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Amazing Pulps Teil 5: »Amazing Stories« weiß nicht wohin - Die Reise in die Krise (1949-53)

Amazing PulpsTeil 5: »Amazing Stories« weiß nicht wohin
Der Riese in die Krise
(1949-53)

Auch wenn Chefredakteur Raymond Palmers Kurs umstritten war, hatte seine starke Persönlichkeit den »Amazing Stories« doch auch einen schrägen Charme verliehen.

Nach seinem Weggang versinkt Amazing im Chaos und geht beinahe unter.


Amazing StoriesI.
Die meisten Pulp-Verlage waren in der amerikanischen Geschichte erstaunlich widerstandsfähig. Seit der Erfindung des Pulp-fiction-Genres um 1900 hatten sie alle wirtschaftlichen und politischen Krisen gut überstanden, der erste Weltkrieg konnte ihnen nichts anhaben, und in der großen Weltwirtschaftrise 1929-36 erlebte das Pulp-Heft sogar den größten Boom – die Pulp-Verlage gehörten zu den ganz wenigen Unternehmen, denen es in dieser Zeit entschieden besser ging als vorher. Der Bedarf nach billiger Unterhaltung war eben extrem hoch.

Selbst der zweite Weltkrieg konnte den Lebenswillen der Pulps nicht brechen, und das, obwohl sie sehr unter der Papiereinschränkung litten. Als die 1946 wieder aufgehoben wurde, erlebte das Pulp-Genre einen letzten großen Höhenrausch. Die Jahre 1946/47 waren der Goldene Abend der großformatigen Geschichtenhefte.

Dann kam die rasende Talfahrt. Dass der Crash nicht noch rascher erfolgte, war einem Unternehmer zu verdanken, den man getrost als den größten Pulp-Fan auf Erden bezeichnen kann: Harry Steeger. Der Millionär und Gründer des Pulp-Imperiums „Popular Publications“ hatte schon 1943 den strauchenlden Munsey-Pulp-Konzern gekauft und saniert; nur seinetwegen erschien das Pulp-Haupt-Schlachtschiff „Argosy“ immer noch.

Doch trotz solcher Finanzspritzen und Aufkäufe (Steegers Prinzip: Er sanierte interessante Story-Magazine mit Hilfe der Massenverkäufe eher dröger Frauen-Schmonzettenhefte, ähnlich unserer Cora-Romane) bröselte es weiter im Gebälk. Comics, Taschenbücher, Fernsehen – eine neue Konkurrenz war da, das Ende der Pulps war unausweichlich.

Amazing StoriesII
Bei Amazing Stories hatte man keine solchen Sorgen. Der Coup des Shaver-Skandals ließ das Blatt ungeahnte Spitzensummen einfahren. Doch hinter den Kulissen brodelte es. Die Chefredakteuersliga setzte sich zusammen aus einem recht ungleichen Triumviarat. Chefeditor Palmers okkult-mystische Position haben wir zur Genüge beleuchtet, doch bei aller Schrulligkeit war Palmer doch stets jemand, dem es darum ging, aus gewohnten Bahnen auszubrechen, die Leser mit neuen Verrücktheiten zu frappieren. Sein größter Fan bis zum letzten Blutstropfen: William Hamling. Dieser Vizechef war allerdings kein Freund der Shaver-Mystizismen und schwärmte von der verrückt-lustigen Vorkriegszeit von Amazing und Fantastic Adventures unter Palmer. Sein Traum war eine Restaurierung jener Epoche 1938-42, in der es beschwingt und eher wenig problematisch bei Amazing zuging.

Der zweite Vize, der bald eine entscheidende Rolle bei Amazing spielen sollte, war Howard Browne.

Browne war in die Chefetage gestolpert wie eine Nonne in eine Amüsierbar – er war alles Mögliche (vor allem ein exzellenter Krimi-Autor) , nur kein SF-Fan. Er - so sein inoffizieller Auftrag durch den Konzern - sollte dafür sorgen, dass Palmer nicht zuviel Unsinn anstellte, was ihm, wie wir wissen, überhaupt nicht gelang.

