»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Es lebe der Champion (Dr. Morton 30)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Es lebe der Champion«
Dr. Morton 30 von John Ball (›das wüssten wir alle gern‹)
Diese gefährdet folgerichtig natürlich eine gewisse Gruppe von Menschen (im Bestfalle die gesamte Menschheit) muss. Zwecks Überzeugung von der tatsächlichen Gefahr müssen auch einige davon umgebracht, zerlegt, aufgegessen oder zu kunterbunten Smoothies verarbeitet werden, die man übermorgen der Kinderschar in der Krabbelgruppe andienen möchte.
Will sagen, da ist schon so manche Unmenschlich- und Abartigkeit durch den Keller, das Verlies, das Labor oder das schottische Schloss geflossen und das härtet sowohl ab, als dass es den Fan auch manchmal nach mehr verlangen lässt.
Der auch heute noch beliebte Splatterfilm liefert da auch heute noch nach Kräfte so zielgerichtet und pünktlich wie Zaalando und eine Weile hat man sich mal darin ergangen, die bisherigen Tabus immer wieder infrage zu stellen, zu brechen und dann zu übertreffen. Später wurde mit dem Sujet dann zunehmend rumgealbert und dann drehte man die Umdrehungszahl wieder zurück und verengte den Fokus, das hieß „weniger ist mehr, solange es um so intensiver dargestellt wird“.
Ich muss jetzt aber nicht endlos analytisch ins Saw-Zeitalter einsteigen, um zu betonen, dass trotz einigem Blut und so manchem Todesfall der Heftroman da immer noch relativ „sauber“ mit seinen Restriktionen umging – auch wenn ich neulich in einem frühen Gespensterkrimi von der zeitweisen Derbheit doch relativ überrascht wurde.
Man wollte ja nicht indiziert werden, nicht wirklich, auch wenn ein gewisser Ruf eventuell für Verkaufszahlen sorgen könnte, aber die drastische Sensationslust nahm mit den Jahren (also ab 1968) dann doch eher ab und die Verlage „bereinigten“ ihre Vorgaben, wie man denn Smoothies noch anschaulich darstellen könnte.
Zum Glück gibt es aber Ausnahmen und der selige „Doktor Morton“ ist sicherlich eine der anrüchigsten in deutschen Landen. Klar gibt es immer Ware, die man besser unter dem Ladentisch feil bietet, aber mit „Morton“ kam eine Serie so rücksichtslos zum Tragen, dass die Fans ob des miesen Rufs noch heute absolute Höchstpreise für ein Exemplar dieser alten Erber-Serie bieten und zahlen. Und die gab es eben ganz normal im Handel – zumindest bis immer wieder Exemplare per Beschluß aus eben diesem entfernt wurden.
Das geschah dann immer wieder, bis die Serie mit dem Bann der Dauerindizierung belegt wurde – und eine Serie, die man NUR auf Nachfrage und unter dem Tresen erhalten konnte, war nun auch nicht eben absatzfördernd.
So kam das Ende für Morton nach Band 54, just als die Dauerindizierung bereits griff und nach meiner Debütlektüre wundert es mich ehrlich, wie lange sie überhaupt durchgehalten hat – immerhin war der großangelegte Bann für „Video Nasties“ im gloriosen VHS-Zeitalter zu den Zeiten Mortons noch so einige Jährchen hin („Morton“ wurde Mitte der 70er Jahre verfasst).
Aber ist bei so alten Schinken nicht eine Menge Wind dabei, ist das Beschriebene vielleicht gar nicht so schlimm gewesen; das überschrittene Tabu möglicherweise eher von der Realität längst eingeholt? In diesem Fall schenke ich den Zweiflern gern ein geflüstertes „Von wegen!“, denn als ich das Heft zur Hand nahm, ahnte ich noch nicht, welche Tsunamiwelle an knackigem Exploiter-Schundstoff mich erwarten würde....
Machen wir uns doch mal zunächst ganz frei...von Moral, Skrupeln, Ethik...und auch ein ganz bißchen von der Menschenwürde...
Wir steigen ein in das dreißigste Abenteuer unseres geschätzten Helden und Chirurgen (cum Mad Scientist) Doktor Glenn Morton, der in seinem Londoner Domizil gerade mal nichts zu Schnetzeln hat und über Duellpistolen sinniert, die im weiteren Romanverlauf null Bedeutung haben werden.
