»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:In den Klauen der Menschenfresser - Ron Kelly 20
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»In den Klauen der Menschenfresser«
Ron Kelly 20
And now for something completely different...
Ich brauchte einfach mal ne Pause. Oder Abwechslung von den ganzen Kuriositäten. Oder gleich den Supergau! Bevor ich mich der Gefahr aussetze, einen wirklich guten Roman mit einem Glorienschein zu versehen (die Möglichkeit besteht, trotz der bereits geleisteten Rezensionen!), kann ich ja gleich mal einen halbscharfen Blick auf eine Serie werfen, die nun wirklich rückblickend als der WTF-Kopfschuss unter den Mystery-Bastards gilt: „Ron Kelly“!
Was heute kaum noch jemand realisiert: von „Ron Kelly“ gab es nicht nur Romanhefte und Hörspiele – es gab eine Romanheftserie ZU den Hörspielen. Was zuerst erschaffen wurde, wenn auch auf eher mäßigem Niveau, wenn ich die Fachleute richtig verstanden habe, waren die guten alten Mystery-MCs, für die es zwischen Commander Perkins, John Sinclair (die berühmten „grünen“ damals noch) und HG Francis' ureigensten Horrorbearbeitungen (die uns mit damals 10-12 Jahren eine Höllenangst einflößten, weil ich zu dem Zeitpunkt die dazu passenden Originalfilme noch nicht oder nur unter großen Kämpfen sehen durfte – und bitte in Erwägung ziehen, es gab damals nur drei Programme im TV!) einen richtig beachtlichen Markt gab.
Als die Kelly-Reihe anlief, wurde ruchbar, dass Zauberkreis dazu doch ganz gut auch eine Romanheftserie gebrauchen könne und daher wurde das Konzept flugs (sehr, sehr, seeehr flugs) in eine gedruckte Version umgemodelt – und die Ergebnisse waren fatal. Das Ergebnis war ein quietschvergnügter Mystery-Adventure-Quark, bei dem deutlich Indiana Jones ebenso Pate stand wie die übrigen erhältlichen Gruselserien. Bei den zwei oder drei Romanen, die mir in den 80ern in die Hände fielen, waren Schreibstil und Formulierungen bestenfalls so abenteuerlich wie das Thema zu nennen und die hastig zusammengemurksten Plots waren deutlich das Ergebnis einer erfolgsarmen Destille aus actionbetonten Audioaufnahmen.
Und das Allerschlimmste: das alles sollte tatsächlich aus der Feder von Jürgen „Dan Shocker“ Grasmück stammen, der mir mit seinem knackigen Larry Brent schon manche John-Sinclair-Unterzuckerung kuriert hatte. Grasmück kann (konnte) was, das hier hat er neben seinen viel zu zahlreichen anderen Verpflichtung offenbar zwischen Tür und Angel runter getippt. (Eine sehr lustige Betrachtung der Gesamtserie hat Winfried Czech übrigens anno 1987 schon in dem ersten Heft des leider nur kurzlebigen Genremagazins „Phantastische Zeiten“ veröffentlicht, auch noch unter dem Titel „Plädoyer für den Schwachsinn“!)
Das Konzept an sich war schon ziemlich knapp bemessen, fuhr aber einerseits auf bewährten Schienen (Parallelwelten mit düsteren Invasoren, die sich biomechanischer Puppen bedienen und sich „unsichtbare Schatten“ nennen), nahm andererseits thematisch die X-Files-Paranoia (sie sind überall und wir können sie nur schwer erkennen...) vorweg. Die Helden waren charakterlich Pappkameraden, sie hatten zu funktionieren und ihr Leben war ein einziger Hort tödlicher Gefahren, die Bekannten und Mitarbeiter starben schnell einen fürchterlichen Tod und die Bedrohung blieb meistens vage im Hintergrund – die Serie hätte von vornherein am besten auf eine begrenzte Folgenzahl hin konzipiert werden müssen. Wurde sie aber nicht, also erschlug Grasmück die Leser mit pausenloser Abenteuerexotik, die aber mehr als einmal sehr ungenauen Vorstellungen von der Realität in fernen Ländern zeitigte und darauf schließen ließ, dass für Recherchen einfach zu wenig Zeit blieb.
In die Hände gefallen ist mir in diesem Fall das drittletzte erschienene Heft, mit Band 22 war dann vorerst Schluss, ein weiterer Band wurde anderswo nachveröffentlicht, ein andere Idee erschien modifiziert in „Larry Brent“.
