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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Die gelbe Villa der Selbstmörder (Vampir Horror Roman 100)

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Die gelbe Villa der Selbstmörder«
Vampir Horror 100 von Hugh Walker  (Hubert Straßl)

Raus aus der Exzentrik, zurück zu Fleisch und Kartoffeln. Nicht zuletzt weil die Herbstzeit Einzug hält, ist es gefühlsmäßig wieder Zeit, mich nach gruseligen Beiträgen umzuschauen. Der Ausflug in die beängstigend misanthropische Welt von Dr. Morton und seinem Lord-Klon war zwar von enormen Kuriositätenwerten umweht.


Aber sein Herz konnte man wohl kaum daran verlieren – geschweige denn konnte es vor Schreck stehen bleiben – die Romane waren einfach ein Produkt kühler, grausamer Berechnung.

Bei mir steht zwar auch ein wenig Splatterpunk im Schrank und ich lasse die Barkers und McCammons auch gern mal großflächig meucheln, aber ein wenig klassische Atmosphäre kann nicht schlecht sein, wenn die Nachbarn gerade mühsam die Kürbisse vor die Tür schieben.

Es geht jetzt in dieser Lektürenrunde mal nicht darum, alte Erinnerungen auszugraben (obwohl, thematisch passt das natürlich...), weil ich einfach zu wenig Erfahrungen mit den klassischen Pabel-Veröffentlichungen der 70er Jahre mit mir herum schleppe, sondern den großen Zeh einfach noch etwas tiefer in eine Serie zu stippen, die mir zu meiner Romanheftvergangenheit größtenteils durch die Lappen ging, weil sie schon eingestellt war, bevor mich jemand wegen meiner Horrorvorlieben erstmals zum nächsten gut sortierten Kiosk prügelte.

Ich habe an dieser Stelle ja schon drei Romane der Serie besprochen, allerdings aus der zweiten Hälfte der 300er-Romane, wo mir anschließend versichert wurde, dass die Serie ihre besten Zeiten an diesem Punkt schon hinter sich hatte. Nun, wie waren sie denn also, die guten, alten Zeiten?

Dazu muss ich wohl in den früher liegenden Jahren der Heftserie etwas graben und schon liegt ein kleiner Stapel auf dem Tisch, den ich jetzt für Kostpröbchen aufzehre.

Den Start darf dann auch gleich ein Vielgenannter im Phantastikgenre machen, Hubert Straßl, den man generell eher unter dem Pseudonym Hugh Walker kennt und der mehr im Fantasy-, denn im Horrorbereich sein Ansehen erworben hat. Persönlich bin ich mit seinen Werken erst mit meiner Entdeckung von Mythor in Berührung gekommen, aber das hat schon gereicht, um mich auf einen Gruselbeitrag eines versierten Autoren zu freuen, nicht zuletzt weil es sich – quasi – um einen Jubiläumsband bei „Vampir“ handelt, die selige Nr. 100!

Obwohl – selten habe ich, aktuell oder vergangen, eine Serie gesehen, die nachlässiger mit so einer Marke umgegangen wäre, denn abgesehen von der wie üblich brav angedruckten Romannummer weist gar nichts auf eine runde Zahl oder eine Jubelnummer hin, es ist ein ganz braver, ganz normaler Roman geworden, ohne Extras oder Zuckerguß, nicht mal das wie üblich vorangestellte „Vampir informiert“ erwähnt den besonderen Band auch nur mit einer Zeile.

Walker hatte bis dato meistens Romane mit Vampirthemen in „Vampir“ veröffentlicht – was ja auch passend ist – und war auch für die Nr.1 verantwortlich gewesen, daher stellt diese Nr. 100 auch eine inhaltliche Abkehr von den bisherigen Themen dar, denn wie sich im Verlauf des zu Beginn recht mysteriösen Romans herausstellt, handelt es sich mehr um eine modernisierte Form der Geisterjagd, allerdings scheint Walker dabei mit entschiedener Hartnäckigkeit all das zu vermeiden, was man in den generellen „Geisterjäger vs. Dämonenerscheinung“-Beiträgen so erwarten konnte und was heutzutage eher als typisch, klischeehaft und satt abgenutzt wirkt.

