Eine »unheimliche« Mischung - Dämonenkiller – Die Taschenbücher: Jennifer, die Dämonenbraut
Jennifer, die Dämonenbraut
London. Ende der 1970er. Abe Porter arbeitet für die Stadt und soll mit seinem Bautrupp einen alten Pestfriedhof einebnen. Als sein Bagger ein Kreuz demoliert, wird er vom Blitz getroffen. Abe landet im Krankenhaus. Er ist so durch den Wind, dass er aus dem Krankenhaus abhaut. Aufgewühlt geht er zurück zum Friedhof, ohne eigentlich zu wissen, warum er es tut.
Beim Baggerwrack hat sich eine Grube geöffnet. Abe hört ein Kind weinen. Tatsächlich findet er dort ein kleines Mädchen. Sofort wird er an seine tote Tochter erinnert, die in der Themse ertrunken ist. Unter dem Eindruck, dass sich in der Grube Tote aus den Gräbern erheben, ergreift er mit der Kleinen die Flucht, nachdem er mit dem Baggerarm das Loch verschließt.
Er bringt das Kind in sein Reihenhaus in einem Arbeiterviertel. Dort führt er eine unglückliche Ehe mit Teresa. Das gerettete Kind, das Jennifer heißt und Abe wie der Doppelgänger seiner toten Tochter vorkommt, zerstört endgültig seine Beziehung. Abe wird klar, dass ihn Teresa schon seit Jahren mit dem Nachbarn Ed Fraser betrügt; so ist der Braten im Herd für Ed bestimmt gewesen und gar nicht für ihn, der ja eigentlich im Krankenhaus liegen sollte. Teresa reagiert hysterisch auf Jennifer, genau wie die Haustiere. Jennifer redet wirres Zeugs über die Vergangenheit und ihre toten Eltern. Am Ende schlägt Abe mit dem Schürhaken auf seine Frau ein und verschwindet mit Jennifer in die Nacht.
Obwohl das Findelkind so tut, als wenn es aus einem anderen Jahrhundert stammen würde und sich an den großen Brand von 1666 erinnert, will Abe es als Tochter großziehen und das Land verlassen. Ihre Odyssee durch London endet wieder am Friedhof, wo die Polizei schon wartet. Unter der Baggerschaufel liegt eine tote Frau. Die Behörden nehmen Abe ins Verhör und übergeben Jennifer dem Jugendamt. Das Kind gebärdet sich wie eine Verrückte und will unbedingt zu seinem neuen Vater zurück. Abe sagt der Polizei, dass er die Waise mit nach Hause nehmen und adoptieren will, aber davon will keiner etwas wissen.
Am Ende wird Abe nach Hause geschickt. Teresa erwartet ihn schon. Sie ist wie ausgewechselt. Sie hat ihren Lover Ed in die Wüste geschickt und will die Kleine nun auch adoptieren. Aber Ed will sie nicht in Ruhe lassen und Stress machen. Nun soll er zum Essen kommen, damit sie das wie Erwachsene besprechen können. Teresa will ihn aber mit Tabletten im Pudding vergiften. Abe nimmt sich vor, das zu verhindern. Das geht ihm dann doch zu weit.
Jennifer kann dem Jugendamt entkommen. Sie schafft es zurück zu Abes Straße, muss sich aber in einem anderen Haus verstecken. Dort entdeckt sie einen Gehenkten. Sie schneidet ihn ab und versucht ihn zu beleben. Als die Uhr Mitternacht schlägt, weiß Jennifer, dass ihre wahren Eltern sie eingeholt haben.
Jahre später. Sir Henry Ruttigan, ein reicher Firmenbesitzer, ist gerade im Ausland, als seine Frau bei einem Autounfall stirbt. Er ist erzürnt, dass sein Sohn Robert und der Butler das neue Bestattungsunternehmen Porter & Porter mit der Beerdigung beauftragt hat. Trotz Roberts Lobeshymne über das Besitzerehepaar und vor allem über deren nette Tochter will der standesbewusste Sir Henry alles rückgängig machen. Aber auch er lässt sich von den Porters beeindrucken. Vor allem von deren Tochter Jennifer.
Ein paar Wochen später stellt Sir Henry die junge Jennifer als Privatsekretärin ein, sie soll den komplizierten Nachlass seiner Frau sichten. Robert ist verblüfft. Schon nach ihrem ersten Gespräch glaubt er, dass Jennifer gestört ist. Unverblümt erklärt sie ihm, dass sie ihren Eltern am Tag ihrer Volljährigkeit entfliehen wollte und auch in einem Nachtklub gearbeitet hätte, um das schaffen. Als Robert ihre Schönheit lobt und zu bedenken gibt, dass sich sein Vater in sie verlieben könnte, ist sie entsetzt. Sie behauptet, dass Liebe nur Unglück bringt und will ihr Gesicht verstümmeln, um ihre Schönheit zu zerstören.