Folgt mir also einmal nach Afrika, wo Männer noch Männer sind und Rummelplätze...naja, die sind da wohl auch ganz lustig...
Ich fasse/fasele ganz kurz zusammen:
Kein Reißer ohne Schock-Teaser: die blondhaarige Sonja de Maas ist auf einer Expedition mit ihrem Vater im afrikanischen Guinea irgendwo im Dschungel bei Kannibalen gelandet, genauer gesagt bei den Ukulellos (muharhar...). Die sind schwarz und ganz furchtbar grausam und tragen Tigerfelle (...jaja, in Afrika, ich schrieb ja von dieser Detailversessenheit...) und haben einen dieser berühmten Blubberkessel, in den sie natürlich nackig verfrachtet wird. Prost!
Derweil kommt auch unser aller Abenteurer Ron Kelly, von allen gesucht und gejagt, mit seiner schwimmenden Insel „Hyperborea“ vor der Küste an, gemeinsam mit seinem Stuntman-Kumpel Crash und dem etwa zwölfjährigen Überpummel Sluck (ein kleiner dicker neugieriger Junge...wer hat da an Grasmück „Drei Fragezeichen“-Kassetten verschickt?). Kelly sucht eigentlich den „Palast der Schatten“, doch mangels anderer Spuren forscht er jetzt einem deutschen Afrikareisenden namens Edwin Konnen hinterher, der in den 50ern den „Bokash“, den Wunderstein der Ukolellos (immer wenn ich das tippe, sehe ich Hula-Tänzerinnen vor meinen Augen) suchen wollte, weil dieser angeblich Wünsche erfüllen sollte.
Nach einem kleinen Bilderbogen von Land und Leuten (hauptsächlich Schwarze, Farbige und jede Menge Neger), die sich wahlweise so gebärden, wie man es aus historischen Aufnahmen zwischen 1900 und 1980 so kennt, geht es im Folgenden um Folgendes: Sluck will für seine Plauze jede Menge Eis mit Sahne und Schokopudding und nach der Entdeckung eines Rummelplatzes können Crash und er erstmal aus dem Plot verschwinden. Kelly würgt sich derweil mehrere Seiten dabei einen ab, ohne Fremdsprachenkenntnisse mit einer dicken Negermami zu radebrechen, wobei das brüchige Sprachlevel aller Beteiligten irgendwo zwischen wechselhaft und hochnotpeinlich fremdschämend fluktuiert.
Bei der gesuchten Adresse angekommen, führt ihn ein gewisser Dogon Muham (von dem wir auf Seite 2 schon erfahren haben, dass er ein Fiesling ist) in die Irre und schickt ihn nach konspirativen Telefonaten mit einem gewissen Chib in das etwas abgelegene Wantoba, weil Edwin Konnen da angeblich hingezogen ist. Tatsächlich sitzt Konnen bei Muham gefangen im Keller, aber bis dahin haben wir ja noch drei Romanviertel.
Kelly wird von dem Berufstrinker Kadun in einem abenteuerlichen Patchworkwagen nach Wantoba gefahren (die Ankündigung, jemanden zu suchen, führt in Afrika übrigens permanent zum Angebot williger oder billiger Frauen!), wo allerdings nach ergebnislosem Palaver ein Attentat auf ihn verübt wird, bei dem Kadun stirbt und Kelly k.o.geht.
Derweil wird auf dem Rummelplatz Sluck von einem baumlangen Schwarzen namens Umbo (...prust...) entführt und in der Schießbude als potentielles Ziel für die Kundschaft aufgehängt (weil Zwölfjährige ja auch wie Strohpuppen ausschauen). Crash kann ihn in letzter Sekunde aufstöbern, befreien und Umbo überwältigen, der sich dann als eine der biomechanischen „Puppen“ herausstellt und selbst zerstört. Das wiederum begutachten die übrigen Einheimischen, schreien Zeter und Hexerei (Afrika halt...) und wollen den beiden natürlich an Leder, was zu einer Verfolgungsjagd führt, bei dem der halbe Rummel zerlegt wird. In Sicherheit gerettet, macht sich Crash auf dem Weg zu Muham – und Sluck fährt als blinder Passagier im Taxi mit.
Kelly erwacht derweil gefesselt in der Gewalt des bösen Chib, der ein Handlanger des Medizinmannes Mungo (ich schmeiß mich weg...) ist. Bei ihm ist noch eine weitere Gefangene (blond, zerrissene Bluse, zerschlissene Shorts), eine gewisse Jenny Landon, die nach Sonja de Maas und ihrem Vater sucht.
