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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Der Tyrann der Pyramidenstadt (Gespenster-Krimi 391)

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Der Tyrann der Pyramidenstadt«
Gespenster-Krimi 391 von Frank deLorca (Gerhard Hundsdorfer)

Ich bleibe mal exotisch und versuche auch weiterhin, die typischen Vampir- und Werwolfromane zu vermeiden, die mir sonst meistens die Füße einschlafen lassen. Also durch Glück und Ungeschick versuche ich mich jetzt an etwas Anderem: zwei Romane, geschrieben vom gleichen Autoren, veröffentlicht unter unterschiedlichen Pseudonymen, im Abstand von zwei Wochen.

Davon konnten, dank der verschiedenen Verlagspseudonyme, die Leser natürlich nichts wissen, auch wenn Gerhard Hundsdorfer ein fleißiger Autor war, der den meisten natürlich stilistisch bekannt gewesen sein dürfte und der auch mir bisher keinen Anlass dazu gab, das Gesicht in den Händen zu verbergen.

Hier also mal eine Mumienstory, wobei die typische Mumiengestalt, wie sie auch das Titelbild mit Schwert und Gruft (und Opfer) verziert, wieder mal im Roman so nicht auftaucht, aber immerhin konzentriert man sich hier auf ein klassisches Setting, also Ägypten direkt.

Ich kann jetzt nicht genau sagen, ob Hundsdorfer in diesem Fall tatsächlich ein Ägyptenkenner war oder sich mehr als passabel alle nötigen Details aus Berichten und Reiseführern angelesen hat, den nötigen Hauch an Originalität kann er diesem Roman aber ganz gut verleihen, indem er immer wieder typische Landmarken oder Veranstaltungen in die Handlung einbaut, ohne sie nur einer Art Initiierungsabsatz vorweg zu stellen.

„Der Tyrann der Pyramidenstadt“ ist ein farbiger und dicht geschriebener Roman geworden, auch wenn man die hier erwähnten Ifriten vermutlich noch gar nicht kennt. Tatsächlich sind sie aber Gegenstand der ägyptischen Mythologie und stellen im Feuer geborene Dschinn-Dämonen-Abkömmlinge dar, die auch im Koran erwähnt werden. Das gibt schon mal Sonderpunkte für Originalität.

Abseits der magischen Einflüsse hat Hundsdorfer aber eigentlich mehr einen mystischen Abenteuerroman geschrieben, der nur bedingt unheimlich ist, weil die eigentliche übernatürliche Bedrohung in Gestalt eines Mumienzwerges eher lächerlich in der Beschreibung rüberkommt.

Aber schauen wir selbst…

Der Tyrann der PyramidenstadtAusverkauf bei Mubarak...
Postkartenlandschaft Ägypten, komplett mit Cheops-Pyramide im Background!
Ein Führer mit zwei Touristen wird anhand der Infos zweier Grabmalwächter Zeuge, wie ein Unbekannter mit einem blauen Stein (und einem Revolver, Trinkgeld war alle) in ein enges, aber zugängliches Grabmal eindringt und mit dem Bläuling einen gewissen Abu El Hol, der besser erhalten als Andere in seiner gut abgeriegelten Grabnische vor sich hin liegt, wieder zum Leben erweckt, damit der Faltenzwerg ihm – widerwillig – diene.

Am nächsten Morgen eilt einer der Wächter sofort zu dem angesehenen Sadruddin Khan in Kairo (er ist so angesehen, dass er in einem Seitenflügel der ehemaligen Königsresidenz wohnt), wo er ihm brühwarm alles berichtet. Khan hat Kohle und ein knackig Töchterlein namens Tamara (es muss ja jetzt nicht alles ganz so ägyptisch sein…) und ist sofort besorgt.

Gerade hat er sich noch über einen just entlassenen Assi namens Omar Amed aufgeregt, der Tamara hinterher geschmachtet hat, nun will er sofort zu dem Händler Al Mubarak eilen, weil der nämlich eigentlich den zur Erweckung nötigen Stein verwahrt.

Dummerweise hat der gute (böse) Amed ein Empfehlungsschreiben Khans gefälscht und ist damit zu Mubarak gestiefelt, wo er auch prompt einen Job bekommen hat. Da darf man sich schon mal fast Vorwürfe machen.

Vor allem, weil Mubarak, der schon ein paar Falten zuviel hat, dem neuen Helfer auch gleich fast überall Zugang erteilt hat, inclusive Geheimbibliothek! (Echt jetzt?)
Natürlich hat Amed den Schlüssel geklaut und nun den Ifriten – so eine Art ungern gesehener satansähnlicher Anhänger im ägyptischen Götterkanon – erweckt.
Mubarak macht sich vorne Vorwürfe, verwandelt sich aber nach Verabschiedung in den keckernden Ifriten-Zwerg mit Racheschwur und „Ich bin frei!!“-Sermon.