Er lehnt ein schnuffeliges Angebot der attraktiven Norah Partridge ab, als der deutsche Butler Johannes schon hilfsbereit in der Türe steht – doch da fährt dem Wochenendglück das Schicksal per Telefon in die Parade.
Mord- und Totschlagsgehilfe Grimsby ist am Rohr – nur echt mit diabolisch zugespitztem Zickenbart – und er hat ein enormes Problem: seinem alten Bekannten und Rennstallbesitzer Colin Wilson braucht nämlich zwecks Finanzierung seines Lebensstils dringend einen Weltmeistertitel, doch der angehende und bestehende Champion Walt Gardner hat sich gerade in der Testversion eines neuen Wilson-Boliden doppelt tödlich zerlegt.
So etwas geht gar nicht, also muss der geniale Schnippler Morton für seinen Gehilfen mal das Besteck rausholen, denn Grimsby ist just dabei, dem so gut wie toten Gardner die letzte Ölung zu verweigern. Zwar ist der Fahrer ziemlich matsche, aber die Schlagader (offen) wird mal schnell mit Grip-Zange zugekniffen und eine weitere wird mit einer Benzin- bzw. Membranpumpe ventiliert. Dann noch eine Zwölf-Volt-Autobatterie anmontieren und schon ist die Herz-Lungen-Maschine für den Werkstattgebrauch fertig. Mit dem Auto und dem Patientenhäufchen auf dem Rücksitz geht es nach Brighton in die geheime Bastelwerkstatt des genialen Organfreaks, der im Laufe der Serie eine Art blaues Kunstblut entwickelt hat, mit dem sich nicht nur Körper am Leben halten lassen, sondern auch das Blutgruppenproblem umgangen werden kann.
In Brighton macht sich Morton sofort ans Werk: Schädelbruch, Gehirnquetschung, Paralyse des Schmerzzentrums, da kann man in Ruhe arbeiten. Das heißt: Brustbein aufsägen, Oberkörper auf! Lunge, Herz und Verdauungstrakt sind im Allerwertesten, die müssen alle raus und Ersatz muss her. Für solche Fälle hat Morton schon eine Kartei in der Hinterhand und ein Opfer im Blick, das seine Organe (unfreiwillig) spenden muss: der Mann heißt Rafferty Meeks (logo!) und hat auf Kosten der kleinen Leute viele üble Geschäfte gemacht.
Im Anschluß an diese rabiate Anamnese holt sich Morton erstmal von Wilson den Nachweis, dass der seinen Job auch nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit hat und nur an dem Titel und seiner Kohle interessiert ist.
Grimsby fährt derweil nach Guernsey raus und entführt den gut abgeschirmten Mr.Meeks an Bord eines Schiffes und schippert zurück nach Brighton. Dort hat man inzwischen Gardners Blut gegen das blaue Kunstblut ausgetauscht und verfährt im Anschluß mit Meeks genauso.
Dann schneidet man Meeks (betäubt, aber bei Bewußtsein) auf und entnimmt ihm fröhlich seine Organe, um sie Gardner einzusetzen, lässt den unfreiwilligen Spender aber künstlich am Leben.
Anschließend wird der Rennpilot so gut wie möglich repariert, aber der Verdauungstrakt geht ex und findet keinen Ersatz. Wie soll man den Fahrer also brauchbar aufpäppeln?
Die Lösung bietet Butler Johannes unfreiwilig und unwissentlich: man muss es ihm vorkauen! Und das geht so: Meeks isst künftig für zwei und die Nährstoffe wandern im mechanischen Blutkreislauf (blau) auf den Fahrer über.
Und was für einen funktioniert, müsste auch für zwei gehen, denn Morton hat in dem alten, krebszerfressenen, aber schön rücksichtslosen Professor Brainsworth noch einen Patienten, der noch drei bis vier Lebensjahre gebrauchen könnte, bis er seine seine ägyptologische Arbeit abschließen kann, für die er eine Reihe von Leuten und Kollegen gemeuchelt hat. Das imponiert dem Doktor natürlich und so soll Meeks auch für den blutgespülten Prof die Nährstoffe anfressen und zur Verfügung stellen.