Beide sollen auch in den Kannibalentopf, aber auf dem Weg zu den Ukulellos per Auto befreit sich Kelly, der Wagen stürzt bei Sturzregen von einer Brücke in einen reißenden Fluß und als Bonus einen Wasserfall hinunter. Endlich befreit werden sie prompt wieder von den Eingeborenen zum Festmahl eingefangen. Kurz vor dem doppelten Kesselsturz bringt Kelly aber den großen Mungo in seine Gewalt und findet den Bokash als rote Wandverkleidung in einer Opferhöhle – von dort wünscht er sich und Johnny einfach zu Crash zurück, der inzwischen Muham überwältigt hat.
Und Konnen? Dem geht’s prima, altert er doch wegen des Bokash nicht – er kann aber auch nichts zu Kellys Suche beitragen. Fortsetzung folgt.
Wumba, Wumba, Wummba...dröhnt es durch den Dschungel...
Ja Leute, dieser tolle Wumba-Satz steht wirklich so im Roman – und da findet sich noch eine Menge anderer Sachen zum Hände-über-dem-Kopf-Zusammenschlagen. Witzig ist, dass es Zauberkreis (für die ersten elf Romane) und dem dann übernehmenden Pabel-Verlag (für elf weitere Abenteuer) offenbar egal war, was Grasmück dann in seine Exotikreisser reinschrieb, Hauptsache war, es gab ordentlich Todesfallen, Schlimmfinger und Frauen mit dicken Hupen.
Übertriebene Gewaltdarstellungen wurden in den 80ern schon verboten oder zensiert, bedrohlicher Schwachsinn durfte aber offenbar weiterhin veröffentlicht werden, wobei es fast von einer zärtlichen Komik ist, mit welcher Naivität und Tempo dieses Konglomerat aus Abenteuer, Fantasy, Action, Horror und SF-Elementen zusammen gekocht wurde.
Beeindruckend allein ist der Aufbau dieses Füllromans: nach dem Teaser wird erst einmal die „Back Story“ rekapituliert, dann auf den exotischen Schauplatz umgeblendet, samt Kumpel und Sidekick. Da Grasmück an der Herausforderung Afrika in den 80ern komplett scheitert – er konstruiert eine Mischung aus Negermami-Klischee, Postkolonialismus, Quatermain-Anleihen, moderner Beschreibung und touristisch orientiertem Gestammel am Adriastrand– verlegt er das Geschehen gottseidank nach einem Romanviertel auf ein bekanntes Terrain: einen Rummelplatz! Dort gibt es zwar auch afrikanisches Handwerk, Hühner und Reis in Säcken zu kaufen, aber mit Geisterbahn und Schießbude hatte Grasmück einfach bessere Erfahrungen gemacht.
Danach wird sich aufgeteilt und einfach alles blockweise abgearbeitet: von Seite 15 bis 25 würgt sich Kelly zu wenig einträglichen Infos und wird schließlich im Busch betäubt. Von Seite 26 bis 40 haben Crash und Sluck ihre Schießbudenepisode (die rückblickend übrigens in keinem weiteren Zusammenhang zum Restroman steht, sondern einfach nur eine beliebige Verbindung zum Schatten-Plot halten soll), danach kommt dann wieder Kelly mit Afrika-Exotik und Sexbombe und diversen halsbrecherischen Gefahren, die schlussendlich dorthin führen, wohin wir sowieso müssen – zum magischen Stein. Dann noch ein ziemlich hanebüchener Showdown und...gebracht hat es nichts.
Grasmück kupfert hier wieder mal so munter und frech bei Indiana Jones und Richard Chamberlains „Quatermain“ ab, dass die beiden eine Plagiatsklage anstrengen könnten. Die Verständigungsschwierigkeiten mit den Einwohnern Guineas sind so unsäglich zu lesen (und waren offenbar semi-ironisch gemeint) und zu schreiben, dass sie im Laufe des Romans schwinden, denn ein korrektes Gestammel in gebrochenem Romandeutsch (bzw. -englisch) kriegt Grasmück ebenfalls nicht hin. Es geht endlos um Kinderhorden, denen man Münzen zuwerfen muss; Mamis, die Zigarre rauchen und aus welchen deutschen Autos diese findigen Farbigen jetzt ihr Privattaxi zusammengeklebt haben. Mehrfach geht es um Slucks Comics und seinen Schokoladenvorrat in irgendwelchen Kuscheltieren. Und als man dann Wasserfälle runterfällt und gemeinsames Synchronschwimmen im Kannibalenkessel macht, da gibt es dann auch wieder diese kernig-lässigen Dialoge zwischen „Mr.Muscle“ und „Tatjana Tittenmaus“, die darauf hindeuten, dass der Sexualtrieb am besten unter Todesgefahr gedeit. Leises Stöhnen angesichts der unpassenden Flapsigkeit ist natürlich allseits inbegriffen.