Khan informiert sofort in London seinen alten Kollegenspezi Sir James Acheson, der die nötigen Tafeln mit einem Bannspruch auch damals mit nach England genommen hat. Jetzt hat James nur leider noch einen Vortrag mit Seminar an den Hacken und sendet somit seine Lendenfrucht Roy mit dem nächsten Flieger und dem auswendig gelernten Bannspruch voraus. Roy ist zwar nur halbakademisch versiert, hat aber bzgl. Tamara akuten Hormonüberschuss.

Also nix wie nach Kairo, wo Khan das Hilfsangebot natürlich gern annimmt und sein Töchterlein sofort heimlich (kurz) in Roys Arme sinkt, hasserfüllt beobachtet von Omar Amed.

Anschließend geht es zu Abus Grabmal, wo man sich bzgl des Verschwindens der Mumie vergewissert.
 
Weil man sonst noch nichts machen kann, geht man nach nebenan zur Sphinx, wo das allabendliche Touristenspektakel „Son et Lumière“ stattfindet, eine Lightshow mit ägyptischen Sagen (wer das mal sehen will, es ist – in Teilen – in dem James Bond-Film „Der Spion, der mich liebte“ enthalten). Kaum hat das Spektakel jedoch begonnen, taucht der finstere Zwerg auf und stößt vor dem Publikum wilde Drohungen aus.

Roy bemüht sofort sein Bannspruchgedächtnis und brüllt Abu el Hol die Litanei entgegen, die auch Wirkung zeigt, dennoch eine gepflegte Panik beim Publikum auslöst.

Die nutzt wiederum Omar Amed, um Tamara aus dem Lokal zu entführen, wo sie gerade alle noch gesessen haben. Tamara ist zwar recht unwillig, aber der ihnen folgende Abu el Hol macht ihr ausreichend Angst, so dass sie mitkommt.

Derweil kann sich Al Mubarak an seine Verwandlung nicht mehr erinnern.
Prompt beobachtet er seltsame Besucher rund um seinen Laden, einer davon überraschenderweise Amed, der sich die Goldvorräte des Alten unter den Nagel reißen kann. Ein Anderer ist dummerweise ein Polizist, der Amed verhaften will. Doch just erscheint Abu el Hol wieder in Mubaraks Hülle und bringt den Beamten zum (Herz-)Stillstand, während Amed flieht.

Weil der Beamte dann verschwunden bleibt, wendet sich der Kriminaldirektor Ansar an Khan, der besorgt Nachricht nach London aufgibt, dass sich Sir James tunlichst beeilen soll, mit den Banntafeln anzureisen. Gemeinsam fährt man dann zu Mubaraks Laden, wo man den toten Polizisten im Zustand der Verwesung und den alten Mann in einer unnatürlichen Bewußtlosigkeit auffindet. Mubarak kann wiederbelebt werden, hat aber keine Erinnerung an die Vorfälle und wird in Schutzhaft genommen.

Tamara ist derweil in der Ausgrabung der Mastaba in einem Tempel von Amed angekettet worden.

Sir James ist jetzt alarmiert und verspricht schnellstmögliche Anreise inclusive der nötigen Mörtel-Herstellungskenntnisse, um die Banntafeln im Grab wieder neu zu befestigen. Soll der Bannspruch gelingen, bedarf es aber eben der Formel im Grab und des Besitzes des blauen Steins, weswegen das Aufsagen allein auch nur wenig bewirkt hat.

Inzwischen hat sich Roy auf eigene Faust auf die Suche begeben und fährt noch einmal zu Abu el Hols Grab, wo er von Mubarak/Hol überrascht wird und unter dessen Bann fällt.

Als Sir James mit Tafeln und Mörtel samt Khan am nächsten Tag in das Grabmal steigt, finden sie den Sohnemann dann ebenfalls totenähnlich in der Grabmulde – bringen aber erst einmal die Tafeln mit den Sprüchen an, um dann Roy aus seiner Starre zu befreien.

Inzwischen ist Mubarak auf mysteriöse Weise aus dem Polizeigewahrsam entschwunden und auch Abu el Hols Zögerlichkeit, etwa Roy zu ermorden, wird damit erklärt, dass der Mumiengeist eher nach dem blauen Stein lechzt, der ihn an Amed bindet.

Während die Suche nach Tamara anläuft, postieren sich die Protagonisten noch einmal vor Mubaraks Laden, weil sie vermuten, dass Amed neuen Schmuck für Bargeld stehlen will. Tatsächlich traut sich der Bösewicht, doch es kommt – erneut – zu einem unerwarteten Zusammentreffen. Mubarak taucht zur selben Zeit vor dem Laden auf, die Polizisten werden entdeckt und im folgenden Tumult wird ein Polizist erschossen, Mubarak stirbt bei einem Sturz und Amed flieht erneut, mit einer Kugel in der Schulter.

Blutend fährt er zu Tamaras Versteck, wo ihm seine Geisel anbietet, ihn zu verbinden – um ihm dabei den blauen Stein aus der Tasche zu klauen. Prompt flieht sie, als auch schon Abu el Hol erscheint und angesichts des fehlenden Steins bei Amed, eben diesen endlich meucheln darf.

