Eine »unheimliche« Mischung - Dämonenkiller – Die Taschenbücher: Das Böse wohnt in der Tiefe
Das Böse wohnt in der Tiefe
Seit dem Türkeiurlaub hat Hilda Albträume von einem Derwisch und einem seltsamen zehnjährigen Mädchen mit schwarzen Raubtierzähnen. Ihr Mann hat sich verändert und ist abweisend und kalt. Der Urlaub war eine Katastrophe; sie waren mit dem befreundeten Ehepaar Fink zusammen, aber auf einer gemieteten Yacht kam es nach einem Tauchgang zum Streit. Hilda hat Erinnerungslücken. Sie weiß nicht, was danach geschah.
Nachts folgt sie ihrem Mann in den Keller, der dort hinter verschlossenen Türen merkwürdige Dinge tut. Er weist sie wieder einmal ab. Am nächsten Tag besucht Hilda Dr. Skarabäus Phix, einen Therapeuten, der ihre Erinnerung zurückholen soll. Hilda hat keine Ahnung, dass Phix ein Hochstapler ist. Sie enthüllt ihm alles. Ihre Eheprobleme. Ihr Mann wollte ein Kind, sie nicht. Ihr geschäftiges Leben, das so leer ist. Das Reihenhaus im Vorort, ihr Ballettunterricht. Und der Albtraum mit dem Mädchen und ihrem Mann, der dort ein blutiges Mal auf der Stirn trägt.
Hilda wird von einem Gastarbeiter verfolgt, einem jungen Türken namens Kemil. Sie durchsucht den Hobbyraum und findet Kinderspielzeug. Und eine seltsame Statue, die ihr Angst macht. Im Traum enthüllt sich ihr die nächste Erinnerung. Sie und ihr Mann Horst besuchen Ruinen und erleben eine schreckliche Zeremonie. Das unheimliche Mädchen mit den schwarzen, spitzen Zähnen heißt Antalya. Ein entwickelter Urlaubsfilm trifft ein. Hilda wird im Supermarkt von Kemil gestalkt, der sie vor Antalya warnt, die ein böser Dämon sein soll. Hubert kommt dazu und wird grob.
Als Phix von Antalya erfährt, glaubt er daraus Kapital schlagen zu können. Esoterisch angehaucht kennt er die Legende von Antalya. Zusammen mit Hilda sieht er sich in ihrem Haus den Film an. Er zeigt, wie Hubert beim Tauchen den Kopf der Statue findet. Da bricht Kemil ins Haus ein und wird vom dazukommenden Horst vertrieben. Durch die Geschehnisse bekommt Hilda wieder Kontakt zu den Finks. Hubert erzählt, dass Horst einfach verschwand, nachdem er den Statuenkopf fand. Er wollte ins Landesinnere zu den Tanzenden Derwischen.
Hilda muss zur Polizei, weil man den toten Kemil fand. Seine Kehle wurde zerfetzt. Bei der Polizei erfährt sie zu ihrem Entsetzten, dass Phix ein Betrüger ist. Sie erhält das Vernehmungsprotokoll ihres Mannes und erfährt, dass er in der Türkei ein Mädchen namens Antalya adoptieren wollte, was sich aber dann zerschlug. Hilda kann das alles nicht glauben. Als sie Kemils Leiche identifizieren soll, fällt sie in Ohnmacht und träumt von dem Schwarzen Derwisch. Das Mädchen ist auch da und zeigt seine schwarzen Raubtierzähne.
Zuhause wird die erschütterte Hilda von den Finks betreut. Sie findet die Statue, die Kemil stehlen wollte und wieder da ist. In der Zwischenzeit spielt Hubert Fink Detektiv und schnüffelt Horst hinterher. Er erfährt, dass Horst seinen Job schon lange gekündigt hat und sich bei den türkischen Gastarbeitern rumtreibt. Er interessiert sich für Magie und zieht mit einem Dschinn herum, den gläubige Moslems nicht sehen können. Der Geist hat die Gestalt eines zehnjährigen Mädchens und heißt Antalya. Nach ein paar Abenteuern spürt Hubert Horst auf, der tatsächlich mit dem kleinen Mädchen herumzieht.
Hilda nimmt die Statue und will sie Phix geben. Aber er wird anscheinend von einem wilden Tier umgebracht. Zuhause wird sie von ihrem Mann empfangen. Und von Antalya, die nun bei ihnen leben soll. Hilda fällt mal wieder in Ohnmacht.
