und die dort vermutete Elsa festzunehmen. Einige wohlgezielte Betäubungsgasgranaten reiben den Trupp vollständig auf.

Derweil geht Henri neue Wege, um an sein Geld zu kommen. Er verbündet sich mit einer brutalen Mörder-Bande. Er hat in der Bibliothek entdeckt, dass ein geheimer Gang ins Turminnere führt, und so will er mit den Räubern den Staatsschatz auf eigene Faust rauben. Der Eingang liegt in der Nähe des Turms. Dafür müssen „nur“ 50 Wachsoldaten  gekillt werden, die dort Streife gehen.

In einer sehr brutalen Aktion geschieht das auch. Die Bande erreicht das Turminnere. Doch grade als man dabei ist, die Schätze zu verladen, röhrt das Luftschif heran und zerballert das Turmfenster.

Die Überraschung ist beiderseitig. Es kommt zum Feuergefecht, doch gegen die Elektropistole des Luftpiraten haben die Gangster keine Chance. Sechs werden von der Superwaffe in Stücke gerissen, die andern fliehen, unter ihnen auch Henri.

Doch den erwartet draußen der tobende Diktator, der dem Franzosen auf die Schliche gekommen ist. In einem Pistolen-Schlagabtausch kommen beide um.

Der Luftpirat aber bringt den Staatsschatz, darunter den Besitz von Wildau, mitsamt der Familie außer Landes.

Kommentar
Nun ja. Südamerikanische Abenteuer dieser Art sind in der Reihe nichts Neues. Ob sich hier einer der Autoren auf sowas spezialisiert hat? Besonders der Topos der bedrohten Schönheit durch Machthaber wird hier wieder mal zelebriert.

Sieht man mal von dieser Banalität ab, die hier auch nur, wie Alexandre Dumas sagen würde, der Nagel ist, um die Geschichte dran aufzuhängen, bleibt ein recht buntes, fesselndes Garn übrig, das sich wirklich amüsant wegliest.

Faszinierend ist die Mischung aus althergebrachter Kolportage-Geschichte und düsterer Weltkriegs-Vorahnung. Nicht dass Politik kein Kolportage-Thema wäre – im Gegenteil, Politik war bis Ende des 19. Jahrhunderts sogar ein Lieblingsthema der Kolportage-Literatur, vor allem Frankreich kam da schlecht weg und wurde immer wieder diffamiert und herabgesetzt. So als hätten die Deutschen den 1871er Krieg nicht gewonnen, sondern verloren! 

Doch was hier vor allem an Kolportage reinsten Wassers erinnert, sind natürlich Geheimgänge, Räuberbanden, der Schatzturm und die brutale Schilderung der vielen Morde.

Darauf warfen sie sich auf die Sterbenden, denen sie die zusammengerollten Mäntel auf das Gesicht preßten, damit kein Stöhnen und Röcheln laut wurde.

Trotz der holzschnittartigen Handlung ist die Idee bemerkenswert, dass Frankreich versucht, über Geheimverträge an Geld für einen Weltkrieg zu kommen. Sie zeigt (das Wort „Weltkrieg“ fällt hier ganz wörtlich), dass man sich kommender Spannungen um 1908/9 schon sehr bewußt war und mögliche Weltkriegs-Szenarien schon recht klar voraussah. Natürlich wohlig schaudernd und nicht wirklich an eine echte Katastrophe glaubend. Aber unter der Oberfläche dieser trivialen Heftseiten spürt man doch eine gewisse dumpfe Angst vor kommenden Gefahren. Wir werden diesem Unbehagen noch öfter begegnen, am stärksten vielleicht in dem bemerkenswerten Heft Nr. 28, „Der Sprengstoff des Mongolenzauberers“, in dem schon, gekleidet in eine exotische Fabel, die Angst vor neuen Superwaffen deutlich zu spüren ist.

Die lustigsten Sätze
Schräge Metaphern sind im Heftroman nicht nur erlaubt, sondern gern gesehen. Doch selten genug kommt es vor, dass der Autor über die Treffsicherheit seiner Metaphern beim Schreiben laut nachdenkt:

„An jeden dieser Nichtsahnenden kroch einer der Banditen heran, lautlos, geschmeidig wie eine Katze oder richtiger gesagt wie eine Schlange.“

Übersicht

Heft 21: Das Gefängnis auf der Teufels-Insel (21.06)
Heft 22: Kapitän Mors' schwerste Stunde
(05.07)
Heft 23: Das Geheimnis des Bergschlosses
(19.07)

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Kommentare  

#1 Andreas Decker 2016-05-10 10:04
Ist der Autor eigentlich auf die Idee gekommen, dass der Diktator vielleicht durchaus recht mit seinen Aktionen hat, wenn die Ausländer sein Land derart ausplündern, dass es für einen europäischen Krieg reicht? :lol: Und welche Form hat der Schatz? Das müssen schon ein paar Kisten gewesen sein :lol:

Mit dem Bewusstsein der Kriegsgefahr, das wundert mich nicht. Man hat doch der jungen Generation eingebläut, dass die Franzosen der Feind sind, der eher heute als morgen ins Elsass einmarschiert und erst in Berlin stehenbleibt. Da waren sie ein genauso guter Feind wie die Briten, die nichts von ihrer kolonialen Beute abgeben wollten.

Diese Art Spannungsliteratur braucht nun einmal ein Feindbild. Egal, ob es unbegründet oder begründet ist.
#2 Hermes 2016-05-10 11:22
Heute wird die "Erbfeindschaft" mit Frankreich ja häufig im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg betrachtet und erhält damit den entsprechenden Kontext.

Für die Zeitgenossen im Deutschen Kaiserreich sah das anders aus. Seit dem Dreissigjährigen Krieg gab es immer wieder französische Übergriffe gegen das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation". Zuletzt durch Napoleon I und Napoleon III. Das man da nichts Gutes erwartete, war Ausdruck dieser realen historischen Erfahrung.
Und Napoleon I war keineswegs in Berlin stehen geblieben, der war bis nach Ostpreußen weiter marschiert.
#3 Matzekaether 2016-05-10 12:09
Da ist natürlich was dran. Und hinzu kommt ja auch das neue Nationalbewußsein der Deutschen, das nach der Reichsgründung entsteht und bald groteske Formen annehmen wird. Grade in der Kolportage (aber nicht nur da!) werden die Franzosen sehr sehr böse, oft unter der Gürtellinie gezeichnet, etwa in Karl Mays "Die Liebe des Ulanen", wo beide napoleonische Kriege eine Rolle spielen. Heute kann man das natürlich auch mit einem Schmunzeln lesen, zumal Andreas recht hat - Spannungsliteratur lebt nun mal davon, auch von Schablonen. (Man denke umgekehrt an die Hero-Pulps der30er in Amerika mit den vielen bösen Deutschen.) Aber manchmal frag ich mich - ob wohl das nächte Jahrhundert auch über unsere Unterhaltunfsliteratur schmunzeln wird, mit unseren Vorurteilen und Marotten? Bestimmt...

PS @ Andreas: Wenn du aufs Titelbild klickst - der Zeichner hat da ja durchaus üppig seine Phantasie spielen lassen, welche Form der Schatz hat ;-)

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