Amazing Stories1949 wurden Ziff & Davis, die Inhaber des Konzerns, von Palmer informiert, dass er ab Januar 1950 nicht mehr als Chefredakteur zur Verfügung stände. Die Nachricht hätte mit Erleichterung aufgenommen werden können (Palmer nervte wegen seines manischen Glaubens an Aliens, Shaver und Fliegende Untertassen), hätte Palmer nicht im gleichen Atemzug eine weitere Meldung lanciert – ab jetzt erschien sein eigenes SF-Magazin, „Other worlds“. Durch einige frappierende Tricks (zu denen mehr in Teil 7) schaffte er es, die mißtrauischen SF-Fans sofort für sein neues Heft zu gewinnen und zum Teil von Amazing abzuwerben.

Amazing war also über Nacht von Okkultismus, Shaver und UFOs befreit, doch Palmer hinterließ ein Vakuum. In welche Richtung sollte man das Schiff steuern?

Ein weiterer Schock erschütterte nicht nur Chicago, sondern die gesamte Pulp-Szene – Street & Smith, der größte US-Pulp-Konzern überhaupt, kündigte an, alle (!) Pulps ab sofort einzustellen. Dieser 8. April  1949 war gewissermaßen der Schwarze Freitag der  Pulp-Geschichte (es war wirklich ein Freitag!), der den schleichenden Niedergang des Genres in ein Eilzugtempo verwandelte. Zwar kaufte Steeger wieder alle wichtigen und spannenden Blätter auf, um sie weiterzuführen, doch das verzögerte den Prozeß nur unwesentlich. Die symbolische Wirkung eines Crashs blieb. Andere Konzerne sollten folgen.

Das SF-Magazin Astounding Stories, der größte Konkurrent von Amazing, nach wie vor unter der Leitung des Dianetik-Fans und SF-Experten John Campbell, brauchte sich keine Gedanken über die Pulp-Krise zu machen. Das Magazin gehörte zwar auch zu Street und Smith, doch durch einen genialen Schachzug war es Campbell gelungen, Astounding vor dem Untergang zu bewahren. Er hatte in seinen Heften schon ab 1943 jegliche Verbindung zwischen Pulp und SF abgestreift. Das schlug sich auch im Format nieder. Astounding erschien nicht mehr im großformatigen Pulp-Format, sondern im handlichen Digest-Format (etwa unser A5), und war somit schon seit Jahren kein Pulp mehr. Astounding durfte weiter erscheinen.

Die Formatfrage hier zu erörtern mag dröge erscheinen, wurde aber bald zur Glaubensfrage, zur symbolischen Flagge in den frühen 50ern. Wer der Pulp-Ästhetik abschwor, wechselte wie Campbell zum handlicheren Digest-Format. Wer trotzig an der abenteuerlustigen, massenorientierten Pulp-Ära festhielt, bekannte sich zur alten Garde - und zum großen Pulpformat. 
Amazing Stories

III
Howard Browne, nach Palmers Abgang vom Vize zum neuen Amazing-Chef aufgerückt, hatte hochfliegende Pläne jenseits von Pulp und Digest. Warum nicht ein Hochglanz-Magazin aus Amazing machen, ähnlich der Cosmopolitan, aber ausschließlich für Science Fiction? Zwar hatte auch schon Palmer mit der Idee experimentiert und die ersten Ausgaben von „Fantastic Adventures“ 1939 im sogenannten übergroßen Bett-Tuch-Format herausgegeben, das auch viele elegante Blätter nutzten, doch das Papier und vor allem der Schnitt waren schlecht, was zu vielen Beschwerden seitens der Leser führte. Browne wollte es besser machen und überzeugte die Besitzer Ziff & Davis, den Etat für Amazing zu verfünffachen(!) und eine Art teures Edel-Superduper-SF-Magazin zu kreieren.  Die Idee ist
 (wahrscheinlich zur Überraschung Brownes) tatsächlich abgenickt worden, große Autoren wurden angeworben, da brach der Koreakrieg aus (Juni 1950), und das ganze Projekt wurde wegen neuer Papiereinschränkungen trotz enormer Vorbereitungskosten (eine Dummy-Ausgabe war fertig) auf Eis gelegt. Der verbitterte Howard Brown überließ die Arbeit nun ganz William Hamling.

