»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Das Nervenserum (Dr. Morton 40)
Ausflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Das Nervenserum«
Dr. Morton 40 von John Ball (A.N.Onymus o.Ä.)
Natürlich kann nicht ein Roman im schieren Wahnwitz dem nächsten das Wasser reichen (und es auch noch halten können), aber hier klafft eine so beachtliche Lücke zwischen total durchgeknallter Fabulierkunst und montonem Abhäckseln eines Bodycounts, dass man sich unwillkürlich fragt, ob die Autoren überfordert waren oder mehrere Autoren beteiligt waren, die einfach nicht gleiche Qualität als Verfasser aufwiesen.
Es ist vermutlich eines der größten noch zu lösenden Geheimnisse, wer diesen eiskalten sadistischen Kram in eine Schreibmaschine tackerte, wie viele es waren und wer wen dabei im Nachgang vielleicht noch verschlimmbessert hat. (Meine klare Frage an die Erber-Macher bleibt aber übrigens gleich: WAS STIMMT NICHT MIT EUCH? )
Die Wurzeln so einer Serie sind da schon klarer zu enthüllen, da ein gewisser Sadismus sich etwa in den Horrorfilm der späten Sechziger und frühen Siebziger einschlich, teilweise verblüffend kalt und gnadenlos präsentiert, teilweise mit schwarzhumorigen Spitzen verziert und verblüffend unterhaltsam.
Wer es wissen will, hier spielen verschiedene Quellen zusammen: große Parallelen sehe ich etwa zu einem recht kostengünstigen Trashquatsch aus dem Jahr 1970, namentlich „Scream and Scream Again“, der in Deutschland unter dem apokalyptischen Titel „Die lebenden Leichen des Dr.Mabuse“ im Kino lief. Der Film ist ein hastig und klippschulenhaft zusammengeschredderter Beitrag von AIP (American International Pictures) und ist heute nur nicht in Vergessenheit geraten, weil sowohl Vincent Price (aus dessen Dr. Browning bei uns mal flott Dr. Mabuse wurde) als auch Peter Cushing und Christopher Lee darin mitspielen. Während mir spätestens die Socken aufgingen, als ich Cushing in seiner Alias-Nazi-Uniform gesehen habe, beeindruckt der Quatsch durch eine beklemmende Prämisse, bei der zahlreichen Opfern nicht nur das Blut abgezapft wird, sondern anderen Opfern ständig irgendwelche Körperteile amputiert werden, woraus dann neue böse Menschen gebastelt werden. Sogar ein Säurebad spielt mit und in dem landet dann Vincent auch zum Filmende und blubbert sich einen.
Dazu kommen noch eine Handvoll philipinisch-amerikanischer Billigproduktionen um den „Mad Doctor of Blood Island“, eine Reihe, die es auf immerhin vier Filme zwischen 1968 und 1971 brachte und auch mit Skalpell und lebenden Toten herum schmodderte. Dann gießen wir in den Mix noch etwas mehr Vincent Price mit seinem unvergleichlichen unmenschlichen Dr.Phibes und ergänzen das ganze noch etwas mit dem brachial sexualisierten Gewaltkammerspiel mit dem Titel „Andy Warhols Dracula“.
Das sind allesamt recht bildstarke Schaustücke, die sich selbstzweckhaft und zur Unterhaltung einer sehr gewöhnungsbedürftigen Moral bedienen, der jede Hammer-Romantik von verrückten Wissenschaftlern abgeht. Da beschwerte sich die zeitgenössische Kritik natürlich recht nachdrücklich und dennoch wollte die Masse das sehen – kalte Hundeschnauze kannte man aus dem gemütlichen Ohrenkino eben gar nicht mehr.
Doch wo es keine Antipoden von Gut und Böse mehr gibt, da stellt sich natürlich Leerlauf ein – und der liest sich dann ungefähr so...
Das Geht-mir-auf-die-Nerven-Serum...
