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Amazing Pulps – Pulp Treasures 8 - Anna Alice Chapin – Drachental [Trough the Dragon's Valley] (1918)

Amazing PulpsPulp Treasures 8
   Anna Alice Chapin
Drachental [Trough the Dragon's Valley] (1918)

In dieser Reihe berichte ich über interessante Funde in diversen alten Pulp-Magazinen - Story-Heften, die zwischen 1895 und 1960 in Amerika zu Tausenden auf den Markt kamen. In ihnen entdeckt man immer wieder kleine Schätze, aber auch Bizarres, Trash von großen Autoren oder Geniales von unbekannten Schriftstellern...

Detective Story Magazine Dies ist das zweite Mal, dass ich eine Pulp-Geschichte komplett übersetzt habe, um ihre Vorzüge zu dokumentieren, und deshalb ist der Kommentar dazu – wie schon bei „Phantomschmerz“, eher lakonisch. Doch einige Anmerkungen seien mir gestattet.

Die Sichtweise auf die Pulpliteratur ist bis heute fast klischeereicher als diese Literatur selbst, es hat sich immer noch nicht herumgesprochen, wie viel Interessantes in den alten Heften steckt.

Ein Zeichen dafür, dass die allgemeine Qualität relativ hoch ist, zeigt die Tatsache, dass man relativ schnell, nach nur kurzer Suche, auf Schätze stößt. So ungezielt und chaotisch man sich auch durch diese Papierberge wühlt, und so erratisch man auch Erzählungen herauspickt, man findet rasch etwas Ansprechendes, das den Abgrund der Jahrzehnte (in manchen Fällen sogar den eines Jahrhunderts) erstaunlich mühelos überbrückt.

Dies hier ist so ein Fund, der nicht nur zeigt, wie stark Frauen ihren „point of view“ damals formulieren konnten, sondern auch, dass die Gestaltungsmöglichkeit, die künstlerische Freiheit in den Pulps oft viel größer war als in den etablierten Blättern. Der renommierte Autor Ralph Milne Farley, auch bekannt als früher SF-Autor, drückte es drastisch, aber durchaus zutreffend aus:

„Wenn es formelverliebte Leute gibt – dann sind das die Redakteure der großen eleganten Magazine. Noch im miesesten Pulp-Magazin werden Sie eine größere Vielfalt vorfinden als in der besten Illustrierten“.

Eine Tatsache, vor der immer noch viele Medienhistoriker die Augen verschließen. (Farley war auch Senator und konnte zur Literaturszene sicher ein paar Dinge laut sagen, die andere nur flüsterten.)

Die Geschichte, die ich hier übersetzt habe, erschien 1918 im Detective Story Magazine. Zwar war in diesem Jahr natürlich das Gerne des Krimis nicht mehr neu, wohl aber das des Krimi-Kurzgeschichten-Heftes. Das Detective Story Magazine ist das älteste Krimi-Magazin der USA, es wurde 1915 vom Verlag „Street & Smith“ gegründet; die Zeitschrift war also zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von „Drachental“ erst drei Jahre alt. Doch schon damals zeichnete sich ein Trend ab, der 15 Jahre später Früchte tragen wird. Innerhalb der Krimi-Szene etablierte sich eine neue Form des großstädtischen Horrors, der sich deutlich von der klassischen Gespenstergeschichte absetzt. Das, was Menschen anderen Menschen antun können, so die Botschaft dieser neuen, nicht übersinnlichen Gruselstory-Sorte, ist womöglich genauso schrecklich, wenn nicht schrecklicher, als alle Monster von anderen Planeten oder aus der Hölle.

Der Einfluß der frühen Krimi-Magazine auf die moderne Horror-Geschichte ist noch spürbar in den Titeln vieler reiner Horror-Magazine der 30er, die immer noch das alte anheimelnde Wort „Mystery“ im Titel tragen wie „Dime Mystery Magazine“ oder „Thrilling Mystery Magazine“.

„Drachental“ ist so eine frühe Horror-Geschichte. Auch wenn das Millieu – eine Kreuzung aus Achter- und Geisterbahn – durchaus noch zur klassischen Horror-Geschichte passt, ist es doch am Ende die Kälte und Gefühllosigkeit der Figuren, die hier ein sterbendes Mädchen im Stich lassen, das uns eiskalte Schauer über den rücken jagt. Die Geschichte ist 100 Jahre alt, und für mich hat sie nichts an Aktualität und Wirkung eingebüßt. Auch wenn hier noch das typische Parfüm der Sentimentalität zu spüren ist, das typisch war für den Stil schreibender Frauen der 1910er Jahre – wird doch hier das Sentimentale in genau der Dosis eingesetzt, die dem Charakter der Geschichte angemessen ist.  
Anna Alice Chapin 
Anna Alice Chapin (1880-1920) war eine exzellente frühe Horror-Autorin der neuen Richtung – was überrascht. Sie ist heute, wenn überhaupt, noch bekannt durch ihr Textbuch zur Victor-Herbert-Operette „Babes in Toyland“ (1934 verfilmt mit Stan & Olli).

Sie veröffentlichte Schriften zur Oper und Märchen für Kinder, und in ihren letzten Jahren hin und wieder auch verstörende Kurzgeschichten in den Magazinen der 1910er Jahre, die einen für die Zeit ungewöhnlich plastisch herausgearbeiteten weiblichen Blickwinkel haben.

Viel Spaß bei der Übersetzung von: Drachental

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Kommentare  

#1 Toni 2018-07-10 11:58
Schöner Text. Tolle Übersetzung. :-)

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