Mit Hamlings Triumph über den (zeitlebens) verhaßten Browne zog durch die Hintertür Palmers Geist wieder ein. Ohne Verzögerung begann Hamling mit seinem Versuch, den alten Charme des Pulp-Amazings wieder herzustellen. Viele Autoren, die Palmer-treu waren, kehrten zurück, Wilcox war wieder da und McGivern, ja zuweilen sogar Shaver.  Doch Hamling, konservativ wie er war, fehlte der verrückte Funke, den Ausgaben mangelte es an jenem Esprit und der Abwechslung, die Palmer stets mitbrachte, ganz zu schweigen von Palmers glänzenden Editorials.  

Allerdings konnten die teuer eingekauften Geschichten der High-Quality-Autoren für das gescheiterte Hochglanz-Projekt irgendwann gedruckt werden, und so finden sich zwischen in der Regel recht mittelmäßigen Stories in Amazing und Fantastic Adventures auch große Erzählungen etwa von Bradbury, Asimov und Sturgeon.

Amazing StoriesEnde 1950 zerriß ein weiteres Ereignis den Zusammenhalt der Chefredakteursetage. Der Ziff & Davis-Konzern ordnete den Umzug nach New York an.

Nun war Amazing dezidiert Chicago- und illinoisgeprägt, rekrutierte die meisten Autoren aus dieser Gegend und hing mit tausend Wurzeln, auch persönlichen Freundschaften, Stammkneipen, Kegelklubs und Büros an der Stadt. Dieser Zerreißprobe konnte das alte Amazing-Team nicht standhalten.

William Hamling, nicht willens, für diesen undenkbaren Job nach New York umzuziehen, warf das Handtuch und kündigte. Und nicht nur er ging! Hamling heckte mit Palmer eine Art Staatsstreich aus. Mit Palmers Geld und unter Hamlings Leitung gründete der alte Amazing-Pulp-Stab, der in der Stadt bleiben wollte, ein  Chicagoer SF- und Fantasy-Konkurrenzblatt, „Imagination“. (Auch dazu mehr in Teil 7.)

Amazing, ausgeblutet und verwirrt, befand sich in einer gewaltigen Klemme und erlebte seine größte Krise seit 1937.

Zwei begabte Ex-Redakteure samt alten Stammautoren bedrohten das Blatt mit eigenen neuen Zeitschriften. Astounding unter Campbell machte weiter einen guten Job. Neue sehr gute SF-Magazine wie „Galaxy“ wurden gegründet.

Außerdem versank die Redaktion monatelang im Umzugschaos – der Umzug war erst im Frühjahr 1953 endgültig abgeschlossen

Amazing und Fantastic Adventures, auf Schlingerkurs zwischen bemühter Qualitäts-SF und eher altbackener Pulp-Story-Nostalgie, verlor rapide an Lesern. Zwar erschienen immer wieder auch spannende und entzückende Geschichten, doch der alte Gesamt-Charme war dahin.

Die letzte Rettung kam aus einer ganz unerwarteten Ecke – durch die Fantasy.

Amazing StoriesIV
Howard Browne, der mit dem ersten Versuch 1950, Amazing zu reformieren, restlos gescheitert war und monatelang schmollend nur dem Namen nach als Chef fungierte, um die Arbeit den Palmianern William Hamling und Lisa Schaffer zu überlassen, machte 1952 einen weiteren verzweifelten Versuch, den Markt zurückzuerobern. Ihm lag zunächst der Gedanke fern, das gute alte Schlachtschiff „Fantastic Adventures“ zu versenken (schließlich veröffentlichte er selbst hier gern zuweilen leicht fanstasylastige Krimi- und Actiongeschichten), das nach wie vor große Fans hatte, vor allem, weil dies Magazin nicht in den Shaver-Skandal verwickelt war und immer wieder auch gute Horror-Stories brachte.