Er verwendet keine typische Erscheinungsform des Bösen, er personalisiert es nicht, er verschafft ihm keine wirkliche Stimme. Stattdessen wählt er den Weg der Verunsicherung, des Rätsels, einer Reihe ungeklärter Vorgänge. Der Roman entwickelt sich, abgesehen von seinem spirituell-parapsychischen Thema eher wie ein unheimlicher Kriminalroman, in dem allerdings ein „Psychokopist“ und nicht Polizisten ermitteln (zumindest die ersten zwei Drittel).

Mehrfach stellt sich ein „Ach, jetzt kommt es, wie man es erwarten kann“-Gefühl ein, um dann immer wieder ausmanövriert zu werden, eben mal kein Dämon, kein Teufel, kein Höllenwesen, dafür am Ende eher noch so einige noch offene Fragen, die befriedigender ausfallen, als der pünktlich auf Seite 63/64 zerstrahlte, erlöste, zerstörte oder sonstwie ausgeschaltete Höllenknecht.

Und darum geht’s...

Die gelbe Villa der SelbstmörderParagnostiker und Psychokopisten
Über dem kleinen Ort Gehrdorf kracht und blitzt es recht häufig – und ebenso häufig kommt es zu Todesfällen. Nicht durch Elektrizität, sondern durch Selbstmorde, zumeist durch Erhängen.

Am Schlimmsten – so scheint es – hat es die gelbe Villa am Ortsausgang erwischt, wo schon drei Opfer zu beklagen sind: zuerst Anna Bergen, Mutter der kleinen Julia. Dann ihr Mann Christian und später dann der gute Onkel Paul, was die zehnjährige Julia, nun mit ihrer Haushälterin Rosa Abbot allein, hinreichend traumatisiert hat.

Deshalb reist Hans Feller, seines Zeichens Psychokopist (äh...) und damit so etwas wie ein Geisterjäger für psychische Phänomene in das abgelegene 150-Häuser-Nest im nicht näher verorteten Nirgendwo, mit seinem Kollegen Willie Wenzel.

Besonders willkommen sind sie nicht, dafür sorgt schon das gut informierte, aber nicht sehr freundliche Begrüßungskomitee aus dem Dörfli. Während noch darüber beraten wird, ob sie bleiben dürfen, steckt die Haushälterin Feller den Schlüssel zur Villa zu. Anschließend werden sie zur Abfahrt aufgefordert. Ein kurzes Gespräch mit der verängstigten Julia bringt auch nicht viel.

Also wendet sich Feller an die Lokalredaktion des Nachbarorts Plangau, wo ein gewisser Hans Schwaber residiert. Der hat schon so manches Merkwürdige in Gehrdorf gesehen, u.a. bei einem Besuch einen gewissen Steinseifer, der angeblich schon vor zwei Jahren gestorben ist. Feller verpflichtet ihn zur Mitarbeit und fährt erstmal zum Recherchieren.

Schwaber nimmt Kontakt zu dem Kind auf und kommt auch an einen Brief der Haushälterin, die darüber schreibt, dass die Gehrdorfer die Seelen ihrer Kinder an den Teufel verkauft hätten. Kinder sind im Ort im übrigen auch nirgendwo zu sehen und Julia musste in den Nachbarort zur Schule. Gleichzeitig übt der Schlüssel einen unheilvollen Einfluss auf Feller aus, so dass er ihn in Tuch einschlagen muss, um die Wirkung zu bannen.

Nach diesen Auswirkungen wendet sich Feller jetzt an das Medium Klara Miletti, eine anämische Schönheit, an die Feller sein Herz verloren hat, die aber laut eigener Angaben keine Gefühle empfinden kann – nicht eben die besten Voraussetzungen für eine funktionierende Beziehung.