Tamaras Flucht per Auto erregt auch bei den Helfern bald Aufsehen, doch Abu el Hol erscheint bei ihr im Wagen und provoziert einen Unfall. Sir James und Co sind jedoch rechtzeitig zur Stelle, um mit Stein und Formel den Ifriten endgültig zu bannen.
Am Ende wird der Stein wieder zwecks Bann in Abu el Hols Gruft angebracht – und Roy darf endlich bei Tamara mal anschnäuzeln…

Sadruddin, hol du ihn…nein, Abu...hol…
Da ist also ordentlich was los in der Pyramidenstadt und auch in Kairo sind die Nächte lang – ich darf Hundsdorfer für einen sehr dicht geschriebenen Abenteuerroman loben, der ein wenig wie ein klassischer Hammer-Gruselfilm daher kommt.

Der Autor ist sehr um Atmosphäre bemüht, weniger um hohe Bodycounts und so bewegen sich die Opferzahlen in diesem Grusler auch im bodentiefen Bereich, eigentlich trifft es ständig nur wackere Kairoer Polizeibeamte oder eben diejenigen, die sowieso böse oder dem Bösen zugänglich sind.

An das Heldenquartett traut sich Hundsdorfer leider gar nicht ran, da kam praktisch zu keiner Sekunde eine wirkliche Bedrohung auf und auch als Roy in der wohl besten Szene im Grabmal auf den im Dunkeln wartenden Mubarak trifft, ist man gleich wieder bemüht, das Überleben des Jungen tot zu erklären, was auch in Schlangenlinien immer wieder halbwegs logisch funktioniert.

Bei der Gelegenheit dann auch die einzige stilistische Unsicherheit, als man von Roys Verschwinden als Leser erfährt, um dann in einem Handlungsstrang, der davor ansetzt, erzählt zu bekommen, was denn dann eigentlich passiert ist. Rückblenden funktionieren leider an dieser Stelle – mitten im Roman – nur so mittelgut, weil sie in der Anlage falsch konstruiert sind. Roy wird als vermisst gemeldet, ein neuer Strang beginnt, aber nicht mit der nötigen Ankündigung eines Rückblicks, sondern im normalen gleichmäßigen Erzähltempo und der üblichen Zeitform, so dass der Leser irritiert wird.

Die eigentliche Schwäche des Romans ist aber seine Bedrohung an sich.
Im Handbuch für gute Plots und Drehbücher steht selbstmurmelnd geschrieben, dass die Bedrohung eigentlich immer größer als die Helden sein muss, denn sich gegen eine scheinbare Übermacht durchzusetzen, steigert immer die Spannung und den Druck.

Hier haben wir nur einen übernatürlichen Dschinngeist und einen fiesen Möpp von geldgierigem Schmierlappen mit Samenstau, der den Geist befehligt und die sind im Wesentlichen auch noch Konkurrenten bezüglich des blauen Steins.

Omar Amed fällt dann auch leider nicht durch besonderes Bösewichtgeschick auf, abgesehen von seiner Bewerbungsfälschung. Er geht sage und schreibe noch zweimal zu Mubaraks Laden zurück, nachdem bereits nach ihm gefahndet wird und ist stetig überrascht, dass die Polizei auf ihn wartet.

Er entführt Tamara waghalsig in einer unüberschaubaren Situation, die auch anders hätte ausgehen können und entblödet sich nicht, seine Gefangene zum Zwecke des Verbindens seiner Schusswunde loszubinden – worauf die ihm daraus natürlich geschickt – immerhin hat sie so einiges in der Bluse – einen Strick dreht.

Der ägyptische Meckerzwerg lässt leider an Wirkung alles vermissen und selbst seine Meuchelhände und seine finale Attacke im Wagen sind nur auf der kleinen Bedrohungsskala ganz unten zu finden, da hat sogar der von ihm besessene Mubarak mit seiner dürren Skelettstruktur ein größeres Gruselpotential.

Und so läuft der Roman dann auch, dicht erzählt, abenteuerlich, abwechslungsreich und sehr gut strukturiert, geradezu britisch ordentlich. Die größte Bedrohung sind hier die miesen Telefonverbindungen zwischen London und Kairo und die zu geringe Anzahl von Interkontinentalflügen. Immerhin kann Hundsdorfer mit ein paar klaustrophobisch engen Grabmalszenen punkten, sonst fällt der Mumienreißer aber vom Horrorfaktor eher brav aus.

Lesbar ist das Ergebnis aber auf jeden Fall und schmökert sich praktisch in einem Zug weg, trotz kleinerer Mängel hab ich nicht einmal mit den Augen gerollt (abgesehen von den inflationär verwendeten Kollektiv-Rauchszenen aller Anwesenden) und war insgesamt zufrieden. Nur etwas Gänsehaut kann der gute Mann beim nächsten Roman wieder liefern.

Es geht um Drachen…

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