Doch Browne träumte von einem neuen HQ-Fantasy-Magazin, einer Art Comeback von „Unknown“, das Campbell in den frühen Vierzigern geleitet hatte. Diesmal verzichtete er auf Hochglanz-Schnickschack und entschied sich fürs Digest-Format auf nomalem Papier.

Die erste Ausgabe wurde am 21. April 1952 unter dem Titel „Fantastic“ der Öffentlichkeit vorgestellt..  

In der einjährigen Experimentierphase (April 1952- März 1953) erschienen hier gute bis exzellente Geschichten von Bradbury, Asimov, Boucher, Capote, Sturgeon, E.F. Russell, Woolrich, Mattheson, Kuttner, Kornbluth, Wyndham, Neville und vielen anderen.

Plötzlich sahen sich Ziff & Davis als Spitzenreiter in Sachen Fantasy – selbst das legendäre neue Magazin „Fantasy und Science Fiction“ konnte da nicht mithalten.

Und so beschloß man nach einem sensationellem Verkaufsstart, den Kurs von „Fantastic“ auch in Amazing fortzuführen und damit den alten Pulp-Geist endgültig abzustreifen. Qualitäts-SF und -Fantasy (was das auch immer sein sollte) war das Stichwort. "Fantastic Adventures" wurde eingestellt. Die letzte Ausgabe erschien im März 1953.

Offiziell sollte dieses herrlich durchgeknallte Pulp-Magazin mit „Fantastic“ verschmolzen werden. Doch in Wirklichkeit lebte (deutlich schwächer) es in Hamlings "Imagination" weiter. Der  Adventure-Pulpstil wurde in "Fantastic" nicht fortgesetzt.   

Amazing StoriesDie letzte Pulp-Amazing-Ausgabe erschien ebenfalls im März 1953. Und damit war die Pulp-fiction-Ära des Blattes (und des Ziff/Davis-Konzerns) beendet. Der alte Dampfer schwenkte tutend und rumpelnd um und nahm Kurs auf das, was damals als „Qualitäts-SF/Qualitäts-Fantasy“ galt.

In der letzten Pulp-Ausgabe von Amazing erschienen unter anderem, in bewährter Mischung aus Grusel, Horror und Action-SF:   Jarvis: Operation Tombstone (Operation Grabstein), Phillips: Your funeral is waiting (Deine Beerdigung wartet), Fairman: Side Road to fame (Seitenstraße zum Ruhm), Overman: No glamour in Space. Klingt alles wie ein bitterer Kommentar auf den Schwenk.

Die erste Ausgabe des „reformierten“ Amazing (4/1953) enthält – nun wie Astounding im Digest-Format – Geschichten u.a. von Robert Heinlein, Ray Bradbury, Murray Leinster und Theodore Sturgeon.

Sehr beeindruckend! Doch trotzdem dringt wehmütig das ferne Echo eines Ausspruchs von Ray Palmer an mein Ohr: „Warum soll ich Campbell imitieren? Das machen doch schon alle anderen.“ Nun war auch Amazing fast wie alle anderen SF-Magazine. Dieselben Autoren wie in Astounding und Galaxy. Nur mit zweitklassigen Arbeiten. Der Erfolg von "Fantastic" ließ sich nicht wiederholen. 

Das hatte katastrophalen Folgen. Dem Blatt wurde von der kleinen, aber lauten SF-Fan-Elite gnädig bescheinigt, nun endlich auf einem "seriösen Kurs" zu sein. Und verlor folgerichtig schnell die breite Leserschicht.

Die fetten Jahre waren vorbei. Unmittelbar nach dem Erscheinen des reformierten Blattes mußte Amazing die monatliche Erscheinungsweise aufgeben und in den zweimonatlichen Turnus wechseln. Die Verkaufszahlen stürzten ab von sechsstelligen auf fünfstellige Ziffern.
 
Nächste Teile:
Teil 6: Falsche Freunde? – Amazing wird seriös (1953-65)
Teil 7: Amazing Stories reloaded: Ableger, Konkurrenten, Nachfolger (1949-heute)

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