Sir Henry ermutigt seinen Sohn, die tüchtige neue Privatsekretärin einmal auszuführen. Robert glaubt, sich in Jennifer verliebt zu haben. Der Ausflug endet in einer Katastrophe. Jennifer wird unsanft von einem Angestellten des Beerdigungsinstituts belästigt, seine Kumpel schlagen Robert auf einer Baustelle zusammen. Beim Kampf bringt Robert sie scheinbar um. Als er später mit Jennifer hingeht, sind die Leichen verschwunden. Jennifer überrascht das nicht. Sie weiß, wer diese Leute in Wirklichkeit waren.
Robert gesteht Jennifer seine Liebe, die will aber nichts davon hören. Sie sei verflucht. Sie will Robert die Wahrheit erklären. Also bringt sie ihn zu den Porters. Ihre Mutter ist außer sich vor Hass, als sie Robert sieht. Ein bizarres Gespräch entwickelt sich. Anscheinend ist das Beerdigungsinstitut Porter & Porter so etwas wie Auftragskiller, die Lebensversicherungen ausstellen und dann für Unfälle sorgen. Aber das ist nebensächlich.
Jennifer beschuldigt ihre Adoptivmutter, damals in jener Nacht Abe betäubt und zusammen mit Ed, ihrem Geliebten, aufgehängt zu haben – der Gehenkte, den die kleine Jennifer entdeckte. Sie holte einen Polizisten zur Hilfe, um ihn zu retten. Jennifer beschuldigt ihre Adoptivmutter außerdem, ihre wahre Mutter zu sein. Die ja eigentlich tot ist. Sie bringt den verblüfften Robert zu dem alten Ed Fraser, der dann die komplizierte Geschichte anhand eines – historischen – Tagebuchs erklärt.
Beim großen Brand von London 1666 hat Roberts Vorfahr Sir Edward Montagu, der Earl of Sandwich, seine untreue schwangere Ehefrau und ihren Geliebten, einen Anhänger des Bogumilismus, lebendig auf einem Pestfriedhof begraben lassen. Der versprach in typischer Horrormanier zurückzukehren und ihre Seelen in fremde Körper zu verpflanzen, um ewig zu leben. Nur das - noch gar nicht zur Welt gekommene - Kind soll sie erlösen können, falls es einem Menschen begegnet, der ihm Liebe schenkt.
Nachdem der verblüffte Robert die Geschichte gehört hat, verschwindet Jennifer in der Nacht. Robert bleibt bei Ed, der behauptet zu sterben. Ed erzählt, dass in jener Nacht in Wirklichkeit alle starben – Teresa, Abe und er auch. Teresa beging Selbstmord, Ed hat sich aufgehängt, nachdem er sie fand. Dann sind die Toten wieder zum Leben erwacht, um Abe aufzuhängen. Und Jennifer hat ihn gar nicht gerettet, das hat sie erfunden. Nach der Erzählung will Ed angeblich Jennifer holen, kommt aber nicht zurück.
Robert eilt zurück in Jennifers Haus. Aber das Mädchen ist verschwunden. Im Haus findet Robert nur einen Haufen Staub. Jennifer kehrt nie zurück. Robert wartet trotzdem auf sie, auch wenn er weiß, dass er sie erst im nächsten Leben sehen wird.
Unten auf der letzten Seite erwartet den Leser die Nachricht, dass die Reihe Dämonenkiller "vorerst" eingestellt wird und man doch bitte "Mythor" kaufen möchte. Über die Gründe schweigt sich die Redaktion aus.
Immerhin ist der letzte Roman ein zumindest interessanter Beitrag. Ob man Bodo Baumanns Gruselromane mag oder nicht, überdurchschnittlich gut erzählt sind sie. Der Inhalt dürfte Geschmacksache sein.
Das ist subtiler Grusel, und einige Stellen muss man zweimal lesen, um zu verstehen, was da eigentlich passiert ist. Das ist schon sehr kompliziert konstruiert, vielleicht einen Tick zu kompliziert, um zu funktionieren. Die Geschichte ist in zwei Teilen gehalten. Der erste Teil ist die Geschichte von Abe, dem herzensguten Mann, der in einem Grab ein Kind findet und nicht einmal auf die Idee kommt, dass das nicht so ganz mit rechten Dingen vor sich geht. Die banale Geschichte seiner zerrütteten Ehe wird sehr wortgewaltig dargestellt. Land und Leute sind atmosphärisch dicht und kenntnisreich dargestellt. Der Plot mit dem Pestfriedhof ist überraschend zeitlos. Denn London und seine Pestfriedhöfe sind auch in der zeitgenössischen Phantastik ein noch immer aktuelles Thema, man denke an die recht erfolgreiche Anthologie-Serie "Zombie Apokalypse" von 2010, wo der Herausgeber Stephen Jones aber auch nun wirklich alle wichtigen britischen Autoren versammelte, um sich an die Zombiewelle dranzuhängen. Da war der Auslöser auch ein Pestfriedhof. Und Baumanns Schilderung des Londoner Milieus ist überzeugender und stimmiger als in 1000 John Sinclairs.