Dr. Morton ist wieder auf den Weg in den OP und das kann nur bedeuten, dass es Opfer geben wird und nicht eben nur schuldige.
Sein mörderischer messerschwingender Handlanger Grimsby entführt zu Beginn gleich mal den finster-bulligen Geschäftsmann Edward Railey, der sich mit einem Fährenunglück im Mittelmeer eine goldene Nase verdient hat, so dass ein rächender Tod in den Augen des Meisterchirurgen ihrer Majestät verdient erscheint.
Derweil ist Morton selbst mit seinem hübschen, aber enorm uninformierten Anhängsel Norah Partridge auf irgendeinem Empfang in einem Hotel, wo ihm ein unfreundlicher und frauenverachtender Playboy namens Cliff Corner auffällt – und alles so aussieht, als müsste dieser dran glauben. Doch der gute böse Mann verschwindet und erscheint in diesem Roman nicht wieder, auch wenn Norton noch einmal zwischendurch an ihn denkt...
Grimsby bringt Railey mit dem Rolls Royce in Mortons Klinik nach Brighton wird dort aber von der vorbei kommenden Nachtschwester Margaret Clide gesehen und gegrüßt.
Notgedrungen verschiebt er das Problem und bringt Railey in die nächste Zelle, wo Morton den Gefangenen begrüßt und ihm den Grund für seine Erklärung präsentiert. Railey geht langsam die Muffe, da man ihm ein schreckliches Schicksal prognostiziert, aber zunächst will mal das Problem mit der Nachtschwester gelöst sein.
Das bedeutet wie üblich in dieser Serie: sie muss weg vom Fenster.
Just als das entschieden wird, plaudert die gute Clide auch noch von ihrer Sichtung (sie hat Railey im Rolls erkannt) dem Pfleger Harvey weiter, kurz bevor Grimsby auftaucht, sie mit einem präparierten Martini besoffen macht (was aber eher zu Brechdurchfall führt), sie nach Hause bringt und dort mit einer Spritze Morphium in die nächste Welt befördert.
Kurz darauf wird ruchbar, dass die Gute schwanger war, was Morton und Grimsby prima finden, schließlich ist Selbstmord wegen ungewollter Schwangerschaft ein guter Suizidgrund – und genauso sieht der Tatort drein, den Grimsby gebastelt hat.
Morton präsentiert derweil Railey erst sein Säurebad, dann erklärt er ihm das „Nervenserum“, dass das Schmerzempfinden außer Kraft setzt, die Patienten doch bei Bewusstsein lässt, was für seine Gehirn-OPs von doller Bedeutung sein soll. Die nachfolgende Tätlichkeit des Gefangenen gegen den Doc führt zu nichts.
Zur Abwechslung ein kleines Intermezzo: obwohl schon gut am Meucheln, entwickelt Grimsby plötzlich mal wieder einen gewissen Drang nach einer Blondine – speziell natürlich nach dem Mord an einer Blondine. Morton gibt ihm notgedrungen frei und Grimsby greift sich am Hafen die gut gebaute Rose Sutton. Er begleitet sie auf seine Yacht Drago, bedroht sie dort etwas, schmeißt sie über Bord und überfährt sie mit der Yacht.
Unterdessen taucht Inspektor Woodward von Scotland Yard (dass die in dieser Reihe überhaupt noch Beamte übrig haben...) bei Morton auf, dem wie weilend Columbo aufgefallen ist, dass sich Schwangere im fünften Monat meistens mit ihrer Schwangerschaft arrangiert haben und nicht mehr suizidär sind. Er wird abgewimmelt.
Am nächsten Morgen beichtet Pfleger Harvey leider ausgerechnet Morton, was er über Clide und Railey weiß und markiert sich somit selbst als nächstes Opfer. Grimsby entfernt ihn unter einem Vorwand aus der Klinik und leider merkt Harvey noch vor Ankunft in seiner Kerkerzelle an, dass er auch seiner Verlobten von Railey erzählt hat.