In einem größeren Grüppchen (mit dabei die Kollegen Kurt und Ernst) macht man sich auf die gefahrvolle Expedition, sich Gehrdorf aus der Ferne zu nähern.
Auf Umwegen trifft man sich mit Schwaber (der inzwischen von den Gehrdorfern beschattet wird) an einem entfernteren Ort und bricht dann zu einer längeren Wanderung auf. Unterwegs gabelt man auch noch Julia auf und die informiert über ein paar ungewöhnliche Zusammenhänge – etwa, dass die Bergens noch ein Kind hatten, das sehr früh gestorben war und dass Vater Christian und Onkel Paul wohl nicht nur Gutes im Sinn hatten, bevor sie der Tod am Strick ereilte. Auch die geheimnisvollen Gewitter werden erwähnt, die immer parallel zu einem Todesfall aufziehen

Und da kommt auch schon eins, hüllt den Ort in Dunkelheit, errichtet einen Bann um das Dorf, lässt die Elektrizität versagen und sorgt für ein neues Opfer (es ist die Haushälterin)

Feller ist sich inzwischen fast sicher, dass er es mit einem Hassgeist zu tun hat, doch als sie dann endlich die gelbe Villa erreicht haben, ist das obsolet: eine durchscheinende Gestalt macht im Haus Rabatz und dann taucht auch schon der Gehrdorfer Pöbel auf, dringt ins Haus ein, nimmt alle gefangen und fackelt die Villa schließlich ab.

Unterdessen hat die verstorbene Anna Bergen erstmalig von Klara Besitz ergriffen, die so mit der Gruppe Kontakt aufnehmen kann – und die Landbevölkerung nachhaltig verstört. Sie kann aber Feller und Klara informieren, dass sie als Einzige von den Gehrdorfern umgebracht wurde – die nachfolgenden „Suizide“ aber wohl auf ihr Konto gingen.

Der Mob erscheint wieder und bringt die Gefangenen in ein bestimmtes Haus, in dessen Keller sich ein geheimnisvoller Altar befindet. Feller macht einen Ausbruchsversuch und verletzt einen der Gehrdorfer schwer. Daraufhin flößt man ihm eine Droge ein, die ihn willenlos machen soll – offenbar sind die Gehrdorfer an ihrer aller Lebenskraft interessiert, die sie in einer Zeremonie den Bedürftigen sozusagen absaugen. Doch der Versuch mißlingt, denn Anna Bergens Geist schaltet sich erneut ein und zwingt den gedachten Empfänger zum Selbstmord.

Just bevor er das Bewußtsein verliert, trifft die Polizei aus dem Nachbarort ein, geholt von dem in weisen Voraussicht dort postierten Assistenten Willie.

Doch damit ist noch niemand in Sicherheit, denn obwohl jetzt ermittelt wird, ergreifen die Gehrdorfer die Initiative, wenn man ihren Geheimnissen zu nahe kommt, der Ort wird zur belagerten Todesfalle...

Gegen den Strich gebürstet...
Ich weiß nicht recht, was Straßl mit diesem Roman vor hatte, wie sehr er sich von seinen übrigen Vampirgeschichten abheben wollte, aber „Die gelbe Villa...“ (die im Roman übrigens nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt) ist ein untypisches Stück Heftroman.

Wie schon erwähnt, vermeidet der Autor die typischen Fangstricke: kein Dämon, kein Teufel, kein typisches Menschenopfer mit reichlich Blut. Auch keine weißmagischen Waffen, keine bekannten Schemata, nur ein paar Meditationen über Manifestationen und ihre Absichten. Stattdessen gibt es etwas, dass einer polizeilichen Ermittlung ähnelt, die ein immer düsteres Geheimnis zu Tage fördert, das von einer Dorfgemeinschaft, die lange über ihre Zeit gelebt hat und sich immer neue Lebenskraft zuführt, in dem sie frische Lebenskraft in ihre Gemeinde einheiraten lässt und ihre gesamten Kinder und Nachkommen opfert.