Aber im zweiten Teil bleibt der Sinn teilweise dann doch auf der Strecke. Die Ermordeten von 1666 übernehmen die Körper der Porters, während die zum Zeitpunkt des Eingemauertwerdens noch nicht geborene Jennifer im Grab in dreihundert Jahren gerade mal fünf Jahre alt wird? Und wo kommen die anderen Übernommenen her? Was haben die mit dem Bogumilen zu tun? Und den Wiedergeborenen fällt nichts Besseres ein, als ein Beerdigungsinstitut zu eröffnen?
Der Autor übertreibt es etwas mit melodramatischen, ambivalenten Dialogen, zumal die Toten selbst eigentlich nichts Böses tun. (Das mit den mutmaßlichen Auftragsmorden bleibt so vage, dass es auch meine Interpretation sein könnte; für die Handlung ist das letztlich völlig ohne Belang.) Die Idee mit dem historischen Earl of Sandwich – der Erfinder des Sandwichs (das musste erfunden werden, ernsthaft?) war der vierte Earl of Sandwich 100 Jahre später - und seinem Chronisten Samuel Pepys ist eine unerwartete Wendung, genau wie das mit den Bogumilen. Die gnostische Sekte aus Bulgarien und Bosnien glaubte im frühen Mittelalter (oberflächlich gesagt) an den Dualismus, dass Gott zwei Söhne hat, Satan und Michael, und der Mensch die materielle Welt Satan zu verdanken hat. Es gibt da Querverbindungen zu den westlichen Katharern. Die katholische Kirche war, wen wundert es, nicht amüsiert und nahm sich den Häretikern mit der üblichen Toleranz an.
Allerdings sind das die sprichwörtlichen Kaninchen aus dem Hut, mit denen der Leser erst auf den letzten Seiten praktisch bombardiert wird. Das wird alles etwas viel. Der große Brand von London 1666, Samuel Pepys, der Earl of Sandwich, der Bogumile – das alles kommt bis dahin nicht vor. Da hätte man soviel mehr draus machen können, so wirkt es wie angetackerte Exposition.
Als Geistergeschichte funktioniert der Roman nicht richtig. Das liegt weniger am Verzicht auf Action, Gewalt und Übernatürliches als Schauwert. Aber da die "Wiedergänger" hier offensichtlich 10 Jahre ein produktives Leben führen, Steuern zahlen und abends BBC in der Glotze gucken, wie so schön beschrieben wird, mag sich die Gruselatmosphäre nicht so richtig einstellen.
Aber auch wenn an den deutschen Dämonenkiller-Romanen viel zu kritisieren ist, nicht zuletzt ihre Beliebigkeit, muss man an dieser Stelle anerkennen, dass man auch solche Romane veröffentlicht hat, die dem üblichen blutarmen Gruseleintopf mit Fantasyklößchen nicht ferner sein könnten. Wieder verblüfft Bodo Baumann durch seine Vielseitigkeit, die vor allem ins Auge sticht, wenn man diesen Roman mit einem seiner vielen Western vergleicht. Da hat sich jemand mal so richtig reingekniet und fabuliert, wie er gerade Lust hatte, statt ins Rezeptbuch zu sehen. Und wenn die Geschichte an allen Enden ächzt, egal. Wer den üblichen Action-Grusler erwartete, dürfte sich allerdings über die verschwendeten dreiachtzig geärgert haben. Überhaupt werden sich viele der damaligen Leser sicherlich – mal wieder - etwas verarscht vorgekommen sein. Selten haben ein Titel und ein Titelbild einen so fundamental anderen Inhalt suggeriert. Der schwülstige Rückentext ist da nur das Sahnehäubchen.
Und so endet die Reihe der Dämonenkiller-Taschenbücher. Zwar blieb man bis zum Schluss dem Softgrusel treu, aber immerhin gab es ein interessantes und gekonnt erzähltes Buch.
Im nächsten Teil folgt noch eine abschließende Betrachtung der Reihe, bevor es dann mit etwas anderem weitergeht.
Man kann dem deutschen Horror von Pabel und Co eigentlich nicht nachsagen, dass er auch schon vor der Selbstzensurwelle ein Tabubrecher gewesen wäre oder sich gern mal an den Exploitationelementen einschlägiger Horrorfilme orientiert hätte. Und so findet sich auch hier nichts, dass für den heutigen Geschmack auch nur im Mindesten anstößig wäre. Eigentlich schade.
Mark Harrison kann mittlerweile auf eine langjährige Karriere als Künstler zurückblicken. Er gestaltete fast 500 Titelbilder, Comics für das britische 2000 AD, darunter die bombastisch gezeichnete Space Opera-Version von "Durham Red", und seit einiger Zeit arbeitet er auch als Maler. Das ist ein nettes Motiv, ein bisschen Grusel, ein bisschen Sex. Mit der Handlung gibt es da keine Berührungspunkte, aber dazu kann ja Harrison nichts.
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Kommentare
Das Ende deines Martyriums (manchmal) klang doch recht versöhnlich und spannend, obwohl Baumann sich am Ende dann wohl doch etwas beeilen musste. Aber das Problem kennen wir ja auch von anderen Autoren.
Das Titelbild: olala - wäre bei der alten Titelbildaufmachung nicht viel übrig geblieben. Welch Glück...