Also wird Harvey in die nächste Zelle gesperrt und Grimsby macht sich auf die Socken, um auch gleich noch Mary Goulding, die Verlobte, mit einem Messer abzuschlachten und den Verdacht auf Harvey zu lenken.
Als man Railey dann endlich operieren will, bietet der Morton auch noch belastendes Material aus seinem Heimsafe an, um Zeit zu gewinnen. Wider besseren Wissens fahren Morton, Grimsby und Railey also dorthin, wo sie von Woodward überrascht werden, der zufällig in der Gegend war. Es kommt zu einem Tumult, bei dem Railey überwältigt wird und Woodward flieht, aber eine Abkürzung per Auto sorgt dafür, dass der Inspektor mit dem Wagen in einen Abgrund fällt.
Dann noch schnell gemeinsames Finale im Geheim-OP, bei dem Railey sich einer Schusswaffe bemächtigt und doch einem Skalpell zum Opfer fällt, worauf die OP-Pläne noch schnell auf Pfleger Harvey umgeschrieben werden...
»Sie kennen die Vorgaben, alle acht Seiten muss mindestens einer sterben...!«
Shit, war das öde!
Wo der Vorgänger also noch Kapriolen schlug, herrscht hier die Monotonie des Bösen vor – und produziert vor allem nur noch eines: Langeweile. Und ein wenig Ärger vielleicht auch noch, in meinem Fall zumindest.
„Das Nervenserum“ ist die 60seitige Darstellung einer einzigartigen Pannenserie bei der Entführung eines bestimmten (verdienten, weil bösen) Opfers, der ein halbes Dutzend Meuchelmorde folgen, weil unsere Protagonisten so gründlich sind, wirklich keinen potentiellen Zeugen am Leben zu lassen.
Das ist zwar löblich, es weht aber ein eiskalter Wind aus den gedruckten Seiten, denn wo im kontroversen Champion-Roman zuvor die individuelle Moral Mortons noch wankelmütig, speziell und zweifelhaft erschien, aber zumindest noch ansatzweise mit menschlichen Zügen (zumindest in seiner Freizeit oder so) versehen, erscheinen Grimsby und Morton hier als vollkommen sadistische Soziopathen, die nicht mal beim Schwangerenmord zusammen zucken und sich hinterher auch noch über die Zwangsopfer gehässig lustig machen.
Die Kirsche auf der Torte ist sicherlich der kapitelfüllende Mord an dem Hafenmädel, mit dem Grimsby seine individuelle Blondinenmordlust abreagieren muss, ein besonders perfider Füller.
Irgendwann denkt man nur noch: und noch ein Opfer...und noch ein Opfer...und weil die Protagonisten ja weitermachen müssen, müssen auch alle dran glauben, die davon erfahren. Das enthüllt die erzählerische Leere der Serie mit ihren immergleichen Das-Böse-Gewinnt-Mechanismen ziemlich deutlich, denn wo keine lebensfähige Antipode ist (bei einer Ein-Scotland-Yard-Beamter-pro-Heft-Opferquote ist das Gesetz hier praktisch impotent), erlahmt auch über kurz oder das lang das Interesse für die Motivation des Bösen.
Der Leser braucht schließlich irgendeine Form der Verbundenheit zu den Figuren, andernfalls baut allein die schiere Fülle an Mordopfern jegliche Empathie für den guten Doktor ab, bis die Intensität gegen Null geht. Dass die Serie tatsächlich 54 Folgen mit dieser Prämisse durchhielt, ist geradezu ein Wunder, denn sie funktioniert eigentlich nur solange, wie die Leute, die der Doc für seine Experimente benutzen will, noch schlimmer sind als er selbst. Und das ist schon mal eine beachtliche Leistung.