Als Zwischenspiel kommt dann ein Inspektor Miller von Scotland Yard zu Gast und klagt bei reichlich Cognac, wie schwer es sei, gegen den guten Morton zu ermitteln, verrät aber klugerweise, dass er ja schon reichlich Material gegen den Doc gesammelt hat. Dieses rasend schlaue Verhalten führt dazu, dass Grimsby bei Miller einbricht, das Material klaut und den Polizisten per Gasexplosion in die nächste Welt befördert.
Inzwischen ist Gardner auf dem Weg zur Besserung, wundert sich aber über mangelnden Stuhlgang, woraufhin er vorsichtig in das Geschehene eingeweiht wird. Kurz darauf fährt Gardner schon wieder Testrunden, aber es fehlt am gewissen Extra. Um seinen Biss wieder instand zu setzen, plant Morton eine herzhafte Diät für den Darmlosen: er soll seine Lieblingsgerichte essen. Da er sie nicht verdauen kann, will Morton ihm ein Teflonrohr von Speiseröhre zum After einsetzen, so dass die guten Sachen nach dem Kauen unten durchrutschen, aber im Anschluß muss sie dann der arme Meeks noch essen und zwecks Nährstoffabgabe verdauen. Mahlzeit!
Doch da ist noch etwas, das Gardner Sorgen macht: die Untreue seiner Ehefrau. Also rückt er eines Nachmittags aus, fährt zu seinem eigenen Zuhause (verfolgt von Morton und Grimsby) und trifft dort Gattin plus Nebenbuhler an. Er schlägt den Ehebrecher zu Klump und will dann seine Holde mißbrauchen, allein fehlt ihm seit dem Unfall das nötige Geschlechtsteil. Also zerfleischt Gardner seine Gattin mit bloßen Händen, was Morton hinterher als psychologisch wertvoll für den Piloten beurteilt. Haus und Leichen werden abgefackelt.
Von da an ist Gardner wieder der tolle Fahrer von vor dem Unfall, hält aber nicht ewig durch, sondern braucht immer wieder neue Nährinfusionen. Prompt wird das entscheidende Rennen erst verschoben, dann zwischendurch abgebrochen und neu angesetzt, was zur Folge hat, dass erst ein Mechaniker und dann zwei Rettungsanitäter zwecks Hilfsfunktion ihr Leben lassen müssen. Am Ende gewinnt Gardner ganz knapp, rettet damit Wilson und fährt den Wagen ohnmächtig in eine Wand, worauf er mit selbigen in Flammen aufgeht. Probleme weitestgehend gelöst!
Haben sie auch den Laster gesehen, der mich eben überfahren hat?
Freunde, das hat aber mal Spaß gemacht. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wohin mit fortschreitender Lektüre meine Augenbrauen gewandert sind, während ich mit wachsendem Unglauben eine Seite nach der anderen abgefrühstückt habe.
Ich bin nun wirklich kein Freund von detailliert abfotografierten Menschenschlächtereien im modernen Horrorfilm, obwohl in so ziemlich alles mal reingeschaut habe, aber ein verhinderter Chirurg ist nicht an mir verloren gegangen. Atmosphäre zählt dann beim Unheimlichen doch mehr als Blut und Gedärm (auch wenn ich im Userclub „Gore macht Filme besser!“ ohne Weiteres ein kleines Praktikum machen würde), aber die schiere Dreistigkeit, mit der diese rabiate Rumgefrankensteine in menschlichen Körpern präsentiert wird, ist der literarische Schlag in die Fresse.
Morton ist nun mal ein Anhänger einer zweifelhafter Moral, die sich nach sehr individuellen Vorgaben richtet. Nach normalen Richtlinien für Gut und Böse müsste Wilson, der nun wirklich ein Ecclestone-Arsch von Gottes Gnaden ist, auch noch dran glauben, doch dem geht nach allerlei Drohungen nur die Muffe, bloß nichts zu verraten. Gardner darf als Champion-Freak so ziemlich alles, vor allem die für seine Genesung barbarische Schlächterei an Ehefrau und Nebenbuhler und Meeks spielt in einer Human-Centipede-Frühform den noch lebenden Konvertermagen (sein weiteres Schicksal bleibt ungeklärt). Auch Prof Brainsworth müsste längst präfinal unter das Messer, aber wie Morton angesichts dessen frischen gestandenen Mehrfachmords sinniert: niemand ist ohne Fehler und so ein gebildeter Mann, den muss man eben am Leben halten, schließlich dient sein eigenes Gematsche ja auch einem höheren Zweck. Allerdings, so viel Moral muss sein, sobald Brainsworth mit seiner Arbeit fertig ist, wird ihm der Hahn zugedreht.