Nun wird sie von der ganzen Nachbarschaft gepflegt, die alle nicht verstehen können, warum sie einen Nervenzusammenbruch hatte und die süße Antalya nicht mag. In der Gegend geschehen Morde im dichten Nebel, auf dem Friedhof stiehlt jemand Leichen.
Bei einem Spaziergang mit Hubert, der Hilda noch immer helfen will und Antalya auch nicht mag, weil alle Kinder sie instinktiv hassen, stößt sie auf eine Gruppe Türken. Der alte Derwisch Bayar klärt sie über Antalya auf. Die ist ein uralter Dämon in Gestalt einer kindhaften Frau. Sie ist eine Kannibalin, die auch Leichen frisst und ihren Geist in Statuen parken kann. Die wurden von einem Magier zerstört, aber Horst fand einen Statuenkopf im Meer und holte sie zurück. Hilda soll Antalyas Versteck finden und sie an die Türken ausliefern, die sie köpfen wollen.
Im Keller findet Hilda einen von Horst gegrabenen Tunnel, der unter den Friedhof führt. Dort hat Antalya ihre Speisekammer mit Leichen. Hilda kann dem Kinddämon gerade noch entkommen. Sie flieht zu Hubert, der ihr und den Türken helfen will. Aber am Ende erfährt zu zu ihrem Schrecken, dass auch Hubert längst unter Antalyas Einfluss steht. Wie die ganze Siedlung. Er bringt ihr den Kopf des Derwischs. Der Dämon hat auf ganzer Linie gesiegt.
Antalya treibt Hilda in ihr Leichennest, um sie zu verhöhnen. Und lässt sie laufen. Nachdem sie ihr gesagt hat, dass sie ihr ein Kuckucksei ins Nest gelegt hat. Hilda lässt den Kinddämon bei ihrem Mann und zieht weg. Was sollte sie auch sonst tun? Niemand würde ihr glauben. Sie ist schwanger. Sie ändert den Namen und bringt Zwillinge zur Welt. Als die beiden sieben sind, erkennt Hilda endgültig ihr wahres böses Wesen. Sie sind Dämonen.
Nach den belanglosen Romanen der Vormonate kommt Ernst Vlcek mit einer Geschichte über einen kannibalistischen Dämon im Körper eines Kindes.
Bedenkt man das Debakel der Heftserie mit ihrer Zwangseinstellung ungefähr ein Jahr zuvor und den völlig misslungenen und lustlosen Hexenhammer, ebenfalls ein Vlcek-Projekt, das zeitgleich im Vampir-Horrorroman erschien, ist dieser Roman in vielerlei Hinsicht ein Gegenentwurf. Hier schrieb Vlcek einmal das, wozu er Lust hatte. Und die Redaktion ließ ihn gewähren. Was erstaunt. Denn der Roman ist in so ziemlich jeder Hinsicht alles das, was sein Umfeld nicht mehr ist.
Ein augenscheinliches Kind, das Leichen frisst und die Heldin terrorisiert, das am Ende auf sadistische Weise den Sieg über die Heldin davonträgt, die den Schrecken dann in die Welt bringt. Das ganze angereichert mit einem damals tagesaktuellem Milieu, das für viele Leser exotisch oder zwiespältig gewesen sein dürfte. Türkische Gastarbeiter. Alles Themen und Herangehensweisen, die in der Reihe eigentlich mittlerweile tabu waren.
Das ist ein ernst gemeinter Horrorroman komplett mit düsterem Ende. "Das Böse wohnt in der Tiefe" hat eine durchgehend bedrückende Atmosphäre und viele gelungene Wendungen. Und das unversöhnliche Ende ist teilweise eine echte Überraschung. Nur teilweise, weil alle von Vlceks ernsthaften Horrorromanen ein Ende haben, in denen das Böse siegt. Aber nachdem es in jeder vergleichbaren Serie nur noch ein Happy End gab, in dem die Helden den Tag retten, erscheint es hier immerhin mal wieder wie eine unverbrauchte Idee.