Eine Analyse der total depperten Befreiungsszenarien und der heißen Actionszenen spare ich mir, finde aber eine anderthalbseitige Szene ganz knorke, in der der Held sich ergebnislos in Zeitlupe durch ein bärenarschfinsteres Haus robbt, weil er zuvor auf der Straße mit Pfeil und Bogen beschossen wurde – nur leider ist gar kein Schütze da.
Aktionismus und Zeilenschinden, das war also das tolle Rezept, das leider nicht dauerhaft aufging, heute aber höchst kurios wirkt und ungläubig belächelt werden darf – allerdings ermüden die Unwahrscheinlichkeiten nach einer Weile doch ganz beträchtlich. Und ergänzend möchte ich anfügen, dass Kinder in Abenteuergeschichten ganz und gar entsetzlich und überflüssig sind (auch dort wurde sich offenbar beim „Tempel des Todes“ UND bei den „Goonies“ bedient) und dicke und gefräßige Kinder mit Löwenmut und einem offensichtlichen Hördefekt (er tut natürlich nie, was man ihm sagt) sind vollends unerträglich.
Das Beste an „Kelly“ war offensichtlich der schrille Mix und die dreiste Unverfrorenheit – bei gleichzeitiger Verblüffung, dass es trotz des hastigen Rip-Offs dennoch so viele Romanhefte gegeben hat. Auf der Kuriositätenskala eine volle Empfehlung meinerseits!
Als Ausgleich muss der Meisterautor mich jetzt mal mittels seiner bewährten Waffen von seinen Talenten überzeugen. Ich rufe jetzt sofort seinen besten Agenten an...
Kommentare
Ja.
221+247 waren Manuskripte, 292 nur ein Exposé.
Ist das lange her.
Sorry kam nicht gleich dazu und dann vergessen, aber jetzt hier der Auszug:
"Auf der Buchmesse 1983 wurde Jürgen Grasmück von einem anderen Hörspielproduzenten - Delta - darauf angesprochen, ob er nicht für sie eine Hörspielreihe konzipieren wolle. Jürgen hatte sofort mehrere Vorschläge parat und entschied sich dann für ein Thema aus dem Bereich "merkwürdige Abenteuer und ungewöhnliche Begebenheiten".
Seinen Serienhelden nannte er damals noch TOM KELLY. Aus ihm wurde schließlich RON KELLY, weil es schon in einer deutschen Westernserie einen Helden namens "Tom Kelly" gab. Anfang 1985 erschien RON KELLY zuerst als Heftroman-Serie, kurze Zeit später kam auch die Hörspielproduktion heraus. Die Hörspiele sind purer, aber stimmungsvoller Trash. Eine Art Plan from Outer Space für die Ohren. Im Hause Delta erschienen einige von diesen unfreiwillig komischen Hörspielen. Darunter auch Conan und Dan Cross.
Das Jahr 1985 brachte für Jürgen Grasmück einige Veränderungen, denn der Besitzer des Zauberkreis-Verlages - Herr Dr. Greiser - hatte sich entschlossen, den Verlag an den größeren Konkurrenz-Verlag Pabel/Moewig zu verkaufen. Nach einigen kleinen Eingewöhnungsschwierigkeiten lief eigentlich alles so weiter wie bisher. Aber so ganz war Jürgen Grasmück mit der Situation nicht zufrieden, denn während er beim Zauberkreis-Verlag die Nummer Eins in Sachen Grusel mit sehr vielen Freiheiten gewesen war, der immer mit seinen Vorschlägen auf entscheidungsfreudige Leute getroffen war, wurden bei Pabel Entscheidungen auf die lange Bank geschoben.
Im Mai 1986 kam durch einen tragischen Verkehrsunfall genau an seinem 50. Geburtstag Werner Müller-Reymann, der Chefredakteur des Pabel-Verlages, ums Leben. Damit traten innerhalb des Verlages große Veränderungen ein. Kurzfristig wurde innerhalb einer Krisenkonferenz der Entschluss gefasst, die Serien MACABROS-Neuauflage und RON KELLY von Dan Shocker und drei weitere Serien/Reihen einzustellen."