Und während das alles läuft, wird links und rechts des Weges alles abgemurkst und leergelaufen, was in der jeweiligen Situation störend, nötig oder unnütz ist; hier ist eindeutig der Weg nicht das Ziel, das Ziel ist alles.
Sympathie ist nicht so wichtig in diesem Charaktere-Kokolores, in dem auch noch ein Earl, ein Operations-Assi namens Dees und die getreue Krankenschwester Cynthia Barrington mitmischen – solang Assistent und Massenmörder Grimsby den Doktor braucht, werden zweckdienlich notfalls ganze Heerscharen an Unschuldigen über die Klinge geführt.
Das alles ist so sensationell rücksichtslos und menschenverachtend, dass ich mich immer noch frage, wie man diese Stories und ihre Motivationen überhaupt entwerfen konnte: entweder irre keckernd in einem Kellerverlies (Marke Marquis de Sade) oder mit der kühlen Konsequenz eines seelenlosen Massenmörders. Der (wohlwissend) ungenannte Autor (bzw. die Autoren) haben das in Anlehnung an den berühmten Baron so kaltschnäuzig runtergeschrieben, dass Sensationslust wohl das vorherrschende Motiv war, diese Skripte überhaupt zu veröffentlichen. Und wo man die Inspiration dazu hernahm, kann man sich auch ansatzweise denken, dazu mache ich mir dann aber lieber beim Zweitversuch blaublütige Gedanken...
Radikale Grüße bis dahin über den Kanal!
Kommentare
Dr. Morton als Person hat grundlegend durchaus einen Gerechtigkeitssinn, auch wenn er diesen ohne jegliche Ethik, Moral oder gar Achtung seines Berufseids gewissenlos umsetzt, aber alle Bestraften zumindest immer etwas auf dem Kerbholz hatten.
Viel abartiger fand fand ich da schon Grimsby, welcher auch mal nach einem Mord vor Sex mit der selbstverschuldeten Leiche nicht zurückschreckte, da er regelmässig seine spinnenden 5 Minuten hatte.
Für Jugendliche natürlich ungeeignet, landeten trotzdem einige dieser Romane auf dem Index, da mal wieder einer vom Jugendamt analog der Video Nastys mit Anzeigen losrennen musste.
Dass kein Autor zu einem solchen Roman steht kann es auch nur in Deutschland geben, denn letztendlich bleibt es immer noch pure Fiktion für ein Erwachsenenpublikum. Im Internet oder auch in einschlägigen Taschenbüchern gibt es heute viel Härteres.
Dass der Autor hier wie viele andere die "Dr. Morton Moralkeule" herausholt ist für mich eher erschreckender ... Dr. Morton bleibt auch heute noch eine auffallende wenn auch winzige Randnotiz mit Sonderstatus ...
Zitat: Eher weniger. Wenn man die Interviews mit Luther gelesen hat, fällt einem dazu nur rechnerisches Kalkül ein. Machen wir etwas, dass es so nicht gibt, so gewalttätig und sleazy wie es geht, und es wird sich gut verkaufen. Und der Erfolg gab ihnen recht.
Und trotzdem haben die Autoren eher zufällig etwas geschaffen, das seiner Zeit weit voraus war. Der Mad Scientist und der Serienkiller, der damals noch nicht so hieß, mal als Helden. Dazu kommt dann der gewissenlose Freund, der Mord als aufregendes Spiel sieht, und die hörige Krankenschwester. Und die Besetzung ist fertig.
Heute erfreut sich das Publikum an Serien wie "Dexter" - der nur darum ein "guter" Serienkiller ist, weil er keine Frauen und Kinder häutet. Ob das wirklich ein Fortschritt ist, sei dahingestellt. Aber die Morton-Autoren haben das alles vorweggenommen. Egal, ob man das Ergebnis für abartig hält oder nicht, man kann ihnen nicht vorwerfen, das nicht intelligent gemacht zu haben. Auch wenn es den Morton erst recht zu einem absolut zynischem Produkt macht. Trotzdem ist schon interessant, was es alles geben kann, wenn man mal von (Selbst)Zensur und gutem Geschmack befreit ist.