Dennoch ist es nicht Vlceks bester Roman. Viele Dinge funktionieren nicht. Die Parallelhandlung mit dem Psychiaterscharlatan Skarabäus Phix erscheint im Kontext als ziemlich an den Haaren herbeigezogen und ist unglaubwürdig. Von allen Therapeuten auf der Welt landet Hilda ausgerechnet nicht nur bei einem Betrüger, sondern auch noch bei dem so ziemlich einzigen Westeuropäer, der sich in türkischer Mystik auskennt? Das ist Heftchendramaturgie. Es gibt einige Längen, wenn Hilda immer wieder das Gleiche erlebt.
Paradoxerweise stehen dem zu viele Themen gegenüber, die der vorgegebenen Länge geschuldet nur unbefriedigend angerissen werden können. Das Gastarbeitermilieu, die hübsche Vorstadtsiedlung mit den gelangweilten Ehefrauen, die sich dank des Kinddämons unaufhaltsam in Stepford verwandelt, das Ende. Das durch den Zeitraffereffekt, in dem die sieben Jahre auf ein paar Seiten wie ein Epilog abgehandelt werden, viel von seinem Biss verliert.
Außerdem hat der Zahn der Zeit heftig an dem Roman genagt. Das ist natürlich nicht die Schuld des Autors, macht die Lektüre aber trotzdem holprig. Der Name des Dämonenmädchens Antalya erscheint heute deplatziert und unfreiwillig komisch. Vor allem aber nervt die Darstellung der Heldin. Mal hysterisch und schrilles Portrait der duldsamen Ehefrau, dann wieder trotzige Heldin, passt das alles nicht so richtig zusammen. Vlcek verbrät aber auch jedes dumme Geschlechterklischee der Zeit. Natürlich hat Hilda einen Putzfimmel und ist schuld am Unglück ihres Mannes, wollte sie ihre Tänzerinnenfigur doch nicht durch eine Schwangerschaft ruinieren. Nicht, dass sie je eine Ballettkarriere gehabt hätte. Eifersüchtig durchstöbert sie routinemäßig die Taschen ihres Mannes, um ihn der Untreue zu überführen. "Nicht dass sie ihm misstraute, nein, das nicht, aber sie wollte sich vergewissern, dass er ihr Vertrauen verdiente". Szenen einer Ehe im Trivialromanmodus.
Die Männer sind zugegebenermaßen allerdings auch nicht besser. Sie schaffen das Geld heran, während sich ihre Weibchen mit Ballettunterricht und Batiken die Zeit vertreiben und das Reihenhaus blitzsauber und den Tisch gedeckt halten. Vermutlich auch das Bett warm, aber Sex kommt hier nicht vor. Um sich dann von den Herren der Schöpfung bei jeder Gelegenheit gönnerhaft abkanzeln lassen zu müssen. In dieser Beziehung trieft der Roman förmlich vor spießigem 70er Jahre Mief, aber man hat nie den Eindruck, als wäre das satirisch gemeint. Im Gegenteil.
Aber wie gesagt, das ist der Blick zurück nach fast vierzig Jahren. Vergleicht man Vlceks Arbeit objektiv mit der seiner Kollegen, ist das eine Horrorgeschichte am Puls der damaligen Zeit. Die Horrorelemente sind schön unappetitlich. Auch wenn das natürlich nie in den Splatter abgleitet, wird schon bildhaft dargestellt, wie die kleine Antalya Leichen frisst und Knochen zerbeißt. Und die abgeschlagenen Köpfe rollen ungehindert vom hauseigenen Zensor über den Fußboden. Angesichts der verständlichen Scheu, nach dem Dämonenkillerdebakel solche Themen in der Gruselproduktion auszuformulieren, erscheint Vlceks Text in jeder Hinsicht als Anomalie. Das ist ein Roman für ein erwachsenes Publikum.
Ein paar Zitate:
"Sie, eine schwache ängstliche Frau, war entschlossen, den Kampf gegen diese unheimliche Macht aufzunehmen".
Da erahnt man, wie revolutionär Figuren wie Ripley oder später Buffy von ihrem Selbstverständnis her tatsächlich waren.
"Das war auf dem Südbahnhof. Er trieb sich dort bei den Gastarbeitern rum.[…] Er unterschied sich in Aussehen und Kleidung kaum von den anderen, die sich dort Abend für Abend herumtreiben. Sie wissen schon, was ich meine. Er sah heruntergekommen aus."
Ein Lutohin. Ähnlichkeiten mit Inhalt und Motiven sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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