Das ist jetzt keine ungemein originelle Idee, aber in Zeiten der Found-Footage-Filme oder anderer beliebter Sackgassenerzählformen, die sich für die Protagonisten als (manchmal tödliche) Falle erweisen, bietet Straßl hier einen deutlich anderen Ansatz.

Ohne auf typische Horrorversatzstücke zurück zu greifen, hängt über dem Roman eine unheilvolle Ahnung und manche Sequenzen sind von besonderer Stärke und Intensität, auch wenn manche, eher an regionale TV-Verfilmungen gemahnende Charaktere (besonders nervig für Feller UND den Leser: der Journalist Schwaber) immer wieder den Spannungsbogen brechen.

Die Wanderung auf das düstere Städtchen zu, der heranziehende Mob, die bizarre Zeremonie im Keller, das Fehlen jeglicher Kinder das alles wirkt verstörend und unbequem – und gerade deswegen so frisch. Hätte man aber NOCH dräuender machen können.

Natürlich ist nicht alles eitel Sonnenschein: zwischendurch neigt Straßl zum langwierigen Erklärbärmodus, schwadroniert im auswalzenden Paragnostiker-Idiom (was immer das für eine Jobbezeichnung auch ist = auch hier auf jeden Fall das Übliche vermieden) und mutmaßt über Dinge, die ziemlich eindeutig sind; ganz zu schweigen von der überflüssigen und auch nicht sehr überzeugenden Affärenanbahnung zwischen Feller und Klara, die nun so gar keine Konturen gewinnt.
Die Charaktere bleiben zu provinziell, allerdings wird auch die typische Gut-/Böse-Aufteilung weitestgehend vermieden, hier rollt niemand mit Schaum vor dem Mund mit den Augen und keckert endlos darüber, dass er ja gleich das Leben absaugen würde. Die ganzen Vorgänge sind von einer erschreckenden Nüchternheit und wenn die emotionale Komponente auch noch stimuliert worden wäre, etwa von überzeugenderen Protagonisten (der Roman ist in der Ich-Form geschrieben, was meistens den Zugang zu den Figuren beschneidet, da man sie nur durch den Erzähler gespiegelt sieht), wäre das Ergebnis sicher großartig zu nennen.

So bleibt nur ein etwas unspektakuläres Finale zu bemängeln, der Abschluss eines Falls wie er ggf in einer Ermittlungsakte verzeichnet werden würde, aber ohne die menschliche Wärme und ohne die spürbare Verzweiflung von Ort, Zeit und Wirkung des Geschehens.

Irgendwo in diesem Roman liegt eine noch wesentlich stärkere Fassung mit noch besser ausgestalteten Szenen und präziserer Schilderung eines süddeutschen oder alpinen Gemeindewesens begraben und das ist schade, doch Straßl arbeitete diesen Roman ja noch in ein Taschenbuch um (ich hoffe zumindest, dass er noch ausgebessert wurde), so dass man sich nicht über verpasste mögliche Nachwirkungen beschweren muss.

So hat mein „erster früher“ Vampir-Roman schon einen bleibenden Eindruck hinterlassen und das ist für häufig produzierte Dutzendware, die nicht gut war und nur selten wirkliche Geniestreiche produzierte, schon eine beachtliche Leistung.

Meine Empfehlung!

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2016-10-25 10:05
Irgendwie konnte Straßl das Land zu einem gruseligen Ort machen. Da traf er eigentlich immer den richtigen Ton.
#2 Laurin 2016-10-25 13:36
Ja, die Story ist ja in der Hugh Walker-Gesamtedition im Band DER OKKULTIST mit drin. Den muss ich irgendwann auch mal anfangen zu lesen. Straßl hat da durchaus ein Händchen für, eine schön schaurige Atmosphäre zu schaffen. :-)

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