Im „Nervenserum“ wird dies von Railey immer wieder behauptet und sicherlich ist er auch keine nette Figur, aber die einzige Wirkung des Romans geht absurderweise von dem Leserwillen aus, gerade dieses Opfer irgendwie überleben zu lassen, wenn die völlig Unschuldigen links und rechts des Weges fallen wie die Fliegen.
Eine kontroverse Figur ist diskutabel, eine tragische Figur ist sogar besser, weil tiefer und emotional motiviert (etwa wie Dr.Phibes), aber in diesem Roman ist Morton eine monoton-eiskalte Killermaschine, die irritierend oder nicht, alles Mögliche angeht, aber niemals zum Operieren kommt, weil sogar das Opfer vorher stirbt. Aber darum ging es in diesem Füller wohl auch gar nicht, der nur eine Verlinkung zu den nächsten Folgen sein sollte, um die Wochenveröffentlichung einzuhalten. Der Einbau des Rüpel-Playboys Cliff Corner bringt dann auch gar nichts, denn nachdem zweimal mit dem dicken Daumen auf ihn gezeigt wird, verschwindet er für den Romanrest auf Nimmerwiedersehen – vielleicht ja in Nr. 41!
Dieser Roman hier war nur eins: eine leere Drohgebärde, die mit nutzlosen Morden aufgefüllt wurde.
Das zeigt aber auch, dass komplett fehlende Moral durch etwas Anderes aufgewogen werden muss, seien es nun Humor oder anderweitig fokussierte Gründe, denn eine derart wahnhaft betriebene Leichenmühle von Experimentalklinik muss zwangsläufig narrativ implodieren, da das dauerhafte zwanghafte Meucheln ohne präzise definiertes Ziel über kurz oder lang apathisch macht.
Mehr Eindrücke spare ich mir, stattdessen schauen wir in den Klon-Nachfolger des guten Doc, der sich dann „Der Lord“ nannte und etwas politisch korrekter durchgefeudelt war. Vielleicht hat aber auch eine saubere Morton-Fassung noch etwas mehr Biss als ein gestresster Geisterjäger...
Kommentare
Gerade der "Kampf" gegen Scotland Yard war hier eigentlich alles andere als inflationär, sondern lief größtenteils im Hintergrund immer mit denselben Beamten, die Morton nie auf die Schliche kamen. Der ganz witzig benannte Chefinspektor Quester. Da hier mal ein neuer eingeführt und gleich wieder entsorgt wird, das deutet schon auf Zweitautor hin.
Aber du hast natürlich recht, dass sich das Konzept schnell abnutzt. Es sind halt die originelleren bösen Geschichten, die im Gedächtnis haften bleiben. Wie die Vornummer.
Erber war schon schräg. Die Unsitte, die ganze Handlung auf der hinteren Umschlagseite in 20 Zeilen zusammenzufassen, oft mit verratenem Ende, wonach man den Roman eigentlich nicht mehr lesen musste, das Gleiche bei der Bestellliste, wo jeder Romaninhalt ebenfalls kurz dargestellt wurde. Als Leser, der die Serie erst entdeckt hatte, als sie schon so gut wie eingestellt war, fand ich das damals zwar toll, da man die Nummern beim Verlag nachbestellen und sich so die Kirschen rauspicken konnte, aber heute mutete es eher merkwürdig an.
Aber vor allem war die Werbung unfreiwillig komisch. Auf der einen Seite frönt Grimsby seinem Serienkillertum, auf der nächsten liest du dann einen Auszug aus dem neuen Mami-Roman oder Arztroman. Völlig ironiefrei, die Redaktion.
" (Meine klare Frage an die Erber-Macher bleibt aber übrigens gleich: WAS STIMMT NICHT MIT EUCH? )"
Nun ja, ich würde sagen, bei den "Erber-Macher" stimmte schon alles, nur kam das ganze zur falschen Zeit und meiner Meinung nach auch im falschen Format (Heftroman).